Vielleicht kann man doch noch eine Kurve von der sehr speziellen deutschen Morddefinition, die der Nazizeit entspringt, zur RAF kratzen.
Ich versuch es mal.

Fischer zeigt die Absurdität des §211 StGB, ebenso wie der gelernte Staatsanwalt Prantl, und andere wie Heiko Maas oder Safferling: (https://www.fau.de/2015/06/news/nac...ne-diskussion-zur-reform-der-toetungsdelikte/).
„Der Paragraf 211 versucht dies mit einer Reihe sogenannter Mordmerkmale zu lösen. Dabei geht die im Jahr 1941, also vom nationalsozialistischen Gesetzgeber, niedergelegte Formulierung davon aus, dass der Täter an einer bestimmten Typik zu erkennen ist. Es gibt also „den Mörder“ als Menschentyp. Diese Herangehensweise entspricht nicht dem liberalen Strafrecht. Bestraft wird nicht der Mensch wegen seines kriminellen Charakters, sondern die Tat und die dafür verantwortliche Person.“

Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang das Buch von Heinrich Hannover „Die Republik vor Gericht 1954 – 1995“ der diesen Geist auch in anderen Zusammenhängen beschreibt. Der Tätertyp in willkürlicher Interpretation findet sich durchaus immer mal wieder, auch rechtsbeugend, im Zentrum der Urteilsfindung.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Rosenburg- Studie https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Akte_Rosenburg.pdf?__blob=publicationFile&v=18

Die Rosenburg war das Gebäude in Bonn in dem das Bundesministerium für Justiz von 1950-1973 ihren Sitz hatte.
Die Zahl der Mitarbeiter war bescheiden, immer weniger als 100.
Doch die überwiegende Mehrzahl derselben war bis Anfang der 60er entweder Mitglied der NSDAP oder der SA. Hierzu Schaubild S. 31.
1957 erreicht der Anteil ¾ und sinkt danach erheblich.

Adenauer war klug genug zu wissen, dass man nicht schmutziges Wasser weg schüttet bevor man sauberes hat.

Der geerbte Tümpel der Justiz klarte, zwar ein wenig zeitversetzt, auf.
Aber er tat es, und als die RAF auftrat, klärten sich schon die Wasser.

Und die noch junge BRD wurde nicht zu Weimar, so wie es sich die selbsternannten Revolutionäre und auch ihre extremen Widersacher ausgemalt haben mögen.

Und falls die RAF etwas Gutes bewirkt haben sollte, dann die Reaktion eines neuen Staates BRD, der letztlich zeigen konnte, dass er in der Lage war, das Recht in einer weit besseren Weise weiter zu entwickeln, als man es von den selbsternannten Todes-Richtern der RAF je erwarten konnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bravo, Tannhaeuser, du hast ganz passend Ludwig Thoma, den Wegbereiter der Braunen, zitiert, weil der, lebte er heute noch, sicher auch Heribert Prantl angegriffen hätte.
Nun ja, wo er recht hat hat er recht... Mir ist aus dieser Zunft bisher noch keiner untergekommen, der durch irgendwie geartete Intelligenz aufgefallen wäre. Ich hatte in den letzten Jahrzehnten insgesamt drei gerichtliche Auseinandersetzungen, die ich mit etwas Internetrecherche gegen die anwaltlich vertretene Gegenseite gewonnen habe.
 
Sorry für noch mal OT. Aber ich finde das Thema Rechtsgeschichte Mordparagraf 211 / Totschlag 212 ganz interessant. (Vielleicht kann man es auch auslagern?) Aber zumindest einen Zusammenhang zu 68er-Gedankengut sehe ich in dem Thema auch.

Denn wenn ich die Einlassungen von Thomas Fischer in der Zeit die weiter oben verlinkt worden sind lese, hatte ich (als Nicht-Jurist) schon das Gefühl, dass hinter der Kritik an der "Nazi"-Terminologie ("Mörder ist wer..."), letzten Endes schon die Intention zu stecken scheint, milder strafen zu können, wenn der Täter z.B. polemisch gesagt "eine schwere Kindheit hatte". Also ganz im Sinne einer für mich aus dem 68er-Zeitgeist hervorgegangenen "Täterversteher"-Rechtssprechungs-Praxis, die Täterrehabilitation oft über Opferschutz und Gerechtigkeitsempfinden / gerechte Strafe gestellt hat. (Fischer vergleicht dies in seiner Zeit-Kolumne gern auch schon mal mit "Rache", also unterstellt dem Opfer damit implizit selber eine Art von "niederen" Beweggründen.) Eine Praxis die z.B. in der Vergangenheit auch oft zu milden Urteilen für gefährliche Sexualstraftäter geführt hat, die dann Folgetaten verübt haben. (Sicher ein weites Feld.) Fischer beklagte ja sogar in dem Zeit-Beitrag, dass die Nazis selber noch einen minder schweren Fall des Mordes für möglich hielten und erst die Bundesrepublik das 1953 gestrichen hat. Das Pendel war eine Zeit lang gefühlt sehr weit in Richtung "Täterverständnis" ausgeschlagen und bewegt sich langsam wieder zurück.

Ich erinnere beim Lesen des Threads hier auch, dass (nun Ex-) Bundesjustizminister Maas damals zu Beginn der letzten Groko ja mal verkündet hatte, diese "Nazi"-Paragraphen unbedingt zu reformieren und in 2014 eine Kommission eingesetzt hat, die 2015 dann begründete Empfehlungen vorlegen sollte, so dass er noch in der letzten Legislaturperiode die Paragraphen reformieren wollte.

Ich habe aber jetzt gefunden, dass diese Kommission wirklich einen 900 Seiten dicken Abschlussbericht produziert hat (was ja auch klar war, muss ja seine Ordnung haben) und Maas übergeben hat. Ist aber medial irgendwie etwas untergegangen:

Bundesjustizminister Heiko Maas schrieb:
„Ich bin den Experten sehr dankbar für ihre Arbeit und den nun vorgelegten Abschlussbericht, der viele gute und hilfreiche Empfehlungen für unsere weitere Arbeit beinhaltet. Wir werden uns die unterschiedlichen Vorschläge zu den einzelnen Themenfelder sehr sorgsam ansehen und prüfen, welchen Weg wir bei der Reform einschlagen werden.

Die Tötungsdelikte des Strafgesetzbuchs sind historisch schwer belastet. Der Mordparagraph ist bis heute vom Ungeist der Nazi-Ideologie geprägt. Wir wollen ein modernes Recht, das frei ist von der Sprache der Nazis; die Empfehlungen zum Reformbedarf bei der jetzigen Terminologie, die auf einen Tätertypus zielt, nehmen wir daher dankbar auf. Es geht darum, der Rechtsprechung Gesetze an die Hand zu geben, aus denen heraus gerechte Urteile im Einzelfall möglich sind – und nicht wie bislang gerechte Urteile den Gesetzen auf Umwegen abgetrotzt werden müssen.

Es geht nicht darum, künftig denjenigen, der einen anderen Menschen tötet, milder zu bestrafen. Klar ist: Durch das Urteil „lebenslang“ kommt der vollumfängliche Schutz, den das Recht und auch die Gesellschaft dem menschlichen Leben beimessen, deutlich zum Ausdruck. Daher muss auch künftig für höchststrafwürdiges Unrecht die herausgehobene Rechtsfolge „lebenslang“ erhalten bleiben. An diesem Prinzip werden wir nicht rütteln – und so sieht das ja auch die große Mehrheit der Experten. Wir werden jetzt die Empfehlungen der Kommission genau prüfen und einen Gesetzentwurf erarbeiten.“

Quelle:
BMJV | Artikel | Reform der Tötungsdelikte: Übergabe des Abschlussberichts der Expertengruppe im Bundesjustizministerium

Habe mal den für mich interessanten Satz darin unterstrichen. Denn der Spiegel hatte Einblick in den Gesetzentwurf und schreibt im März 2016:
Spiegel schrieb:
Mörder sollen in Deutschland nicht mehr zwingend mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft werden. Bundesjustizminister Maas will nach SPIEGEL-Informationen einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.

Der Gesetzentwurf, den Bundesjustizminister Maas vorlegen will, sieht vor, dass Haftstrafen für Morde auf bis zu fünf Jahre gesenkt werden können - wenn der Täter
  • "aus Verzweiflung" handelte,
  • um "sich oder einen ihm nahestehenden Menschen aus einer ausweglos erscheinenden Konfliktlage" zu befreien,
  • durch eine "schwere Beleidigung" oder "Misshandlung (...) zum Zorn gereizt" wurde oder
  • von einer "vergleichbar heftigen Gemütsbewegung" betroffen war.
Zugleich will Minister Maas die umstrittene Mord-Kategorie der "Heimtücke" ersetzen: Künftig gelten alle Tötungen als Mord, bei denen der Täter die "Wehrlosigkeit" des Opfers "ausnutzt".

Auch präzisiert der Minister das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" (künftig: "besonders verwerfliche Beweggründe"), das in der neuen Fassung auch explizit rassistische und fremdenfeindliche Angriffe einbezieht.

Der Entwurf, mit dem Maas auch Reste der "Tätertypenlehre" der Nazi-Zeit tilgt, stößt auf Widerstand des bayerischen Justizministers Winfried Bausback.

"Der Entwurf bestätigt leider genau das, wovor ich immer gewarnt habe, nämlich dass bei einer - im Grunde überflüssigen - Reform die absolute Strafdrohung 'lebenslang' für Mord zur Disposition gestellt wird", sagte Bausback dem SPIEGEL. Dies widerspreche der im Grundgesetz verankerten "überragenden Bedeutung des Lebens". Vor dem Hintergrund der "aktuellen terroristischen Akte" sei die Reform "das völlig falsche Signal".
Quelle:
Strafrecht: Bundesjustizminister will zwingende lebenslange Haft für Mord abschaffen - SPIEGEL ONLINE - Panorama

Klingt für mich eben doch wie weitere Subjektivierung und mildere Strafen, wenn man "Verständnis" für den Mord haben kann.

(Hauptartikel hinter Paywall.)

Dann im Mai 2016 ist die Union dagegen:
Rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker schrieb:
"Die Unionsfraktion sieht bei den Tötungsdelikten keinen Reformbedarf. Mord bleibt Mord. Darauf steht zu Recht die lebenslange Freiheitsstrafe. Der Schutz des Lebens darf nicht aufgeweicht werden."
Quelle:
Reform des Mordparagrafen: Bleibt lebenslang lebenslang?

Seither scheint Schweigen im Walde zu sein, oder?

Maas hat sich ja dann auch wohl eher primär auf seine bahnbrechende "Zensur-Gesetzgebung" konzentriert (NetzDG, siehe z.B. Bundestag winkt Zensurgesetz durch ).
 
Zuletzt bearbeitet:
Fischer zeigt die Absurdität des §211 StGB, ebenso wie der gelernte Staatsanwalt Prantl, und andere wie Heiko Maas oder Safferling: (https://www.fau.de/2015/06/news/nac...ne-diskussion-zur-reform-der-toetungsdelikte/).
„Der Paragraf 211 versucht dies mit einer Reihe sogenannter Mordmerkmale zu lösen. Dabei geht die im Jahr 1941, also vom nationalsozialistischen Gesetzgeber, niedergelegte Formulierung davon aus, dass der Täter an einer bestimmten Typik zu erkennen ist. Es gibt also „den Mörder“ als Menschentyp. Diese Herangehensweise entspricht nicht dem liberalen Strafrecht. Bestraft wird nicht der Mensch wegen seines kriminellen Charakters, sondern die Tat und die dafür verantwortliche Person.“

Hier spricht wieder der "Laie", aber widerspricht sich das nicht? Ich meine, erst wird die aktuelle Definition kritisiert, dass sie den Mörder als Menschentyp klassifiziert, dann aber sagt, dass nicht der Mensch, sondern die Tat und die Person.

Zumal sich das für mich als Laien beim ersten Lesen nicht schlecht anhört. Klar, soll die Tat bestraft werden und der Verantwortliche, "wer" bzw. "was" den sonst. Denn wenn man es theoretisch betrachtet, dass einer wegen seinem Charakter verurteilt wird, könnte, das vom restlichen losgelöst, alles bedeuten...
 
Eben.
Das ist der Widerspruch aus dem sich aus Sicht des Autors der Reformbedarf des §211 StGB ergibt.
Ich bezog mich auf die Kritik die für mich widersprüchlich ist.
Oder bezieht sich letzteres auf die liberale Rechtssprechung, die es nicht nach Charakter beurteilt?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bezog mich auf die Kritik die für mich widersprüchlich ist.

Oder bezieht sich letzteres auf die liberale Rechtssprechung, die es nicht nach Charakter beurteilt?

Ja, so verstehe ich das.

Nicht ein unterstellter Menschentypus, oder unterstellter Charakter, darf die Basis einer Verurteilung sein, sondern die Würdigung der Tat und deren Umstände. Denn wollte man anders vorgehen, müsste man dem Angeklagten gegenüber dadurch befangen sein, dass man ihn bereits vorher einer Kategorie, einem Typus zuordnet.

Und das ist nicht Recht, sondern Willkür.

Eine Willkür, die durch die Veränderung der Morddefinition durch Nazis berechnend begünstigt wurde.

Und diese schlummert immer noch im derzeitigen §211 StGB, wenngleich diese durch die Rechtspraxis in zumeist erträglichem Zaum gehalten wurde.

"Nun haben die letzten 70 Jahre gezeigt, dass die Justiz in der Lage ist, trotz dieser NS-Terminologie, die Bestrafung von Mord und Totschlag in demokratische und liberale Bahnen zu lenken. Es bleibt aber der üble Beigeschmack der nationalsozialistischen Tätertypenlehre. "

gleiche Quelle

Nun habe ich mich echt gefragt, ob auf Deine Frage eine Antwort möglich ist, ohne endgültig ins OT zu gehen.

Aber ich denke das geht schon,

weil es gleichzeitig diese Frage aufwirft:

Wie ist im Vergleich zu solchen Überlegungen das Rechtsverständis der RAF?;

die ja vergleichbar einer Typenlehre nach dem Muster des schlechteren Teils ihrer Elterngeneration anhängt.
Und auch nicht deren unglaublichen Arroganz nachsteht: Nämlich das Recht auf Leben der Opfer eigenmächtig durch deren Gruppenzugehörigkeit schlicht zu verneinen.
Und das ist hier der Punkt.
Es ist ja in keinem Fall der RAF-Morde auch nur der Ansatz eines Tyrannenmords zu sehen, sondern es geht darum Vertreter einer abgelehnten Gruppe nach eigenem Ermessen zu töten zu können.

LG hatl
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein zutreffender Überblick über die globale 68er-Jugendrevolte findet sich mE hier:
1968: USA, LSD & SDS
Und es erübrigt sich ja fast schon die Frage, ob jene kleine Minderheit der aufgebrachten Jugend, die nicht Blumen als Emblem trug, sondern die Maschinenpistole, Terroristen waren.
 
Ja, so verstehe ich das.

Nicht ein unterstellter Menschentypus, oder unterstellter Charakter, darf die Basis einer Verurteilung sein, sondern die Würdigung der Tat und deren Umstände. Denn wollte man anders vorgehen, müsste man dem Angeklagten gegenüber dadurch befangen sein, dass man ihn bereits vorher einer Kategorie, einem Typus zuordnet.

Und das ist nicht Recht, sondern Willkür.

Eine Willkür, die durch die Veränderung der Morddefinition durch Nazis berechnend begünstigt wurde.

Und diese schlummert immer noch im derzeitigen §211 StGB, wenngleich diese durch die Rechtspraxis in zumeist erträglichem Zaum gehalten wurde.

"Nun haben die letzten 70 Jahre gezeigt, dass die Justiz in der Lage ist, trotz dieser NS-Terminologie, die Bestrafung von Mord und Totschlag in demokratische und liberale Bahnen zu lenken. Es bleibt aber der üble Beigeschmack der nationalsozialistischen Tätertypenlehre. "

gleiche Quelle

Nun habe ich mich echt gefragt, ob auf Deine Frage eine Antwort möglich ist, ohne endgültig ins OT zu gehen.

Vielen Dank. Mit deiner Klarstellung hast du meine Frage vollends beantwortet, so dass wir nicht mehr in Gefahr sind, ins Offtopic zu rutschen. Ich habe einfach die Formulierung im Text falsch interpretiert. Das war mein Fehler.
 
Ein zutreffender Überblick über die globale 68er-Jugendrevolte findet sich mE hier:
1968: USA, LSD & SDS
Aus dem von dir verlinkten Zeit-Artikel geht hervor, dass die Ursachen/Anlässe für die 68-Proteste weltweit die gleichen oder sich ziemlich ähnlich waren. Allerdings gab es darauf unterschiedliche Reaktionen.

Um in Europa zu bleiben: Ob der Tod des Student Paolo Rossi in Italien, oder die Erschießung von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke, überall dort, wo es zuerst staatliche oder rechte Gewalt gab, kam es zu einer Radikalisierung der Protestierenden: Brigate Rosse und RAF waren die Folge dieser Gewalt.

Dass es auch anders ging, zeigte das Beispiel Niederlande. Dort reagierte die Obrigkeit auf Proteste besonnen, also gab es auch keine Radikalisierung.
 
Aus dem von dir verlinkten Zeit-Artikel geht hervor, dass die Ursachen/Anlässe für die 68-Proteste weltweit die gleichen oder sich ziemlich ähnlich waren. Allerdings gab es darauf unterschiedliche Reaktionen.



Um in Europa zu bleiben: Ob der Tod des Student Paolo Rossi in Italien, oder die Erschießung von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke, überall dort, wo es zuerst staatliche oder rechte Gewalt gab, kam es zu einer Radikalisierung der Protestierenden: Brigate Rosse und RAF waren die Folge dieser Gewalt.



Dass es auch anders ging, zeigte das Beispiel Niederlande. Dort reagierte die Obrigkeit auf Proteste besonnen, also gab es auch keine Radikalisierung.



Dion, das ist ja schon eine muntere Vermischung der Sachverhalte.
Sehr bemerkenswert, ja direkt abenteuerlich, ist die willkürliche Zusammenfassung von 'staatlicher und rechter Gewalt', so als ob das a priori das gleiche sein müsste.

Weder das Attentat auf Dutschke, noch die Tötung von Paolo Rossi, waren Ausdruck staatlicher Gewalt.

Nun will ich Dir mal versuchsweise gedanklich folgen und staatliche Gewalt mit rechtsradikaler Gewalt gleichsetzen und weiterhin annehmen, dass eine solche hätte zu einer Radikalisierung in RAF-artiger Erscheinungsform führen müssen..

Wie kann unter dieser Annahme denn verstanden werden, dass in den USA die weit spektakulärere Ermordung von Martin Luther King zu keiner RAF führte? Und haben wir tatsächlich den gleichen Artikel gelesen?

Man soll sich ja die Sachverhalte nicht einfach nach Belieben so zusammen komponieren, dass man die Suppe erhält, die einem selbst dann am besten schmeckt, wenn Leichen in dieser schwimmen.

Insbesondere nicht als 68er oder deren Sympathisant.
 
Dion, das ist ja schon eine muntere Vermischung der Sachverhalte.
Sehr bemerkenswert, ja direkt abenteuerlich, ist die willkürliche Zusammenfassung von 'staatlicher und rechter Gewalt', so als ob das a priori das gleiche sein müsste.

Weder das Attentat auf Dutschke, noch die Tötung von Paolo Rossi, waren Ausdruck staatlicher Gewalt.

Nun will ich Dir mal versuchsweise gedanklich folgen und staatliche Gewalt mit rechtsradikaler Gewalt gleichsetzen und weiterhin annehmen, dass eine solche hätte zu einer Radikalisierung in RAF-artiger Erscheinungsform führen müssen..

Wie kann unter dieser Annahme denn verstanden werden, dass in den USA die weit spektakulärere Ermordung von Martin Luther King zu keiner RAF führte? Und haben wir tatsächlich den gleichen Artikel gelesen?

Man soll sich ja die Sachverhalte nicht einfach nach Belieben so zusammen komponieren, dass man die Suppe erhält, die einem selbst dann am besten schmeckt, wenn Leichen in dieser schwimmen.

Insbesondere nicht als 68er oder deren Sympathisant.
Im Prinzip Zustimmung, aber du hast dich verlesen. Er schreibt staatliche ODER rechte Gewalt nicht "und". Eine beabsichtigte Gleichsetzung sehe ich nicht.
 
Sehr bemerkenswert, ja direkt abenteuerlich, ist die willkürliche Zusammenfassung von 'staatlicher und rechter Gewalt', so als ob das a priori das gleiche sein müsste.
Ich habe nicht „und“ gesagt, sondern „oder“. Aber weil dir schon @Lafayette II. den Unterschied zwischen den beiden Wörtern erklärt hat, erübrigt sich eine weitere Diskussion darüber.


Wie kann unter dieser Annahme denn verstanden werden, dass in den USA die weit spektakulärere Ermordung von Martin Luther King zu keiner RAF führte? Und haben wir tatsächlich den gleichen Artikel gelesen?
Ja, wir haben beide den gleichen Artikel gelesen. Darin stand auch was von der Polizei erschossenen 300 Demonstranten in Mexico Stadt, was ich aber – wie die Reaktion auf den Tod von Martin Luther King – außer Acht ließ, um die Diskussion nicht unnötig auszuweiten.


Man soll sich ja die Sachverhalte nicht einfach nach Belieben so zusammen komponieren, dass man die Suppe erhält, die einem selbst dann am besten schmeckt, wenn Leichen in dieser schwimmen.
Ich habe mich bewusst auf Europa beschränkt und da auch auf das Gegenbeispiel Niederlande hingewiesen - von "Sachverhalte nach Belieben zusammen komponiert" kann keine Rede sein.


Insbesondere nicht als 68er oder deren Sympathisant.
Ja, ich bin 68er. Und ich war zu fraglicher Zeit in Berlin, habe selbst erlebt, wie Polizisten auf Pferden in Galopp in die Menge geritten kamen und wahllos auf friedliche Demonstranten einschlugen. Sie jagten sie durch Straßen, man konnte sich nur in die Hauseingänge retten. Die, die nicht davon liefen, wurden eingekreist und stundenlang festgehalten, und wenn jemand pinkeln musste, musste es da vor Augen aller tun. Diese Erniedrigungen waren gewollt, aber sie haben das Gegenteil bewirkt: Das gemeinsam Erlebte schweißt mehr zusammen als bloße Worte. Die Folgen waren: Noch mehr Demonstrationen mit noch mehr Menschen, die manchmal nicht mehr so friedlich waren.

Es bewahrheitet sich immer wieder: Gewalt gebiert nur Gegengewalt.
 
Die Frage bleibt doch: Wenn der Staat zur Waffe greift und auf friedliche Demonstranten schießt,
wie sollen da die demonstrierenden Bürger reagieren ?
Stasi hin oder her, der Mörder Kurras war Polizist und wurde nachdem er Benno Ohnesorg
erschoß von der Bundesdeutschen Politik und Justiz beschützt. Das hatte Folgen. Unter anderem auch die
Gründung der RAF.
Ob man nun die RAF für gescheiterte Widerstandskämpfer oder für Terroristen gegen den Staat
hält, ist dabei irrelevant.
 
Die RAF hat in ihrem Kampf etwa 35 unschuldige Menschen getötet und zahlreiche zum Teil lebensgefährlich verletzt und viele lebenslang geschädigt..

Gruss Pelzer
 
Wohlwissend, dass die zitierten Beiträge ziemlich genau zwölf Jahre alt sind (und einer der Beiträger seit einigen Jahren verstorben), möchte ich diese Zeilen noch mal aufgreifen

Hallo -
gut finde ich die Formulierung "Revolutionäre und Terroristen".
RAF waren sicher nicht "Verbrecher und sonst nichts."
Verbrecher und sonst nichts sind z.B. Triebmörder, sadistische Menschen etc., was es alles ja gibt.
Doch die RAF-Täter waren ja schon Ideologie-motiviert, aus deren Sicht sogar im Sinne eines gesellschaftlichen 'Fortschritts'.

Ja, was waren sie denn sonst?
[...]
Ich bleibe bei " Verbrecher"

Genau die gleiche Frage möchte auch ich stellen und sie wie FLO beantworten: Die Mitglieder der RAF waren Verbrecher und es spielt überhaupt keine Rolle, dass sie selbst sich als so genannte "Revolutionäre" sahen.

Die RAF hat 32 Menschen kaltblütig ermordet, viele davon Unbeteiligte, und war damit eine Verbrecherbande. Die revolutionäre Verbrämung täuscht darüber nicht hinweg.

Ich denke, hier wird aneinander vorbei geredet. IBKoeppen hat nie in Abrede gestellt, dass es sich um eine verbrecherische Organisation handelte. Die Betonung liegt auf dem und sonst nichts. Wäre die RAF-Aktivisten nichts weiter als eine Verbrecherbande gewesen, gäbe es keine Kontroversen um sie (und damit meine ich jetzt nicht einmal die Kontroversen um die wahrscheinlichen Verschwörungstheorien zu Stammheim und Bad Kleinen). Wir können in der RAF mehr sehen, als nur die Verbrecher und diese trotzdem als Mörderbande verurteilen. IBKoeppen hat eigentlich sehr deutlich gegenüber gestellt: Triebtäter, Sadismus - vergessen hat er niedere Beweggründe, welche wahrscheinlich für die meisten Verbrechen die Grundlage bilden, nicht psychische Defekte - und auf der anderen Seite ideologische Beweggründe. Es macht das Verbrechen nicht besser, dass es Mittel zum Zweck war, moralisch nicht und juristisch erst Recht nicht. Aber es verbietet die Darstellung der RAF als "Verbrecher und sonst nichts". Das kann man vielleicht über den Raubmörder sagen oder über den Drogenbaron.
 
Wenn man politische Verbrecher zu "und sonst nichts" erklärt, beraubt man sich der Möglichkeit der intellektuellen Durchdringung des Geschehens.
Bei einem Psychopathen geschieht das Verbrechen aufgrund seiner Krankheit.
Ein gewöhnlicher Verbrecher begeht ein Verbrechen i.d.R. weil es für ihn der einfachere Weg ist,
- an Geld zu kommen
- einen Konflikt zu beenden
o.ä.
Der gewöhnliche Verbrecher geht also davon aus, dass er nicht erwischt wird und gerade Morde sind häufig Vertuschungsverbrechen, also das Kapitalverbrechen, um ein weniger schwerwiegendes aber dennoch gefängniswürdiges Verbrechen zu decken.
Ideologisch motivierte Verbrecher wollen zwar vielleicht nicht erwischt werden, nehmen aber auch eigenes Leiden in Kauf bzw. auf ihr eigenes Schicksal weniger Rücksicht. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Verbrecher, der in erster Linie auf den eigenen Vorteil bedacht ist, spielt beim ideologisch motivierten Verbrecher der eigene Vorteil keine Rolle. Das zu begreifen rechtfertigt kein Verbrechen und entschuldet keinen Verbrecher. Aber Verbrechen wirksam bekämpfen kann man nur, wenn man die Motivation hinter dem Verbrechen versteht. Die ideologische Scheuklappe aufzusetzen, bringt nichts.
 
Beim ideologisch motivierten Verbrecher Verbrecher spielt der eigene Vorteil so ganz und gar keine Rolle? Er will doch mittels Verbrechen eine andere Gesellschaft installieren, und von dieser erhofft er fpr alle - also auch für sich! - Vorteile. ;)

Es gab und gibt allerlei Terroristen mit sehr verschiedenen Ideologien bzw Zielen. Verblüffenderweise werden aber nicht alle als edle Revolutionäre "geadelt"... der Terrorist, dessen Ziel ein strenger Gottesstaat ist, der andere Terrorist, der die kürzesten 1000 Jahre deutscher Geschichte glorifiziert: beide werden (jedenfalls hierzulande) nicht "geadelt". Wie kommt das?

Möglicherweise spukt aus dem schulischen Geschichtsunterricht sowie aus dem Deutschunterricht eine romantisierende Vorstellung vom edlen 48er Revolutionär, der sich für die Freiheit gegen die Obrigkeit stellt. Und ggf zu den Waffen greift. Vielleicht schwingen dazu noch ein paar Vorstellungen a la Rinaldo Rinaldini (Der edle Räuber a la Robin Hood, quasi der Zorro als Sozialrevolutionär) mit - und schon hat man ein Bild voller positiver Eigenschaften, gefüttert aus Literatur und Geschichte. Der Kartätschenprinz ist böse, Bakunin und Kapellmeister Wagner sind nicht böse. Dieses Image - aufgeladen mit den Werten der bürgerlichen Revolution - wird über diejenigen gestülpt, die vorgeben, eine restriktive Obrigkeit zu bekämpfen, um von dieser befreit zu werden. Zwar war die BRD Demokratie nie ein Feudalstaat, kein RAFler erreichte je das Niveau von Bakunin u.a. - aber die Macht des Bildes (Imagologie) wirkt, obwohl die genannten Gleichsetzungen inhaltlich nicht korrekt sind.

Mir scheint: die RAF als Revolutionäre zu deklarieren, ist eine kitschige Romantisierung.
 
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