Angeregt durch Beiträge in diesem Forum fragte ich kürzlich meinen Vater, der als 16-18 Jähriger während des 2.WK im sog. "
blauen Luftschutz" tätig war, was er denn damals von der Politik des Schweizerischen Bundesrates hielt. Mit was war er einverstanden, mit was nicht? Was wusste er von den Vorgängen an der Grenze und im Ausland?
Nun, er war damals daran nicht interessiert. Die Bevölkerung hatte genug damit zu tun, mit den Einschränkungen des Krieges über die Runden zu kommen (Alle Männer im Wehrdienst, Lebensmittelrationierung,
Anbauschlacht etc.). Man funktionierte. Er zumindest habe kaum Zeitung gelesen oder Radio gehört. (Ihn interessierten mehr die hübschen Luftschutz-Helferinnen.) Die Jugend in seinem Umfeld sei unpolitisch gewesen. Am Familientisch gab es keine politischen Diskussionen.
Man sollte bei der Betrachtung der Schweiz im 2. Weltkrieg trotzdem nicht immer nur auf die Handlungen der Regierung, der Wirtschaft oder der Armee schauen, sondern die öffentliche Meinung auch einbeziehen. Die war nämlich nicht immer deckungsgleich mit jener der Regierung. Gerade auch in der Flüchtlingspolitik.
Nach der Verschärfung der Flüchtlingsregeln durch die Behörden 1942, gab es landesweite Proteste in den Medien. Eine Schulklasse schrieb einen Brief an den Bundesrat.
Die "Basler Nachrichten" vom 22. August 1942 "
Die Schweiz darf auch in der großen Katastrophe unserer Zeit ihr Asylrecht nicht preisgeben. Die Haltung unserer Fremdenpolizei gegenüber den armen Flüchtlingen hat Entsetzen erregt, und die vorgebrachten Gründe erscheinen als nicht stichhaltig ..."
oder "Der Landbote" aus Winterthur am selben Tag: "
Wenn sich eidgenössische Behörden auf den Standpunkt stellen, Deportation und Rassenverfolgung, Flucht vor dem Schicksal der Gefangennahme als Geisel sei kein völkerrechtlicher Begriff der Anspruch auf Asylgewährung gebe, so muß man sich nur wundern über einen solchen Zynismus und solche kaltherzige Buchstabenreiterei. Hier liegt eine Verbeugung vor dem Ausland vor, die sich mit den Souveränitätsrechten der Schweiz (...) nicht verträgt."
Schlussendlich wurden zwar die Regeln etwas gelockert, dann aber doch die "Das Boot ist voll"-Argumentation des Bundesrates mehr oder weniger akzeptiert, vielleicht mangels besserer Information, vielleicht weil die Kraft fehlte sich dem energischer entgegenzusetzen. Nur durch zivilen Ungehorsam wurde es noch vereinzelt durchbrochen. Ich vermute jedoch, dass in der Bevölkerung grundsätzlich und mehrheitlich die Bereitschaft vorhanden war, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu wüsste ich gerne mehr.
Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, ist eine alternativhistorische Frage: Angenommen die Schweiz wäre angegriffen worden und die Armee hätte sich, wie geplant in die Berge, ins
Réduit zurückgezogen. Wie lange hätten die Soldaten in den Bergen es ausgehalten, ihre Angehörigen im Mittelland in Geiselhaft zu sehen?
Es ist schwierig, sich in diese Situation hineinzuversetzen, genauso wenig wie in die Situation der Soldaten, die diesen Befehl von General Guisan hätten ausführen sollen:
Überall dort, wo Halten befohlen ist, macht es sich jeder Kämpfer, auch wenn er auf sich allein angewiesen ist, zur Gewissenspflicht, auf der ihm zugewiesenen Stelle zu kämpfen. Die Schützentrupps, ob überholt oder umzingelt, kämpfen in ihrer Stellung, bis keine Munition mehr vorhanden ist. Dann kommt die blanke Waffe an die Reihe. ... Die Mitrailleure, die Kanoniere der schweren Wafffen, die Artilleristen, ob im Bunker oder auf dem Feld, verlassen ihre Waffen nicht und zerstören sie, bevor sich der Gegner ihrer ermächtigt. Dann kämpfen Bedienungsmannschaften weiter wie Schützentrupps. Solange ein Mann noch eine Patrone hat oder sich seiner blanken Waffen noch zu bedienen vermag, ergibt er sich nicht.
In diesem Sinne: Einiges richtig gemacht, anderes hätte man nicht machen müssen/dürfen oder besser machen können, aber vorallem auch: Glück gehabt!