Slawisierung und das Byzantinische Reich

Warum sollte das so sein?

Heather kennt die Theorien seines Fachkollegen sicher gut. Insofern halte ich seine Aussage bezüglich Curta nicht für unbegründet.

Siehe Stilichos Bemerkung. Heathers Publikation liegt mir vor.

Heathers Karte 17 im Anhang, bei mir ohne Quellenhinweis, hat mit "begründet" nichts zu tun. Hat Heather anderswo zitiert, woher er das hat? Vielleicht habe ich etwas überlesen.

Damit wir hier also keine Glaubensbekenntnisse über nachlesbare Literatur abgeben müssen: wo soll das erfolgt sein? Das wird man wohl nachprüfen können.
 
Hat Heather anderswo zitiert, woher er das hat? Vielleicht habe ich etwas überlesen.

Auf S. 353 listet Heather noch einmal die unterschiedlichen Ursprungsgebiete und die Forscher auf, die die jeweiligen Hypothesen vertreten. Über Curta sagt er in diesem Zusammenhang:

"Der Pole Kazimierz favorisierte nach eingehender Analyse der seit dem Zweiten Weltkrieg hinzugekommenen archäologischen Zeugnisse den äußeren Rand der Karpaten als Ursprungsregion. Und ich glaube nicht, dass Florin Curta deswegen für das Gebiet zwischen Karpaten und Donau eintritt, weil er rumänischer Abstammung ist."

Es ist aber fruchtlos, hier noch weitere Haarspalterei zu betreiben. Es ging bei jschmidt um folgende Ausgangsfrage: "Gibt es Konsens über den Ausgangspunkt? (Siehe die Karte mit der "Auswahl verschiedener Heimatländer, die für die Slawen vorgeschlagen wurden" bei Barford S. 332)"

Und das muss man verneinen.
 
Ich sehe hier in einer Karte Osteuropas [1] acht von Forschern vorgeschlagene slawische Ursprungsgebiete. Sie reichen von der Oder bis zum Dnjepr und von der pommerschen Ostseeküste bis zur oberen Donau/Walachei. Die meisten verorten die Urheimat der Slawen zwischen Weichsel und Dnjepr, eine Außenseiterposition nimmt Curta ein, der einen donauländischen Ursprung zwischen Dnjestr und oberer Donau vorschlägt. Zwei weitere Hypothesen nehmen Pannonien und Böhmen an.

Du weißt aber auch, in welchen Zusammenhang Heather diese Karte stellt, nämlich die nicht immer sachlich begründeten älteren Vorschläge unter der Überschrift "Stolz und Vorurteil" ab S. 352 (insbes. ab S. 353). Ein schönes Beispiel von Wissenschaftsgeschichte und von politischen bzw. Zeitgeist-Einflüssen auf die Wissenschaft.

Heathers Karte 17 im Anhang, bei mir ohne Quellenhinweis, hat mit "begründet" nichts zu tun. Hat Heather anderswo zitiert, woher er das hat? Vielleicht habe ich etwas überlesen.

Ich denke, Anmerkung 3 zu Kapitel 8 im Anhang bezieht sich auf diese Karte. Danach stammt sie aus: Barford, The Early Slavs, 2001, S. 326.

Aber: wie oben angedeutet, Heather selbst sieht die Entstehung der älteren in der Karte dargestellten Ursprungsvorschläge unter Einfluss von Nationalismus und Sozialismus kritisch.
 
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Du weißt aber auch, in welchen Zusammenhang Heather diese Karte stellt, nämlich die nicht immer sachlich begründeten älteren Vorschläge unter der Überschrift "Stolz und Vorurteil" ab S. 352


Ja, natürlich.
Die Karte fasst alle Varianten der letzten Jahrzehnte zur so genannten "Urheimat" der Slawen zusammen. Dabei kam es unter Einfluss nationalistischer Vorstellungen auch zu abwegigen Verortungen. Es fehlen aber auch aktuellere Versionen nicht.
 
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Kann man sich nicht einfach bei dem "Anteil" der Slawen, neben den seltsamen Quellenforschungen, sich auf genetische Muster stützen? Dabei werden natürlich einerseits viele Tests von der modernen Bevölkerung und "überreste" von spätantiken gebraucht. Jedoch kann man begrenzt die Muster beachten, Genetic maps of Europe Links sind von Eupedia.com
Die Y-chromosome sind dabei denke ich gute Indikatoren für Migrationsströme.

http://i0.wp.com/thedockyards.com/wp-content/uploads/2015/04/Genetic-Map-of-Europe.png

http://i2.wp.com/thedockyards.com/wp-content/uploads/2015/04/Europe_Y-DNA_map.jpg für die Angeblichen vor 2000 Jahren.

Demnach wäre die I2a Haplogruppe weit öfter am Balkan vorhanden als woanders. Jedoch gibt es auch einige im "slawischen" Bereich.

Linguistische Assimilationen können kulturelle (rein aufgrund der Überzahl) oder politische (Sprache der Herrscher) Gründe haben. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es schon vor der Völkerwanderung einen Austausch gab. Man bedenke, dass die Thrakische Sprache einige Ähnlichkeiten zum Baltischen, das widerum zum slawischen, hatte. ( http://www.kroraina.com/thrac_lang/thrac_5.html )

Ob das slawische Aufgrund der Anzahl der Sprecher sich nun durchsetzte, also einen großen Anteil der verschiedenen Populationen am Balkan hatte, oder einfach politisch von Bedeutung wurde und somit als lingua franca sich durchsetzte (siehe slawisierung der Awaren und Bulgaren etc etc) ist spekulation. Ich gehe nicht unbedingt davon aus, dass Byzanz tatsächlich genug wusste. Byzanz hatte die Macht der Schrift (Quellenlage), war jedoch politisch zu der Zeit weder auf der Peloponnes, auf dem Balkan, noch so wirklich anderswo im Reich sehr Stabil und dementsprechend Kundig.

Wenn man schon mit dem Gedanken der Kontinuität spielt, kann man sich fragen, ob die römisch/griechischsprachiche Bevölkerung nach der Eroberung des Balkans durch Rom überhaupt noch aus der Ursprungsbevölkerung bestand (Daker, Illyrer etc).

Die retrospektivische Sicht die wir heute haben, nämlich dass die Völkerwanderung aufgrund der Quellenlage einerseits die Slawen zur mehrheit der auf dem Balkan lebenden Bevölkerung machte, (da die Menschen heutzutage immernoch "slawisch" sprechen) und die Germanen aufgrund ihrer geringen Anzahl in den anderen Kulturen (lateinische etc) aufgingen, sagt meiner Meinung nach im Endeffekt nicht unbedingt über ihre Anzahl aus, da die Quellenlage schlecht ist und es mehr als genug Präzedenzfälle gibt, dass sich eine Ethnogenese nicht einfach aufgrund von historischen Events rekonstruieren lässt. (Sind die Ungar, "die" Ungar?, die Tataren, "die" Tataren etc etc).

Deswegen sehe ich genetische Muster, wenn sie denn mehr oder minder eindeutig ausfallen, als bessere Indikatoren von Assimilation oder völligem Ersatz anderer Kulturen, an. Ich denke solche Fragen sind ein wichtiges Feld interdisziplinärer Forschungen, als dass sich nur Historiker und Archäologen zusammensetzen und sich auf eine Bevölkerungszahl von 200k Awaren oder 30-40% Slawen einigen, vorallem noch teilweise völlig gegensätzliche Zahlen rauskommen.
 
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Bei I könnte man durchaus von slawischer Vorbevölkerung sprechen. Wie sieht das aber bei R1a aus? Ist alles r1a auf dem balkan slawisch oder teilweise auch älter?
 
Um wirklich irgendwelche Schlüsse aus den Happlogruppen zu ziehen, müsste man zuerst wissen welche Varianten am Balkan vor den Slawen dominierten und wie sie verteilt sind und dann mit der slawischen Urheimat vergleich, plus den Völkerschaften die auf dem Weg mitgenommen hat. Ich zweifle an, dass es das so schon gibt.
 
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Um wirklich irgendwelche Schlüsse aus den Happlogruppen zu ziehen, müsste man zuerst wissen welche Varianten am Balkan vor den Slawen dominierten und wie sie verteilt sind und dann mit der slawischen Urheimat vergleich, plus den Völkerschaften die auf dem Weg mitgenommen hat. Ich zweifle an, dass es das so schon gibt.
....und dazu müßten wir wissen, wo diese Urheimat lag, ob überhaupt die späteren Slawen aus nur dieser Urheimat kamen und ob Haplotypen die in der Urheimat und der neuen Heimat zu finden sind auch auf Wanderung aus dieser Urheimat zurückgehen und nicht auf Wanderungen aus anderen Regionen in die Urheimat und die neue Heimat....
 
Bei I könnte man durchaus von slawischer Vorbevölkerung sprechen. Wie sieht das aber bei R1a aus? Ist alles r1a auf dem balkan slawisch oder teilweise auch älter?

Naja. Polen hat im Schnitt die höchste Konzentration von R1a, was in der Regel von manchen Slawisten als das indo-europäische Gen schlechthin gilt, da es in einer zu der slawischen leicht veränderten R1a dazugehört. (siehe Pakistan und Teile Nordindiens sowie Afghanistans teilweise bis zu 80% Haplogroup R1a (Y-DNA) - Eupedia ). Dazu muss man sagen, dass das "slawische" R1a nochmal 2 unterschiedliche Formen aufweist, wie man in dem Link sieht.

Das I2a1 Haplogroup I2 (Y-DNA) - Eupedia
ist hingegen stark in Sardinien, und auf dem Balkan verbreitet. Zudem "The most likely hypothesis at present is that I1 and I2 lineages were dispersed around Europe during the Mesolithic, and that some branches prospered more than others thanks to an early adoption of agriculture upon contact with the Near Eastern farmers who were slowly making their way across the Balkans and the Mediterranean shores." Das I1 ist dabei besonders oft in Skandinavien und Norddeutschland verbreitet.

Das I2a1 hatte sich wahrscheinlich vor der slawischen Migration, vielleicht sogar bereits um die frühe Bronzezeit dort angesiedelt.
http://cdn.eupedia.com/images/content/early_bronze_age_europe.gif
Allgemein lässt sich Anhand der Verbreitung der Haplogruppen eine gute Verbindung zu den Kulturen der Bronzezeit ziehen.
Ob ich Eupedia jetzt zu sehr glauben sollte, darf dahingestellt sein, die Texte und Masse an Informationen klingt mehr oder weniger professionel, aber das ziehen von Verbindungen zu "Gruppen" anhand von Gentests, ist noch in den Kinderschuhen und ist oftmals schwer zu Bewerten, inwiefern es Hilftreich ist...
 
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Die Diskussion scheint seit Längerem nicht mehr aktiv zu sein, das Thema ist aber so spannend, dass sie mich dazu bewogen hat, mich doch dazu zu äußern. Ich muss mich schon jetzt für die Länge dieses Beitrags entschuldigen, die Wortkargheit hat leider nie zu meinen Stärken gehört.

Erst mal full disclosure: Ich bin Slawe, meine Muttersprache ist russisch, ich habe einen Bachelor-Abschluss in der Linguistik und ich habe überhaupt kein Interesse daran, den alten nationalistischen Diskurs über "autochthone slawische Bevölkerung" oder "Völkermigration" fortzusetzen.

Die Thesen von Florin Curta scheinen mir in vielerlei Hinsicht sehr überzeugend und wichtig zu sein, vor allem für die Spezialisten in der Geschichte Südosteuropas. Auf der anderen Seiten gibt selbst Curta zu, dass seine Hypothese von Protoslawisch als lingua franca des awarische Reiches die relative Einheitlichkeit der ostslawischen Dialekte auf dem Gebiet der Ukraine, Russlands und Weißrusslands nicht erklären kann. Das ändert natürlich nichts an der Gültigkeit seiner Hypothese für den awarischen Einflussbereich, zeigt aber, dass Curta manchmal die genetischen und linguistischen Daten aus dem ostlichen (v.a. nordostlichen) slawischen Gebiet etwas außer Acht lässt.

- Wichtig ist höhere genetische Einheitlichkeit von West- und Ostslawen im Vergleich zu den Südslawen: Das kann man im Groben schon auf dieser Karte sehen. Mehr dazu in diesem schönen Artikel. Kurz gefasst, genetisch gesehen scheinen die Slawen in zwei größere Gruppen aufgeteilt zu sein: die nördliche (West- und Ostslawen sowie Slowenen und westliche Kroaten) und südliche (alle anderen Südslawen). Die Ergebnisse der genetischen Untersuchung scheinen die Verbreitung des slawischen genetischen Materials aus der Region des mittleren Dnjepr zu unterstützen. An dieser Stelle muss ich mit Nachdruck betonen, dass es hier nicht um ein slawisches "Volk", "Ethnie" oder "Kultur" oder Sprache handelt, sondern lediglich um die genetische Ausbreitung von Vorfahren der heutigen Slawen.

- Curta schein der historischen Linguistik gegenüber sehr kritisch gestimmt zu sein, und vielleicht nicht ganz zu Unrecht. In der ersten Hälfte des 20. Jdt. hat sich die historische Linguistik mit nationalistischen Theorien über den Zusammenhang der Sprache und der ethnischen Identität bedient. Für mich ist es allerdings sehr schwer einsehbar, wie diese Tatsache die Theorie widerlegt, dass sich slawische Sprachen aus dem ursprünglichen Gebiet in der nördlichen Ukraine ausgebreitet haben. Die dafür sprechenden Merkmale im slawischen Wortschatz sind zahlreich und gut belegt (archaische Hydronyme in der Region, entwickelte lexische Bereiche für Wälder und Binnengewässer, Tier- und Pflanzenbezeichnungen). Curta erwähnt zwar andere Theorien, wie die von Trubachev, sachlich hat er aber eher wenig zu sagen. An dieser Stelle muss ich wieder betonen, dass es sich von der Ausbreitung der slawischen Sprache und nicht einer slawischen Ethnie oder einer konkreten archäologischen Kultur handelt. Der Begriff "slawisch" soll dabei nicht als Eigenbezeichnung der Slawischsprecher verstanden werden, hier ist es lediglich ein praktisches Etikett für Protoslawisch. Dass das lexisch rekonstruierte "slawische" Ursprungsgebiet sich mit genetischen Daten überschneidet, ist interessant; es hat aber nichts oder wenig mit Curtas Theorien der "Entwicklung von Slawen" und Slawisch als die awarische lingua franca zu tun: Curta geht es um die slawische Ethnie, während wir bisher nur von der Sprache und genetischen Merkmalen geredet haben.

- Slawisch als die lingua franca des awarischen Reiches ist sicherlich eine vielversprechende linguistische Hypothese, die auch Konvergenz slawischer Dialekte im awarischen Einflussbereich erklärt. Curta schreibt aber folgendes:

Speakers of Slavic choosing to stay north of the Danube, instead of joining the emigrants leaving for the Balkans, would have remained in contract with the Urheimat and, as a consequence, their language would have been affected by changes most typical for the East Slav dialects. [...] But place- and river/names of Slavic origin in Romania overwhelmingly point to a Southern, not Eastern influence.

Dabei verweist er auf einen Artikel mit dem Titel "Raport linguistique bulgaro-roumains (IXe-XIe siècles)". Warum die linguistischen Prozesse der 9. und 11. Jahrhunderte die Kontakte zwischen der süd- und südlichen ostslawischen Bevölkerung im 7. und 8. Jahrhunderten ausschließen, ist mir dabei etwas unklar. Das kann aber daran liegen, dass ich den oben genannten Artikel nicht gelesen habe. Schaut man sich aber die Zeugnisse der schriftlichen ostslawischen Dialekte an, wird einem klar, dass es zwei große dialektale Gruppen gab: südlich-östliche ostslawische Dialekte (Ukraine, Moskauer Region, Susdal, usw.) und nordwestliche Ostslawische Dialekte (vor allem Nowgorod und Pskow). Der für unsere Diskussion relevante Unterschied zwischen ihnen besteht u.a. in der Abwesenheit der s.g. zweiten Palatalisierung im Nowgoroder Dialekt (siehe Andrey A. Zaliznyak "Древненовгородский диалект" 'Drewnenowgorodskij dialekt'), d.h. vereinfacht gesagt der Palatalisierung von *k/*g/*h vor *ē<*aj/āj (vgl. Nowgoroder рукѣ 'rukě', Kiewer-Susdaler руцѣ 'rucě' und Altslawisch рѫцѣ 'rǫcě'). Die südslawischen Reflexe der zweiten Palatalisierung haben perfekte Entsprechungen im südlichen-östlichen Dialekt des Ostslawischen, während die westslawischen Reflexe sich erheblich von ihnen unterscheiden. Die absolute Chronologie der zweiten Palatalisierung ist etwas umstritten (sorry für einen Wiki-Link, in dem Abschnitt gibt es aber viele Verweise auf verlässliche Quellen) wird aber von den meisten Spezialisten mit ca. VI-VIII Jdt. datiert. Informationen zu anderen relevanten phonologischen Änderungen in der Zeitperiode habe ich nicht gefunden. Zusammenfassend kann man feststellen, dass das balkanische Slawisch und "ukrainische" Slawisch sehr ähnliche Reflexe der zweiten Palatalisierung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in der relevanten Zeitperiode stattfand, aufweist. Es ist natürlich kein 100%-er Beweis sprachlicher Kontakte des Balkans mit der Ukraine im 7. Jahrhundert, ist trotzdem ein mögliches Argument dafür. Da, wo dieser potentielle Kontakt nicht stattfand, nämlich im Norden des ostslawischen sprachlichen Areals um Nowgorod, gab es auch keine zweite Palatalisierung. Dass dieser Kontakt später aus irgendeinem Grund abgebrochen oder verringert wurde oder dass die dialektalen Unterschiede zwischen dem Balkan und der Ukraine im Laufe der 8. und 9. Jahrhunderte zugenommen haben, ist durchaus möglich, bedarf aber einer näheren Untersuchung. Allein diese kaum strikt wissenschaftliche Schilderung linguistischer Umstände zeigt, dass Curtas linguistische Argument gegen die Urheimat in der Pripjat-Region auf etwas wackeligen Beinen stehen oder zumindest nicht 100% stichhaltig sind. Dabei muss ich hervorheben, dass diese Überlegungen seine lingua-franca-Hypothese nicht wiederlegen und in Wirklichkeit relativ wenig damit zu tun haben: dass die slawischen Proto-Dialekte aus der Region um Pripjat gekommen sein sollen heißt nicht, dass Slawisch keine awarische lingua franca war.

fortsetzung folgt :)
 
Fassen wir jetzt noch weitere Punkte, die wir über die Slawen wissen, zusammen:

- Procopius attestiert im 6. Jahrhundert, noch vor den Awaren Sklaboi / Sklabēnoi, die eine "furchtbar barbarische Sprache" sprachen;

- soll die lingua-franca-Hypothese von Curta stimmen, müsste der Anteil der slawischsprachigen Bevölkerung in ihrem Reich hoch genug gewesen sein, um dem Slawischen diesen Status zu sichern;

- *Slověninъ wird von den meisten Slawisten aus dem Slawischen erklärt. Die genaue semantische Entwicklung ist umstritten (aus *slovo, aus einem Hyrdonym, aus dem Eigennamen Slověnъ), das Wort an sich ist aber wahrscheinlich slawisch;

- der von Curta zitierte Schramm gibt zu, dass
It might be that ‘Sclavene’ was initially the self-designation of a particular ethnic group.

- Varianten von "Slověninъ" werden später in der Slowakei, in Slowenien und als Bezeichnung eines slawischen Stamms im Gebiet um Nowgorod herum attestiert. Die letzteren "Slověne" sind so in der Nestorchronik bezeichnet und haben das am weitesten von der awarischen Einflusszone entfernte Gebiet besiedelt. In diesem Gebiet ist die wahrscheinlich zu den awarischen Zeiten verlaufene zweite slawische Palatalisierung nicht attestiert. Dabei sind sich die Slowenen, Slowaken und Nowgoroder Russen genetisch näher als an die südlichen Slawen.

Streng genommen bieten all diese Informationen keine stichhaltigen Argumente gegen Curtas Theorie, insbesondere für die Gebiete an der unteren Donau und byzantinische Gebiete im Balkan und Peloponnes. Meines Erachtens kann diese Theorie für die oben genannten Gebiete mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar richtig sein. Sie muss aber auch Lösungen für die oben aufgeführten Probleme liefert, und das tut sie meines Wissens noch nicht. Mit anderen Worten, das Bild der balkanischen Slawisierung kann von Curta ziemlich genau beschrieben sein, die südlichen Slawen können tatsächlich als eine byzantinische Fremdbezeichung entstanden sein. Für die west- und ostslawische Siedlungsgebiete ist diese Theorie aber weniger wahrscheinlich und soll möglicherweise entweder weiterentwickelt oder gar als inkorrekt erkannt werden.
 
zwei etwas offtopic Fragen zum Thema:
Ist diese Wanderbewegung der Slaven im Rahmen der Völkerwanderung also des Druckes von Osten her durch die Hunnen zustande gekommen oder durch Bevölkerungswachstum und Suche nach neuem Siedlungsland?

Und in wie weit sind die Rumänen Nachfahren der Daker und der Römer und welche slawischen Einflüsse gibt es?
Wikipedia hält sich da er kurz und ich habe sonst keine aussagekräftige "Genkarte" gefunden die ich als Laie interpretieren könnte.
 
In Rumänien sind viele slawische Ortsnamen im 19. und 20. Jhdt. romanisiert worden (Balgarad > Alba Iulia, das Iulia ist sicher als pseudohist. Anstrich zu sehen, der eine Kontinuität bis in die iulisch-claudische Zeit suggerieren sollte) und rumänische Nationalisten beziehen sich natürlich am liebsten auf Daker und Thraker, manche wollen sogar den römischen Einfluss negieren, aber das dürften unter den rumänischen Nationalisten nur Splittergruppen sein.
Die Italiener und Spanier sagen sí, die Portugiesen auch, schreiben es aber sim, die Franzosen oui (aus hist. oïl) in Südfrankreich sagt man oc.
Das kommt von sic, illud, hoc, also aus dem Lateinischen. Die Rumänen dagegen sagen da, ein ursprünglich slawisches Wort.
 
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Mit anderen Worten, das Bild der balkanischen Slawisierung kann von Curta ziemlich genau beschrieben sein, die südlichen Slawen können tatsächlich als eine byzantinische Fremdbezeichung entstanden sein.

Und was soll das nun heißwn?

Dass die Slawen südlich der Donau auf byzantinischen Staatsgebiet entstanden? Oder dass es erst eine slawische Sprache aber keine ethnischen Slawen gab?

Demgegenüber scheint mir die Migrationshypothese plausibler zu sein. Es ist ja auch nicht so, dass alle Slawisten nun den Hypothesen von Florin Cirtis folgen. Das Thema schein nach wie vor umstritten zu sein.
 
Und was soll das nun heißwn?

Dass die Slawen südlich der Donau auf byzantinischen Staatsgebiet entstanden? Oder dass es erst eine slawische Sprache aber keine ethnischen Slawen gab?

Nein, wieso? Die Slawen, die aus dem Norden des slawischen Siedlungsgebiets - aus der Ukraine, Polen, Mähren oder wo auch immer - in den Balkan kamen und sich als Slawen bezeichneten, konnten tatsächlich nur einen relativ geringen Anteil der Bevölkerung in der Region ausmachen. Die Frage, ob "Slawe" damals die Slawischsprecher, eine ethnische Identität oder irgendwas anderes bedeutete, würde ich hier nicht erörten, weil ich die Antwort nicht weiß und das ein zu schwieriges Thema sein könnte. In nördlicheren Gebieten wie in der Ukraine und insbesondere im awarischen Reich waren sie wenn nicht die Mehrheit dann zumindest zahlreich genug, um Slawisch zur lingua franca im awarischen Einflussgebiet zu machen.

Die Byzantiner übernahmen dann die Selbstbezeichnung der nördlichen Slawen und wandten sie an alle Menschen in den Grenzregionen an, die Slawisch (nicht unbedingt als Muttersprache) sprachen. Die Attraktivität der slawischen Identität, ob aus wirtschaftlichen, politischen oder sonstigen Gründen, hat anschließend dazu geführt, dass die meisten als Slawen bezeichneten Menschen sich schließlich tatsächlich als solche identifiziert haben. Das würde die genetische Diskrepanz zwischen dem slawischen Norden und Süden erklären.

Um es klarzustellen: Ich schließe nicht aus, dass Curtas Theorie auf für den Süden des slawischen Areals nicht stimmt oder im Gegenteil zu 100 % richtig ist. Ich sage nur, dass sie eben für diese Region so ziemlich plausibel klingt, soll man auch die Daten der Genetik und Archäologie berücksichtigen. Ob sie so auch für die West- und Ostslawen stimmen kann - da habe ich erhebliche Zweifel, da sinkt ihre Plausibilität aus genetischen und linguistischen Gründen meines Erachtens drastisch. Was sich aber in diesen Gebieten bei der Ausbreitung von Slawen wirklich abgespielt haben soll, das vermag ich nicht zu sagen, da müssen wir auf weitere Theorien warten :red:

Kurzum, die Theorie über die slawische Pripjat-Urheimat, Ethnogenese der Südslawen durch den byzantinischen Einfluss sowie Slawisch als die lingua franca im awarischen Reich sind meiner Auffassung nach kompatibel, wenn man die schwächere Version von Curtas Theorie annimmt.
 
Kurzum, die Theorie über die slawische Pripjat-Urheimat, Ethnogenese der Südslawen durch den byzantinischen Einfluss sowie Slawisch als die lingua franca im awarischen Reich sind meiner Auffassung nach kompatibel, wenn man die schwächere Version von Curtas Theorie annimmt.

Curta ist der Meinung, die Slawen seien genau dort entstanden, wo sie erstmals erwähnt werden: an den südöstlichen Ausläufern der Karpaten. Nach ihm befanden sich die Slawen, die mit der oströmischen Welt in Kontakt kamen, in einem soziopolitischen und ökonomischen Transformationsprozess. Aus diesem Prozess, so Curta, sien die "ersten" oder "Urslawen" hervorgegangen.

Es ist wahrscheinlich, dass der Ursprungsort jener Slawen, die im 6. Jh. im oströmischen Reichsgebiet auftauchen, die Karpatenregion war. Eine neue, vom polnischen Archäologen Wladimir Baran aufgestellte Theorie besagt, der Ursprung hätte weiter nordöstlich im Raum des heutigen Podolien gelegen. Als Argument werden große Mengen von Korcak-Relikten mit früherer Datierung genannt

In nördlicheren Gebieten wie in der Ukraine und insbesondere im awarischen Reich waren sie wenn nicht die Mehrheit dann zumindest zahlreich genug, um Slawisch zur lingua franca im awarischen Einflussgebiet zu machen.

Bald nach 500 erscheinen Slawen erstmals eindeutig in schriftlichen Quellen. Seit den dreißiger Jahren ist beinahe regelmäßig von Slaweneinfällen an der unteren Donau die Rede. Als die Awaren im Jahr 567 im Karpatenbecken und Pannonien eintrafen, befanden sich slawische Gruppen in einem weiten Bogen außerhalb der Karpaten. von der Elbe bis zur unteren Donau. Die umstrittene "Chronik von Monemvasia" berichtet von der slawischen Besitzergreifung der Peloponnes um das Jahr 587, die aufgrund des militärischen Drucks der Awaren erfolgt sein soll. Bei all diesen Raub- und Plünderzügen waren Awaren und Slawen teils Gegner, teils Verbündete. Allerdings zogen sich die Awaren nach ihrer verheerenden Niederlage bei der Belagerung von Konstantinopel im Jahr 626 auf ihre pannonischen Gebiete im Donaubecken zurück.

Dominierende Macht auf dem Balkan waren nun die Slawen. Die meist romanisierten Stämme der Illyrer und Thraker wurden assimiliert bzw. slawisiert und übernahmen im Verlauf einer unbekannten Zeitspanne die slawische Sprache. Es erfolgte demnach ein Sprachwechsel. Nicht davon erfasst wurden kleine Gruppen von Balkanromanen in abgelegenen Gebieten wie die Walachen oder Aromunen, die zur Keimzelle der Walachei bzw. des späteren Rumäniens wurden.

Eine slawische lingua franca hat es auf dem Balkan sicher gegeben. Das war angesichts der slawischen Einwanderer und Siedler und der slawisierten Balkanromanen unausbleiblich. Ob es auch eine slawische lingua franca im pannonischen Awarenreich gab, ist ungewiss. Da die Zahl der slawischen Siedler groß war, wird Slawisch zumindest Umgangssprache gewesen sein.

Die Byzantiner übernahmen dann die Selbstbezeichnung der nördlichen Slawen und wandten sie an alle Menschen in den Grenzregionen an,

Das glaube ich nicht. Die Oströmer hielten den Balkan Jahrhunderte besetzt, er war das unmittelbare Vorland von Konstantinopel. Mit Völkern auf dem Balkan kannten sich die Oströmer gut aus und hätten sicher keinen Awaren, Thraker oder Daker als "Slawen" bezeichnet. Die ethnischen Unterschiede begannen erst nach längerer Zeit mit der Assimilierung der Balkanbevölkerung zu verschwimmen.

Peter Heather sagt:

"Die Katastrophen von 614 markieren den endgültigen Zusammenbruch der Donaugrenze des Oströmischen Reichs und ebneten der slawischen Besiedlung weiter Teile Südeuropas den Weg, von der Dobrudscha im Nordosten bis zur Peloponnes im Südwesten ... Als um 680 nördlich des Balkangebirges das erste builgarische Reich entstand, waren dort bereits sieben slawische Stämme ansässig.
Inzwischen steht fest, dass ... der endgültige Zusammenbruch der Donaugrenze im Jahr 614 ... den Beginn einer groß angelegten slawischen Besiedlung des Balkans markiert. ... Bis Mitte des 7. Jh. war der gesamte Balkan mehr oder weniger von Slawen besiedelt."
(Peter Heather, Invasion der Barbaren. Die Slawisierung Europas, London 2009/Stuttgart 2011, S. 301 ff.)
 
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Könnte man als Beispiel für eine "slawische lingua franca" auf dem Balkan in der Spätantike/Völkerwanderung/Frühes Mittelalter, (Donau-)Bulgarien anführen, in dem heute eine slawische Sprache gesprochen wird, obwohl man z.B. an der Wolga eher keine slawische Sprache gesprochen hat?
 
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Könnte man als Beispiel für eine "slawische lingua franca" auf dem Balkan in der Spätantike/Völkerwanderung/Frühes Mittelalter, (Donau-)Bulgarien anführen, in dem heute eine slawische Sprache gesprochen wird, obwohl man z.B. an der Wolga eher keine slawische Sprache gesprochen hat?

Die Protobulgaren, die zu Beginn des 7.Jh. das Bulgarische Reich an der unteren Donau gründeten, sprachen eine Turksprache. Als ganz dünne Erobererschicht verschmolzen sie bald mit der zahlenmäßig dominanten slawischen Bevölkerung und gaben Sprache und Identität auf. Bereits im 9./10. Jh. war dieser Assimilationsprozess vermutlich vollendet.

Ob das mit der slawischen Besetzung des Balkans vergleichbar ist, bleibt ungewiss. Wo die Zahl der Slawen nicht groß genug war, setzte sich die Sprache der altansässigen Bevölkerung durch, wie in Griechenland oder der Walachei, bzw. dem späteren Rumänien.

In den übrigen Balkanregionen überlagerten die Slawen die balkanromanische Bevölkerung, nahmen aber nicht deren Sprache an, sondern setzten ihr slawisches Idiom durch. Ob das nun aufgrund einer politisch.militärischen Dominanz oder aber zahlenmäßigen Überlegenheit erfolgte, bleibt ungewiss. Noch immer ist umstritten, wie man sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen eingeströmten Slawen und der altansässigen Balkanbevölkerung (mehrheitlich romanisierte Thraker, Illyrer, Daker sowie Griechen.) vorzustellen hat.

Ungarn war zur Zeit der Awaren mehrheitlich von Slawen besiedelt. Als die nomadischen Ungarn Ende des 9. Jh. in die Donautiefebene kamen, setzten sie ebenfalls ihre Sprache durch und assimilierten die slawische Bevölkerung.

Man sieht also, dass es im Hinblick auf Sprachwechsel und Aufgabe ethnischer Identitäten zu ganz unterschiedlichen Szenarien auf dem Balkan kam.
 
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Peloponnesier oder Polynesier?

Was haben die beiden miteinander zu tun? - natürlich: Nichts.:D

Außer, dass nun populationsgenetische Vergleichs-Modelle benutzt werden, um die These und den 150-jährigen Streit zum angeblich "entvölkerten" Peloponnes im Mittelalter zurückzuweisen, in dessen Vakkum wiederum angeblich die Slawen nachgestoßen wären (Fallmerayer-Hypothese).
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Jakob_Philipp_Fallmerayer

Wer es nicht glaubt:

Stamatoyannopoulos et. al.
Genetics of the peloponnesean populations and the theory of extinction of the medieval peloponnesean Greeks
European Journal of Human Genetics 2017, S. 1
 
Was haben die beiden miteinander zu tun? - natürlich: Nichts.:D

Außer, dass nun populationsgenetische Vergleichs-Modelle benutzt werden, um die These und den 150-jährigen Streit zum angeblich "entvölkerten" Peloponnes im Mittelalter zurückzuweisen, in dessen Vakkum wiederum angeblich die Slawen nachgestoßen wären (Fallmerayer-Hypothese).
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Jakob_Philipp_Fallmerayer

Wer es nicht glaubt:

Stamatoyannopoulos et. al.
Genetics of the peloponnesean populations and the theory of extinction of the medieval peloponnesean Greeks
European Journal of Human Genetics 2017, S. 1


Diese Theorie Fallmerayers hat eben den Stolz der Griechen tief verletzt und ist heute noch sehr bekannt in Griechenland, weil sie ungefähr 100 Jahre populär war und erst nach 1945 endgültig widerlegt wurde.

Die Studie hat ja nichts neues bekanntgemacht- dass die Bevölkerung der Peloponnes Ähnlichkeiten zur süditalienischen zeigt mit einen gewissen geringen slawischen Anteil- obwohl es fraglich ist, generell Schlussvolgerungen zu machen, zumal eben auch nur rund 300 Menschen an der Studie teilnahmen.
 
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