Es bleibt m.E. trotzdem verwunderlich warum z.B. nicht Otto der Große im 19.Jhd eine größere Rolle als etwa Barbarossa eingenommen hat.
Dann wäre zu hinterfragen, was an potentiell identitätsstiftenden Leistungen die Rezepienten im 19. Jahrhundert bei Otto hätten finden können?
Sicherlich, die Schlacht auf dem Lechfeld und damit das sukzzessive Ende der magyarischen Übergriffe im Reich.
Aber was noch?
Es kam unter Otto zu Auseinandersetzungen mit elbslawischen Stämmen, die sicher in das geistige Paradigma des Kampfes von "Germanentum" und "Slawentum", das in den sozialdarwinistischen Phantasien des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte, passte, allerdings auch eben nicht mit dem Ausgang einer dauerhaften Unterwerfung und Integration in den Reichsverband.
Was würde aus der national-rezeptionistischen Perspektive des 19. Jahrhundert dagegen sprechen Otto zu einer entsprechenden Stilisierung zu verhelfen?
Zunächst mal erneuerte und vertiefte er die alte karolingische Bindung an Rom.
Das war seiner Zeit und im Sinne des Reichsverbands, sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, nur waren die Hälfte der Rezepienten im deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert einmal Protestanten, für die ein Zusammengehen mit Rom aus ihrer Perspektive heraus ein Sakrileg darstellen musste, wie der christliche Universalismus sowiso, wenn sie in welcher Schattierung auch immer deutsch-national eingestellt waren, zumal hier der Grundstein einer Politik mit begründet wurde, der in der Zukunft dafür sorgte, dass den Kaisern des Reiches daran gelegen sein musste, sich um der Erhalt der Kaiserwürde wegen mit ihren Ressourcen auch immer wieder in die italienischen Angelegenheiten einzumischen.
Auch das war vom "mittelalterlichen" Standpunkt her logisch und sinnvoll, konnte aber national orientierten Interpreten natürlich auch Anlass/Vorwand geben, zu behaupten, dass dadurch der "deutsche" Kern des Reiches zu Gunsten der "italienischen" Peripherie vernachlässigt worden sei, was zu dessen Schwächung geführt habe.
Auch der Sieg gegen über die Magyaren auf dem Lechfeld, weist aus konsequent nationaler Rezeptionsperspektive zwei nicht unerhebliche Schönheitsfehler auf:
1. Es ist verschiedentlich versucht worden aus dem gemeinsamen Kampf der "deutschen Stämme" gegen die "Ungarn" eine Art geistige Nationsstiftung zu machen. Problematischer Weise kämpfte auf ostfränkischer Seite aber einmal auch ein Böhmisches Kontingent mit, dafür aber keine größeren Verbände aus Lothringen und Friesland.
Wollte man nun also aus den Einfällen der Magyaren eine akute Gefahr für den Reichsverband an sich machen, müsste man hier konstatieren, dass die "nichtdeutschen" Böhmen, sich in der Verteidigung des Reiches mehr hervortaten, als die "Deutschen" aus dem Rheinland und von der Nordsee.
Bei Lichte betrachtet keine allzu geeignete Vorlage für eine nationalistische Lesart. Außerdem müsste man sich dann mit dem Faktum abfinden, dass der "deutsche" König und das Reich so schwach waren, dass sie die "slawischen" Böhmen gegen ihre Feinde um Hilfe rufen mussten.
Darf das aus deutsch-nationaler Perspektive sein?
2. Durch den Sieg auf den Lechfeld und dessen Folgen ebbten zwar die magyarischen Einfälle in das Reich ab, gleichzeitig gelang es aber auch nicht, den Magyaren das vormals zum Reichsverband gehörige pannonische Fürstentum wieder zu entreißen und dem Reichsverband wieder anzugliedern.
Der Einfluss des Reiches im Donau-Raum, wurde dadurch also nicht in seiner vorherigen Form wieder hergestellt. Insofern könnte man auch hier behaupten, wenn man eine solche Perspektive einnehmen wollte, dass es sich bei allem Pathos nur um einen halben Sieg handelte.
3. Kommt noch erschwerend hinzu, dass wenn man das alte Reich und die Kaiser und Könige vor dem 11. Jahrhundert zu Galionsfiguren erhebt, man auch nicht umhinkommt, zuzugeben und hervorzuheben, dass die östlich der Elbe gelegenen Gebiete, eigentlich gar nicht dazu gehören, von den Gebieten östlich der Oder nicht zu reden.
Das mochte für die Nationalsozialisten und ihre "Blut-und-Boden"-Ideologie verhältnismäßig unproblematisch sein, denn die gingen ja ohnehin davon aus, dass es historische Mission des deutschen Volkes sei den Osten zu erobern, zu kolonisieren und "einzudeutschen", mit welchen blutigen Mitteln auch immer.
Für den kleindeutschen Nationalismus liberaler Prägung im 19. Jahrhundert mag das anders ausgesehen haben. Immerhin bedeutet es ja nichts anderes, als die Vereinigung Deutschlands unter Führung eines Staates, dessen Territorium en Gros erst ab dem frühen 2. Jahrtausend n. Chr. (zumal wenn man auch an Pommern und Schlesien denkt) oder überhaupt nie (restliches Ostelbien) zum Reichsverband gehörte und dessen Bevölkerung die "deutsche" Kultur nur allmählich übernommen hatte (oder eben überhaupt nicht einheitlich, siehe Oberschlesien, Posen, Masuren, das Memelgebiet, die Kaschubei und den Netzedistrikt) unter gleichzeitiger Hinausdrängung, des schon viel länger zum Reichsverband gehörenden österreichischen Territorium.
Ich würde mal meinen, dass der Blick auf die Landkarte des 10. Jahrhunderts und die Grenzen des Reichsverbandes für den Anspruch eines brandenburgisch-preußischen Monarchen auf einen deutschen Kaisertitel im kleindeutschen Sinne und den preußischen Führungsanspruch in Deutschland, in legitimatorischer Sichtweise pures Gift gewesen wäre.
Denn wenn man sich herausgenommen hätte, dass Reich Ottos und ihn selbst als Kaiser im Sinne eines nationalen Projektes zu glorifizieren, hätte man damit geistig Preußen, das heutige Sachsen und Mecklenburg aus dem Reich und damit der Nation hochkant herausgeworfen, ausgebürgert sozusagen und sich dafür die Slawen in Böhmen und dem römischen Katholizismus hineingeholt.
Natürlich hätte man auch darauf, man vergleiche das mit der Schweiz, eine Art nationales Projekt aufbauen können. Aber dann allenfalls im Sinne einer auf einer Art Verfassungspatriotismus basierenden Nationsidee und nicht an Hand ethnischer, sprachlicher und konfessioneller Kriterien.