Hochdeutsche Lautverschiebung

MacX

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Hallo,

bei der hochdeutschen Lautverschiebung werden idR. Wörter aus dem Hoch- und Niederdeutschen(manchmal noch dem Englischen) gegenübergestellt, um die Unterschiede deutlich zu machen. Das hieße doch im Umkehrschluss, dass sich die deutschen (oder germanischen) Dialekte vor der Lautverschiebung ähnlicher gewesen sein mussten. Hätten sich die "Deutschen" vorher besser verstehen können als beispielsweise im Hochmittelalter?
 
Auf einer Seite der Uni Wien findet sich eine knappe Erläuterung zur Frage:

[FONT=arial, helvetica]
Aus solchen Übereinstimmungen und systematischen Korrespondenzen kann man schließen, daß bestimmte Sprachen miteinander verwandt sind und auf eine gemeinsame Grundsprache zurückgehen. Der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ist es sogar gelungen, auf diese Art für einige europäische und indische Sprachen eine gemeinsame Protosprache (einen 'Vorfahren'), das Indoeuropäische (=Indogermanisch), zu rekonstruieren. Man muß sich allerdings darüber im Klaren sein, daß von derartigen Proto- und Ursprachen nichts überliefert ist, sie sind also rein hypothetisch.

Charakterisierung der germanischen Sprachfamilie
 
Die Erkenntnis, dass eine Unterscheidung hoch- und niederdeutscher Formen vor der Lautverschiebung nicht möglich war, ist natürlich richtig.
Allerdings beschränken sich die Unterschiede zwischen den germanischen Einzelsprachen und Dialekten nicht auf diesen phonetischen Bereich. Wenn ein Engländer von gift spricht, meint er etwas ganz anderes als das deutsche Wort Gift. Phonetisch gleichen sich beide Worte vollkommen und sprachgeschichtlich gehen beide auf das gleiche Verb zurück.
Der Unterschied der beiden Worte ist also rein semantisch. Lautwandel ist also nicht allmächtig und Bedeutungswandel ist ohnehin bedeutender.:pfeif:
 
Allerdings beschränken sich die Unterschiede zwischen den germanischen Einzelsprachen und Dialekten nicht auf diesen phonetischen Bereich. Wenn ein Engländer von gift spricht, meint er etwas ganz anderes als das deutsche Wort Gift. Phonetisch gleichen sich beide Worte vollkommen und sprachgeschichtlich gehen beide auf das gleiche Verb zurück.

Nämlich geben/to give. Das gift/Gift ist sozusagen eine Gabe.
 
Wenn ein Engländer von gift spricht, meint er etwas ganz anderes als das deutsche Wort Gift. Phonetisch gleichen sich beide Worte vollkommen und sprachgeschichtlich gehen beide auf das gleiche Verb zurück.
Der Unterschied der beiden Worte ist also rein semantisch. Lautwandel ist also nicht allmächtig und Bedeutungswandel ist ohnehin bedeutender.:pfeif:
Das dt. "Gift" im Sinne von Gabe ist nicht komplett verschwunden, man denke nur mal an das Wort "Mitgift".:winke:
 
Romanisches Substrat mitursächlich für die Hochdeutsche Lautverschiebung?

ich habe noch ein wenig gesucht und einiges gefunden:
Die westfränkische Lautverschiebung – und damit überhaupt die zweite (altdeutsche) Lautverschiebung – könnte also durchaus in einer
Situation westgermanisch-nordgallolateinischer Diglossie ausgelöst
worden sein. Sie führte im Westfränkischen zu einem unausgewogenen
System der Geräuschlaute, das weder im Westfränkischen selbst noch
bei der Übernahme durch die östlich und südöstlich wohnenden
Westgermanen völlig ausgeglichen werden konnte. Am besten gelang
dies den Romanen im Alpenraum. Ihr Fränkisch tradiert sich heute im
Schweizer- und Tirolerdeutschen.

aus:
http://static.sdu.dk/mediafiles/7/0...5FA5}Klaus-Peter Lange (nyt format), 3-24.pdf

Leider bin ich als Nicht-Linguist kaum ansatzweise fähig, den Ausführungen des Textes zu folgen, aber der ein oder andere Mitdiskutant hat hoffentlich besseres linguistisches Wissen.
 
naja, man muß ja jetzt nicht gleich ein unregelmäßiges Verb als Beispiel nehmen...
To give, gave ,given geben, gab , gegeben sind sich noch sehr ähnlich.

Gift und Gabe unterscheiden sich dann in der Zeitform, der nomale Sachse sieht das fertige Konstrukt, der deutsche die fertige Tat, so mal Laienhaft ausgedrückt.
Hat gegeben-gab. Da paßt das Geschenk nicht unbedingt als Beispiel, es gibt neben Lauten und Wortsinn auch noch eine Grammatik
 
Romanisches Substrat mitursächlich für die Hochdeutsche Lautverschiebung?

[...]Von größerer Bedeutung scheint die Erwägung zu sein, daß in Folge der Landnahme Systembeeinflussung durch Substratsprachen wie Keltisch oder Galloromanisch die Sprache der landnehmenden Eroberer im Laufe der Zeit in Richtung der Lautverschiebung beeinflußt haben könnten.[...]
Dissertation von Hermann Venema (1995), S. 10

aus: Zum Stand der zweiten Lautverschiebung im Rheinland: diatopische, diachrone ... - Johannes Venema - Google Books


Die zugrundeliegende Annahme ist, dass die romanische Bevölkerung die germanische Sprache der Eroberer angenommen hat und dabei ihre romanische Aussprache teilweise behalten hat. Viele kennen es wohl aus dem Englischunterricht, dass das "th" oftmals von deutschen Muttersprachlern wie "s" ausgsprochen wird: das englische Wort "think" wie "sink" klingt. Gibt es denn Anhaltspunkte aus der spätlateinischen/romanischen Aussprache, dass germanische Wörter so ausgesprochen worden sein könnten, dass ein Lautwandel eintrat?
 
Thorpe -> Dorp -> Dorf

Ich fang mal mit der nördlichsten (und oft vergessenen) Isoglosse des Rheinischen Fächers an: dorp - t(h)orpe. Üblicherweise wird diese in der Nordsee angesetzt, aber die nördlichen Niederlande haben uns 15 Ortsnamen auf -terp bewahrt (v.a. in Westfriesland). Diesseits der Ems hat dann rechtzeitige Konsonantenvertauschung so einige -trops/ -trups zwischen Bottrop, Entrup (bei Höxter) und Achtrup (Nordfriesland) erhalten. Wir sehen hier, wie auch im Wort "Tölpel" (Dörfler) Relikte einer niederdeutschen Lautverschiebung, die der Hochdeutschen entgegenwirkte. Früher Beleg für diese Verschiebung ist die Nennung von Schleswig als "Silastorp" in den Fränkischen Reichsannalen Ende des 9. Jh.
Man könnte vermuten, letztendlich sei dann in der Neuzeit ein teutsches Torp dem deutschen Dor(p/f) gewichen, aber der Wandel erfolgte wohl eher auf dem Verwaltungsweg. In schleswig-holsteinischen Ortsnamen findet sich ein buntes Durcheinander von -thorpe und -torp bis ins 14. Jahrhundert, und -torp neben -dorp noch weit ins 17. Jahrhundert (1651 Büdelstorp). Ab Mitte des 14. Jahrhunderts ist in Urkunden jedoch regelmäßig von "dat dorp" bzw. "in den dorpen" die Rede. [Interessant Delemstorff (1649, heute Delingsdorf) mit p-f Wandel, aber konserviertem "t". Wirkte das Adelsgeschlecht Schleswig-Gottorff hier stilbildend?]
Ortsnamen und Ortsgeschichten in Schleswig-Holstein: zunebst dem ... - Hanswilhelm Haefs - Google Books

Der Ursprung von thorpe/torp/dorf ist umstritten. Udolph sieht den Namen als altsächsich, andere vermuten eine fränkische Bildung, die erst über Holstein und Dänemark im 9. Jahrhundert ihren Weg nach England fand (RGA, ohne Link):
http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2242/Lex.pdf
Das Wort Dorf gehört zu germ. *Þurpa, *Þarpa ‘Balkenbau, Lattengerüst’ oder zu got. Þaurp, das in der Bibelübersetzung Wulfilas ein ‘eingefriedetes Stück Land’ bezeichnet. Die niederrheinischen Germanen benennen mit *Þrop die ‘eingepferchte Viehherde’. Im 5. Jh. erscheint Þorp, -Þorp, dorp, -dorp für den ‘umzäunten Herrenhof, Einzelhof’ vor allem an Rhein und Mosel. Seit dem 8. Jh. findet sich der Bildungstyp in Westthüringen.
Zum frühmittelalterlichen Wandel thorp-dorp habe ich keine Untersuchungen gefunden. Jedoch sind ein paar frühe Namen auf -dorph überliefert, u.a. Austondorphe (696) und Gerleihesdorph (791), beide bei Wissembourg/ Elsass. Hinzu kommen mehrere Wachdendorph (Welschendorf?), z.B. bei Euskirchen (839) und Meppen (1000).​
Alles klar - romanische Rückzugsräume (obwohl - Meppen?). Nichts klar: Im Schweizer Aargau gibt es diverse vorgermanische Namen (Bevölkerungskontinuität), und fünf früh-alemannische "thorpes". Vier davon lauten heute auf "-torf", haben also zwar die p-f, jedoch nicht die th->d Verschiebung vollzogen. Hier wirkte die starke Romanisierung also wohl eher konservativ auf frühalemannische Namen.​
Dann ware da Annalungesdorpf (8. Jh.), heute Annsdorf im Mansfelder Land. Überhaupt scheint sich "Dorf" sehr früh in und um Thüringen verbreitet zu haben. Durch wen? Eigentlich nicht die Franken, die nutzten ja mehrheitlich dorp oder sogar thorp. Wirklich? Nachfolgendem Artikel (S. 18) zu Folge herrschte im Rheinland vom Beginn der Aufzeichnungen an ein buntes Durcheinander von Dorp und Dorf, bis sich dann im Hochmittelalter Dorp im Kölner Raum und bis Ahr und Mosel durchsetzte, nur um anschliessend langsam wieder zurückgedrängt zu werden.​
Was ist da passiert? Der Vergleich einer Abschrift Corveyer Urkunden (Mitte 10. Jahrhundert) mit den Originalen zeigt eine relativ "eigenständige" Auffassung vom Kopierent Ortsnamen in der Nähe Corveys, deren Ausprache dem Kopisten offenbar bekannt waren, wurden "sächsisiert" (z.B. Ersetzen von "t" durch "dd"). Zum Ausgleich wurden ferner gelegene Orte in althochdeutscher Schreibweise wiedergegeben, auch wenn die Urtexte sie in Altsächsisch führten.​
Wenn dies der generelle Ansatz jener Zeit war, spiegeln frühe Ortsnamen v.a. den Sprachgebrauch der Schreiber, weniger den der Ortsansässigen. Ähnlich wie die Holsteinische Kanzlei ab Mitte 14. Jahrhunderts das "Dorp" förderte, obwohl offenbar noch lange im Lande vom "t(h)orp" die Rede war, könnte auch die Karolingische Kanzlei das "Dorf" in die Kölner Bucht und nach Thüringen gebracht haben. Dafür spricht, dass "Dorp/f" im gesamten altfränkischen Gebiet vorherrscht, einschließlich der Niederlande, wo die hochdeutsche Lautverschiebung sonst nicht vollzogen wurde. Ausserhalb, sei es im alten Sachsenland, oder in der heutigen Nordschweiz, konnte sich das "torp/f" länger behaupten, ja hat zum Teil bis heute überlebt.​
 
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Augusto, sehr schön herausgebildet, Torf-Dorf, nur leider hält sich die Bevölkerung nicht dran...
Eine Änderung der Schreibweise beinhaltet nicht zwingend eine Änderung der Lautbildung ...
Es gibt da regional ein paar sehr seltsame Regeln der Lautbildung vor und nach bestimmten anderen Lauten.

Ich wollte heute morgen in die Kirche , dem Pastor ein paar Kirschen bringen. Da komm ich an den Kirschbaum, falle hin, und trete mit beiden Beinen voll in den Eimer, so ne Sch ...
Spricht sich in Braunschweig wie folgt:
Ich wollte hoite morjen in diei Kürche, dem Paöstör aan paör Kürschen bpringen. Daö komm ich aönn den Kürschbuom, faöllö hin, unt trede mitd baaden Baanen voll in däen Ammä , so ne Schaaiseö ...

Beachtet man die heutigen Aussprachen der Wörter, ist das lesen niederdeutsche Schriften kein Problem, im Gegensatz zur Schreibweise hat sich die Lautbildung kaum geändert.
Es wäre natürlich sehr schön, wenn die Laute im selben Sprachraum auch gleich ausgesprochen würden. Leider tun uns die Alten wie die Jungen diesen Gefallen nicht.

Ein Lautschriftlich schreibender wird also aufschreiben, was und wie er´s zu Hause gelernt hat.

Sitzt also ein Mönch in Corvey und stammt z.B. aus der Gegend um Göttingen, wird er bekannte Vokabeln schreiben wie im heimischen Dialekt, auch wenn der Erzähler von der Küste kommt. Unbekannte Vokabeln schreibt er, wie er ´s hört. Und um 900 in der Lautschreibweise der karolingischen Klöster. (z.B. au als ou usw.)

Und verschreiben kann sich der arme Kerl dann ja auch noch. Also jetzt dem -torf auf die Schliche kommen, nicht ganz so einfach, wie die Linguisten vor ihrer Literatur meinen...

Beispiel heute :Flechtor(p)f, niederdeutsch Fläocht(d)örp(h)
Namenserwähnungen: 925 Flahtorp, 1022 Flegtorp, 1100 Flechthorpa, 1129 Vlechthorp 4 Schreibweisen, eine Aussprache
 
Wir sehen hier, wie auch im Wort "Tölpel" (Dörfler) Relikte einer niederdeutschen Lautverschiebung, die der Hochdeutschen entgegenwirkte.
Das ist Blödsinn, Tölpel hat nichts mit 'Dörfler' zu tun. Der Tölpel ist ein Seevogel, der in der Luft und auf dem Wasser ein wahrer Künstler ist, an Land aber deutlich ungeschickt. Wenn man einen Menschen als Tölpel bezeichnet oder beschimpft, dann will damit andeuten, dass er ebenso ungeschickt ist.
 
Ich nehme das mal zur Kenntnis. Der entsprechende Beitrag ist von 1913, ich will bei Gelegenheit mal schauen, ob modernere Etym. WBWB das bestätigen. Die im DWB/Grimm gegebene Erklärung ist für mich noch etwas zu dürftig und zu wenig zwingend.
 
Die im DWB/Grimm gegebene Erklärung ist für mich noch etwas zu dürftig und zu wenig zwingend.

Der Tölpel-Artikel im DWB/Grimm – er ist natürlich widerlegbar – erstreckt sich über 13 Spalten (653-665) mit den üblichen zahllosen Nachweisen; die wollte ich nicht abschreiben. In Spalte 662 taucht auch Dein Vogel auf.

PS: Band 21 erschien 1935. Hast Du eine andere Ausgabe?
 
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Neueren Datums ist das hier
Auch gut! :winke: Der Vogel hat sich verdünnisiert – schade, bei Google stand er noch ganz oben.

Nicht ganz so neu: Kluge, 17. Auflage:
"Bauer, Nichtadeliger, ungebildeter Kerl"

PS: mit Varianten Kluge, 24. Auflage:
Zu einer Gruppe abschätziger mundartlicher Wörter für "Klotz, grober Mensch" u.ä., wie älteres Tölp, obd. Tolpe(n), schlesw.-holst. Tülp u.a. Über ein paralleles dörpel, das (wie Dupel u.ä.) ebenfalls lautmalend ist, berührte sich das Wort in der Überlieferung mit mhd. dörper "unhöflicher Mensch" (vermutlich zurückgebildet aus häufigerem dörperheit). Dieses entlehnt aus mndd. dorper, das seinerseits eine Lehnübersetzung von frz. vilain ist. Präfixableitung: übertölpeln.
 
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