Gibt es einen Zusammenhang zw. Christentum und Demokratie?

Eduard Gibbon stellte ja in seinem großen Werk The Decline and Fall of the Roman Empire die These auf, dass das Christentum erheblichen Anteil am Niedergang des Imperium Romanums trug, aber das gilt inzwischen als überholt. Das weströmische Reich war in der Zeit der letzten Kaiser eben auch nicht mehr das, was es im 1. und 2. Jahrhundert einmal gewesen war. Die Bevölkerung der Weltstadt Rom, die weit über eine Millionen Einwohner hatte, schrumpfte auf einige Zehntausend, die ständigen Kriege und schlimmer noch die Bürgerkriege der zahlreichen Thronprätendenten führten schon während der Reichskrise dazu, dass der Fernhandel zum erliegen kam, dass man zum Tauschhandel überging. Innerhalb der Armee musste man zeitweise darauf verzichten, schriftliche Befehle auszugeben, weil die Mehrzahl der Soldaten Analphabeten waren.
 
Auf der anderen Seite führte das Christentum beim Übergang von der Schriftrolle zum Kodex dazu, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Literatur einfach nicht kopiert wurde und dadurch innerhalb einiger Jahrhunderte verloren ging.
Mir ist nicht ganz klar, was der Übergang von der Schriftrolle zum Kodex mit der Tatsache des Kopierens respektive Nichtkopierens zu tun hat.

Ich kann die Qualität der Schätzungen nicht einordnen. Aber in Bücherverluste in der Spätantike wird eine Zahl von 3000 Titeln überlieferter Literatur von etwa einer Million Titel insgesamt angegeben. Die christliche Kopisten haben also gewollt oder ungewollt eine sehr starke Selektion betrieben bzw. fortgeführt.
Wir haben zu diesem Thema im Übrigen einen eigenen Thread: Verluste an antiker Literatur

Eduard Gibbon stellte ja in seinem großen Werk
Edward Gibbon ist natürlich eine großartiger Historiker aber nun auch seit über 200 Jahren tot. Sein Werk ist ein Klassiker und für seine Zeit geradezu revolutionär und es nimmt, vor der Entwicklung der Methoden der modernen Geschichtswissenschaft geschrieben, gewissermaßen diese schon ein Stück weit vorweg.
 
Die Frage ist wäre Europa heidnisch geblieben, ob da mehr überlebt hätte.
Zumindest die heidnischen Römer haben größere Toleranz an den Tag gelegt als später die christlichen. Wobei man Christen nicht über einen Kamm scheren sollte, denn Arianer waren auf jeden Fall toleranter als die „Katholiken“: Als Odoaker und Theoderich der Große, beide Arianer, herrschten, gab es – anders als zuvor und danach – keine Verfolgungen der Andersgläubigen, sondern eine friedliche Koexistenz aller Religionen und auch keine Gewaltakte gegen Bücher.
 
Zumindest die heidnischen Römer haben größere Toleranz an den Tag gelegt als später die christlichen. Wobei man Christen nicht über einen Kamm scheren sollte, denn Arianer waren auf jeden Fall toleranter als die „Katholiken“: Als Odoaker und Theoderich der Große, beide Arianer, herrschten, gab es – anders als zuvor und danach – keine Verfolgungen der Andersgläubigen, sondern eine friedliche Koexistenz aller Religionen und auch keine Gewaltakte gegen Bücher.
Gegenüber den Christen waren "die Römer" nun alles andere als tolerant, Stichwort Christenverfolgungen. Das lag natürlich daran, dass Monotheismus und Polytheismus zunächst miteinander unvereinbar sind (was nicht ausschließt, dass es zu synkretistischen Phänomenen kommt), wohingegen verschiedene polytheistische Systeme leichter miteinander harmonieren. In ein polytheistisches System kann man leicht fremde Gätter integrieren.
Was waren die Probleme der Römer mit den Christen?
Problem Nr. 1: Sie verweigerten sich dem Kaiserkult, also gewissermaßen der Staatsraison. Anders als die Juden waren sie aber keine vorrömische Religion, die als präexistent akzeptiert wurde.
Problem Nr. 2: Christliche gewordene Soldaten weigerten sich, an Kämpfen teilzunehmen, weil ihnen das Töten verboten war.
Nun noch ein Wort zu den angeblich toleranteren Arianern. Die Arianer bildeten eine Minderheit, die eine katholische Bevölkerungsmehrheit beherrschten. Das schränkt die Möglichkeiten der Diskriminierung/Verfolgung schon ein. Nichtsdestotrotz gab es diese. Etwa im Vandalenreich in Nordafrika.
 
Nun noch ein Wort zu den angeblich toleranteren Arianern. Die Arianer bildeten eine Minderheit, die eine katholische Bevölkerungsmehrheit beherrschten. Das schränkt die Möglichkeiten der Diskriminierung/Verfolgung schon ein. Nichtsdestotrotz gab es diese. Etwa im Vandalenreich in Nordafrika.
Mit dem Hinweis auf die beiden Arianer Odoaker und Theoderich wollte ich nur deutlich machen, dass es auch christliche Herrscher gab, die tolerant gegen andere Religionen/Konfessionen waren. Unter Theoderich war es z.B. möglich, eine arianische und eine katholische Kirche nebeneinander bauen zu lassen. Das war zuvor und danach nicht möglich, denn die „Katholiken“ duldeten Solches nicht, ja sie zerstörten zielstrebig alles, was ihrer eigenen Glaubensauffassung widersprach. Das setzte sich durch ihre ganze Geschichte fort, die Folgen sind bekannt.


Auch ist Akzeptanz anderer Religionen kein Zeichen für Demokratie.
Doch, denn mit der Akzeptanz einer anderen Meinung fängt die Demokratie an: Indem ich Andersgläubige bzw. Andersdenkende als gleichwertig zu meiner eigenen Meinung akzeptiere, gibt es keinen Grund mehr, sie zu verfolgen oder ihre Schriften zu vernichten – es geht nur noch darum, wer die bessere Argumente hat.
 
Es ist immer leichter tolerant zu sein, wenn man selber der Minderheit angehört. Und das waren die Arianer eigentlich immer: Eine Minderheit. Du vergleichst also Äpfel mit Birnen. Insofern ist deine Auffassung, dass die Arianer eine tolerantere Form des Christentums gewesen seien, schlicht nicht haltbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Doch, denn mit der Akzeptanz einer anderen Meinung fängt die Demokratie an: Indem ich Andersgläubige bzw. Andersdenkende als gleichwertig zu meiner eigenen Meinung akzeptiere, gibt es keinen Grund mehr, sie zu verfolgen oder ihre Schriften zu vernichten – es geht nur noch darum, wer die bessere Argumente hat.
Das wird auch durch Wiederholung nicht richtiger.
Religiöse Toleranz bedeutet erst einmal nur, dass nicht eine Religion mit ihrer Hierarchie im Sinne einer Ausschließlichkeit den Vorrang hat. Begrenzte Selbstverwaltung, d.h. Zulassung von anderen als staatlichen Strukturen, hat es auch im weltlichen Bereich gegeben - z.B. Händlerviertel für ausländische Händler. Dies ist aber kein Zeichen für Demokratie, im Gegenteil. Meist wurde die begrenzte Selbstverwaltung mit einem Ausschluss aus den staatlichen Strukturen verknüpft. Im Falle von ausländischen Händlern erscheint uns das natürlich nicht besonders.

Entscheidend ist hier die Trennung von Staat und Religion und nicht das Verhältnis zum einzelnen Bürger. Verwischt wird dies dadurch, dass Religionen im allgemeinen Gemeinschaften bilden (wollen).
 
Mal etwas anderes. Zum schreiben benötigt man ja auch geeignete Beschreibstoffe. In der Antike waren das Papyrus und Pergament, Wachstäfelchen mal außen vor gelassen. Papyrus ist zwar haltbarer, als das die meisten Bücher suggerieren, aber es hält sich natürlich nicht über Hunderte von Jahren. Heute wächst Papyrus auch auf Sizilien, aber ich habe mal im Proseminar gelernt, dass er in der Antike nur in Ägypten heimisch war. Ich kann mich an die Quelle nicht mehr erinnern, aber irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Handel mit Papyrus ein Staatsmonopol war und die Römer vier oder fünf verschiedene Qualitäten kannten. Könnte der Verlust antiker Literatur eventuell auch etwas mit dem Mangel an geeigneten Beschreibstoffen, bzw. an mangelnden Kenntnissen sachgemäßer Lagerung zusammenhängen?

Martial klagt in einem seiner Epigramme, dass seine Werke zum einpacken von Makrelen verwendet wurden.
 
Könnte der Verlust antiker Literatur eventuell auch etwas mit dem Mangel an geeigneten Beschreibstoffen, bzw. an mangelnden Kenntnissen sachgemäßer Lagerung zusammenhängen?
Hm, Papyrus wurde ja noch bis ins Mittelalter benutzt, also gab es noch Hersteller und auch Tinten. Ich kenne aber nur die Aussage, dass Papyrus billiger als Pergament war, kann dies aber nicht einordnen. Wie groß ist der Unterschied und wie sehr beeinflusst es die Wahl von Leuten mit Schriftkenntnissen?
Möglich ist natürlich, dass die "wertvollen" Schriften auf Pergament kopiert wurden und die vielen Kopien für den Alltag den Lauf der Zeit nicht überdauert haben, in der Spätantike aber durchaus in Umlauf waren. Müsste man dies aber nicht aus den Katalogen der Bibliotheken, wenn schon nicht aus dem Bestand selber, ableiten können?

Martial klagt in einem seiner Epigramme, dass seine Werke zum einpacken von Makrelen verwendet wurden.
Frisch aus Lutetia? :D
 
Zumindest die heidnischen Römer haben größere Toleranz an den Tag gelegt als später die christlichen.

Naja, viel Literatur von den Karthagern ist ja nicht übrig geblieben und auch keltische Volkssagen wurden nicht überliefert und müssen aus der irischen Sagenwelt extrapoliert werden. Wo ich dir zustimmen würde, hätte das Römische Reich ohne Krisen überlebt hätten wir mehr Bücher, aber das ist ja nicht der Fall gewesen und da spielt es keine Rolle ob christlich oder heidnisch (meiner Meinung nach).

Wissenschaft und Bildung ist ein Gut welches einen Background braucht, also ein Interesse es zu erhalten. Religionen sind da scheinbar widerstandsfähiger und überleben große Krisen.

Viele der nicht erhaltenen Schriften haben ja auch keine praktische Anwendung, von Epikurs Philosophie wir niemand geheilt oder tötet jemanden besser.
 
Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen. Zumindest kenne ich keine Beispiele.

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Trennung von Kirche und Staat nicht wirklich vollzogen, es wird Kirchensteuer erhoben, und die beiden großen Kirchen genießen noch immer auf vielen Gebieten Privilegien. Trotz allen berechtigten Kritikpunkten und Demokratiedefiziten würde ich aber nie so weit gehen, der Bundesrepublik abzusprechen, eine funktionierende parlamentarische Demokratie zu sein.
 
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Trennung von Kirche und Staat nicht wirklich vollzogen, es wird Kirchensteuer erhoben, und die beiden großen Kirchen genießen noch immer auf vielen Gebieten Privilegien. Trotz allen berechtigten Kritikpunkten und Demokratiedefiziten würde ich aber nie so weit gehen, der Bundesrepublik abzusprechen, eine funktionierende parlamentarische Demokratie zu sein.
Ich sehe Staat und Kirche schon als getrennt, wobei die Kirche Sonderrechte hat. Die Kirchensteuer ist dabei der kleinste Punkt, hier könnten andere Religionsgruppen ebenfalls tätig werden. Aber die Ausnahmen für Angestellte usw. sind etwas besonderes. Interessant ist, dass diese Besonderheiten weniger demokratisch als die staatlichen Pendants sind...

Aber wir kommen etwas von der Eingangsthese weg: Dort ist von christlicher Kultur die Rede, die letzten Beiträge hatten aber oft die Kirche(n) zum Thema. Wie viel christliche Kultur neben den Kirchen gibt es überhaupt und was hat das mit Demokratie zu tun? ;)
 
Heute wächst Papyrus auch auf Sizilien, aber ich habe mal im Proseminar gelernt, dass er in der Antike nur in Ägypten heimisch war.
Auf Sizilien hat man uns erzählt, das sizilianische Papyrus sei nicht das gleiche wie das ägyptische.

Ich kenne aber nur die Aussage, dass Papyrus billiger als Pergament war, kann dies aber nicht einordnen. Wie groß ist der Unterschied und wie sehr beeinflusst es die Wahl von Leuten mit Schriftkenntnissen?
Papyrus kam eben nur in Ägypten und Sizilien vor. D.h. es war nicht überall zu haben. Pergament dagegen ist die Haut eines Schafs oder Rinds, am besten jung, natürlich ist das teuer. Das Tier wird zwar noch anderweitig verwertet, ist aber vielleicht noch nicht ausgewachsen und hat sich auch noch nicht reproduziert.

...und auch keltische Volkssagen wurden nicht überliefert und müssen aus der irischen Sagenwelt extrapoliert werden.
Es gibt zwar immer wieder Behauptungen, dass diese sehr alt seien, aber letzlich kommt man bei nährere Betrachtung nur zu ätiologischen Legenden, die kaum über die Zeit vor der Christianisierung zurückgehen.
 
Papyrus kam eben nur in Ägypten und Sizilien vor. D.h. es war nicht überall zu haben. Pergament dagegen ist die Haut eines Schafs oder Rinds, am besten jung, natürlich ist das teuer. Das Tier wird zwar noch anderweitig verwertet, ist aber vielleicht noch nicht ausgewachsen und hat sich auch noch nicht reproduziert.
Das ist aber nicht mein Punkt.
Wenn in Rom noch bis ins 11. Jahrhundert hinein Papyrus benutzt wurde, d.h. verfügbar war, warum wurde es dort benutzt aber z.B. nicht in der Lombardei oder Venedig?
Hatte Rom hier eine exklusive Bezugsquelle und die anderen konnten nicht kaufen oder ist der Preisunterschied so gering, dass die Kaufleute in der Lombardei und Venedig sich den Mehrpreis leisten konnten und die Vorteile im Gebrauch ohne Nachteile in der Wirtschaftlichkeit genossen?
Und warum galten diese Überlegungen nicht für die römischen Nutzer von Papyrus?

Gerade die letzte Frage dürfte der Knackpunkt sein, denn auch in Rom wurde da natürlich Pergament genutzt, d.h. es gab eine Auswahl.
 
Das ist aber nicht mein Punkt.
Wenn in Rom noch bis ins 11. Jahrhundert hinein Papyrus benutzt wurde, d.h. verfügbar war, warum wurde es dort benutzt aber z.B. nicht in der Lombardei oder Venedig?
Hatte Rom hier eine exklusive Bezugsquelle und die anderen konnten nicht kaufen oder ist der Preisunterschied so gering, dass die Kaufleute in der Lombardei und Venedig sich den Mehrpreis leisten konnten und die Vorteile im Gebrauch ohne Nachteile in der Wirtschaftlichkeit genossen?
Und warum galten diese Überlegungen nicht für die römischen Nutzer von Papyrus?

Gerade die letzte Frage dürfte der Knackpunkt sein, denn auch in Rom wurde da natürlich Pergament genutzt, d.h. es gab eine Auswahl.
leicht vergessen wird, dass man in Rom auch auf Leinen geschrieben hat (libri lintei) welches von den Etruskers übernommen wurde. Von diesen Leinenbüchern existierte aber schon zu Zeiten der römischen Kaiserzeit keines mehr.

Die Büchereien des alten Rom verwendeten fast ausschließlich Papyrusrollen, welche in gefärbten Pergamenthüllen steckten (als Einband sozusagen). Rollen aus Pergament waren keine Gewohnheitsware, sondern den wirklich wichtigen Werken vorbehalten. Plinius bezeugte (für das erste christliche Jahrhundert) dass die Normalform eines Buches die Papyrusrolle war. Der Vorteil des Pergaments, dass man auf ihm von 'beiden Seiten' schreiben konnte, löste wahrscheinlich den Papyri ab.

Als man die Pergamente immer mehr veredeln konnte - für die wirklch großen 'Bücher' nahm man die Haut ungeborener Tiere (Jungfernpergament) - konnte das Papyrus nicht mehr 'mithalten'. Noch heute sind z.B. die Thora-Rollen des Judentums solche auf 'Leder' geschriebenen.

Der Vorteil der Wiederbeschreibbarkeit (Palimpsest) von Pergament, tat ein übriges.

Dass auch Papyri durchaus haltbar sind, offenbarten die Funde in Kairo, wo auf diesem Material Bibel-Kodizes geschrieben waren aus der Zeit der Rollen von Qumran.
 
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