Es kommt dabei natürlich auf die Zeit an. Tacitus zitiert z.B. entsprechende Eigenwahrnehmung einiger Ethnien. Nur hat sich diese Selbstwahrnehmung -egal ob im Germanicum entstanden oder von den Römern oder den Kelten übernommen- wieder verflüchtigt.
Das habe ich auch nicht gesagt. Ich schrieb dass man zwei verschiedene Völker (unter anderem) durch die Sprache voneinander unterscheiden kann.
Das geht eben nicht. Es gibt Völker mit mehreren Sprachen. Das Deutsche Volk z.B. oder das Schweizer. Es gibt Sprachen, die von mehreren Völkern gesprochen werden. Das Deutsche oder das Spanische wären da Beispiele. Und damit hätte ich 4 Gegenbeispiele aufgezählt. Sprache sagt über Ethnizität erst einmal nichts aus.
Das ergibt keinen Sinn. Eine Sprache gibt es nur im Zusammenhang mit:
1. einem Volk, das diese Sprache spricht (und sie an spätere Generationen weitergibt);
2. aus dieser Sprachwelt hervorgehenden materiellen und geistigen, charakteristischen Errungenschaften (= kulturellen Manifestationen), die sich archäologisch oder schriftlich nach- bzw. zuweisen lassen.
Das ist eben nicht der Fall. Auch mehrere Völker können dieselbe Sprache sprechen. Zusätzlich zum oben gesagten seien die Latiner und Römer genannt. Auch Englisch wird von verschiedenen Völkern gesprochen. Und obwohl provencalisch eine eigene Sprache ist, betrachten sich die Provencalen als Franzosen. Damit haben wir zwei Gegenbeispiele zum ersten Satz, der somit widerlegt ist. Die Nationalisten behalfen sich an der Stelle mit dem Begriff einer Dachsprache, was aber heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann, da die meisten Dachsprachen (Griechisch, Niederländisch z.B.) bewusst oder gar künstlich mit demselben Hintergrund geschaffen wurden. Seit es Leute gibt, die Esperanto zur Muttersprache haben, ist dies wohl überdeutlich. In den populären Darstellungen, teils sogar bei Darstellungen von Sprachwissenschaftlern gehen die Theorien, die es seit dem 19. Jahrhundert gab, oft bunt durcheinander.
Zum Zweiten Satz benenne mal bitte ein Beispiel. Aber kein Schriftzeugnis. Und möglichst ein Beispiel für Germanen aus der Zeit des Frühmittelalters. Ich habe noch nie so etwas gesehen, aus dem auf eine Sprache zu schließen ist und bezweifele, dass es so etwas gibt. Die Kulturzonentheorie ist lange überholt. Um aus materiellen Gütern aussagen zu gewinnen, müssen entsprechende Umstände hinzukommen. (Vorbildlich wurden materielle Zeugnisse z.B. von Heiko Steuer, Theorien zur Herkunft und Entstehung der Alemannen - Archäologische Forschungsansätze, in: Dieter Geuenich (Hrsg.), Die Franken und Alemannen bis zur "Schlacht bei Zülpich" (496/97), Berlin 1998 genutzt, das im Netz zu finden sein sollte.) Selbst, wenn der erste Satz nicht widerlegt wäre, könntest du damit allein keine Germanen oder Deutschen nachweisen.
Warum sich die Germanen erst zur Zeit Caesars (oder gar danach) als einem gemeinsamen Ethnos zugehörig gefühlt haben sollen, obwohl ein solcher Ethnos schon Jahrhunderte zuvor archäologisch nachweisbar ist, erschliesst sich mir nicht. Klar war der Stamm erstmal identitätsstiftend, aber ist es anachronistisch zu vermuten, dass sich zwei Stämme, die sehr ähnliche Sprache, Götter und Bräuche aufwiesen, sich auch als blutsverwandt ansahen?
Schon oben habe ich darauf hingewiesen, dass nicht mehr von der Kulturkreistheorie auszugehen ist. Sprache bedeutet keine Ethnizität. Und kulturelle Hinterlassenschaften sind selten mit bestimmten Ethnien oder gar Sprachen zusammenzubringen.
Du argumentierst wie die Archäologen des frühen 19. Jahrhunderts, die einfach alle Zeugnisse als germanisch oder gar deutsch klassifizierten, indem sie in einem Zirkelschluss die Ethnie voraussetzten. Heute wissen wir, dass die als Germanisch bezeichneten Völker verschiedenen materiellen Kulturen zugehörten.
Wahrscheinlich beziehst du dich auf die Jastorf-Kult und darauf, dass ein bestimmter Verbreitungsstand der Kultur mit bestimmten geographischen Bezeichnungen in Verbindung gebracht wurde. Letzteres ist überholt, da erkannt wurde, dass die Erstreckung dieser Gebiete anders ist, als gedacht. Und wie willst du somit darlegen, dass nicht etwa, um ein Beispiel zu nennen, die Kultur der sog. Kontaktzone zwischen der als keltisch bezeichneten Kultur und der Jastorfkultur der Ausgangspunkt des germanischen war? (Bitte nicht mit dem sog. Nordwestblock verwechseln, wie es mitunter die Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen tun.)
Die von Tacitus und auch in anderen Quellen überlieferte Mannus-Sage wird als Beispiel einer typischen Vereinigungssage mehrerer Völker betrachtet. Sie bezeugt zweifellos eine germanische Identität. Aber sie bezeugt genausogut, dass Ingvaeonen, Istvaeonen und Herminonen zusammengewachsen sind. Dies kann man auch an der unklaren Zuordnung einzelner Stämme und dem Anspruch einzelner Stämme, sich direkt von Mannus abzuleiten sehen. Hier haben die verschiedenen Autoren verschiedene "Zwischenstände" der germanischen Ethnogenese festgehalten. Das Schicksal dieser Sage lässt sich sogar bis zu den 'Eschenmännern' des frühen Mittelalters und der Edda und den Sagas im Hochmittelalter verfolgen. Spätestens in der Völkerwanderungszeit wurde die Sage nicht mehr auf ein Volk, sondern auf die ganze Menschheit bezogen. Dies geschieht parallel zur Aufgabe des Germanennamens. Ein anderer Zweig der Sage bezieht sich nur noch auf die Entstehung bestimmter Dynastien. Schließlich haben Gelehrte die späteren Versionen wieder mit der älteren Überlieferung und auch mit Überlieferungen der Bibel verbunden. Aber dies geschah lange, nachdem man im Zuge der deutschen Ethnogenese die Germanen 'wiederentdeckte'.
Aus dem Stand, den die Sage bei Tacitus hat, schließt man, dass dies die früheste Version ist, die die "Unterstämme" unter ein gemeinsames Dach führt. Zudem gibt es einige Beispiele für die Erwähnung dieser 'Unterstämme' bis in das erste Jahrhundert v.Chr., worunter die durch den Sprachrhythmus wahrscheinliche Erwähnung der Ingväonen durch Pytheas die prominenteste und älteste ist. Dies könnte demnach die Selbstbezeichnung der Jastorf-Kultur sein, weil hier der Name mit dem Gebiet der Kultur durch eine Schriftquelle in Verbindung gebracht ist. Bis in die 80er Jahre -wir haben es noch in der Schule gelernt, aber schon mit Einschränkungen versehen- argumentierte man nun, dass die Ingvaeonen Germanen waren und somit die Jastorfkultur germanisch. Diese Prämisse ist aber, wie dargestellt entfallen. (Diese Zuschreibung ist zudem noch ein wenig komplizierter, aber mir geht es hier darum, die Herkunft der Annahme kurz zu beschreiben, um den Wegfall der Prämisse benennen zu können.) Hinzu kommt das von Biturigos gesagte.
Sprache ist eine Bedingung für eine gemeinsame ethnische Zugehörigkeit, aber nicht die einzige.
Erst in Verbindung mit den (von mir bereits erwähnten) geistigen und historisch-materiellen Erzeugnissen einer spezifischen Kultur, kann man ein Volk auch als solches bezeichnen.
Wie oben aufgezeigt, ist Sprache keinesfalls eine Bedingung für eine gemeinsame ethnische Zugehörigkeit. Wie aus dem Gesagten ebenfalls hervorgeht, können -wie bei den Germanen des 1. Jahrhunderts nach Christus- verschiedene Kulturen einer Ethnie zugeordnet werden. Ebenso kann es innerhalb einer Kultur mehrere Ethnien geben. Es sei hier nur auf die Kulturen Nordamerikas hingewiesen, wo dies fast schon eine Regel war.
Das geistige Erzeugnisse nie auf ein Volk als Volk beschränkt sind, brauche ich in der heutigen Zeit wohl kaum darlegen.
Eine Ethnie bestimmt sich denn nach heutigem Stand der Wissenschaft nur aus der Fremd- und Eigenwahrnehmung der betroffenen Gruppe. Dies ist nachzuweisen, um von einer Ethnie sprechen zu können. Aus denselben Gründen wäre die Beschränkung auf die Eigenwahrnehmung oder auf die Fremdwahrnehmung unsinnig. Als Verdeutlichung: Bei den Rohingya z.B. kann beides getrennt beobachtet werden. Dennoch sieht man eine gegenseitige Beeinflussung. So wenig die Beschreibung auf die Selbstwahrnehmung verzichten kann, kann sie auf die Fremdwahrnehmung verzichten.
(Daher ist dann auch Tacitus eine unerwartet gute Quelle, da er nicht nur die Selbstwahrnehmung und die römische Warte wiedergibt, sondern mitunter auch diejenige Dritter. Leider benennt er es nicht immer klar.)
Da es gerade sehr langsam wird, weiter in einem anderen Post.