Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Hallo Silesia,

Du hast oben geschrieben:

So geschehen: am 15.4. (die ital. Flotte war bereits unterwegs) skizzierte Berchtold mit diplomatischen BlaBla das italienische Vorgehen gegen die Dardanellen, eine begrenzte kleinere Operation würde den Krieg beenden. ÖU würde sich mit Artikel VII schwertun ("create a feeling of uneasiness" in der englischen Übersetzung), und könne daher keine ausdrückliche Zustimmung geben, alle Konsequenzen würden auf der italienischen Schulter liegen. Heißt auf deutsch: macht, was ihr wollt, die Sache läuft ohnehin bereits, wir halten uns da raus (und erhalten gegebenenfalls Garantien oder Kompensationen).
Scott, Diplomatic Documents, S. 344, 15.4.1912

Scott, Diplomatic Documents, Band I, ist eine Veröffentlichung von 1916....
Sie gibt lediglich die abgedruckten Dokumente des Ö-.U. "Rotbuches", "Volksausgabe" von 1915, zur Vorgeschichte des Krieges wieder.
Wir finden dort auch keinerlei Anmerkungsapparat oder Erklärungen etc. zu den Texten.
Ich bin überrascht, dass die in der Geschichtswissenschaft entsprechend deutlich unzulänglich eingestuften "Farbenbücher" unkritisch oder überhaupt für Argumente/Übersetzungen herangezogen werden.

Vergleicht man Deine übersetzte Zusammenfassung mit einem größeren Ausschnitt bei Scott, S. 344, Nr. 11, so kann Deine Zusammenfassung nicht vollständig überzeugen:

I pointed out in the first place that, to my mind, an action by the Italian Navy outside of the north-African war theatre could accomplish its purpose only if it caused a strong enough impression in Constantinople to be felt in the Balkans. Such reaction, however, could not leave us, Italy's allies, indifferent. A minor operation and a less extensive reaction would bring Italy no nearer to her aim, while it would still create a feeling of uneasiness with us if the scene of action comprised the territories referred to in Article VII of the Alliance Treaty. Under these circumstances I could not give my express consent to any similar action whatsoever.

AA-Chef Berchtold, Ö.-U., schreibt an einen von Merey, wer immer das auch sein mag.
Die offizielle Übersetzung des Rotbuches scheint mir zudem ebenfalls gelegentlich recht holprig, siehe z.B. fett markierte Stellen ;-)
Es wäre im Rahmen einer substanziellen Diskussion/Antwort sinnvoller, zumindest die Dokumentenreihe Österreichs aus den späten 1920er Jahren zu Vorgeschichte und Ursachen des Weltkrieges heranzuziehen, statt ohne Hinweis unkommentierte und anerkannt teils sehr unzulängliche "Farbenbücher" aus der Kriegszeit.

Berchtold skizziert keinesweg das künftige italienische Vorgehen gegen die Dardanellen. So wenig wie Berchtold vorab vom Anlaufen und geplanten Ablauf der italien. Militäraktion informiert worden war.

Ich hoffe nur, dass Stephenson sich nicht auf die Farbenbücher stützt....

Viele Grüße,

Andreas
 
Hallo Silesia, Du hast oben geschrieben:

So geschehen: am 15.4. (die ital. Flotte war bereits unterwegs) skizzierte Berchtold mit diplomatischen BlaBla das italienische Vorgehen gegen die Dardanellen, eine begrenzte kleinere Operation würde den Krieg beenden. ÖU würde sich mit Artikel VII schwertun ("create a feeling of uneasiness" in der englischen Übersetzung), und könne daher keine ausdrückliche Zustimmung geben, alle Konsequenzen würden auf der italienischen Schulter liegen. Heißt auf deutsch: macht, was ihr wollt, die Sache läuft ohnehin bereits, wir halten uns da raus (und erhalten gegebenenfalls Garantien oder Kompensationen).
Scott, Diplomatic Documents, S. 344, 15.4.1912


Dem dürfen wir das "Original" entgegenstellen:

Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äusseren, Band 4, S. 98-99.
Tel. nach Rom, 15.4.1912, geheim. [Ö.-U.-Außenminister Berchtold, wohl an Ö.-U.-Botschafter in Rom, Merey]

"Herzog Avarna [Italiens Botschafter in Wien] hat heute bei Betonung des Umstandes, daß er ohne Auftrag spreche, die Frage einer eventuellen Ausdehnung der maritimen Operationen Italiens mir gegenüber berührt. Ich habe in meiner Antwort zunächst darauf hingewiesen, daß ich der Ansicht sei, eine italienische Flottenaktion außerhalb des nordafrikanischen Kriegsschauplatzes können nur dann zum Ziele führen, wenn dieselbe einen Effekt in Konstantinopel hervorrufen sollte, dessen Widerhall sich am Balkan fühlbar machen müßte. Eine solche Rückwirkung könne aber uns, den Alliierten Italiens, nicht gleichgiltig lassen. Eine Aktion von geringerer Bedeutung und Rückwirkung würde Italien seinem Ziele um nichts näher bringen, bei uns aber doch ein Gefühl des Mißbehagens hervorrufen, wenn der Schauplatz dieser Aktion in jenen Gebieten liegen sollte, auf welche sich der Artikel VII des Bundesvertrages bezieht. […]"

An keiner hier zitierten und nicht zitierten Stelle des Dokumentes geht es um die Dardanellen, noch sind sie damit berührt. Sowenig wie Berchtold das "italienische Vorgehen gegen die Dardanellen" ausgerechnet gegenüber dem Ö.-U.-Botschafter in Rom erklärt, skizziert oder erläutert haben soll. Dass Berchtold nicht von einem italien. Angriff auf die Dardanellen wusste oder von ital. Seite über einen derartigen Plan informiert worden war und auch nicht eine Übereinkunft o.ä. dazu bestanden hatte, wird im nachfolgend teilweise wiedergegebenen Dokument einige Seiten weiter – nach der unangekündigten und nicht avisierten Beschießung der Dardanellen durch ital. Marine – ziemlich unabweisbar belegt.



Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äusseren, Band 4, 19.2. bis 30.11.1912. S. 110-111.

Tel. nach Rom [wohl an Ö.-U.-Botschafter in Rom, Merey, von Ö.-U.-Außenminister Berchtold], 20.4.1912. Streng vertraulich.

"Gelegentlich des Diplomatenempfanges am 17. d. Mts habe ich eine neuerliche Aussprache über eine eventuelle Ausdehnung der italienischen Flottenoperation mit Herzog Avarna gehabt, welcher sich diesmal auf einen Auftrag Mauquis di San Giulianos berief. Der italienische Botschafter hat allerdings bei diesem Anlasse neuerliche betont, dass Italien an dem schon zu wiederholten Malen enuncierten Standpunkte festhalte, dass es sich – von den türkischen Küsten des Adriatischen und Jonischen Meeres abgesehen – volle Aktionsfreiheit reserviere. Jedoch war der Umstand, dass die unserem Bundesverhältnisse entsprechend durchaus freundschaftliche Konversation sich vornehmlich um die Frage der Okkupation der Inseln Rhodus, Karpathos und Stampaglia und der und zu gebenden Garantien für den temporären Charakter dieser Besetzungen bewegte, geeignet, bei mir den Eindruck hervorzurufen, dass italienische Flottenoperationen in der allernächsten Zeit nur in jenen Gewässern zu erwarten seien, welche die obbezeichneten Inseln umspülen. Dieser Eindruck konnte durch eine Bemerkung Herzog Avarnas nur verstärkt werden, die dahin gieng, die italienische Flotte werde mit Einbruch der dem Waffenschmuggel günstigeren Jahreszeit möglicherweise genötigt sein, ihre Operationen auch in nördlichere Teile des aegaeischen Meeres auszudehnen und würde Marquis di San Guiliano die Frage einer allenfalls notwendig erscheinenden Besetzung einer nördlich gelegeneren Insel jedenfalls vorher noch mit mir erörtern. Umso grösseres Befremden musste somit die Nachricht bei mir hervorrufen, dass bereits an dem der Unterredung folgenden Tage italienische Kriegsschiffe vor dem Dardanelleneingang erschienen und auch die am europäischen Ufer gelegenen Befestigungen beschossen. […] Indessen würde ich Wert darauf legen, dass Euer Exzellenz Marquis di San Guiliano gegenüber mein Befremden darüber zum Ausdruck bringen, dass die Ausdehnung der italienischen Flottenoperationen bis an den Dardanelleneingang in einem Augenblick erfolgte, wo Herzog Avarna mir auftragsgemäss über geplante Aktionen im südlichsten Teile des aegaeischen Meeres sprach. […]"


Du hast geschrieben, Silesia:

bereits am 13.4. war nach den dipl. Vorjustierungen die italienische Flotte von Taranto zu den Dardanellen mit 3 Schlachtschiffen und 6 Panzerkreuzern zur Beschießung ausgelaufen (die Intelligence der Großmächte erkannte die Bereitstellung bereits eine Woche zuvor),

Die Bereitstellung hätte entsprechend genauso gut und weitaus eher dem Angriff und der Besetzung der oben genannten Ägäis-Inseln gelten können (tatsächlich wurde auch Samos angegriffen.) Siehe Berchtold am 20.4.1911 nach Rom:

Jedoch war der Umstand, dass die unserem Bundesverhältnisse entsprechend durchaus freundschaftliche Konversation sich vornehmlich um die Frage der Okkupation der Inseln Rhodus, Karpathos und Stampaglia und der und zu gebenden Garantien für den temporären Charakter dieser Besetzungen bewegte, geeignet, bei mir den Eindruck hervorzurufen, dass italienische Flottenoperationen in der allernächsten Zeit nur in jenen Gewässern zu erwarten seien, welche die obbezeichneten Inseln umspülen.

Zu Scott, Diplomatic Documents, ist alles Notwendige gesagt worden. Keine mir bisher bewusst bekannte/zugängliche geschichtswissenschaftliche Veröffentlichung hat diese Publikation verwendet, u.a. nicht:

- Afflerbach, Der Dreibund (2002)
- Childs, Italo-turkish diplomacy und the war over Libya 1911 - 1912 (1990, 271 S.)
- Wrigley, Germany and the Turco-Italian War, 1911-1912 (International Journal of Middle East Studies, Vol. 11, No. 3 (May, 1980), pp. 313-338)
- Askew, Europe and italy's acquisition of Libya, 1911-1912 (1942, 317 S.)
- Kalbskopf, Die Aussenpolitik der Mittelmächte im Tripoliskrieg und die Letzte Dreibunderneuerung, 1911-1912 (1932, 148 S.)

Ausser natürlich Stephenson, Box, ....welcher dafür die Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äusseren ausgelassen hat, wie ich zu meiner Verblüffung bemerken konnte. ;-)


Sasonow & Meeresengen & der ital. Botschafter in St. Petersburg & "Idee":

Was auch immer genauer mit "Idee" gemeint gewesen war, Sasonow war von März bis Mitte Dezember 1911 wg. Krankheit von St. Petersburg abwesend, Aufenthalt die allermeiste Zeit in Davos.

Der derweil amtierenden AA-Chef Russlands, Neratov, hatte in Verbindung und unter Einfluss von Russlands Botschaftern in Paris, Iswolsky, und Konstantinopel, Tscharykow, bzw. alle drei, die Meeresengenfrage sogleich nach Beginn des ital.-türk. Krieges Ende September 1911 "eröffnet".

Zu recht wird daher im Vorwort zu:

Documents Diplomatiques Francais Serie 2, Tome 14, 1. Juli 1911 - 4. Nov 1911

auf der ersten Seite unter anderem bemerkt:

La guerre italo-turque commence. Tout aussitôt, la diplomatie russe essaie de rouvrir la question des Détroits, et les Etats balkaniques surveillent les occasions que peuvent leur offrir les nouvelles difficultés ottomanes.

Die regen Aktivitäten der drei genannten zur Meeresengen-Frage während Sasonovs krankheitsbedingter Abwesenheit lassen sich gut in diesem Doku-Band nachvollziehen.

Viele Grüße,

Andreas
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Silesia,

sorry, Du hattest in Beitrag # 174 noch geschrieben:

Passenderweise befand sich KWII Ende März auf Korfu zur Erholung, wo er dann auf VE VII traf.

KW II, Kiderlen und Tschirsky lagen dann auf einer Linie,
Italien erhielt die heiß ersehnte Deklaration am 6.4.1912, passenderweise und ganz sicher nach vorheriger intensiver dt.-ital. Textabstimmung direkt an Berchtold nach Wien geschickt:

Die ital. Reg. hat am 6.4.1912 eine Deklaration erhalten...doch von welcher Seite? Berlin, Wien? Oder Berchtold aus Berlin, um damit seinen Botschafter Merey in Rom zur ital. Reg. zu schicken?

Der Krieg dauere zu lange, die öffentliche Meinung wünsche einen entscheidenden Schlag, dieser können in den Dardanellen erfolgen, KWII und VE hätten sich darüber in Venedig (es war Korfu, wohin der Kaiser für 10 Wochen nach der Krise über die Haldane-Mission "Urlaub" machte) abgestimmt, die Dardanellen-Aktion sei abgesegnet, D-I-ÖU hätten dadurch Vorteile, und höflich verklausuliert: ÖU möge doch keine Probleme bereiten, wenn I gegen die Dardanellen vorgehen würde, I werde sich in Kürze vertraulich an ÖU wenden.
Stephenson, Box of Sand, S. 167 sowie Scott, Diplomatic Documents relating to the Outbreak of the Europaen War, S. 342 zum 6.4.1912.



Welche Primärquellen hat Stephenson hier verwendet? Noch Scott, Documents, S. 342f., unterscheidet sich erkennbar von Deiner Zusammenfassung, scheint mir. Eine "heiß ersehnte Deklaration" von Seiten der reichsdt. Reg. für eine Dardanellen-Aktion der italienischen Reg. kann zumindest ich dort nicht erkennen. Bei Scott, S. 342, wird zudem nur ein Telegramm von Ö.-U.-Außenminister Berchtold an den Ö.-U.Botschafter in Rom, Merey, aus dem "Rotbuch" wiedergegeben.

Das "Original" in Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äusseren, Band 4, 19.2. bis 30.11.1912. S 79 unterscheidet sich, wie erwartet, nochmals von der Version bei Scott... Ob es in der Reihe "Diplomatische Aktenstücke..." vollständig wiedergegeben wurde, ist für mich nicht feststellbar.

GP XXX, Band 2, S. 372ff für den 6. April 1912 bietet zu diesem Datum zwei Dokumente an, jedesmal von Kaiserreich-Botschafter Tschirschy in Wien an Bethmann Hollweg. Irgendeine Deklaration oder eine Art Freibrief für eine italien. Aktion gegen die Dardanellen an die ital. Reg. ist nicht erkennbar. Noch ist ersichtlich, dass die ital. Reg. speziell auf einen reichsdt. "Freibrief" gewartet hatte/ angewiesen war oder am 6.4.1912 aus Berlin einen erhalten hatte. Im Gegenteil, nach dem 6.4.1912 kommt es zu direkten Gesprächen ohne reichsdt. Vermittlung, nachdem Berchtold den "Umweg" der ital. Diplomatie über Berlin gegenüber Tschirschky kritisiert hatte.

"Berlin" klinkt sich daraufhin aus und Rom wie Wien treten in direkte Gespräche, Berchtold bleibt bei seiner Ablehnung einer Ausweitung des Kriegsgebietes, "Rom'" suggeriert während der Gespräche eine Aktion lediglich gegen die ägäischen Inseln, wozu Berchtold dann keine Stellungnahme abgeben würde. So meine Wahrnehmung.

Doch die römischen Nebelkerzen hatten bereits früher gezündet: Schon am 6.4.1912 hatte der Kaiserreich-Botschafter Tschirschky in Wien "streng vertraulich" nach Berlin gemeldet,
"daß man in Rom bereits dem Plane nähergetreten ist, mehrere Inseln der zu Kleinasien gehörenden Gruppe, unter anderem sprach man von Rhodus, in Besitz zu nehmen. Es würde darin wohl ein Verzicht auf die gefährliche Aktion gegen die Dardanellen zu erblicken sein."
(GP XXX, 2, S. 372)

Welche Primärquellen hat also Stephenson hier verwendet? Hat er noch unveröffentlichte oder wenig bekannte einsehen können?


Ansonsten schlage ich vor (Silesia), dass die Beiträge hier mit Hauptbezug "Dt. Kaiserreich und der ital.-türkische Krieg" - evt. bereits ab # 163 - vielleicht in einen separaten Faden "Dt. Kaiserreich und der italienisch-türkische Krieg" verschoben (ggf. nur kopiert?) werden, sofern die anderen Autoren einverstanden sind. Die Zustimmung meinerseits gebe ich gerne.

Viele Grüße,

Andreas
 
Wie würdest Du denn den deutschen Imperialismus gegenüber dem Osmanischen Reich, die militärische und ökonomische pénétration pacifique mit ihren Zielsetzungen beschreiben wollen, in Anlehnung an die Studien, die sich damit speziell beschäftigt haben?

Eine gängige Variante ist: Schaffung eines deutschen Vasallenstaates unter Wahrung der territorialen Integrität (nach Wilhelminischen Vorstelllungen gerichtet auf Levante, Armenien und Mesopotamien)?

Zu den Kommandostrukturen hatte ich oben etwas gesagt: eine Armee, ein Korps und weitere drei Divisionen sollten unter deutsches Kommando, inklusive Konstantinopel. Zusätzliche Vorstellung: Abkoppelung des Militärs von der Politik nach deutschem Vorbild. Dazu kam die Landgrenze im Kaukasus zu Russland.

Vergleiche hinken immer, und auch der ist natürlich übertrieben, daher nur plakativ gedacht: Ein Drittel der niederländischen Armee kämen 1914 unter russisches Kommando, und die Flotte unter britisches. Da hätte ich mal Wilhelm toben sehen wollen.:devil:

Eine Frage hierzu. Liman sollte u.a. Kommandeut des I.Armeekorps, welches in Konstantinopel stationiert war, werden. Wenn ich mich korrekt erinnere, war das I. Armeekorps aber nicht für die Meerengen, also beispielsweise deren Schließung, zuständig. Liman unterstanden die Meerengen formal also gar nicht. Das Ganze hätte also durchaus besonnener angegangen werden können. Selbst Greys Unterstützung, nach Kenntnisnahme des Vertrages mit Limpus, war nur noch recht lau.
 
1. Anfang August wurde Liman durch Enver Pasa zum OB der 1. Armee ernannt (vg. Erickson, S. 28-28). Das 1. [Armee]-Korps (1. 2. 3. Inf. Div.) war der 1. Armee unterstellt.(ebd. Tab. 2.6, S. 38)

2. Ein wichtiges Kommande, das Liman allerdings komplett aus dem "critical high-level decision cycle cycle" herausnahm. (ebd. S. 29).

3. Eine zentrale Funktion für die Erarbeitung der türkischen Mobilisierungspläne nahm der "Chef des Generalstabs" der deutschen Militärmission, in seiner Rolle als "First Assistant Chief" des Türkischen Generalstabs, Oberst Friedrich Bronsart von Schellendorf ein. Allerdings erhielt er entsprechende strategische Vorgaben, die operativ auszuarbeiten waren.

4. In Bezug auf die Möglichkeit zur Intervention der deutschen Militärmission schreibt Erickson: "...no German officer atually exercised direct or indirect control over the strategic deployment of the land forces of the Ottoman Empire." (S. 29)

5. Liman war mit seiner reinen, auf operative Planungen im Rahmen der 1. Armee reduzieren Rolle, höchst unzufrieden.

6. Mitte August 1914 bat er offiziell um die Beedigung seiner Mission und um die Erlaubnis mit seinen "Männern" nach Deutschland zurück zu kehren.

7. Es gab beispielsweise im Dezember 1914 einen "Constantinopel Area Commander" - Oberstleutnant Halil Bey - dem ein neues Kommando übertragen wurde. In diesem Kontext erhielt die 1. Armee - von Liman - am 3. 12. 1914 den Befehl, die entsprechende neue Einheit aus den Regimentern der 1. Armee bereit zu stellen. Die Unterordnung unter die 1. Armee ist m.E. evident.

8. Ansonsten kann ich den Ausführungen von Silesia nur zustimmen. Entsprechende Äußerungen aus dem Umfeld der Alldeutschen. In diesem Sinne formuliert Laak:
"Die Alldeutschen formulierten ihre Erwartung eines deutschen Einflusses im Osmanischen Reich am drastischsten in einem Artikel der »Welt am Montag« vom 21. November1898: »Nur die Türkei kann das Indien Deutschlands werden. [...] Wir helfen den Türken, Eisenbahnen und Häfen anzulegen. Wir suchen, eine Industrie bei ihnen zu erwecken. Wir stützen sie mit unserem Kredit. Wir liefern ihnen Schiffe und Kanonen samt den Offizieren, die ihnen das Manövrieren dieser Schiffe und das Richten dieser Geschütze beibringen. Wir leihen ihnen deutsche Beamte und deutsche Militärs, die die höchsten Stellen inder Zivil- und Militärverwaltung besetzen, zunächst natürlich zum Nutzen des türkischen Reichs. Der >kranke Mann« wird gesund gemacht, so gründlich kuriert, daß er, wenn er aus dem Gesundheitsschlaf aufwacht, nicht mehr zum Wiedererkennen ist. Man möchte meinen, er sehe ordentlich blond, blauäugig germanisch aus. Durch unsere liebende Umarmung haben wir ihm soviel deutsche Säfte einfiltriert, daß er kaum noch von einem Deutschen zu unterscheiden ist" (Laak, S. 158)

Erickson, Edward J. (2001): Ordered to die. A history of the Ottoman Army in the First World War. Westport, CT, London: Greenwood Press
Laak, Dirk van (2004): Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh.
 
Eine Frage hierzu. Liman sollte u.a. Kommandeut des I.Armeekorps, welches in Konstantinopel stationiert war, werden. Wenn ich mich korrekt erinnere, war das I. Armeekorps aber nicht für die Meerengen, also beispielsweise deren Schließung, zuständig. Liman unterstanden die Meerengen formal also gar nicht. Das Ganze hätte also durchaus besonnener angegangen werden können. Selbst Greys Unterstützung, nach Kenntnisnahme des Vertrages mit Limpus, war nur noch recht lau.

Gemäß des Vertrages hat Liman von Sanders am 14. Dezember 1913 das Kommando I. Armeekorps übernommen, am 14. Januar 1914 wieder abgegeben und am gleichen Tag zum Generalinspekteur der Osmanischen Armee ernannt. Am 24. März 1915 wurde Liman von Sanders von Enver Pascha der Oberbefehl über die zur Verteidigung der Dardanellen neu gebildete 5. Osmanische Armee für die Halbinsel Gallipoli übertragen.

Natürlich hatte das Kommando I. Armeekorps keine Befugnis für die Meerengen, noch für die Marine.
Sanders wolle Anfang August 1914 selbstredend unbedingt zurück ins Deutsche Reich.

Quelle: Siehe Limans von Sanders bzw. Liman von Sanders-Krise bei Tante Wiki, die entsprechenden Bearbeitungen dort stammen von mir, die Daten sind über Wiki hinaus divers belegt.
 
Welchen Einfluß hat eigentlich der Verkauf der deutschen Linienschiffe Kurfürst Friedrich Wilhelm und Weißenburg 1910 an die osmanische Marine gehabt oder was erhoffte man sich von deutscher Seite? Oder hat diese Problematik sich nur minmal bis garnicht auf die außenpolitische Entwicklung um die Problematik Zugang zum Schwarzen Meer?

Wilhelm II. hoffte sicher darauf, das die Deutschen ein Fuß in die Tür des Geschäfts des Verkaufs deutscher Kriegsschiffe an das Osmansiche Reich bekämen und auf Sicht möglicherweise die englische Marinemission ersetzten könnte. Der britische Botschafter Lowthers jedenfalls teilte diese Befürchtung an das Foreign Office mit.

Immerhin hatte sich die Osmanen zuvor ja vergeblich bemüht von den Engländern Schiffe zu kaufen.

Als sich die osmanische Regierung 1910 bei der deutschen Regierung darum bemühte den Panzerkreuzer Blücher zu erwerben, machte Wilhelm II. zur Bedinung, dass das moderne Schiff nur von deutschen Personal geführt werden dürfe und darüber hinaus britischen Personal der Zugang zur Blücher verwehrt werden würde.
 
Vielleicht hat er das gehofft, vielleicht, Turgot, doch die Osmanische Administration hatte eh nicht das Geld dazu und wollte die Marine-Schiffe sowieso durch eigenes Personal bedienen lassen, nach Einlernphase.


Soweit mir erinnerlich, waren Regierung und Staat zudem mehr von ''französischen und britischen kontrollierten Finanzquellen'' abhängig - die türkische Regierung konnte daher ja in UK doch noch zwei Kriegsschiffe bestellen, Osman I und Reshadiye, siehe den entsprechenden Faden für ihre Requirierung unmittelbar vor Kriegsanfang 1914.

Die Jungtürken in der Osmanischen Regierung hatten vor Kriegsbeginn durchaus die Absicht, soweit ich sehen konnte, sich nicht einer einzigen Großmacht (zu sehr) auszuliefern, sich abhängig zu machen, was gut damit korrespondierte, dass die Großmächte jeweils - grob gesagt - gewisse Bereiche des Osmanischen Staates reorganisieren (durften). Die französische Administration wirkte bei der Reorganisation/Organisation des Postwesens und der Gendarmerie ( + Rechtswesen?), die britische bei der Marine, die preussisch-deutsche bei der Armee-Reorganisation, die Finanzen/Finanzierung etc. war m.E. mehrheitlich britisch-französisch kontrolliert.
 
Der osmanische Marineminister Mahmud Mukthar war ausgesprochen deutschfreundlich und wollte gern die britischen Marinemission loswerden, was nicht zuletzt anderen Chef Konteradmiral Williamson lag. Darüber hinaus waren die Osmanen/Türken nach der Niederlage des 1.Balkankrieges bestrebt, ihr verbleibendes Territorium zu sichern und zu erhalten. Nach Lage der Dinge kamen die Mächte der Triple Entente als Partner hierfür nicht unbedingt in Betracht, zumal keiner dieser Mächte willens war, eine Bestandsgarantie für das Osmanische Reich auszusprechen. Man hatte eigene Interessen im Nahen Osten.

Die Staatsfinanzen der Türken waren schon länger klamm; trotzdem wurde beispielsweise Liman von Sanders 1 Million Mark zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt. Auch hatte die Firma Krupp immer wieder Rüstungsaufträge von Konstantinopel erhalten. Japan hat dem Osmanischen Reich, wie der deutsche Militärattaché 1908 von seinem russischen Kollegen erfuhr, 50.000. russische Gewehre verkauft.
 
Kurze Ergänzung:

1905 hat das Osmanische Reich in Paris 4 Zerstörer, 10 Kanonenboote und 4 Torpedoboote geordert.
 
Der osmanische Marineminister Mahmud Mukthar war ausgesprochen deutschfreundlich und wollte gern die britischen Marinemission loswerden

War er nicht sowieso nur von Okt. 1910 bis 1911, im Kabinett İbrahim Hakkı Pascha, Marine-Minister? Die britische Marine-Mission fing im Februar 1909 (Admiral Gamble) an...(Q: Chris B. Rooney (1998), The International Significance of British Naval Missions to the Ottoman Empire, 1908-14. Middle Eastern Studies. 34 (1): 1–29, S. 1f.).

Muhtar Pascha konnte also während seiner kurzen Ministerzeit kaum die schon laufende britische Marine-Mission beenden, noch konnte er Marine-Schiffe ordern.

Nach Lage der Dinge kamen die Mächte der Triple Entente als Partner hierfür nicht unbedingt in Betracht, zumal keiner dieser Mächte willens war, eine Bestandsgarantie für das Osmanische Reich auszusprechen. Man hatte eigene Interessen im Nahen Osten.

Das sowieso.
Die preussische Armee hatte seit Jahrzehnten europäisch einen sehr guten Ruf, zumal nach ihrem Sieg über die Armee der Weltmacht Frankreich 1870/1871. Seit Moltke dem Älteren als Militärreorganisator in der Türkei (1830er) gab es eine preussische Tradition der Militärinstruktion/-reorganisation. Die nach den verlorenen Balkan-Kriegen (1912-1913) erst recht gebraucht wurden. Mit der Stabilisierung der Osmanischen Armee sollte ja aus Sicht der Kaiserreich-Administration in Berlin u.a. schließlich die Einflussnahme der russischen Administration auf dem Balkan eingehegt werden, ebenso Expansions-Versuche/-Träume gegenüber dem Osmanischen Territorium angesichts der Niederlagen in den Balkankriegen.

Und die GB-Administration hatte bereits Ende 19. Jh. ja Ägypten 'integriert', übernommen, formal noch Teil des Osmanischen Reiches, die französische Administration mit Napoleon I. bereit knapp 100 Jahre einen Übernahme-Versuch gestartet.

Die Staatsfinanzen der Türken waren schon länger klamm; trotzdem wurde beispielsweise Liman von Sanders 1 Million Mark zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt. Auch hatte die Firma Krupp immer wieder Rüstungsaufträge von Konstantinopel erhalten. Japan hat dem Osmanischen Reich, wie der deutsche Militärattaché 1908 von seinem russischen Kollegen erfuhr, 50.000. russische Gewehre verkauft.

Finanziert wurde der Haushalt/Projekte etc. vielfach über Anleihen, Kredite etc. hauptsächlich britisch-französischer kontrollierter Herkunft.
 
Teil 1
Die Einordnung von Liman in die militärische Hierarchie ist nicht so einfach wie es erscheint. Es geht dabei um militärische Aspekte und um politische. Militärisch in dem Sinne, dass es bei der Militärmission zunächst um eine "technische Hilfestellung" ging, um die osmanische Armee einerseits zu modernisieren (vgl. Trumpener, S. 179-180). Das war die Aufgabenstellung anfänglich formuliert durch KW II. und durch Moltke. Die politische Sicht brachte vor allem Wangenheim in die Mission und teilweise das AA, das eindeutig die antirussische Stoßrichtung der Mission von Liman in seinen Wirkungen deutlich benannte (Kröger, S. 661).

In 1912 hatte Sevket die Struktur der osmanischen Armee neu ausgerichtet. (vgl. Strachan 8. Turkey`s Entry). Es wurden 4 Armee-"Inspektionen" errichtet, Konstantinopel, Erzikan, Damaskus und in Bagdad. Gleichzeitig wurden 13 Korps festgelegt, auf die 36 Divisionen verteilt wurden. Diese 13 Korps waren formal 4 Armeen zugeordnet. Die Divisionen wiesen 3 Regimenter auf. Diese „Triangular-Struktur“ war der deutschen Armee nachempfunden. Wie insgesamt die osmanische Armee die Struktur und die Einsatzdoktrinen der deutschen Armee übernommen hatte. (Eriskon, S.5). Im Falle der kriegsmäßigen Mobilisierung, so die Planungen, ging der osmanische Generalstab davon aus, dass die einsatzfähige Feldarmee zu Beginn eines Krieges über ca. 460.000 Soldaten verfügen würde. (Erikson, S. 7)

Anzumerken ist jedoch, dass die osmanische Armee aus den Balkan Kriegen geschwächt hervorging und einen weitgehend Neuaufbau in 1913 und 1914 durchlief, der Ende 1914 nicht abgeschlossen war. Seit 1912 säuberte Enver Pasa zudem die Armee von älteren Offizieren und dieser Verlust machte sich deutlich bemerkbar Ende 1914, da nicht genügend mittlere Offiziere zur Verfügung standen. Die von unterschiedlichen Personen berichtete Anzahl der entlassenen Offiziere schwankt, aber dürfte im Bereich zwischen ca. 1000 und 1500 liegen, darunter befanden sich u.a. auch hohe Offiziere, wie zwei Marschälle (vgl. Akyaz, FN 49). Die Unterstützung durch die deutschen Militärberater werden für den Neuaufbau als sehr kompetent, effektiv und sehr hilfreich beurteilt.

Im Rahmen des Vertrags vom 27. November zwischen dem Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich sollte Liman (KW II. bestimmte ihn im Juni 1913 zum Leiter der Mission), als zweit- bzw. dritthöchster Offizier – als Mitglied des Obersten Kriegsrates - in der Osmanischen Armee als Leiter der „Reform Kommisssion“ agieren (vgl, Aksakal, S. 79ff). Den Rang des faktischen OB der osmanischen Armee hatte Enver Pasa als Kriegsminister inne und vertrat damit den nominellen OB, den Sultan.

Der Kern der Kritik an der Mission bezog sich dabei nicht auf die – Doppel – Rolle von Liman als Berater, sondern auf seine operative Position als Kommandeur des 1. Korps und damit in der Kontrolle über die Konstantinopel inklusive der Wasserwege. „There was nothing in principle unusual about the agreement….But the announcement that Liman von Sanders would take command of the army corps responsible for defending the straits provoced a scandal.“ (Reynolds, S. 40). Und eine derartige Veränderung der militärischen Situation, wie in einer Reihe von Beiträgen im Thread ausführlich beschrieben, brachte die Krise Ende November 1913 Anfang 1914 auf den Höhepunkt (Kerner, S. 90). Diese Entwicklung führte dazu, dass sich für Sasonov die Frage nach einer kriegerischen Reaktion stellte (Kröger, S. 666).Weder London noch Paris waren bereit, dieser russischen Sicht zu folgen (vgl. u.a. Aksakal, S. 79ff)

Eine Lösung des Problem aus der Sicht von Sasonov war möglich, sofern Liman einen anderen Verband an einem anderen Ort befehligte oder eine andere Funktion übernahm (vgl. z.B. Kerner, S. 98 zur russischen Sicht). Ein Ausweg, der die diplomatische Lösung ebnete, allerdings: „erweist sich die Limankrise als direktes Vorspiel dessen, was im Juli 1914 Wirklichkeit wurde.“ (Kröger, S. 671)

Im Rahmen des Vertrag wurde der Militärmission eine operative Rolle, eine beratende und organisatorische Funktion zugeschrieben (vgl. Erikson S. 11-12). Liman nahm somit eine Doppelrolle wahr als Leiter der Mission und als Kommandeur des 1. Korps. Als Befehlshaber wurden im Rahmen des Vertrags ein weiterer Divisionskommandeur und zwei Kommandeure von Lehr-Regimentern vorgesehen. Die restlichen Mitglieder waren als Berater tätig oder leiteten eine Reihe von zentralen Ausbildungsstätten der osmanischen Armee (vgl. Erikson, Tab. 1.1, S. 12).

Es ergibt sich für Liman eine Doppelfunktion, indem er als Leiter der Mission eine der höchsten Positionen in der osmanischen Armee einnahm und gleichzeitig – zunächst - als Kommandeur eines Korps eine formal „nachgeordnete Funktion“ wahrnahm. Gleichzeitig kommandierte er die wichtigste Einheit der Armee, die Konstantinopel, die „Straße“, die Ministerien und die Botschaften schützte. In seiner Position eines Korps-Kommandeur war er formal also einerseits der Position des Kommandeurs der 1. Armee untergeordnet, andererseits als als zweit- oder dritthöchster Offizier ihm übergeordnet.

Interessant ist zudem die Zuständigkeit im Rahmen des 1. Korps für Konstantinopel zu betrachten, die von dem einen oder anderen vorschnell beantwortet wird. Im Prinzip waren für Konstantinopel drei Militärs zuständig. Zum einen der Kommandeur des 1. Korps, also Liman, dann der Kommandeur der „Constantinopel Area Command“ (vgl. Erikson, S. 219), das war Halil – auch „Kut“ genannt – und nicht zuletzt der Kommandeur, der für die „Bosphorus Fortified Zone“ (ebd. S. 221), das war 1914 Yakup Sevki, verantwortlich war.

Der Kommandeur für den Bereich Konstantinopel war dem 1. Korps unterstellt, also Liman. Und der Kommandeur für den Festungsbereich Konstantinopel war in Friedenszeiten auf einem selbstständigen Kommando, allerdings wurde er in Kriegszeiten der 1. Armee bzw. dem 1. Korps unterstellt, also ebenfalls Liman. In diesem Sinne war Liman für die Sicherung von Konstantinopel zuständig und ebenfalls für die Sperrung der Seestraße.

Im Zuge der Lösung der Liman-Krise wurde er zum Marshall der osmanischen Armee befördert und auf den Posten eines „Generalinspekteurs“ berufen. Die Literatur ist an disem Punkt widersprüchlich, ob diese Aufgabe sich auf die gesamte Armee bezog oder er im Rahmen der vier Armee- Inspektionen (vgl. oben den Hinweis) der 1. Armee als Inspekteur zugeordnet wurde.

Zudem: Keine Hinweise habe ich gefunden, ob die Position des Kommandeurs der 1. Armee zwischen dem Amtsantritt von Liman im Dezember 1913 und seiner Beförderung zum Kommandeur der 1. Armee Anfang August 1914 mit einem türkischen Offizier besetzt war und welche effektive Rolle er zwischen Enver Pasa und Liman hätte spielen können (vgl. Erikson, S. 29) Im September 1914 war Liman als kommandierender General der 1. Armee intensiv mit operativen und organisatorischen Planungen beschäftigt (Trumpener, S. 188)
 
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Teil 2
Die politische Seite der Bedeutung der Mission von Liman wird im Rahmen der Juli-Krise deutlich. Im Juli 1914 diskutierte Wangenheim und Enver über ein Bündnis zwischen der der dreier Allianz und dem Osmanischen Reich. (Aksakal, S. 97ff). Die osmanische Seite versprach sich eine effektive Unterstützung gegen Russland und die deutsche Seite hoffte auf die Ausrufung eines weltweiten „Heiligen Krieges“ (Aksakal, S. 101).

Vor der eigentlichen Unterzeichnung am 2. August 1914 schrieb Bethmann Hollweg an Wangenheim sinngemäß, wenn General Liman im Falle eines Krieges mit Russland davon überzeugt ist, dass die Turkei unmittelbar nach Kriegsbeginn zwischen Deutschland und Russland seinerseits militärische Aktionen startet, dann wäre er als Botschafter legitimiert, den Vertrag zu unterschreiben. (Aksakal, S. 102). In einem Gespräch zwischen Enver, Liman und Wangenheim wurde die Möglichkeit geprüft und für realisierbar eingeschätzt. Am 2. August wurde der geheime Vertrag unterschrieben.

Und das verweist auf die weitere Kooperation nach Kriegsbeginn. Im Rahmen des Vertrags von 1913 über die Kooperation zwischen dem Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich wurde ein „gewisser“ Einfluss auf die Operationen der osmanischen Armee zugestanden.

Zwischen Liman und Enver Pasha kam es bis Kriegsende 1918 wiederholt zu heftigen Konflikten über die Umsetzung der Art des Einflusses. (Trumpener, S. 183). Obwohl insgesamt die Zusammenarbeit der beiden Seiten zwischen 1914 -18 als konstruktiv und erfolgreich bewertet wird (Erikson, S. 232). In der Konsequenz und als Ergebnis des regelmäßigen Disputs von Liman mit Enver Pascha, Wangenheim und auch Souchon wurde als Ersatz für Liman, FM Colmar v. der Golz angedacht. Letztlich sollte – so die Entscheidung von KW II. Liman auf seinem Posten als Missionschef bleiben, aber durch v. der Golz ergänzt werden, der als „Adjutant-General“ dem Sultan zugeordnet wurde. Allerdings blieb das Verhältnis von Liman gegenüber Bronsart von Schellendorf, v. der Golz, Wangenheim und zunehmend auch gegenüber Enver konfliktträchtig. (Trumpener, S. 189-190).

Die Wirksamkeit der Unterstützung durch die Militärmission von Liman zeigte sich im Verlauf des Krieges und versetzte die osmanische Armee erst in die Lage, die erfolgreichen Abwehrkämpfe durchzustehen. Im Verlauf des Krieges, vor allem nach 1915, erfolgten umfangreiche militärische Unterstützung für das Osmanische Reich. Ca. 550 Artillerie Geschütze, 1600 MG (die besonders benötigt wurden), 557.000 Gewehre, 100.000 Karabiner, 300 Flugzeuge, große Mengen an Munition. Nicht zuletzt wurden 120 Lokomotiven geliefert, neben umfangreichen finanzieller Unterstützung (Trumpener, 2012, S. 108 und Erikson, S. 231 ff)

Aksakal, Mustafa (2010): The Ottoman road to war in 1914. The Ottoman Empire and the First World War. Cambridge, New York: Cambridge University Press
Akyaz, Dogan (2013): The legacy and impacts of the defeat in the Balkan Wars of 1912-1913 on the psychological makeup of the turkish officer corps. In: M. Hakan Yavuz und Isa Blumi (Hg.): War & Nationalism. The Balkan wars, 1912-1913, and their sociopolitical implications. Salt Lake City: University of Utah Press, S. 737–768.
Erickson, Edward J. (2001): Ordered to die. A history of the Ottoman Army in the First World War. Westport, CT, London: Greenwood Press
Kerner, Robert J. (1928): The Mission of Liman von Sanders. (IV). In: The Slavonic and East European Review 7 (19), S. 90–112.
Kröger, Martin (1997): Letzter Konflikt vor der Katastrophe. Die Liman-von-Sanders-Krise 1913/14. In: Jost Dülffer, Martin Kröger und Rolf-Harald Wippich (Hg.): Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Grossmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg (1865-1914). München: R. Oldenbourg, S. 657–671.
Reynolds, Michael A. (2011): Shattering empires. The clash and collapse of the Ottoman and Russian empires, 1908-1918. Cambridge: Cambridge University Press
Strachan, Hew (2003): The First World War: . Volume 1: To Arms. Oxford: Oxford University Press UK.
Trumpener, U. (1966): Liman von Sanders and the German-Ottoman Alliance. In: Journal of Contemporary History 1 (4), S. 179–192.
Trumpener, Ulrich (2012): The Turkish War, 1914-18. In: John Horne (Hg.): A companion to World War I. Cichester, Oxford, Malden, MA: Wiley-Blackwell, S. 97–111.
 
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Danke für die erstklassigen Ausführungen.

Wie sah die exakte antirussische Stoßrichtung der Mission von Liman konkret aus? Ich habe "Vermiedene Kriege" leider in einen Umzugskarton liegen, wie so viele andere Bücher auch, und auch noch nicht geschafft zu lesen.
Das Osmanische Reich hatte sich in der Vergangenheit doch immer wieder Militärberater aus Deutschland für sein Heer geholt.

Frankreich bemühte sich ja durch das Mittel der Kreditvergabe die deutsche Militärmission durchaus auszubooten. Wenn die Osmanen in großen Umfange französisches Material erworben hätten, dann wäre das über kurz oder lang das Ende der deutschen Militärmission gewesen. Und natürlich war der wirtschaftliche Effekt auch nicht zu verachten.
 
Wie sah die exakte antirussische Stoßrichtung der Mission von Liman konkret aus?

Diese Einschätzung stammt vom Botschaftsrat Hellmuth von Lucius von Stoedten, an der Botschaft in Petersburg, an das AA, vom 7.11.1913 und 17.11.1913, GP 38, Nr. 15445 und 15448)

Die russische Sicht, auf die Lucius abstellte, wurde m.E ausführlich in #12 und #33 dargestellt.
 
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Die politische Seite der Bedeutung der Mission von Liman wird im Rahmen der Juli-Krise deutlich. Im Juli 1914 diskutierte Wangenheim und Enver über ein Bündnis zwischen der der dreier Allianz und dem Osmanischen Reich. (Aksakal, S. 97ff). Die osmanische Seite versprach sich eine effektive Unterstützung gegen Russland und die deutsche Seite hoffte auf die Ausrufung eines weltweiten „Heiligen Krieges“ (Aksakal, S. 101).

Du hast sicherlich vergessen, dass Wangenheim noch am 22. Juli 1914 eine entsprechende Anfrage Envers bezüglich eines 'Bündnisses' usw. abgelehnt hatte, durchaus in Einklang mit der laufenden Politik in Berlin; Wilhelm II. hatte die Entscheidung Wangenheim dann zwei Tage später aus Gründen der 'Zweckmässigkeit' revidiert. Trumpener nennt das vor diesem Hintergrund einen plötzlichen Politikwechsel.

Ulrich Trumpener, Germany und the Ottoman Empire 1914-1918 (1989), S. 15.

Auch die anderen 'Großmächte' Frankreich und GB hatten entsprechende Wünsche/Anfragen der Osmanischen Regierungen, u.a. auch unter Jungtürkischer Regie seit Anfang 1913 abgelehnt.

Übrigens, Wangenheim hat Enver erst wieder am 2. August getroffen, nach dem 22. Juli (am 28. 7. war Wagenheim zum Großwezir gerufen wurden, der ihm nun die formale Bitte um ein Bündnis mit dem Deutschen Reich übergab). Die obige Notiz von Dir, Die politische Seite der Bedeutung der Mission von Liman wird im Rahmen der Juli-Krise deutlich. Im Juli 1914 diskutierte Wangenheim und Enver über ein Bündnis zwischen der der dreier Allianz und dem Osmanischen Reich, suggeriert in dieser Verkürzung zudem einen nicht zutreffenden Zusammenhang, meine ich.

Vor der eigentlichen Unterzeichnung am 2. August 1914 schrieb Bethmann Hollweg an Wangenheim sinngemäß, wenn General Liman im Falle eines Krieges mit Russland davon überzeugt ist, dass die Turkei unmittelbar nach Kriegsbeginn zwischen Deutschland und Russland seinerseits militärische Aktionen startet, dann wäre er als Botschafter legitimiert, den Vertrag zu unterschreiben. (Aksakal, S. 102). In einem Gespräch zwischen Enver, Liman und Wangenheim wurde die Möglichkeit geprüft und für realisierbar eingeschätzt. Am 2. August wurde der geheime Vertrag unterschrieben.

Bei Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 33.f (Kapitel Während der Neutralität der Türkei im Weltkriege) liest sich das etwas anders. Liman notiert u.a., in einem Gespräch zwischen Enver, ihm und Wangenheim Anfang August 1914 hätten sie um seinen Rat zur Verwendung der Militärmission gebeten, falls die Türkei in den Weltkrieg eintrete. Liman insistierte, dass die Militärmission entsprechend ihrem Vertrag ins Kaiserreich zurück zu berufen sei, sofern Deutschland in einen europäischen Krieg verwickelt werde. Wangenheim hätte bemerkt, es ginge nur darum, was mit der Militärmission zu geschehen sei, falls sie vor Ort belassen werde. Liman gab nun den Rat: Falls die Militärmission in der Türkei bliebe, und die Türkei in den Krieg eintreten würde, möge den deutschen Offizieren eine Stellung zugewiesen werden, die ihnen einen tatsächlichen Einfluss auf die Kriegsführung sichern würde. Liman betont, bei diesem Treffen sei ihm keine Kenntnis von den weiteren Inhalten des Entwurfes gegeben worden, noch habe er den fertigen Vertrag - auch Wochen später - zu sehen bekommen.
 
Bei Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 33.f (Kapitel Während der Neutralität der Türkei im Weltkriege) liest sich das etwas anders. Liman notiert u.a., in einem Gespräch zwischen Enver, ihm und Wangenheim Anfang August 1914 hätten sie um seinen Rat zur Verwendung der Militärmission gebeten, falls die Türkei in den Weltkrieg eintrete. .

Da kannste mal wieder sehen, wie entweder unzuverlässig die Erinnerung von Zeitzeugen ist oder aber ein bestimmter Eindruck erweckt werden sollte, der in beiden Fällen quellenkritisch durch das Telegramm von Bethmann zu hinterfragen wäre (vgl. Quellenlage in Aksakal, FN 27).

"If General Liman is convinced, Bethmann wrote, "that in the event of war with Russia Turkey will take direct and significant action for us, Your Excellency is authorized to conclude the alliance treaty effective until 1918 with clause regarding extension." (FN27) (Aksakal, S. 102).

PA/AA, R 22402, Bethmann an Wangenheim, 1. August 1914, Nr. 296 (PA/AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes); R22402: Grosse Hauptquartier No. 186, Türkei Nr. 18, Haltung der Türkei, Vertrag mit Deutschland und Österreich)
 
Nochmals Bündnisfähigkeit Türkei und die Bedeutung/Rolle der Militärmission:

Am 18.7.1914 kabelt Wangenheim ans AA (DD, Nr. 71) u.a.:
Die Türkei ist zweifellos heute noch vollkommen bündnisunfähig. Sie würde ihren Verbündeten nur Lasten auferlegen, ohne ihnen die geringsten Vorteile bieten zu können.

Am 22.7.1914 kabelt Wangenheim eine ausführliche Zusammenfassung seines Gesprächs mit Enver ans AA (DD, Nr. 117). Er notiert u.a.:
Ich erwiderte Enver, daß er mich von der Notwendigkeit von Bündnissen für die Türkei nicht überzeugt habe. Schon die wirtschaftliche Genesung der Türkei werde durch ein Bündnis in Frage gestellt. Würden Rußland und Frankreich die Akkords zeichnen, wenn die Türkei dem Dreibund beitrete? Schwerer wögen die politischen Bedenken. Als Dreibundmitglied werde die Türkei mit der offenen Feindschaft Rußlands rechnen müssen. Die türkische Ostgrenze werde dann der schwächste Punkt der strategischen Aufstellung des Dreibunds und der natürliche Angriffspunkt Rußlands sein. Die Dreibundregierungen würden voraussichtlich zögern, sich mit Pflichten zu belasten, für welche die Türkei heute noch keine entsprechenden Gegenleistungen anzubieten habe.

Liman und die Militärmission werden nicht erwähnt usw., spielen also wohl keine oder keine bedeutsame Rolle.

Warum der plötzliche Politikwechsel gegenüber der osmanischen Regierung ab dem 24.7.? Fritz Fischer, ihn referiert auch Trumpener, notiert dazu u.a.(F. Fischer, Weltpolitik, Weltmachtstreben und deutsche Kriegsziele, in: Historische Zeitschrift , Okt., 1964, Bd. 199, H. 2 (Oct., 1964), S. 265-346, S. 340)::
Erst die befürchtete, dann die sich abzeichnende Gegnerschaft Englands führte nicht nur zum überstürzten Bündnisabschluß mit der Türkei, die noch Mitte Juni als bündnisunfühig angesehen wurde, [...].
 
Die vermutete oder angeblich militärisch so enorme Bedeutung von Limans Missions-Truppe wird in einen plausibleren Kontext gestellt, wenn man daran erinnert, dass die letzte davor mit Goltz Pascha, zwölf Jahre dauerte, 1883-1895, Liman aber erst Ende 1913 nach Konstantinopel kam.
 
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