Ich dagegen vermute, dass im Westen das Christentum seit der Französischen Revolution die führende Rolle, die es bis dahin hatte, über die 230 Jahre seitdem immer mehr verlor und zuletzt kaum noch Einfluss auf die Gesetze der Staaten nehmen kann.
Ja, ich würde sagen, dass nennt man dann eine massiv eurozentrische Sichtweise.
Es ist richtig, dass in den liberaleren Teilen Europas die religiösen Institutionen massiv an Macht verloren haben und tendenziell immer weniger Menschen dort einer institutionellen Religion/Glaubensgemeinschaft angehören.
Das ist allerdings in denn USA und in Japan nicht der Fall, die Bevölkerung dort ist tendenziell deutlich religiöser eingestellt, als in Westeuropa und in der Regel in irgendeine Form von Glaubensgemeinschaft eingebunden, beide Länder haben aber (auch wenn sie einige Schlagworte mit anderen Inhalten versehen, als das in Europa getan wird), aber grundsätzlich ein änliches Niveau an individueller Freiheit erreicht, die Bevölkerung Taiwans, dass sich ja auch immer mehr in Richtung einer freiheitlichen Demokratie entwickelt, ist auch alles andere als areligiös.
Im gesamten Ostblock dagegen, waren die Kirchen und religiösen Organisationen de facto entmachtet, zu besonders freiheitlichen Gesellschaftsmodellen hat das nicht geführt.
Wie hoch genau der Anteil an religiösen Personen im postsowjetischen Russland ist, ist meines Wissens nach nicht genau geklärt, weil da russische Institute anscheinend gerne mal zu anderen Schlussfolgerungen kommen, als solche aus dem Ausland.
Geht man davon aus, dass die russischen Institute dazu neigen die Zahlen aus ideologischen Gründen hochzufälschen, ist der Anteil derer, die über die orthodoxe Kirche in Russland organisiert sin, möglicherweise nicht wesentlich höher, als der Anteil der Menschen in Westeuropa, die religiösen Gemeinschaften angehören.
Einen außerordentlichen Einfluss auf die Politik, hat die orthodoxe Kirche in Russland seit Peter dem Großen, der den ganzen Laden de facto dem russischen Staat untersstellt hat, nicht mehr gehabt.
Oder habt ihr eine andere Erklärung dafür?
Die andere und wesentlich plausiblere Erklärung ist, dass
- Wir a) in Teilen überhaupt nicht wissen, was die Bevölkerung dort von einzelnen Wertvorstellungen hält, weil man in Diktaturen nunmal schwer authentische Meinungsbilder sammeln kann.
- b) Die Wertvorstellungen Westeuropas auch die meisten Staatschefs dort eigentlich nicht interessieren, außer dann, wenn diese Wertvorstellungen mit ihren Methoden kollidieren und sich Akteure aus dem Westen bemüßigt sehen den Herren zu erzählen, wie sie zu regieren haben.
Typen, die andauernd mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend rennen sind einmal selten beliebt, auch dann, wenn sie inhaltlich recht haben. Ein Großteil der negativen Reaktionen, dürfte weniger mit den Inhalten, als mit dem Habitus zu tun haben, mit dem einige westliche Poitiker durch die Gegend rennen.