Thorpe -> Dorp -> Dorf
Ich fang mal mit der nördlichsten (und oft vergessenen) Isoglosse des Rheinischen Fächers an: dorp - t(h)orpe. Üblicherweise wird diese in der Nordsee angesetzt, aber die nördlichen Niederlande haben uns 15 Ortsnamen auf -terp bewahrt (v.a. in Westfriesland). Diesseits der Ems hat dann rechtzeitige Konsonantenvertauschung so einige -trops/ -trups zwischen Bottrop, Entrup (bei Höxter) und Achtrup (Nordfriesland) erhalten. Wir sehen hier, wie auch im Wort "Tölpel" (Dörfler) Relikte einer niederdeutschen Lautverschiebung, die der Hochdeutschen entgegenwirkte. Früher Beleg für diese Verschiebung ist die Nennung von Schleswig als "Silastorp" in den Fränkischen Reichsannalen Ende des 9. Jh.
Man könnte vermuten, letztendlich sei dann in der Neuzeit ein teutsches Torp dem deutschen Dor(p/f) gewichen, aber der Wandel erfolgte wohl eher auf dem Verwaltungsweg. In schleswig-holsteinischen Ortsnamen findet sich ein buntes Durcheinander von -thorpe und -torp bis ins 14. Jahrhundert, und -torp neben -dorp noch weit ins 17. Jahrhundert (1651 Büdelstorp). Ab Mitte des 14. Jahrhunderts ist in Urkunden jedoch regelmäßig von "dat dorp" bzw. "in den dorpen" die Rede. [
Interessant Delemstorff (1649, heute Delingsdorf) mit p-f Wandel, aber konserviertem "t". Wirkte das Adelsgeschlecht Schleswig-Gottorff hier stilbildend?]
Ortsnamen und Ortsgeschichten in Schleswig-Holstein: zunebst dem ... - Hanswilhelm Haefs - Google Books
Der Ursprung von thorpe/torp/dorf ist umstritten. Udolph sieht den Namen als altsächsich, andere vermuten eine fränkische Bildung, die erst über Holstein und Dänemark im 9. Jahrhundert ihren Weg nach England fand (RGA, ohne Link):
http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2242/Lex.pdf
Das Wort Dorf gehört zu germ. *Þurpa, *Þarpa ‘Balkenbau, Lattengerüst’ oder zu got. Þaurp, das in der Bibelübersetzung Wulfilas ein ‘eingefriedetes Stück Land’ bezeichnet. Die niederrheinischen Germanen benennen mit *Þrop die ‘eingepferchte Viehherde’. Im 5. Jh. erscheint Þorp, -Þorp, dorp, -dorp für den ‘umzäunten Herrenhof, Einzelhof’ vor allem an Rhein und Mosel. Seit dem 8. Jh. findet sich der Bildungstyp in Westthüringen.
Zum frühmittelalterlichen Wandel thorp-dorp habe ich keine Untersuchungen gefunden. Jedoch sind ein paar frühe Namen auf -dorph überliefert, u.a. Austondorphe (696) und Gerleihesdorph (791), beide bei Wissembourg/ Elsass. Hinzu kommen mehrere Wachdendorph (Welschendorf?), z.B. bei Euskirchen (839) und Meppen (1000).
Alles klar - romanische Rückzugsräume (obwohl - Meppen?). Nichts klar: Im Schweizer Aargau gibt es diverse vorgermanische Namen (Bevölkerungskontinuität), und fünf früh-alemannische "thorpes". Vier davon lauten heute auf "-torf", haben also zwar die p-f, jedoch nicht die th->d Verschiebung vollzogen. Hier wirkte die starke Romanisierung also wohl eher konservativ auf frühalemannische Namen.
Dann ware da Annalungesdorpf (8. Jh.), heute Annsdorf im Mansfelder Land. Überhaupt scheint sich "Dorf" sehr früh in und um Thüringen verbreitet zu haben. Durch wen? Eigentlich nicht die Franken, die nutzten ja mehrheitlich dorp oder sogar thorp. Wirklich? Nachfolgendem Artikel (S. 18) zu Folge herrschte im Rheinland vom Beginn der Aufzeichnungen an ein buntes Durcheinander von Dorp und Dorf, bis sich dann im Hochmittelalter Dorp im Kölner Raum und bis Ahr und Mosel durchsetzte, nur um anschliessend langsam wieder zurückgedrängt zu werden.
Was ist da passiert? Der Vergleich einer Abschrift Corveyer Urkunden (Mitte 10. Jahrhundert) mit den Originalen zeigt eine relativ "eigenständige" Auffassung vom Kopierent Ortsnamen in der Nähe Corveys, deren Ausprache dem Kopisten offenbar bekannt waren, wurden "sächsisiert" (z.B. Ersetzen von "t" durch "dd"). Zum Ausgleich wurden ferner gelegene Orte in althochdeutscher Schreibweise wiedergegeben, auch wenn die Urtexte sie in Altsächsisch führten.
Wenn dies der generelle Ansatz jener Zeit war, spiegeln frühe Ortsnamen v.a. den Sprachgebrauch der Schreiber, weniger den der Ortsansässigen. Ähnlich wie die Holsteinische Kanzlei ab Mitte 14. Jahrhunderts das "Dorp" förderte, obwohl offenbar noch lange im Lande vom "t(h)orp" die Rede war, könnte auch die Karolingische Kanzlei das "Dorf" in die Kölner Bucht und nach Thüringen gebracht haben. Dafür spricht, dass "Dorp/f" im gesamten altfränkischen Gebiet vorherrscht, einschließlich der Niederlande, wo die hochdeutsche Lautverschiebung sonst nicht vollzogen wurde. Ausserhalb, sei es im alten Sachsenland, oder in der heutigen Nordschweiz, konnte sich das "torp/f" länger behaupten, ja hat zum Teil bis heute überlebt.