Gründe und Folgen der zweiten Ausbreitungswelle des Sapiens aus Afrika

Zumindest ist dies denkbar - allerdings stellt sich dann die Frage warum es bis heute noch Nachfahren dieser ersten Welle gibt.

Gerade dies spricht ja dafür dass die Population durchaus stabil war.

Ist "stabil" nicht ein sehr weitgehender Schluss?

Erst einmal heißt das nur, dass Teile der Populationen weiter bestanden haben. Wie groß die tatsächlich waren, oder ob das (nur) Nischen waren, kann doch wohl kaum gesagt werden.
 
Ja, natürlich. Zumal wir hier dann ja auch über einen sehr langen Zeitraum sprechen in dem z.B. Indien mehrfach neue Immigrationswellen aufnahm.

Es ist ja nicht einmal klar ob und zu welchem Anteil die heutigen Negritos wirklich Nachfahren der 1. Welle sind, und wenn sie es sind dann ob sie auch an diesem Ort überlebten oder später einfach wieder einwanderten.

Die Infos welche wir über die Genetik bekommen sind einfach nicht besonders umfangreich, zumindest was meinen Wissensstand dort angeht. Gerade deshalb wollte ich diesen Thread ja aufmachen, um z.B. auch etwas über Fundplätze aus dieser Zeit zu erfahren.
 
Zu den Negritos: die genetische Verwandschaft ist umstritten, die frühere Betrachtung stellte sehr stark auf Phänotypen ab:

http://genetics.stanford.edu/hpgl/publications/CB_2003_v13_p86-93.pdf
Thangaraj et. al., Genetic Affinities of the Andaman Islanders, a Vanishing Human Population.


Mir ist aber nicht klar, ob das der letzte Stand ist. Anthropolocigal Genetics von Crawford verweist jedenfalls darauf, ist aber auch einige Jahre alt (2007).
 
Es ist ja nicht einmal klar ob und zu welchem Anteil die heutigen Negritos wirklich Nachfahren der 1. Welle sind, und wenn sie es sind dann ob sie auch an diesem Ort überlebten oder später einfach wieder einwanderten.
Gute Frage, es gibt auf fast jedem Kontinent Populationen in Randlagen. Das verführt evtl. dazu, die für "unverändert Stehengebliebene" zu halten.
Wenn man genauer hinsieht, bewohnen sie oft Gebiete, in denen weder Ackerbau noch Weidewirtschaft möglich ist. Und da stellt sich mir die Frage, was die neolithische Revolution in den letzten 10000 Jahren so alles verändert hat. Das müßte man berücksichtigen, um die Situation davor beurteilen zu können.
 
Und da stellt sich mir die Frage, was die neolithische Revolution in den letzten 10000 Jahren so alles verändert hat. Das müßte man berücksichtigen, um die Situation davor beurteilen zu können.

Genau die Frage wird jetzt in einer neuen Publikation angesprochen:
A recent bottleneck of Y chromosome diversity coincides with a global change in culture. - PubMed - NCBI

Die Studie konstatiert einen "bottleneck" in den letzten 10.000 Jahren, parallel zur neolithischen Revolution, und synchron in mehreren entfernt liegenden Regionen.

Daraus (parallele Entwicklungen) wird wieder vermutet, dass der genetische Flaschenhals bzgl. Y-Chromosom global-"kulturell" begründet sein kann, sozusagen "Patriarchen-bedingt".
 
Mehrere Artikel aus der Nature mischen seit gestern wieder die Wissenschaftspresse auf. Es geht um die Erhärtung der These mehrerer Ausbreitungswellen, die Zeitpunkte, Richtungen und Stärken und das Klima als vermutete Ursache
Menschliche Wanderwege: Wie Homo sapiens die Welt eroberte - Wissen - Tagesspiegel


Der Artikel von Pagani et. al.:
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature19792.html

Das Team um David Reich:
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature18964.html

Ergänzt wird der Rundumschlag durch die Hypothese, die Migrationen seien von Klimaverschiebungen mit bestimmt worden:
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature19365.html
How Climate Change Shaped Human Migration out of Africa | Mental Floss
 
Danke für die links, sehr interessant. ich hatte es hier schonmal geschrieben, Schlüssel zur Auswanderung des menschen aus Afrika ist das Klima. Daher fand auch nach 65ky BP wohl auch kaum noch eine Migration von Afrika aus statt. Aussagen, es hätte um 40ky BP noch einmal eine Welle aus Afrika gegeben sind daher eher unwahrscheinlich und auch genetisch eher unwahrscheinlich. Viel mehr hat es nach 40ky BP eine Rückwanderung nach Afrika gegeben. Daher sollte meiner meinung nach auch viel mehr Augenmerk auf den südasiatischen-indischen Bereich gelegt werden. hier liegt meiner meinung nach die Region, von der aus Ostasien und Europa besiedelt wurden.
 
Von Einschätzungen, Meinungen etc. bei solchen Themen halte ich mich völlig zurück, weil solches nur mit Expertise seriös erfolgen kann.

Man kann professionelle Zusammenfassungen des Forschungsstandes bringen bzw. zitieren, und hier ist einer zu den jüngsten drei Publikationen:

"Three major genetic studies are published today in the same issue of Nature. All three agree that, for the most part, the genomes of contemporary non-African populations show signs of only one expansion of modern humans out of Africa: an event that took place sometime after 75,000 years ago.

Two of the studies conclude that, if there were indeed earlier expansions of modern humans out of Africa, they have left little or no genetic trace. The third, however, may have found that ‘trace’. "

Deshalb auch die Uni Cambridge:
"Genetic ‘trace’ in Papuan genomes suggests two expansions out of Africa"

Kein "trace" von zwei Expansionswellen (in den anderen 2 Studien) heißt also nicht "keine zwei oder mehr Expansionswellen", sondern nur (derzeit): "kein "trace" weiterer Wellen", bezogen auf die jeweilige Studie und die jeweiligen panels.
https://www.sciencedaily.com/releases/2016/09/160921131119.htm
 
Noch ein Nachläufer zum oben erwähnten Zimmermann-Aufsatz zu den "Klima-Fenstern":
Earth Wobbles May Have Driven Ancient Humans Out of Africa

Und um das hier zu den Aboriginals nicht außer Acht zu lassen, auch dazu enthält diese beachtliche Nature-Ausgabe einen Artikel:

"The population history of Aboriginal Australians remains largely uncharacterized. Here we generate high-coverage genomes for 83 Aboriginal Australians (speakers of Pama–Nyungan languages) and 25 Papuans from the New Guinea Highlands. We find that Papuan and Aboriginal Australian ancestors diversified 25–40 thousand years ago (kya), suggesting pre-Holocene population structure in the ancient continent of Sahul (Australia, New Guinea and Tasmania). However, all of the studied Aboriginal Australians descend from a single founding population that differentiated ~10–32 kya. We infer a population expansion in northeast Australia during the Holocene epoch (past 10,000 years) associated with limited gene flow from this region to the rest of Australia, consistent with the spread of the Pama–Nyungan languages. We estimate that Aboriginal Australians and Papuans diverged from Eurasians 51–72 kya, following a single out-of-Africa dispersal, and subsequently admixed with archaic populations. Finally, we report evidence of selection in Aboriginal Australians potentially associated with living in the desert."
http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature18299.html

Damit dürften die Aboriginals die derzeit älteste abgrenzbare Population bzw. Zivilisation sein.
http://boasnetwork.com/dna-study-confirms-indigenous-australians-most-ancient-civilization/
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die links, sehr interessant. ich hatte es hier schonmal geschrieben, Schlüssel zur Auswanderung des menschen aus Afrika ist das Klima. Daher fand auch nach 65ky BP wohl auch kaum noch eine Migration von Afrika aus statt. Aussagen, es hätte um 40ky BP noch einmal eine Welle aus Afrika gegeben sind daher eher unwahrscheinlich und auch genetisch eher unwahrscheinlich. Viel mehr hat es nach 40ky BP eine Rückwanderung nach Afrika gegeben. Daher sollte meiner meinung nach auch viel mehr Augenmerk auf den südasiatischen-indischen Bereich gelegt werden. hier liegt meiner meinung nach die Region, von der aus Ostasien und Europa besiedelt wurden.

In diesem Zusammenhang wäre es vielleicht auch lohnenswert, Pro und Contra der Theorie des multiregionalen Ursprungs des Menschen zu diskutieren.

Eine der Grundannahmen für diese Hypothese, die Milford H. Wolpoff mit seinem australischen Co-Autor Alan G. Thorne 1992 und dann erneut 2003 auf Englisch und deutsch publizierte, unterstellt, dass die Out-of-Africa-Theorie unglaubwürdig sei: „Wir haben Schwierigkeiten mit der Behauptung, daß eine einzige Gruppe von Jägern und Sammlern weltweit alle anderen Menschengruppen in recht kurzer Zeit – beginnend vor etwa 200.000 Jahren – vollkommen abgelöst habe.“ 1994 wurde diese Grundannahme noch zugespitzter formuliert; demnach belegen die Funde, dass „die frühesten 'modernen' Menschen keine Afrikaner sind und nicht die Gruppe an Merkmalen aufweisen, die die Afrikaner jener oder irgendeiner anderen Epoche charakterisieren.“ Eine zweite Grundannahme wurde von einer Beobachtung in der Gegenwart abgeleitet und lautet: „Heutige Bevölkerungen behalten ihre physischen Besonderheiten bei, trotz Migration und Vermischung. So war es aber immer, solange der Mensch Europa und Asien bewohnt“, konkret, seitdem „Menschen vor mindestens einer Million Jahren erstmals Afrika verließen.“ Vor dem Hintergrund dieser Grundannahmen ist es möglich, zu erklären, warum die Homo-Populationen in Afrika, Asien, Australien und Europa einerseits über hunderttausende Jahre getrennt voneinander lebten und unterschiedliche körperliche Merkmale entwickeln konnten, „die bis in die heutige Zeit überdauert haben“, obwohl „ein so starker Genaustausch zwischen den Gruppen statt [fand], daß die Menschen als eine einzige Art bestehengeblieben sind.“

(...)

Ausgehend von diesen Grundannahmen werden die der Gattung Homo zugeschriebenen Fossilien von den Vertretern der Hypothese eines multiregionalen Ursprungs des modernen Menschen interpretiert. Hierzu veröffentlichten Wolpoff, Wu und Thorne 1984 eine längere Liste morphologischer Merkmale, die insbesondere für die früheren und die heutigen Menschen im Gebiet von China typisch seien. „Diese Zusammenstellung stützt sich großenteils auf Beschreibungen des Frankfurter Anthropologen Franz Weidenreich, der in China während der 1930er und frühen 1940er Jahre die Relikte des Peking-Menschen analysiert hatte.“ Im Ergebnis werden weder für Ostasien (fossiler Homo: Peking-Mensch) noch für Indonesien (fossiler Homo: Java-Mensch) anatomische „Anzeichen dafür [gefunden], daß in diesen Regionen jemals für Afrika charakteristische Merkmale die vormals dort typischen ersetzt hätten.“ Auch die Zhirendong-Funde wurden in diesem Sinne interpretiert.

Die gleiche Kontinuität – der gleitende Übergang von Homo erectus zu Homo sapiens, weitgehend unabhängig voneinander in mehreren Regionen – wurde 1992 und erneut 2003 von Thorne und Wolpoff auch aus in Europa entdeckten Fossilien abgeleitet. Als Beleg hierfür könne beispielsweise der rund 70.000 Jahre alte, späte Neandertaler von La Ferrassie gelten, der – im Unterschied zu älteren Neandertalern – „einen leichten Kinnvorsprung“ aufweist, ein Merkmal, das als typisch für den frühen Homo sapiens gilt.
 
Ist es trocken und kalt reisen die Menschen also, wenn es warm und feucht ist auch.

^^

Aber was ich mich dabei frage: Macht es überhaupt Sinn groß auf das Klima in der Region als ganzes zu definieren? Nicht nur weil man hierbei über tausende Jahre spricht, sondern auch weil Klima im Inland völlig anders sein kann als an der Küste. Gerade wenn man über eine Ausbreitung entlang dieser spricht, über Beachcomber und dergleichen so scheint eine Aussage wie "in diesen 5000-6000 Jahren war es recht trocken" schwer einzuschätzen. Selbst über die benutzten Wege dürfte dies recht wenig Auskunft geben.
 
Die erste Ausbreitungswelle des HSS aus Afrika ist lange Zeit als „Fehlschlag“ gehandelt worden.

Ein heutiger Aufsatz in der Nature sieht das differenzierter. Der Aufsatz befindet sich zwar hinter paywall, allerdings stellt der Autor auf Academia derzeit komplett einen Ansichtsmodus dar. Wen es also interessiert, der kann sich in zwei Minuten die 8 Seiten per pdf ziehen und zusammenführen.

Nature:
The success of failed Homo sapiens dispersals out of Africa and into Asia

Academia:
https://www.academia.edu/35319546/T...APIENS_DISPERSALS_OUT_OF_AFRICA_AND_INTO_ASIA
 
Und eine weitere Publikation zu der Annahme mehrerer Ausbereitungswellen des HS aus Afrika, diesmal verknüpft mit der gängigen Klumatheorie.

Dafür bot sich der Tana-See an, der offenbar einerseits anhand der Sedimente und Schichten sehr gut untersuchbar auf Klimaänderungen ist, andererseits zentral liegt für diese angenommenen Migrationswellen des KS über den Nahen Osten und Arabien.

Untersucht wurde ein Zeitraum von 150.000 Jahren.

Nature, im Open Access:
150,000-year palaeoclimate record from northern Ethiopia supports early, multiple dispersals of modern humans from Africa

Abstract ~ DeepL
Es ist weithin anerkannt, dass Klimawandel eine Rolle bei der Ausbreitung des modernen Menschen aus Afrika gespielt hat, aber das Timing ist umstritten.

Genetische Beweise verknüpfen die Verbreitung mit dem Klimawandel vor ~60.000 Jahren, trotz zunehmender Beweise für die frühere moderne menschliche Präsenz in Asien. Wir berichten von einer tiefen seismischen und nahezu kontinuierlichen Kernaufzeichnung der letzten 150.000 Jahre vom Lake Tana, Äthiopien, nahe an frühneuzeitlichen menschlichen Fossilienstandorten und postulierten Ausbreitungswegen.

Die Aufzeichnung zeigt Klimaänderungen gegen Ende des vorletzten eiszeitlichen Maximums, gefolgt von einem abrupten Wechsel zu einem relativ stabilen feuchten Klima während des letzten Interglazials. Diese Bedingungen hätten die Selektion nach Verhaltensvielfalt, Bevölkerungswachstum und Reichweitenerweiterung begünstigen können und unterstützen Modelle der frühen, multiplen Ausbreitung moderner Menschen aus Afrika.

 
Untersucht wurde ein Zeitraum von 150.000 Jahren.

Nature, im Open Access:
150,000-year palaeoclimate record from northern Ethiopia supports early, multiple dispersals of modern humans from Africa

Abstract ~ DeepL
Es ist weithin anerkannt, dass Klimawandel eine Rolle bei der Ausbreitung des modernen Menschen aus Afrika gespielt hat, aber das Timing ist umstritten. …
Ist wirklich „weithin anerkannt, dass Klimawandel eine Rolle bei der Ausbreitung des modernen Menschen aus Afrika gespielt hat“?

Oder spielen hier vielmehr die heutigen Ansichten über die heutigen – und die für 19. Jhdt. stattfindenden – Migrationsursachen eine Rolle, die auf die hier behandelte Vergangenheit projiziert werden? Heute wird davon gesprochen, der Migrationsdruck aus Afrika sei zu 30% auf den Klimawandel zurückzuführen – vielleicht weil Klimawandel in aller Munde ist. Aber Fakt ist auch, dass die Bevölkerungsexplosion in Afrika schon vorher stattfand und weiter stattfindet, u.a. dank der „europäischen“ Medizin alla Albert Schweitzer, die die Kindersterblichkeit dramatisch senkte.

Ich finde, dass die Migration immer dann stattfindet, wenn ein Landstrich überbevölkert ist, wenn es also nicht mehr alle dort lebende Menschen ernähren kann. Das konnte auch bei ganz „normalen“ Umweltbedingungen geschehen mit der Konsequenz, dass nach neuen „Jagdgründen“ gesucht werden muss. Dafür muss ein Clan nicht als Ganzes große Distanzen überwinden, es reichen ein paar „Überzählige“ oder rivalisierende Clanmitglieder, die sich in der Nähe „niederlassen“. Diese Nähe lässt sich nicht genauer definieren, aber in der Wüste waren die Distanzen sicher größer als in der Savanne oder gar Dschungel. Jedenfalls erscheinen mir 150.000 Jahre für die Überbrückung der Distanz zwischen Ostafrika und Europa genug, um ein Weiterverbreiten um 8 bis 15 km pro Generation zu bewerkstelligen.
 
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