Ost- und Westgoten

Wer übersetzt denn so?

Die ÜS findet sich im Wiki-Artikel zu den Suionen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Suionen (ohne Quellenangabe, nach Sprachstil und Rechtschreibung ist die ÜS wohl im 19. Jhdt. entstanden).

Ipso muss sich doch auf Ozean beziehen, oder irre ich mich da?

da irrst Du Dich nicht.

So richtig konsistent ist das nicht: Wenn die Suiones "im Ozean" wohnen, können sie nicht gleichzeitig an einem anderen Meer als dem Ozean wohnen.
Von einer Insel schreibt Tacitus jedenfalls nichts.
Und woher sollte Tacitus die Vorstellung von einer "großen" Insel haben?

Strabo und Pomponius Mela wussten noch nichts von dieser Insel, Plinius erwähnt sie erstmals, und bei Ptolemaios sind alle skandinavischen Inseln zusammen noch viel kleiner als die Kimbrische Halbinsel:

Östlich der Kimbrischen Halbinsel liegen vier Inseln, die sogenannten Scandiae, drei von ihnen sind klein;
die mittlere Insel liegt bei 41° 30' [ö.L.] 58° [n.Br.]
Eine aber, die grösste und östlichste, liegt bei der Weichsel-Mündung;
ihr westliches Ende liegt bei 43° [ö.L.] 58° [n.Br.]
das östliche Ende bei 46° [ö.L.] 58° [n.Br.]
das nördliche Ende bei 44° 30' [ö.L.]58° 30' [n.Br.]
das südliche Ende bei 45° [ö.L.] 57° 40' [n.Br.]
Sie trägt auch speziell den Namen Scandia, und auf ihr wohnen im westlichen Teil die Chädiner, im östlichen Teil die Favonen und Firäser, im nördlichen Teil die Finnen, im südlichen Teil die Gauten und Daukionen, im mittleren Teil die Levoner.


https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9d/Ptolemaeus_Magna_Germania.jpg

ja, das ist in der Tat ein wenig verwirrend.

Zum einen werden die Suionen ipso in Oceano im Ozean selber verortet. Gehen wir davon aus, dass sie weder auf Pfahlbauten noch auf Schiffen im Ozean lebten, und auch keine Aquamenschen waren, so deutet das auf Inseln im Ozean (Ostsee) hin.


Aber dann schreibt Tacitus weiter, dass "Trans Suionas aliud mare, pigrum ac prope immotum" (Über die Suionen hinaus liegt ein anderes, träges und fast unbewegtes Meer.*)

Im weiteren Verlauf gibt Tacitus einen Bericht über helle Nächte. Da ist davon auszugehen, dass es sich dabei um den Mittsommer im Norden Skandinaviens handelt. Dann müßte dieses "andere Meer" der Skandinavien umschließende Nordatatlantik sein.

Vielleicht ließe sich das folgendermaßen auflösen: übersetzt man ipso in oceano mit "am Ozean selbst", also direkt an der Küste der Ostsee, so könnte man die Sueniones im heutigen Südschweden verorten.



*ÜS aus Tacitus: Germania (38-46), Sueben und östliche Grenzvölker (lateinisch, deutsch)
 
"im südlichen Teil die Gauten" - womit wir wieder bei den Goten wären (die auf Ihrer Wanderung zum Schwarzen Meer sicher auch andere Gruppierungen mitgenommen haben, weshalb man nicht von einer Identität sondern einer Verwandtschaft sprechen muss. Das ist insoweit richtig. Ein heute lebendes Mitglied der Wittelsbacher Dynastie ist mit einem historischen Wittelsbacher nicht identisch, sondern verwandt.

Kurz zu den Svear: wenn Tacitus angibt, "dass jenseits der Lugier die Gotonen leben, weiter dann am Ozean die Rugier und Lemovier, "hierauf" (hinc) die Suionen" dann bezieht er sich auf eine Route - eine Reiseabfolge (möglicherweise z.B. entlang der "Bersteinstraße"), und lokalisiert die Gotonen dann wohl an der Weichsel, weiter dann am Ozean die Rugier (Rügen?) und ... die Suionen der Reiseroute folgend noch weiter im Norden. Dazu ist schon von Pytheas und Jordanes das heutige Skandinavien als Insel bezeichnet worden.
Das schließt aber doch nicht aus, dass eine Volksgruppe, die ich mit "Svear" bezeichne, vom historischen Kerngebiet um Uppland, Westmanland und Södermanland anlässlich der geschilderten Klimaveränderungen nach Süden gedrängt hatte, und eine Volksgruppe, die in Västergötland, Östergötland (und Gotland) siedelte, dann (teilweise) ebenfalls verdrängt hatte - die Verdrängten oder Auswanderer waren die späteren Goten, deren antike Bezeichnung (z.B. Visigothi) möglicherweise eine Verballhornung oder Verzerrung der eigenen Bezeichnung (z.B. Västergöten) darstellen könnte.
Dass Massenwanderungen über die Ostsee technisch möglich waren, demonstrieren schon die bronzezeitlichen (1.500 bis 500 v. Chr.) Felszeichnungen "Tanums Hällristnigar" mit voll bemannten Langbooten. und dass diese Zeit nicht besonders friedlich war, zeigen die Bilder mit schildbewehrten Kriegern mit Streitäxten auch. Diese "Felszeichnungs-Ära" wurde in der Eisenzeit durch die Grabhügel z.B. von Greby (500 bis 200 v. Chr.) abgelöst. Eine zeitlich gleichartige Entwicklung findet sich auf Gotland, das aus der Bronzezeit nahezu 400 bekannte Grabfelder aufweist.

Es müsste doch möglich sein, das Abflauen oder Abbrechen einer solchen regionalen Kultur mit einem zeitnahen Aufleben vergleichbarer Kulturen andernorts (z.B. an der Weichselmündung) in Relation zu setzen.
Göten, die nach der Theorie das schwedische Kerngebiet verlassen hätten, werden sicherlich in einem neuen Siedlungsgebiet jenseits der Ostsee nicht die kompletten Eigenheiten wie Töpferei (Scherben), Bestattungskultur u.ä. auf dem Meer über Bord geworfen haben, und danach eine völlig neue Kultur weitergeführt. Wie ist in dem Zusammenhang etwa die Masowische Gruppe zu bewerten?

Eines ist für mich jedenfalls sicher:
die uns so bekannten Goten entstanden nicht "aus dem Nichts". Und die gotischen Herrscher (Amaler), die wir aus der Antike kennen, können wohl auf einen stolzen Stammbaum zurück blicken.
 
Nur ergänzend: Schreiber ("Auf den Spuren der Goten", 1977), verweist auf Überlieferungen der Goten, wonach zunächst im originären Siedlungsgebiet das Volk geteilt wurde, und 1/3 die Heimat verlassen musste. Dann ist "in den gotischen Traditionen, die uns Cassiodor und Jordanes aufgezeichnet haben, von etwa fünf Königen (also Generationen) die Rede, die im neuen Gotenland südlich der Ostsee aufeinander folgten". Und nach der Amaler-Reihe sollen vor Ermanerich (+ 376, also wohl geboren ~ 300) neun Herrscher auf den legendären Gapt, den ersten Herrscher nach der Auswanderung aus Skandinavien gefolgt sein.
 
die Verdrängten oder Auswanderer waren die späteren Goten, deren antike Bezeichnung (z.B. Visigothi) möglicherweise eine Verballhornung oder Verzerrung der eigenen Bezeichnung (z.B. Västergöten) darstellen könnte.

Da verschiedene Schriftsteller in griechischer und lateinischer Sprache den Namen in zehnerlei Schreibweisen (Visigothae, Wisigothi, Vesegothae, Vesigothi, Οὐισίγοτθοι, Οὐισσιγότθοι usw.) wiedergeben und kein einziger davon eine Schreibweise bringt, die einen Hinweis auf "Väster-" liefern könnte, ist eine Verballhornung auszuschließen.
 
Wer übersetzt denn so?
Ipso muss sich doch auf Ozean beziehen, oder irre ich mich da?

Die zweisprachige Ausgabe von Mauersberger bringt "ipsae in Oceano".

(Und übersetzt das oder besser, schreibt es aus,: "auf einer Insel der Ostsee für sich lebend")
(Harentza übersetzt, mir auch zu frei, aber treffender: "die Inselbewohner sind". Ich bin sicher, es gibt da weitere Übersetzungshighlights. Daher schrieb ich, besser das Verständnis dieser Stelle im Blick zu haben, als die konkrete Übersetzung.)


Das ist ein Argument - vorausgesetzt, dass die Vorstellung überhaupt einen Sinn ergibt. Die überraschendsten Überfälle und Invasionen der Geschichte wurden gern mittels Schiffen ausgeführt...

Tacitus Ansicht muss für uns keinen Sinn ergeben, insbesondere, da er im Gegensatz zu heute und wohl auch zu so manchem Zeitgenossen mehrfach das Trennende von Wasserwegen hervorhebt. Wahrscheinlich hat er die Schwierigkeiten von Landungen großer, Organisierter Armeen vor Augen, die zunächst einen Brückenkopf bilden müssen, wenn es sich nicht um eine Gegend mit sehr geringer Bevölkerung handelt, und nicht ein Vorgehen wie jenes der späteren Sachsen und Wikinger. Wie dem auch ist, bringt es, auch wenn des Tacitus Vorstellungen von Überfällen von See her falsch sind, klar zum Ausdruck, dass Tacitus von einer Insel ausgeht.



So richtig konsistent ist das nicht: Wenn die Suiones "im Ozean" wohnen, können sie nicht gleichzeitig an einem anderen Meer als dem Ozean wohnen.

Der Oceanus ist nun aber nicht einfach ein Meer. Er behandelt hier das Suebische Meer, also nach unserem Sprachgebrauch die Ostsee. Davon scheidet die von ihm als solche beschriebene, wenn auch nicht benannte, Insel ein weiteres Meer, der Vereinfachung halber, schlage ich 'Träges Meer' vor, auch wenn er es nicht benennt. Das muss nicht das Eismeer sein, auch vom Bottnischen Meerbusen kann Tacitus Nachricht stammen, wenn wir bei der Beschreibung an vereistes Meer denken. Dennoch wird eher Skandinavien als Äland gemeint sein, da es schon durch Plinius erwähnt wurde.

(Angesichts der nach Osten verzerrten Vorstellung passt auch die Lokalisierung von Skandinavien vor der Weichselmündung ohne Probleme. Dass er wusste, dass in der Ostsee mehrere Inseln lagen, mag ihn als über Tacitus hinausgehend erscheinen lassen. Allerdings ist er für die Suionen nicht heranzuziehen. Die größte Insel ist Skandinavien und seine Ortsangaben sind alles andere als zuverlässig.)

Von einer Insel schreibt Tacitus jedenfalls nichts.
Siehe oben.

Und woher sollte Tacitus die Vorstellung von einer "großen" Insel haben?

Von Plinius oder seinen Informanten. Die Herren hatten ja unterschiedliche Informanten, was ja eben die unterschiedlichen Informationen hervorbrachte. Und gerade Tacitus und Ptolemaios unterscheiden sich durchaus in ihren Angaben, was zum Teil auch daran liegt, dass ihre Untersuchungsobjekte verschieden sind.
 
@ Carolus:
Du musst bedenken, dass Skandinavien bis ins Mittelalter als Insel galt. Wer dort wohnte, wohnte auch "im Meer selbst" und "am Meer selbst" und "selber im Meer" und "selber am Meer".
 
Hm... die Beobachtung/Annahme war ja, dass man - obwohl es in Südskandinavien Regionen mit dem Gotenbegriff im Namen gibt - einen Zusammenhang mit den Terwingen/Visigotae und Greutungen/Ostrogotae ausschlösse. Das ist m.E. keine korrekte Schlussfolgerung. In der Vergangenheit war das ja durchaus auch bekannt und wer die Szene aus dem Geschichtsunterricht in der Feuerzangenbowle kennt, da wird genau beschrieben, wie Pfeiffer mit drei FFF eine 1 für die Geschichtsleistung bekommt, weil er mittels Sonne, dem reflektierenden Glas seiner Taschenuhr und einer Wandkarte seinem Mitschüler hilft, die Gotenwanderung nachzuskizzieren. Damals war ganz klar:
"Es saßen die Goten ursprünglich in... Schweden." - "Und von dort gingen sie?" - "Von dort gingen sie in die Gegend von Danzig. Und von da gingen sie dann nach Russland. Und von da... ja da wussten sie eigentlich nicht recht, was sie machen sollten und ... äh ... und zerfielen dann in die Ost- und in die Westgoten."
Warum sieht man das heute nicht mehr so? Die Antwort liegt in der Archäologie! Es gibt in der Formensprache der südschwedischen Materialkultur und der gotischen Materialkultur (Wielbark) meines Wissens keine echten Anknüpfungspunkte, welche plausibel machen würde, dass die Danziger Goten wirklich mit den schwedischen "Goten" zusammenhingen.

Ob die Gotonen oder die Suionen diesseits oder jenseits des Okeanos leben, wird m.E. aus der zitierten Tacitusstelle nicht wirklich klar. Wenn ic jetzt behaupten würde, dass die Suionen rund um die Swine siedelten, was dann?
 
"wenn Tacitus angibt, "dass jenseits der Lugier die Gotonen leben, weiter dann am Ozean die Rugier und Lemovier, "hierauf" (hinc) die Suionen" dann bezieht er sich auf eine Route - eine Reiseabfolge (möglicherweise z.B. entlang der "Bersteinstraße"), und lokalisiert die Gotonen dann wohl an der Weichsel, weiter dann am Ozean die Rugier (Rügen?) und ... die Suionen der Reiseroute folgend noch weiter im Norden. Dazu ist schon von Pytheas und Jordanes das heutige Skandinavien als Insel bezeichnet worden.

Wo wohnen die Lugier? Hinter einer Gebirgskette, die Suebien teilt:
dirimitenim scinditque Suebiam continuum montium iugum ultra quod plurimae gentes agunt, ex quibus latissime patet Lugiorum nomen in plures civitates diffusum.
Ich würde behaupten, dass mit dieser Gebirgskette Erzgebirge und Hohe Tatra gemeint sind, also gewissermaßen die heutige tschechische Nordgrenze zu Deutschland im Westen und Polen im Osten.
Noch hinter den Lugiern siedelten die Gotonen.

Die Route Rugier, Lemovier, Suionen wäre dann wiederum eine andere, die mit den Gotonen nichts zu tun hat. Es geht nicht nach Norden, sondern nach Osten. Die Rugier lebten demnach um die Insel Rügen, die Lemovier rund um die Peene, zwischen Rügen und der Swine und die Suionen, vermutlich hinter der Swine, also bereits im heutigen Polen, sofern man diese drei Völker denn wirklich so voneinander abgrenzen kann, wie Tacitus uns das überliefert.

Edit: Ich habe noch mal eine Karte angehängt, damit das leichter nachzuvollziehen ist. Die "Schneefelder" auf der Karte sind nur ausradierte Flussnamen, damit wollte ich die Karte etwas "entrümpeln".
 

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Nur passt eine Lage an der Swine nicht zu der Beschreibung des Tacitus: Eine Insel, die zwei Meere trennt. Laut Tacitus befindet sich auf beiden Seiten der Odermündung immer noch das Suebische Meer. (Etymologische ist der Vergleich Suiones-Swine mit Gotland-Goten aber hoffentlich erhellend.)

Ist die Vermutung, dass der Gotenname mit Gaut/Wotan/Gott zusammenhängt eigentlich noch aktuell? Dann könnte die vermutete Gemeinsamkeit des Namens mythologischer Natur sein. (Vorausgesetzt es passt etymologische.)
 
Ist die Vermutung, dass der Gotenname mit Gaut/Wotan/Gott zusammenhängt eigentlich noch aktuell? Dann könnte die vermutete Gemeinsamkeit des Namens mythologischer Natur sein. (Vorausgesetzt es passt etymologisch.)

Halte ich für unplausibel.
Wotan/Wuotan/Odin hängt mit Wut zusammen.
W- wird in Kontakt mit der Romania zu Gue/a-
germ. wardjan - engl. warden, frz. guardian (im Eglischen dann als warden und guardian nebeneinander), dt. Wart
wardrobe/guardarobe
Wirren - guerra
Windows - Güindows
Wadi - Guada-
....
Also wenn es tatsächlich eine belegte Form von Wotan mit G- gibt, dann dürfte die aus dem romanischen Bereich stammen, etwa aus dem Altfranzösischen.

Im Gotischen ist Gott guþ:
ik im guþ Abrahamis jah guþ Isakis jah <guþ> Iakobis?
im
vgl. engl. I am

Das ist interessant, denn ich hätte eher erwartet, dass Gott auf Gotisch God wäre, bzw. für von gotisch guþ hätte ich im Hochdeutschen dann God statt Gott erwartet. Aber das ist hier nicht das Thema.

Im Gotischen ist Gott guþ aber Gote gut-þiudai. Also -t- vs. -þ-.

Also etymologisch
a) keine Verbindung zw. Wotan und Goten
b) keine Verbindung zw. Wotan und Gott
c) keine Verbindung zw. Gott und Goten

Nur passt eine Lage an der Swine nicht zu der Beschreibung des Tacitus: Eine Insel, die zwei Meere trennt. Laut Tacitus befindet sich auf beiden Seiten der Odermündung immer noch das Suebische Meer. (Etymologische ist der Vergleich Suiones-Swine mit Gotland-Goten aber hoffentlich erhellend.)
Von einer Insel, die zwei Meere trennt, sehe ich nichts. Ich sehe, dass die Suionen direkt am Ozean (also am Meer, welches nach antiker Vorstellung die gesamte bewohnbare Festlandmasse umfließt) leben, dann werden die Schiffe der Suionen beschrieben und schließlich noch mal der hinter den Suionen liegende Ozean. Dort steht dann zwar aliud mare, ein weiteres Meer, aber dieses wird dann wiederum dann charakterisiert als die Erde umfließend: quo cingi claudique terrarum orbem ("welches gürtet und umschließt den Erdkreis"). Das ist die Definition des Ozeans in der Antike. Also entweder ist Tacitus hier ein Fehler passiert oder in der Überlieferung bis zu dem Dokument, welches auf uns gekommen ist. Weder passt die Benennung "Oceano" für das Stettiner Haff, noch die Beschreibung des aliud mare auf dieses. Aber wenn man tatsächlich annimmt, dass hier von zwei Meeren die Rede ist, was ja in aliud angelegt ist, dann muss man wohl annehmen, dass das Stettiner Haff gemeint ist (jetzt wäre natürlich zu überprüfen, ob das Stettiner Haff vor 2000 Jahren überhaupt so existierte. Für das FrühMA weiß ich das sicher, für die Antike nicht). Was für die Existenz des Stettiner Haffs spricht, ist, dass die geomorphologischen Veränderungen der Ostsee im Holozän releativ überschaubar sind, anders als im Nordseeraum.
 
Nein, das kann ich nicht so nachvollziehen. Die Ostsee friert nicht zu und die nach anderer Deutung beschriebenen Fjorde gibt es dort nicht. Zudem spricht er Recht eindeutig von einem er Insellage wie ich vorgehen einigen Posts erklärt habe.

'In' kannst Du nicht einfach mit 'Am/an' übersetzen. Insbesondere, da Tacitus sich hier eine Insellage vorstellt, wie die Stelle zur Waffenkontrolle durch die Könige erkennen lässt.

(Die fraglichen Stellen habe ich oben zitiert und übersetzt. Fraglich ist, ob es 'ipso in oceano' [was ich jetzt auch gefunden habe - beim Perseusprojekt] oder 'ipsae in oceano' heißt oder die Lesung unsicher ist. Für die Insellage spielt das keine Rolle. Eine der Küste vorgelagerte Insel wird auch nicht in Frage kommen.)

Germanien soll vom Oceanus umflossen werden. Hier erklärt Tacitus, dass das Suebische Meer keinTeil des Oceanus ist. Hier ist es einfacher anzunehmen, dass die falsche Verwendung der Didaktik geschuldet ist. Eine Alternative sähe ich darin, dass wir ja auch die Nordsee als Teil des Atlantiks sehen, die Ozeane also weiter unterteilen. Da das in römischer Zeit für das Mittelmeer gesichert ist, ist es für den Oceanus nicht so sehr überraschend.

Einen Widerspruch sehe ich da nicht.

Interessant ist der unerwartete gotische Guth, im hiesigen niederdeutschen Dialekt heißt Gott Guot. Schon in Quellen der Zeit1914-1918 kenne ich das dem Hochdeutschen angeglichen als 'Gott', aber bei den Alten war es in den 80ern herauszuhören. Mittlerweile haben wir nur noch einen, dessen Muttersprache Plattdeutsch ist. (Ich erinnere mich daran, weil es damals einen Versuch gab, die hiesige Ortsmundart erlernbar festzuhalten und zumindest so zu erhalten. Es war ein Streitpunkt, ob man Gott plattdeutsch aussprechen darf, da es ja den Leuten eingeimpft war, Dialekt sei grob und unfein... Aber das gehört weiter nicht hierher.)
 
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(jetzt wäre natürlich zu überprüfen, ob das Stettiner Haff vor 2000 Jahren überhaupt so existierte. Für das FrühMA weiß ich das sicher, für die Antike nicht). Was für die Existenz des Stettiner Haffs spricht, ist, dass die geomorphologischen Veränderungen der Ostsee im Holozän releativ überschaubar sind, anders als im Nordseeraum.

Laut Wikipedia ist das Stettiner Haff ein Überbleibsel der Gletscher der letzten Eiszeit, also in den fraglichen Zeiten bereits existent.
 
Nein, das kann ich nicht so nachvollziehen. Die Ostsee friert nicht zu und die nach anderer Deutung beschriebenen Fjorde gibt es dort nicht. Zudem spricht er Recht eindeutig von einem er Insellage wie ich vorgehen einigen Posts erklärt habe.

Bitte zitiere die genaue Tacituspassage. Ich finde sie nicht.

'In' kannst Du nicht einfach mit 'Am/an' übersetzen. Insbesondere, da Tacitus sich hier eine Insellage vorstellt, wie die Stelle zur Waffenkontrolle durch die Könige erkennen lässt.
Bitte, wenn du auf Insellage bestehst: Das Stettiner Haff hat drei Abflüsse zur Ostsee: Zwischen dem deutschen Festland (Peenemünde) und Usedom (Insel Nr. 1) zwischen Usedeom (Swinemünde) und Wolin (Insel Nr. 2) und zwischen Wolin und dem polnischen Festland (Stadt Wolin). Reicht das an Inseln?
Wolin war im Übrigen in wikingischer Zeit ein äußerst wichtiger Handels- und Kontrollposten.

Germanien soll vom Oceanus umflossen werden. Hier erklärt Tacitus, dass das Suebische Meer kein Teil des Oceanus ist.
Ja? Wo? Etwa dadurch, dass er vom suebischen Meer spricht? Ist die ägyptische Wüste kein Teil der Sahara? Handelt es sich bei den spanischen Pyrenäen um einen anderen Gebirgsstock als bei den französischen Pyrenäen?

Einen Widerspruch sehe ich da nicht.
Tacitus spricht explizit a) vom Ozean und b) vom aliud mare (dem anderen/weiteren Meer). Das Problem dabei ist, dass das aliud mare dann von ihm mit Eigenschaften versehen wird, die dem Ozean im antiken Sprachgegebrauch eigen sind. In dem aliud liegt das Problem bei Tacitus oder in der Überlieferung.
 
Siehe Post 39 und 45.

Jetzt widersprichst Du Dir selbst. Entweder bestand der Oceanus in Tacitus Augen aus mehreren Teilen und die Rede vom aliud mare ergibt schon so Sinn oder Tacitus differenziert die geographische Vorstellung hier aus und der Oceanus ist didaktisch gemeint.

Du kannst nicht sagen, der Oceanus sei unteilbar und gleichzeitig sei das Suebische Meer ein Teil des Oceanus.
 
Ich sehe ja ein, dass du ipso in Oceano/ipsae in Oceano (das eine wird wohl die emendierte Form sein) nicht mit am übersetzen möchtest. Gottwein macht aber genau das (ipso): Hierauf die Völkerschaften der Suionen, unmittelbar am Ozean; - das ist freilich kein Argument. Er übersetzt jedoch weitaus weniger frei, als deine beiden Gewährsleute, die von Insellage bzw. Inselbewohnern sprechen, wo im überlieferten Text gar nichts von Insel steht. Das ist bereits Vorinterpretation, wie das in Oceano zu verstehen ist.
 
Von einer Insel, die zwei Meere trennt, sehe ich nichts. Ich sehe, dass die Suionen direkt am Ozean (also am Meer, welches nach antiker Vorstellung die gesamte bewohnbare Festlandmasse umfließt) leben, dann werden die Schiffe der Suionen beschrieben und schließlich noch mal der hinter den Suionen liegende Ozean. Dort steht dann zwar aliud mare, ein weiteres Meer, aber dieses wird dann wiederum dann charakterisiert als die Erde umfließend: quo cingi claudique terrarum orbem ("welches gürtet und umschließt den Erdkreis"). Das ist die Definition des Ozeans in der Antike. Also entweder ist Tacitus hier ein Fehler passiert oder in der Überlieferung bis zu dem Dokument, welches auf uns gekommen ist. Weder passt die Benennung "Oceano" für das Stettiner Haff, noch die Beschreibung des aliud mare auf dieses. Aber wenn man tatsächlich annimmt, dass hier von zwei Meeren die Rede ist, was ja in aliud angelegt ist, dann muss man wohl annehmen, dass das Stettiner Haff gemeint ist (jetzt wäre natürlich zu überprüfen, ob das Stettiner Haff vor 2000 Jahren überhaupt so existierte. Für das FrühMA weiß ich das sicher, für die Antike nicht). Was für die Existenz des Stettiner Haffs spricht, ist, dass die geomorphologischen Veränderungen der Ostsee im Holozän releativ überschaubar sind, anders als im Nordseeraum.

Wegen der Beschreibung der Mittsommertage würde ich das Stettiner Haff ausschließen:

Carolus;784041 ja schrieb:
ipso in Oceano[/I] im Ozean selber verortet. Gehen wir davon aus, dass sie weder auf Pfahlbauten noch auf Schiffen im Ozean lebten, und auch keine Aquamenschen waren, so deutet das auf Inseln im Ozean (Ostsee) hin.


Aber dann schreibt Tacitus weiter, dass "Trans Suionas aliud mare, pigrum ac prope immotum" (Über die Suionen hinaus liegt ein anderes, träges und fast unbewegtes Meer.*)

Im weiteren Verlauf gibt Tacitus einen Bericht über helle Nächte. Da ist davon auszugehen, dass es sich dabei um den Mittsommer im Norden Skandinaviens handelt. Dann müßte dieses "andere Meer" der Skandinavien umschließende Nordatatlantik sein.

Vielleicht ließe sich das folgendermaßen auflösen: übersetzt man ipso in oceano mit "am Ozean selbst", also direkt an der Küste der Ostsee, so könnte man die Sueniones im heutigen Südschweden verorten.



*ÜS aus Tacitus: Germania (38-46), Sueben und östliche Grenzvölker (lateinisch, deutsch)
 
Jetzt widersprichst Du Dir selbst.

Nö. Bzw. worin genau?
Entweder bestand der Oceanus in Tacitus Augen aus mehreren Teilen und die Rede vom aliud mare ergibt schon so Sinn oder Tacitus differenziert die geographische Vorstellung hier aus und der Oceanus ist didaktisch gemeint.
aliud mare heißt 'ein anderes Meer'

Du kannst nicht sagen, der Oceanus sei unteilbar und gleichzeitig sei das Suebische Meer ein Teil des Oceanus.
Natürlich kannst du den Ozean in Abschnitte einteilen*, das ändert nichts an der Tatsache, dass er in der Vorstellung der Antike das die bewohnte Welt umgürtende Meer ist. So wie man auch die Sahara in Abschnitte einteilen kann, wie etwa die ägyptische Wüste. Oder die Pyreänen in Hegoalde und Ipparalde (Nord- und Südflanke). In Einteilung größerer Einheiten, wie des Ozeans, eines Gebirges oder der Wüste dient doch vor allem einem: Der Erleichterung zu verstehen, wo man einen Raum suchen muss. "In der ägyptischen Wüste" ist eben präziser, als "in der Sahara".
Tacitus schreibt a) explizit vom Ozean und b) explizit vom anderen Meer, welche die bewohnte Welt umgürtet und umschließt. Das ist Tacitus, nicht Geschichtsforum-User El Quijote.
Suionum hinc civitates, ipso in Oceano, praeter viros armaque classibus valent. [...]
[...]
Trans Suionas aliud mare, pigrum ac prope immotum, quo cingi claudique terrarum orbem hinc fides, quod extremus cadentis iam solis fulgor in ortus edurat adeo clarus, ut sidera hebetet; sonum insuper emergentis audiri formasque equorum et radios capitis aspici persuasio adicit.​


*Wir sprechen bis heute vom atlantischen Ozean. Der leitet sich vom Atlasgebirge in Marokko ab: Es war der Abschnitt des Okeanos, der durch die Nähe zum Atlasgebirge gekennzeichnet ist.
 
Wegen der Beschreibung der Mittsommertage würde ich das Stettiner Haff ausschließen:
Ich befürchte, dass wir hier an die Grenzen der Quellenauswertung kommen. Tacitus, war ja niemals in der Germanien. Was die Römer aber beobachten konnten war, dass in Rom die Tage im Sommer kürzer und im Winter länger als etwa in Colonia Agrippina waren. Woher hatte Tacitus seine Informationen über den hohen Norden? Von Römern? Von Sueben? Aus 2., 3. oder n. Hand? Wir sollten mit der Germania nicht umgehen, als handele es sich um einen Text, der aus Forschungsberichten moderner Geographen und Ethnologen zusammengestellt wurde. Womöglich hat irgendein germanischer Händler von der Elbe mal von einem Germanen aus Rügen gehört, dass in Nordskandinavien im Sommer die Sonne nicht unter- und im Winter nicht aufgeht. Der Rugier* weiß das womöglich aber auch nur von einem finnischen Rentierzüchter. Wir wissen doch gar nicht, wie viele Stationen die Nachricht hinter sich gebracht hat, bis sie bei Tacitus (der sie wahrscheinlich noch der Naturalis Historia entnommen hat) angekommen ist. Ob sie also wirklich mit den beschriebenen Ostseeküstenbewohnern in Zusammenhang steht oder ob Tacitus erst - sicher in bester Absicht - diesen Zusammenhang hergestellt hat. Ich plädiere nicht dafür, diese Stelle zu verwerfen, aber ich plädiere dafür, sie mit Vorsicht anzugehen. Auch wenn Tacitus bei Rugiern, Lemoviern und Suionen wahrscheinlich eine nur kurze Strecke zwischen der Region um Rügen und das Stettiner Haff beschreibt, wo die Küste einen grob ost-westlichen Verlauf hat, war ihm bewusst, dass er hier einen Verlauf von West nach Ost und nicht von Süd nach Nord beschrieb? War ihm bewusst, dass diese drei Völkerschaften (sofern sie überhaupt als drei Völkerschaften zu fassen waren und sich untereinander abgrenzten) in einem derart kleinen Gebiet fast aufeinander hockten?

*Ich gehe in meiner Darstellung der Einfachheit halber mal weiter davon aus, dass der Stammesname Rugier mit Rügen und Suionen mit der Swine zusammenhängt. Das kann man natürlich als dünnes Eis bezeichnen. Apopros dünnes Eis: Rio, die Stelle bitte. Und wa die angeht: Die Römer wussten ja auch, dass es nach Norden hin kühler wurde. Und um zugefrorene Seen zu erleben, mussten sie nur in kalten Wintern mal in den Apennin.
 
Die Ostsee friert nicht zu

Die ganze Ostsee kann zufrieren:

http://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/2015/11/schmelzer_holfort.pdf


auch vom Bottnischen Meerbusen kann Tacitus Nachricht stammen
Dann noch eher vom Finnischen Meerbusen. Der friert sogar häufiger zu als die Südhälfte des Bottnischen Meerbusens.
Oder vom Rigaischen Meerbusen.
Oder...

Dass die Nachricht ausgerechnet vom äußersten Norden der Ostsee stammt, ist wohl auszuschließen.
 
Möchte mich nicht einmischen, aber was haltet ihr von dieser Pliniusstelle:
mons saevo ibi, immensus nec Ripaeis iugis minor, immanem ad Cimbrorurum usque promunturium efficit sinum, qui Codanus vocatur, refertus insulis, quarum clarissima est Scatinavia, incompertae magnitudinis... (Plin.,nat.hist.4,96)
Plinius beschreibt einen Meerbusen am Kimbernkap (die jütländische Insel nennt er Tastris), der Codanus genannt wird (zuerst bei Pompeius Mela erwähnt); dieser Meerbusen, der von einem großen Gebirge namens Saevo und dem Kimbernkap begrenzt wird (wahrscheinlich das norwegische Gebirge (Skanden), ist besonders inselreich, nach einer zweiten Pliniusstelle sind den Römern ab da 23 Inseln (allerdings von Ost nach West) bekannt. Die größte Insel im Codanus nennt er Scatinavia.

promunturium Cimbrorum excurrens in maria longe paeninsulam efficit, quae Tastris appelatur.XXIII inde insulae Romanis armis cognitae. earum nobilissimae Burcana*....(Plin.nat.hist.4,97) * Borkum
EQ, denkt aber auch an die Expeditionen der römischen Armmee, von denen Plinius Informationen geschöpft haben könnte. Die Handelsbeziehungen Roms zu den dänischen Inseln waren übrigens meines Wissens ausgezeichnet, die Zeitspanne muss ich aber auch verifizieren.
 
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