Luftkrieg: Ein Mythos aus der "Battle of Britain" 1940?

Zwei Aspekte sind mir in den letzten Tagen zu dem Thema besonders aufgefallen:

1. Die Haltung von Chamberlain in der Mai Krise (1940), in der Halifax für eine Verhandlungslösung eintrat.

Es war die Unterstützung der harten Position von Churchill durch Chamberlain, die die churchillskeptische konservative Partei hinter den PM brachte. (vgl. Overy The Battle of Britain. The Setting). Und Overy folgert: "Churchill could now fight Chamberlain`s war".

Diese Sicht auf Chamberlain spricht auch gegen die an anderer Stelle im GF geführte Diskussion von der "Guilty Man"-These.

Es war somit vor allem Chamberlain, der die notwendige Homogenität in der politischen Elite beförderte! Und ein Churchill, der sie für seine eigene Rolle und Mythos zu nutzen wußte.

2. Bei der Betrachtung der Operation "Seelöwe" wird vor allem der Erfolg der RAF herausgestellt. Sicherlich haben sie GB einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung geleistet.

In den Hintergrund bei der Betrachtung tritt die eigentlich Kraft, die letztlich die Invasion verhindert hätte und vor der Hitler und seine Admirale (Raeder und Dönitz) vor allem Respekt hatten, die Royal Navy. Sie ist der Juggernaut, den die Kriegsmarine gefürchtet hatte und der die zahlenmäßig deutlich unterlegene Kriegsmarine eine verheerende Niederlage bei der Unterstützung der Invasion hätte beibringen können.

Auf diesen Aspekt weisen revisionistische Sichten wie der von Cumming hin, die deutlich machen, das die Erringung der Luftüberlegenheit als Voraussetzung für die Invasion eine komfortable "Exit-Option" im OKW & OKH-Umfeld war für Hitler und für seine Marine.

Somit war es vor allem und letztlich die "Fleet in Being", auch im Kanal, die eine Invasion von GB letztlich verhindert hatte, unabhängig davon, wie seriös die Planungen waren und wie konkret der politische Wille zur Invasion bei Hitler im September 1940 noch ausgeprägt war.

https://books.google.de/books?id=S5xexCdrFXYC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false

Ähnliche Sichten gab es beispielsweise bei Admiral Assmann, der für die USA und GB die Sichten der Kriegsmarine nach dem Krieg aufbereitet hatte. (ich gehe davon aus, dass der folgende Bericht vor allem von ihm ist, da er - soweit ich weiss - der einzige war, der derartige Berichte geschrieben hatte??? Irre ich mich?)

http://www.foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/1705143/GERMAN%20PLANS%20FOR%20INVASION%20OF%20ENGLAND,%201940_0001.pdf

3. Bei Alan Brooke findet sich in seine "War diaries" eine durchaus differenzierte Sicht auf die Leistungsfähigkeit einzelner Großverbände, die er im fraglichen Zeitraum direkt inspiziert hatte (ca. 22 Div. und Brigaden).
 
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Ein amphibische Operation ist auf alle vier Dimensionen zu betrachten:

Neben der Wasseroberfläche (surface) mit zwei Dimensionen spielt seit dem 1. Weltkrieg die beiden weiteren Dimensionen

Höhe (Luftwaffe)
Tiefe (U-Boot-Waffe)

eine gleichwertige Rolle.

Gerade in der fraglichen Zeit (1940) verschoben sich die Gewichte massiv. Durch verschiedene Operationen ist zu ersehen, dass die Seemacht der Luftmacht nicht mehr ebenbürtig war. Im britischen Admiralstab wurde damals eine britische Flottenoperation - ohne eigene Luftherrschaft - in das Skagerrak als Selbstmord betrachtet.

Was war damals geschehen:

- der britischen Seeherrschaft war es nicht gelungen, die deutschen Invasoren aus Norwegen zu verdrängen. Mittelfristig hätte dies gelingen können, wenn nicht auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz sich die Lage entscheidend gewendet hätte. Jedoch brachten die alliierten Seestreitkräfte schwere Opfer, wenn sie an der norwegischen Küste operierten. Selbst Fla-Kreuzer wurden Opfer deutscher Bomber-Angriffe. Die meist veralteten Schlachtschiffe der Briten sowie die stark gefährdeten Flugzeugträger wurden von der Admiralität ungern in dem Wirkungsbereich der Luftwaffe eingesetzt. Einzig die im Zulauf befindlichen Träger der "Illustrious"-Klasse waren baulich auf solch einen Einsatz ausgelegt.

Bei Napoleon I. galt, die Seeherrschaft der Briten reichte bis dahin, wo die Schussweite einer französischen Festungskanone endete. Zu Beginn des II. Weltkrieges hatte sich dieses Vorfeld durch den Einsatz von Stukas und Schnellbooten deutlich ausgedehnt.

Auch in Südostasien machten die Briten 1941/1942 bittere Erfahrungen. Der Verlust einer Kampfgruppe aus "Prince of Wales" und "Repulse" vor Kuantan zeigte die Realität. Das Schlachtschiff war ohne Lufthoheit in Küstennähe viel zu gefährdet um es dort mit Wirkung auf den Feind einsetzen zu können.

Weitere zwei Beispiele:
- die britische Versorgung Maltas führte zu einem enormen Aufwand. Die deutsche Luftflotte X in Italien fügte den britischen Convoys und ihren Deckungskräften so hohe Verluste zu, dass man auf britischer Seite solch Großunternehmen einstellte.

- 1942 floh der damals zahlenmäßig stärkste Schlachtschiffverband bei Ceylon vor japanischen Trägern. Der britische Admiral Cunningham kam zum Schluss, dass er seine Schlachtschiffe sinnlos opfern würde.

Was will ich damit sagen:
Hätten die Deutschen eine Luftherrschaft im Ärmelkanal erreicht, hätten die Briten einer Invasion trotzdem ihre Flotte entgegen geworfen. Es ist nicht abwegig, dass dies zur entscheidenden Dezimierung der Royal Navy geführt hätte. Die Deutschen hätten ihren Nachschub mit Zerstörern, Torpedoboote, Minensucher und Schnellboote zu schützen gesucht. Zudem hätte man die U-Boote tiefer gestaffelt auf den britischen Anmarschwegen positioniert. Durch die Erkenntnisse des Norwegen-Einsatzes war die deutsche Torpedokrise nicht gelöst, aber zumindest nicht mehr so gravierend. Ob eine "Warspite" nochmals so viel Dusel gehabt hätte, wie in Norwegen? Die Briten hätten mindestens Kreuzer - wenn nicht auch die Schlachtschiffe - eingesetzt. Ob der Blutzoll dann noch eine britische Seeherrschaft zugelassen hätte, bezweifle ich persönlich.
 
Die Stärke einer normalen Schlachtflotte hatte schon stark abgenommen, nicht nur im Pazifik mit dem Krieg der Trägerflotten, auch im Atlantik (samt Nebenmeeren).

Aber im Kampf gegen Transportschiffe war die Stärke immer noch beachtlich, die Verteidigung von Nachschub durch U-Boote oder Flugzeuge klappte bis 1944 eigentlich nirgendwo richtig.

Die Royal Navy hätte bei der Abwehr einer Invasion sicher hohe Verluste gehabt, dafür aber auch große Schäden angerichtet. Nur eine deutliche Luftüberlegenheit hätte den Transport einer Invasionstruppe ermöglicht bzw. deren Versorgung. Zusammen mit den Produktionsziffern der britischen Luftfahrtindustrie war die einzige Chance der Sommer 1940. Und da konnte die falsche Ausrichtung der deutschen Flugzeuge (Verteilung Jäger/Bomber, Reichweite, Bombenlast usw.) nicht die Entscheidung herbeiführen.

Ob sich jetzt Air Force oder Navy den Abwehrsieg an die Brust heften ist egal, beide haben ihren Beitrag geleistet und dem geschlagenen Heer den Wiederaufbau ermöglicht.
 
Ähm, das Englische Oberkommando kam selbst zum Schluss, dass die RN Seelöwe hätte weder verhindern noch ernsthaft gefährden können. Die hättten wohl eher den Einheiten den Befehl zum Rückzug und Fortführung des Kampfes in den Kolonien gegeben. Kreta und Norwegen zeigten klar, was passirt wenn man die vermeintlich übermächtige Flotte gegen einen Gegner wie die Luftwaffe ansetzt. Die hatten Riesenglück. Zählen wir mal alle Fehlgegangenen Torpedos aufgrund er Torpedokrise von Sep 1939- Juni 1940, dann hätten den Engländern minimum 2 Träger und 5 Schlachtschiffe gefehlt ( Eines davon Rodney mit Winston Chruchill an Bord ca Nov 1939 ). Direkte Gefechte zwischen Grosskampfschiffen ohne Luftunterstützung gab es im Mittelmeer und im Pazifik.
 
Ähm, das Englische Oberkommando kam selbst zum Schluss, dass die RN Seelöwe hätte weder verhindern noch ernsthaft gefährden können. .

Starke Worte und steile Thesen gelassen ausgeprochen. Dass man in de GB und in den USA nicht gerade euphorisch in Bezug auf die Kriegssituation war, ist leicht zu belegen. Der rest ist Spekulation. Und für die Thesen des nicht verhindern können, dafür hast Du sicherlich eine seriöse Quelle. Ansonsten hält es das Militär in seiner Lagebeurteilung mit "Worse Case" - Szenarien. Die entsprechen aber immer dem "Worse Case". Und nichts ist so launenhaft im Krieg, wie der Erfolg auf dem Schlachtfeld.

Zur Einschätzung der politischen Situation in GB, die alleine relevant war, vgl. #61!!!! Die Beurteilung des Militärs war für die politischen Entscheidungen nicht ausschlaggebend, da manche Fakten nach "Dynamo" zwar negativ, aber nicht aussichtslos waren. Wie der reale Verlauf es dann auch belegt hatte. Und der ist für die Beurteilung der Entscheidungen relevant!

Ansonsten sind contra-faktische Szenarien nett für die Gruselstunde, aber letztlich völlig sinnfrei.
Seriöse Betrachtungen zu Alternativ-Szenarien liegen in "If the Allies had fallen" vor. Und es wird bei den meisten Szenarien deutlich, dass sie vor allem von revisionistischem - deutschem - Wunschdenken gespeist sind, da das Wunschdenken bei näherer Betrachtung doch nicht so rosig für die deutsche Seite aussah. Und das gilt für die Improvisationen im Rahmen von "Seelöwe" in ganz besonderem Maße.

Dass Du nicht auf die fundierten Darstellungen der bisherigen Beiträge eingehst, macht mich allerdings zusätzlich "stutzig".

Aber das wird sicherlich schnell fundiert von Dir geklärt werden. Aber bitte ohne "youtube".

Deutsch, Harold C.; Showalter, Dennis E. (2012): If the Allies Had Fallen. Sixty Alternate Scenarios of World War II. New York: Skyhorse Publishing Inc.
 
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Die Stärke einer normalen Schlachtflotte hatte schon stark abgenommen, nicht nur im Pazifik mit dem Krieg der Trägerflotten, auch im Atlantik (samt Nebenmeeren).

Aber im Kampf gegen Transportschiffe war die Stärke immer noch beachtlich, die Verteidigung von Nachschub durch U-Boote oder Flugzeuge klappte bis 1944 eigentlich nirgendwo richtig...
Man muss sich auch vor Augen halten, dass die deutsche "Invasionsflotte" aus Flusskähnen etc schon abgesoffen wäre wenn ein paar Kreuzer mit hoher Fahrt dazwischen durchgepflügt wären, ohne einen Schuss abzugeben. Kein realistisches Szenario, aber es macht ein Gelingen schwer vorstellbar.
 
@Matze007: Dieses Bild mit den Kreuzern hatte ich in ähnlicher Form und es standen sicherlich ca. 20 davon zur Verfügung im unmittelbaren Einsatzbereich.
 
Man kann der Royal Navy außerdem etwas Phantasie unterstellen.

- Die Landungs- und Versorgungslage hätte massenweise nächtliche Transport-Präsenzen bei den Landungsköpfen und im unmittelbaren Rückmarsch ergeben, bei denen einige nächtliche „Gemetzel“ geradezu vorprogrammiert waren. Von nennenswerte - nicht ersetzbare - Kapazitäten erst einmal verloren gegangen wären, hätte auch nichts mehr abgedeckt werden müssen. Von Schlechtwetterlagen im Herbst im Kanalbereich und unmittelbar südlich davon mal ganz abgesehen.

- die RN hatte unterhalb des Kreuzer- (20+) oder sogar Zerstörerniveaus (40+) Hunderte, wenn nicht sogar Tausende „Kleinkampfmittel“, die in oder an den bedrohten Regionen bereits zusammen gezogen waren.

- die deutsche Luftwaffe war nicht einmal in der Lage, den umfangreichen küstennäheren britischen Schiffsverkehr - mit besagtem Kleinkrieg „unterhalb“ Zerstörerniveau - zu unterbinden, der im Herbst 1940 munter weiter lief.

Es wurden oben übrigens auch nennenswerte deutsche Zerstörer- und Ubootkapazitäten unterstellt. Wo sollten deutsche Zerstörer im September 1940 herkommen? Bzgl. der vorgesehenen U-Präsenzen für die Kanaleingänge sah es - der Widerstand von Dönitz kam nicht von ungefähr - auch eher mäßig aus.
 
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