Was denken die Deutschen über Friedrich den Großen?

Und: Wo die Aufgabe von Bildungsbürgern und Wissenschaftlern festgelegt ist, zu "dekonstruieren" - das würde mich brennend interessieren. Vielleicht hast Du die Verordnung gerade zur Hand?
 
Natürlich können wir Alle nur aus unserer Filterblase berichten.
Aber Eines sollte unter Historikern Konsens sein:
Geschichtliche Persönlichkeiten (egal welcher Zeit) mit anderen moralischen Wertigkeiten zu überziehen als denen ihrer Zeit ist ein NoGo.

In allen Zeiten war allen Menschen klar, dass Krieg nichts Gutes ist. Auch Fritze! Du willst jemanden zum Helden machen, aber bei Kritik gelten plötzlich nicht mehr die Wertigkeiten der gegenwärtigen sondern nur der damaligen Zeit? Das ist Rosinenpickerei.

Anstatt einer ehrlichen Bewertung Friedrich bagatellisierst du die Toten, für die er verantwortlich ist.

Und: Wo die Aufgabe von Bildungsbürgern und Wissenschaftlern festgelegt ist, zu "dekonstruieren" - das würde mich brennend interessieren. Vielleicht hast Du die Verordnung gerade zur Hand?
Verordnung? Es geht doch nicht um politische Verordnungen sondern um wissenschaftliche Methodik. Es ist nicht die Aufgabe der Historiker, Quellen nachzuerzählen, sondern die Geschichte zu rekonstruieren. Und zwar auch gegen die Darstellungsabsicht des Urhebers einer Quelle. (Quellenkritik, schon mal gehört? Offenbar nicht...)
 
Also, weil andere schlimmere Massenmörder waren, sind die Toten Friedrichs nicht mehr so schlimm? Dann können wir ja alle Raubmörder aus den Gefängnissen entlassen.
Gut - die erste Antwort hat Dir nicht gefallen.
Friedrich der Große war weder nach damaliger noch nach heutiger Definition ein Massenmörder.
Er hat in seiner Zeit Politik getrieben, nach den Regeln seiner Zeit. Dennoch war er in Vielem seiner Zeit voraus und hatte einen bewundernswert klaren Verstand. Ja.
Die Frage eines Krieges wegen tatsächlicher oder erfundener Erbansprüche stellt sich heute nicht mehr. Insofern: Selbst wenn jemand auf die Idee kommen sollte, sich in dieser Frage Friedrich den Großen als Vorbild zu nehmen - mangels Gelegenheit wird er keinen Krieg um Schlesien mit den Habsburgern anfangen können.
 
Mein Vorbild ist er auch nicht weil ich die Folter aus dem Deutschen Strafrecht streichen will o.ä. - auch im Guten muss man ihn "übersetzen" und in seiner Zeit sehen. Insofern: Kein doppeltes Maß. Mir reichen einfache Bewertungskriterien.
 
Aber ich erinnere noch einmal an den Titel:
"Was denken die Deutschen über Friedrich den Großen?"
und nicht
"Was sollten die Deutschen über Friedrich den Großen denken?"

Insofern kann Jeder aus seiner Filterblase erzählen - und daraus ergibt sich vielleicht ein Bild. Kein vollständiges Bild, aber ein Bild.
 
Verordnung? Es geht doch nicht um politische Verordnungen sondern um wissenschaftliche Methodik. Es ist nicht die Aufgabe der Historiker, Quellen nachzuerzählen, sondern die Geschichte zu rekonstruieren. Und zwar auch gegen die Darstellungsabsicht des Urhebers einer Quelle. (Quellenkritik, schon mal gehört? Offenbar nicht...)
Ach - Quellenkritik meinst Du. Oben schrieb jemand "Dekonstruieren" in Bezug auf Vorbilder.
Wenn man keine klaren Begriffe verwendet sondern von Dingen mit völlig anderer Bedeutung schreibt ist das Missverständnis vorprogrammiert. Passiert mir aber auch öfter mal...

Dekonstruieren von Vorbildern würde ja bedeuten "den Menschen klar machen, das nicht Vorbildliches vorhanden ist" während Quellenkritik bedeutet "sich mit dem Wahrheitsgehalt einer Überlieferung befassen". Quellenkritik kann Vorbilder und Vorbildliches dekonstruieren oder konstruieren. Je nach Ergebnis und Intention.
 
Es ist schon irgendwie paradox: Es gibt ist ziemlich unaufgeklärt, sich Helden zu suchen und da sucht man sich ausgerechnet einen Aufklärer als Helden.
 
Vielleicht was Vorbilder angeht ein Beispiel, um zu verdeutlichen was ich meine:
Oscar Schindler.
Da wird man sogar "Held" sagen können. Er hat eine großartige Tat in seinem Leben vollbracht indem er Menschen das Leben rettete. Nicht Allen - aber für die Verhältnisse eines Einzelnen schon ziemlich Vielen.
Das ist eine Großtat, die ihn zum Helden macht. An diesem Punkt. Für diesen Bereich.
Andererseits könnte man ihn dekonstruieren. Er war Mitglied der NSDAP. Er hat bestochen und betrogen, wo es seinen Geschäften dienlich war. Und vielleicht würde man noch mehr finden, wenn man wühlt.
Aber warum?
Für den einfachen Menschen reicht doch diese Heldentat zu wissen und zu bewundern. Ihr vielleicht nachzueifern.

Was die Vorbilder angeht schrieb ich schon einmal:
Es ist nicht unaufklärerisch Helden zu haben. Schon gar nicht Aufklärer als Helden zu haben. Ich kenne auch Menschen, die Kant lieben und verehren. So weit würde ich bei Friedrich dem Großen nicht mal gehen.
 
Auch in Sachen "Angriffskriege" können wir von Friedrich lernen, dass es sich nicht wirklich lohnt. Das war ja wohl sein Fazit, wenn ich es richtig sehe, oder?

Ach dann hat er wohl Schlesien und Westpreußen freiwillig wieder heruasgerückt wegen geringen Ertrags und den Staatsschatz darauf verwendet die Hinterbliebenen der Opfer seinner Kriege zu entschädigen um annähernd wieder gerade zu biegen, was er verbockt hatte oder wie?
Ein entsprechendes Fazit sehe ich da nicht.

Natürlich können wir Alle nur aus unserer Filterblase berichten.
Das mag für deine Person gelten. wie kommst du darauf, dass das auf irgendwen anders zuträfe?

Aber Eines sollte unter Historikern Konsens sein:
Geschichtliche Persönlichkeiten (egal welcher Zeit) mit anderen moralischen Wertigkeiten zu überziehen als denen ihrer Zeit ist ein NoGo.
Das hat doch niemand getan. Die Wertung eines Veranstalters blutiger Raubkriege wirst du ohne Weiteres bei Maria Theresia finden und in Sachsen und Polen ebenfalls. Das Echo seiner Untertanen war bekanntermaßen auch eher zweigeteilt.

Ein weiteres NoGo ist es eigentlich es mit Geschichte und Philosophie vermischen zu wollen.
Warum tust du es dann und sprichst hier pseudopädagogische Empfehlungen zur Volkserziehung aus?

Was irgendein Weber über "herrschaftsfreie Gesellschaft" dachte ist zwar in gewissem Sinne auch Geschichte (und man könnte an anderer Stelle hinterfragen ob das überhaupt jemals irgendwo umgesetzt werden konnte) - aber in Bezug auf die Zeit, über die wir hier reden, irrelevant.
Es ist für die Bewertung die die Zeitgenossen anbrahcten nicht relevant, für das Urteil der Nachwelt aber durchaus.

Es geht hier um Friedrich den Großen, der für seine Zeit und seine Umgebung bahnbrechend und modern war. Dessen Reformen sein Land voran gebracht haben.
Das macht Vorbilder aus.
Den Satz für sich genommen, könnte man auch auf Stalin übertragen, wenn man die kleinigkeit der paar Millionen Opfer, die das erfordert hatte unterschlägt. Immerhin war die Sowjetunion danach ein respektables Industrieland mit eine vollständig alphabetisierten Bevölkerung und Weltmachtsstatus.
Darf ich daraus nun schließen, dass du Stalin für ein nachahmenswertes Vorbild hälst?
 
Friedrich der Große war weder nach damaliger noch nach heutiger Definition ein Massenmörder.
Nach der heutigen Definition als treibende Kraft mehrerer Angriffskriege wäre er ziemlich genau auch das unter anderem.
Dafür, dass zu seiner Zeit mangels industrieller Revolution und damit verbundenen Größen von Heer, Bevölkerung und Vernichtungskraft der eingesetzten Waffen die Anzahl der Opfer nach heutigen Maßen in Grenzen blieb, konnte der Mann schießlich nichts.

Er hat in seiner Zeit Politik getrieben, nach den Regeln seiner Zeit. Dennoch war er in Vielem seiner Zeit voraus und hatte einen bewundernswert klaren Verstand. Ja.
Die Frage eines Krieges wegen tatsächlicher oder erfundener Erbansprüche stellt sich heute nicht mehr. Insofern: Selbst wenn jemand auf die Idee kommen sollte, sich in dieser Frage Friedrich den Großen als Vorbild zu nehmen - mangels Gelegenheit wird er keinen Krieg um Schlesien mit den Habsburgern anfangen können.

Ein Beispiel für auf Erabansprüchen basierende Kriege ist er ohnehin nicht nicht, da seine Eroberungen ja von Beginn an deutlich über das Maß der umstrittenen Territorien hinaus ging und man somit von einem Krieg, einzig zur Durchsetzung, zeitgenössisch für rechtens betrachteter Ansprüche nicht die Rede sein kann.
Btw. welche Erbansprüche brachte er eigentlich im Bezug auf Westpreußen und den Netze-Distrikt vor? Mir wären da keine bekannt.
Wenn man Friedrichs Kriegspolitik zum Beispiel nehmen kann, dann im Hinblick auf berechnende Eroberungspolitik und gelegenheit eine solche nachzuexerzieren, gäbe es auch heute noch genug.


Vielleicht was Vorbilder angeht ein Beispiel, um zu verdeutlichen was ich meine:
Oscar Schindler.
Da wird man sogar "Held" sagen können. Er hat eine großartige Tat in seinem Leben vollbracht indem er Menschen das Leben rettete. Nicht Allen - aber für die Verhältnisse eines Einzelnen schon ziemlich Vielen.
Das ist eine Großtat, die ihn zum Helden macht. An diesem Punkt. Für diesen Bereich.
Andererseits könnte man ihn dekonstruieren. Er war Mitglied der NSDAP. Er hat bestochen und betrogen, wo es seinen Geschäften dienlich war. Und vielleicht würde man noch mehr finden, wenn man wühlt.
Aber warum?
Für den einfachen Menschen reicht doch diese Heldentat zu wissen und zu bewundern. Ihr vielleicht nachzueifern.

Nö, das ist Rosinenpickerei.
Schindler war nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern zuvor vor allem auch der SdP, die bekanntermaßen an der Sestabilisierung und Desintegration der CSSR eine entscheidende Rolle spielte und damit eine Schlüsselrolle auf dem Weg zum Münchner Abkommen und zur "Zerschlagung der Resttschechei" einnahm.
Er leistete persönlich im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Beitrag dazu (Oskar Schindler – Wikipedia ).
Es ist richtig, dass er später im Rahmen seiner Möglichkeiten Menschen der NS-Mordmaschine entzog, nicht weniger richtig ist aber, dass er und seine Gesinnungsgenossen 1938 und 1939 erst einmal dafür gesorgt hatten, dass nicht weniger als 8 Millionen Menschen der Reichweite dieser Vernichtungsmaschinerie überhaupt erst einmal zugeführt werden konnten.
Jemanden der ganz engagiert seinen Beitrag zur Einverleibung der tschechischen Gebiete in das 12-Jährige Reich leistete zum Helden stilisieren zu wollen und diese Kleinigkeit dabei denn noch zu unterschlagen, geht mir dann doch entschieden zu weit.
 
Heute ist uns zum Glück jede friderizianische Schwärmerei fremd geworden, was überhaupt für diese Epoche gilt. Friedrich II. wird nüchterner beurteilt und das Attribut "der Große" sparsamer als früher verwendet.

Wenn man FdG gerecht werden will, dann nähert man sich seinem Gegenstand möglichst neutral und distanziert, also ähnlich wie "Dieter" und andere zu Beginn des Thread positiv vorgemacht haben. Sie alleine ermöglicht das objektivierende Verstehen der Stärken und Schwächen und der positiven wie negativen Aspekte der Person und seiner Epoche.

Demgegenüber fügt die unkritische Heldenverehrung, die von "derralf" hier zelebriert wurde, dem Ansehen von FdG maximalen Schaden zu, weil die Vielschichtigkeit der Person in einer eindimensionalen und unkritischen Glorifizierung einmündet.

Spiegelbildlich zu der kindlichen Glorifizierung steht in anderen Threads die sehr subjektive und einseitige Verunglimpfung anderer historischer Personen. An vorderster Stelle wäre da Napoleon zu nennen oder auch an anderer Stelle im GF die der Person des Fürsten Bagration [den excideuil (RIP) und ich vor größerem Schaden an seinem Ansehen bewahrt haben]

Die emotionalisierte und moralisierende Sicht auf historische Personen, die meistens mit massiven und meistens unsachlichen Angriffen einhergeht hilft nicht dem Verständnis der Personen und auch nicht der Epoche. Und es ist positiv, dass so problematische historische Akteure wie Hitler oder Stalin sehr sachlich und kenntnisreich im GF diskutiert worden sind.

Zurück zu Friedrich der Große: Da die Frage der Legitimierung der Raub-Angriffskriege im Strang eine Rolle gespielt hat, nochmal literaturgestützt in Anlehnung an die vorläufig letzte Biographie von FdG durch Blanning, seine Sicht.

Folgt man Blanning, dann hat FdG lange vor der Formulierung des Antimachiavell bereits im Alter von 19 Jahren im Jahr 1731 in Küstrin im Rahmen von "Die aktuelle politische Situation von Preussen" niedergelegt (Blanning, S. 78 ff). I Kern sah er Preussen als hochgradig verletzlich an, da die einzelnen Gebiete nicht zusammenhängend waren. Und folgerte, dass zum einen gute diplomatische Beziehungen zu den Nachbarn zentral sind. Und andererseits der Herrscher immer nach Möglichkeiten suchen muss, die territoriale Situation zu verbessern.

Oben auf der Liste standen das polnische West-Preußen, dass Brandenburg mit Ost-Preußen verbinden würde und das schwedische Pommern, das die Eroberung von Mecklenburg ermöglichen würde. In diesem Sinne sah sich FdG: "Ich bewege mich konstant von Land zu Land, von Eroberung zu Eroberung, wie Alexander der Große immer nach neuen Ländern suchend, die ich erobern kann.

Das Ziel war ein heroisierendes und machtpolitisches, indem er aus dem Dunst der Kleinstaaten heraustreten wollte und am Tisch der europäischen Großmächte seinen Platz finden wollte.

Betrachtet man den Angriffskrieg auf Schlesien, den er kurz zuvor als Typ der Kriegsführung massiv im Antimachiavell verurteilt hatte, dann liegt dieser Krieg auf einer Linie mit der Analyse, die er als 19 Jähriger formuliert hatte. Da es eigentlich keine rechtliche Handhabe gab, den Krieg zu begründen, mußte das sein "Außenministerium" eine entsprechende schriftliche Begründung liefern. Und Blanning schreibt: "When his foreign Office produced an elaborate historical Justification for the invasion, he commented:"Bravo! That is the work of a good charlatan".

Blanning, T. C. W. (2015): Frederick the great. King of Prussia. London: Penguin Books.

Es ist deshalb mehr als nur ein Zufall, dass sich die Machthaber im NS-System in der Kontinuität der Machtpolitik eines FdG sahen. Der reale oder vermeintliche Zwang zur Konsolidierung des eigenen Machtbereichs - sprich des Staates - den FdG zum Ziel ernannt hatte und es mit "Sein oder Nichtsein" legitimiert hatte, stellt in seiner Blaupause eine Argumentation dar, die Eroberungskriege rechtfertigen will.
 
Zuletzt bearbeitet:
Halten wir fest:
"Die" deutsche Meinung über Friedrich den Großen gibt es nicht.
Es gibt also alle Facetten - von denen, die seine positiven Seiten betonen, über denen, die seine negativen Seiten betonen und denen, die überhaupt nicht mehr kennen bis zu denen, die den Versuch unternehmen ihn differenziert zu betrachten.
Sehr interessant.
Bestätigt aber auch meine Meinung das JEDER Mensch gute und vor Allem schlechte Seiten hat.
 
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