Schweiz im zweiten Weltkrieg

Frage in die Runde (vielleicht ergibt sich ja eine gute Diskussion daraus):

Bei aller berechtigten Kritik der politischen und wirtschaftlichen Entscheide der Schweiz - was hätten sie anders machen sollen?
 
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auf arte eine Dokumentation über die Schweiz im 2. Weltkrieg
Ich sah gestern nur noch den letzten Teil des Beitrags, doch das genügte mir vorerst. In Minute 46 folgendes:

"Nach ihrer Landung in der Normandie im Juni 1944 marschieren die Alliierten Richtung Rhein. Amerikanische Flieger durchqueren den Schweizerischen Luftraum, bevor sie tonnenweise Bomben über Deutschland abwerfen. Anders als 1940 bleiben Guisans Jagdflugzeuge am Boden, auch die Luftabwehr bleibt stumm. Washington soll beschwichtigt werden."

Stimmt so nicht.
Ich verweise nochmals auf Quellen, die ich schon weiter oben angegeben habe.

Lustigerweise bedient sich die Doku des Titels "Die Schweiz im Visier: bewaffnete Neutralität". Diesen Titel hat auch ein Buch von 1998 eines Amerikaners Stephen P. Halbrook
Die Schweiz im Visier, die bewaffnete Neutralität der Schweiz im 2. Weltkrieg
Nur überzeichnet dieses Buch ein Bild über die Schweiz im 2. WK, welches genau in die gegenteilige Richtung geht. Es beginnt schon mit dem Schwur auf dem Rütli.

Ich kann darum beide, den TV Beitrag und das Buch, als Informationsquelle nicht ernst nehmen, allenfalls als Denk-/Diskussionsanstoß. Vielleicht schau ich mir dann den Rest noch an.
 
Als erstes fallen mir da die rund 20'000 meist jüdischen Flüchtlinge ein, die bis zur oder über die Schweizer Grenze gelangten und zurückgeschickt bzw. ausgeschafft wurden. UEK Schlussbericht S. 120

Für die restriktive Flüchtlingspolitik gab es keinen Grund.

Hier noch ein paar Informationen dazu:

Die Bestimmungen wer in der Schweiz aufgenommen wurden, gingen auf ein Bundesgesetz von 1934 zurück. Hier eine kurze Zusammenfassung:

  • Als politischer Flüchtling galt, wer wegen seiner politischen Tätigkeit persönlich gefährdet war.
  • Hohe Staatsbeamte, Führer von Linksparteien und bekannte Schriftsteller wurden als Flüchtlinge angesehen.
  • Über die Aufnahme für ein politisches Asyl entschied letztinstanzlich der Bundesrat. Politische Flüchtlinge wurden der Bundesanwaltschaft unterstellt.
  • Aufnahme von politischen Flüchtlingen 1933 -1945:
Total: 644 Personen erhielten ein politisches Asyl.
Davon 252 während des Krieges.​

Alle andern Flüchtlingen wurden schlicht und einfach als Ausländer betrachtet. Somit vielen alle jüdischen Flüchtlinge unter die sparte Ausländer. Dahinter versteckten sich die Verantwortlichen, dies kann man sehr gut in den Protokollen von Bund und Kantonen nachlesen.

Administrativ waren die Flüchtlinge den kantonalen Behörden unterstellt. Die für die Erteilung von auf wenige Monate befristeten sog. Toleranzbewilligungen sowie von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen zuständig waren.

Der Bund koordinierte die Ausländerpolitik der Kantone als oberste Aufsichtsbehörde, so mussten der Bund zustimmen bei Bewilligung zur Erwerbstätigkeit und längerem Aufenthalt zustimmen. Einspruchsrecht gegenüber den Kantonen lag beim Bund. Zwischen 1933 und 1938 verfügten die Kantone weitreichende Kompetenzen. Jeder Kanton ging unterschiedlich mit den Bewilligungen um, die einen betrieben eine restriktive Politik andere eine tolerantere.
Die Schweiz sah sich als Transitland, die Flüchtlinge nur für eine begrenzte Zeit aufnahm, da sie eh weiterreisen sollten. Zwischenstation.
Für die Zeit 1933 bis 1939 liegen kaum verlässliche Zahlen vor. Zahlen sind aus der Sicht der Behörden. In die Statistik kamen nur die aufgenommen Flüchtlinge diese wurden individuell registriert. Die Abgewiesenen Flüchtlinge erscheinen in keiner Statistik.

Interessante Tabellen gibt es beim UEK Bericht:
Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus
Online: https://www.uek.ch/de/publikationen1997-2000/fberd.pdf
Hier die Seiten: 24, 25, und 289 - 311
In der gedruckten Ausgabe: Seiten: 35,37 und 381 -415

Dann gibt es seitdem Bergier Bericht auch weitere neuere Forschungen zum Thema Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik:

Simon Erlanger: "Nur ein Durchgangsland" Arbeitslager und Internierungsheime für Flüchtlinge und Emigranten in der Schweiz 1940 - 1949. Chronos Verlag. 2006. 278 Seiten

Sehr zu empfehlen ist folgendes:

Guido Koller: Fluchtort Schweiz. Schweizerische Flüchtlingspolitik (1933-1945) und ihre Nachgeschichte. Kohlhammerverlag .2018. 241 Seiten.
 
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Frage in die Runde (vielleicht ergibt sich ja eine gute Diskussion daraus):

Bei aller berechtigten Kritik der politischen und wirtschaftlichen Entscheide der Schweiz - was hätten sie anders machen sollen?
Eine gute Frage.

Ich denke, in Anbetracht der widrigen Umstände hat „die Schweiz“ vieles richtig gemacht. Immerhin konnte das Land aus dem offenen Konflikt herausgehalten werden. Zehntausende von Toten und die Zerstörung kultureller und wirtschaftlicher Werte wurden vermieden. Und das, obwohl die Schweiz mitten im Kriegsgebiet lag.

Hätten sich mehr Staaten wie die Schweiz verhalten, wäre vielen Millionen Leuten viel Elend erspart geblieben!

Gruss Pelzer
 
Angeregt durch Beiträge in diesem Forum fragte ich kürzlich meinen Vater, der als 16-18 Jähriger während des 2.WK im sog. "blauen Luftschutz" tätig war, was er denn damals von der Politik des Schweizerischen Bundesrates hielt. Mit was war er einverstanden, mit was nicht? Was wusste er von den Vorgängen an der Grenze und im Ausland?
Nun, er war damals daran nicht interessiert. Die Bevölkerung hatte genug damit zu tun, mit den Einschränkungen des Krieges über die Runden zu kommen (Alle Männer im Wehrdienst, Lebensmittelrationierung, Anbauschlacht etc.). Man funktionierte. Er zumindest habe kaum Zeitung gelesen oder Radio gehört. (Ihn interessierten mehr die hübschen Luftschutz-Helferinnen.) Die Jugend in seinem Umfeld sei unpolitisch gewesen. Am Familientisch gab es keine politischen Diskussionen.

Man sollte bei der Betrachtung der Schweiz im 2. Weltkrieg trotzdem nicht immer nur auf die Handlungen der Regierung, der Wirtschaft oder der Armee schauen, sondern die öffentliche Meinung auch einbeziehen. Die war nämlich nicht immer deckungsgleich mit jener der Regierung. Gerade auch in der Flüchtlingspolitik.
Nach der Verschärfung der Flüchtlingsregeln durch die Behörden 1942, gab es landesweite Proteste in den Medien. Eine Schulklasse schrieb einen Brief an den Bundesrat.
Die "Basler Nachrichten" vom 22. August 1942 "Die Schweiz darf auch in der großen Katastrophe unserer Zeit ihr Asylrecht nicht preisgeben. Die Haltung unserer Fremdenpolizei gegenüber den armen Flüchtlingen hat Entsetzen erregt, und die vorgebrachten Gründe erscheinen als nicht stichhaltig ..."
oder "Der Landbote" aus Winterthur am selben Tag: "Wenn sich eidgenössische Behörden auf den Standpunkt stellen, Deportation und Rassenverfolgung, Flucht vor dem Schicksal der Gefangennahme als Geisel sei kein völkerrechtlicher Begriff der Anspruch auf Asylgewährung gebe, so muß man sich nur wundern über einen solchen Zynismus und solche kaltherzige Buchstabenreiterei. Hier liegt eine Verbeugung vor dem Ausland vor, die sich mit den Souveränitätsrechten der Schweiz (...) nicht verträgt."
Schlussendlich wurden zwar die Regeln etwas gelockert, dann aber doch die "Das Boot ist voll"-Argumentation des Bundesrates mehr oder weniger akzeptiert, vielleicht mangels besserer Information, vielleicht weil die Kraft fehlte sich dem energischer entgegenzusetzen. Nur durch zivilen Ungehorsam wurde es noch vereinzelt durchbrochen. Ich vermute jedoch, dass in der Bevölkerung grundsätzlich und mehrheitlich die Bereitschaft vorhanden war, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu wüsste ich gerne mehr.

Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, ist eine alternativhistorische Frage: Angenommen die Schweiz wäre angegriffen worden und die Armee hätte sich, wie geplant in die Berge, ins Réduit zurückgezogen. Wie lange hätten die Soldaten in den Bergen es ausgehalten, ihre Angehörigen im Mittelland in Geiselhaft zu sehen?

Es ist schwierig, sich in diese Situation hineinzuversetzen, genauso wenig wie in die Situation der Soldaten, die diesen Befehl von General Guisan hätten ausführen sollen:

Überall dort, wo Halten befohlen ist, macht es sich jeder Kämpfer, auch wenn er auf sich allein angewiesen ist, zur Gewissenspflicht, auf der ihm zugewiesenen Stelle zu kämpfen. Die Schützentrupps, ob überholt oder umzingelt, kämpfen in ihrer Stellung, bis keine Munition mehr vorhanden ist. Dann kommt die blanke Waffe an die Reihe. ... Die Mitrailleure, die Kanoniere der schweren Wafffen, die Artilleristen, ob im Bunker oder auf dem Feld, verlassen ihre Waffen nicht und zerstören sie, bevor sich der Gegner ihrer ermächtigt. Dann kämpfen Bedienungsmannschaften weiter wie Schützentrupps. Solange ein Mann noch eine Patrone hat oder sich seiner blanken Waffen noch zu bedienen vermag, ergibt er sich nicht.

In diesem Sinne: Einiges richtig gemacht, anderes hätte man nicht machen müssen/dürfen oder besser machen können, aber vorallem auch: Glück gehabt!
 
Angeregt durch Beiträge in diesem Forum fragte ich kürzlich meinen Vater, der als 16-18 Jähriger während des 2.WK im sog. "blauen Luftschutz" tätig war, was er denn damals von der Politik des Schweizerischen Bundesrates hielt. Mit was war er einverstanden, mit was nicht? Was wusste er von den Vorgängen an der Grenze und im Ausland?
Nun, er war damals daran nicht interessiert. Die Bevölkerung hatte genug damit zu tun, mit den Einschränkungen des Krieges über die Runden zu kommen (Alle Männer im Wehrdienst, Lebensmittelrationierung, Anbauschlacht etc.). Man funktionierte. Er zumindest habe kaum Zeitung gelesen oder Radio gehört. (Ihn interessierten mehr die hübschen Luftschutz-Helferinnen.) Die Jugend in seinem Umfeld sei unpolitisch gewesen. Am Familientisch gab es keine politischen Diskussionen.

Ähnliches habe ich von meinem Grossvater und Vater auch gehört. Ich hatte vor Jahren mal ein Zeitzeugengespräch mit einem ehemaligen "Aktivdienstler" er war an der Grenze stationiert und hat von den Flüchtlingen erzählt die dort angekommen sind. Das hat ihn bis zu seinem Tod beschäftigt.

Mein Vater ist an der Grenze aufgewachsen, er war bei Kriegsbeginn 7 Jahre alt - seine Erinnerungen waren mehr die Bomber die über die Schweiz nach Deutschland folgen und wie sie auf einem Hügel zusahen wie es brannte - auf der anderen Seite. Und als ein US-Bomber über sein Dorf flog und dann abstürzte. Die Mannschaft konnte sich retten, der Pilot kam nicht mehr aus dem Flugzeug raus. Hier sind es dann "kindliche" Erinnerungen - den er meinte sein jüngerer Freund sagte nur dazu: "Sie mal Lampenschirme am Himmel".

Weitere Erinnerungen aus meiner Familie: Hitlerfreunde auf dem Nachbarsbalkon mit Hitlergruss und Freude als Frankreich kapitulierte.
Meine Grossmutter war bis weit nachdem Krieg entsetzt wenn sie davon erzählte. Auch das in ihrem Haus ein grosses Hakenkreuz hingemalt worden war fand sie furchtbar. Was dagegen unternommen hatte meine Familie aber nicht. Sie hatten Angst und 1940 waren die Koffer gepackt um einen möglichen Angriff zu entkommen.


Man sollte bei der Betrachtung der Schweiz im 2. Weltkrieg trotzdem nicht immer nur auf die Handlungen der Regierung, der Wirtschaft oder der Armee schauen, sondern die öffentliche Meinung auch einbeziehen. Die war nämlich nicht immer deckungsgleich mit jener der Regierung. Gerade auch in der Flüchtlingspolitik.
Nach der Verschärfung der Flüchtlingsregeln durch die Behörden 1942, gab es landesweite Proteste in den Medien. Eine Schulklasse schrieb einen Brief an den Bundesrat.

Ein wenig genauer. Der Brief wurde im September 1942 verfasste und zwar von einer Mädchenklasse aus Rorschach. Dieser Brief löste eine regelrechte Affäre aus die von Steiger und Pilet-Golaz beschäftigte. Die Mädchen wurden einzeln verhört und der Lehrer musste ebenfalls sich einem Verhör unterziehen.

Hier kann man den Brief nachlesen: https://dodis.ch/12054?lang=de

2013 wurde die letzte lebende Schülerin Rosmarie De Lucca in der Zeitung porträtiert:

https://www.swissjews.ch/site/assets/files/0/01/896/ta_22mdchenggeinenbundesrat_sig.pdf

Über den bekannten Videokanal gibt es auch ein Interview mit ihr. Suchbefehl: Der Rorschacher Brief 1942 Rosmarie De Lucca.
 
Schlussendlich wurden zwar die Regeln etwas gelockert, dann aber doch die "Das Boot ist voll"-Argumentation des Bundesrates mehr oder weniger akzeptiert, vielleicht mangels besserer Information, vielleicht weil die Kraft fehlte sich dem energischer entgegenzusetzen. Nur durch zivilen Ungehorsam wurde es noch vereinzelt durchbrochen. Ich vermute jedoch, dass in der Bevölkerung grundsätzlich und mehrheitlich die Bereitschaft vorhanden war, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu wüsste ich gerne mehr.

Ich habe dazu mal was gelesen, muss es raussuchen. Weiss gerade nicht mehr wo.

Was man bei der Frage berücksichtigen muss, ist das es in der Grenzregionen eine andere Wahrnehmung gab, als im Mittelland. So ist es nicht verwunderlich das eine Rorschacher Klasse so ein Brief schrieb. Denn gerade diese Region hat die Flüchtlingsströme aus dem Reich mitbekommen.

Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, ist eine alternativhistorische Frage: Angenommen die Schweiz wäre angegriffen worden und die Armee hätte sich, wie geplant in die Berge, ins Réduit zurückgezogen. Wie lange hätten die Soldaten in den Bergen es ausgehalten, ihre Angehörigen im Mittelland in Geiselhaft zu sehen?

Habe ich mich auch schon gefragt und eine schlüssige Antwort darauf habe ich zumindest nicht.
 
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Eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, ist eine alternativhistorische Frage: Angenommen die Schweiz wäre angegriffen worden und die Armee hätte sich, wie geplant in die Berge, ins Réduit zurückgezogen. Wie lange hätten die Soldaten in den Bergen es ausgehalten, ihre Angehörigen im Mittelland in Geiselhaft zu sehen?

Im Buch von Jürg Schoch: Mit Aug und Ohr für' Vaterland. Der Schweizer Aufklärungsdienst von Heer&Haus im Zeiten Weltkrieg. Verlag Neue Zürcher Zeitung. 2015. 347 Seiten. Im Kapitel 7 geht es um das Réduit. Titel des Kapitels: "Der Gedanke an Frau und Kind macht das Sterben schwer" Das Réduit gab Halt, aber löste auch Verunsicherung aus.

Jürg Schoch hat Berichte gesammelt und ausgewertet - ist ein wirklicher Fundus.

So suchte ein Basler Leutnant Faesch Rat beim Aufklärungsdienst, datiert 18.1.1942

"Ich habe kürzlich von einem hochgestellten Mann folgende Auffassung gehört (...). "Réduit ist etwas Lächerliches, eine Schande. Ich möchte die Soldaten sehen, die mit Begeisterung hinten kämpfen, wenn sie vorne Frau und Kind dem Feinde auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert wissen. Für was kämpft denn der Soldat noch hinten, wenn alles fruchtbare Land und seine Familie doch nicht mehr gerettet werden? Für die paar Gletscher und Steinwüsten lohnt es sich wirklich nicht und die können auch nicht die Schweiz und ihre Idee vertreten. (...)" Seite 107

Oder ein Gefreiter aus Zürich:

"Ich kann mich mit dem Opfer das ein Pflichtbewusster Familienvater bringen muss im Ernstfall, nur schweren Herzens vertraut machen. Es kommt mir eher vor, als wenn ich wie ein Feigling auf und davon in Sicherheit bringe da irgendwo in der Innerschweiz und Frau und Kinder dem Schicksal überlassen zu wissen in einer stark gefährdeten Zone (…)." Seite 113

Dies sind jetzt nur zwei Auszüge, gibt auch andere Stimmen und auch die Antwort aus Bern sind darin enthalten.
 
Ich denke dass die Schweiz sehr vieles richtig gemacht hat. Ich glaube dass man aber auch innerschweizer Konflikte bemühen muss: Deutschschweiz und Romandie hatten vielleicht doch eine andere Sicht.
Tatsache ist aber dass sowohl die Alliierten als auch die Achsenmächte unzufrieden waren mit der Schweiz. Das disziplinarische Bombardieren Schweizer Städte ist das bekannteste Beispiel (nein, Schaffhausen bombardiert man nicht versehentlich)...
 
Ich denke dass die Schweiz sehr vieles richtig gemacht hat. Ich glaube dass man aber auch innerschweizer Konflikte bemühen muss: Deutschschweiz und Romandie hatten vielleicht doch eine andere Sicht.
Tatsache ist aber dass sowohl die Alliierten als auch die Achsenmächte unzufrieden waren mit der Schweiz. Das disziplinarische Bombardieren Schweizer Städte ist das bekannteste Beispiel (nein, Schaffhausen bombardiert man nicht versehentlich)...

Da hätte ich gerne eine Quelle dazu, dass es Schaffhausen ein disziplinarisches Bombardieren war.

Das es eine Bestrafung war gehört zu den Verschwörungstheorien und ist in der Forschung widerlegt worden. Denn die Amerikaner zahlten noch während des Krieges eine Wiedergutmachung.
Die Quellen sind im Stadtarchiv Schaffhausen einsehbar. Ebenfalls belegen Akten der Amerikaner und Briten das es ein Versehen war.

Am 1. April 2019 fand ein Gedenkanlass in Schaffhausen statt und da waren unter anderem der
US-Botschafter Edward T. McMullen vor Ort, der daran erinnerte das die USA nach dem Ereignis sofort Verantwortung übernommen habe und eine Untersuchung der Geschehnisse einleiteten und das General George C. Marshall, der damalige U.S. Aussenminister Cordell Hull sowie U.S. Präsident Franklin D. Roosevelt ihr tiefstes Mitgefühl übermittelten. «Die Vereinigten Staaten bezahlten 4 Millionen Dollar für den Wiederaufbau von Schaffhausen und überwiesen später weitere 14 Millionen Dollar an Entschädigungen an die Schweizer Regierung für Schäden, die den Schweizern während des Krieges entstanden sind,» sagte Botschafter McMullen.
 
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Ich habe keine Quelle dazu. -
Meine eigenen Erfahrungen vom Navigieren mit dem Segelflugzeug, während der Schulzeit, mit Kompass, Lineal und Karte, ohne moderne Hilfsmittel wie Funkpeilung, mögen mich vielleicht verleitet haben die navigatorischen Fähigkeiten ausgebildeter Piloten zu überschätzen.
Schaffhausen, nördlich des breiten Rheins, mit den riesigen Eisenbahntrassen, kann man wahrhaft mit Friedrichshafen am glitzernden Bodensee oder anderen lohnenden deutschen Zielen verwechseln.
 
Ich habe keine Quelle dazu. -
Meine eigenen Erfahrungen vom Navigieren mit dem Segelflugzeug, während der Schulzeit, mit Kompass, Lineal und Karte, ohne moderne Hilfsmittel wie Funkpeilung, mögen mich vielleicht verleitet haben die navigatorischen Fähigkeiten ausgebildeter Piloten zu überschätzen.
Schaffhausen, nördlich des breiten Rheins, mit den riesigen Eisenbahntrassen, kann man wahrhaft mit Friedrichshafen am glitzernden Bodensee oder anderen lohnenden deutschen Zielen verwechseln.

Die Bomberbesatzungen waren unerfahren und hatten die Orientierung verloren. Das Wetter war schlecht und sie navigierten falsch. Dazu kam ungenügendes Kartenmaterial, so dass sie nicht bemerkten zu weit südlich zu sein.

Der letzte lebende Pilot ist heute 97 Jährig und mit einer Ostschweizerin verheiratet. der Historiker Matthias Wipf macht ihn ausfindig. Der ehemalige Pilot berichtet, dass es fast ausnahmslos junge Piloten im Alter von 20 Jahren und jünger in den Bomber sassen. Zitat: "Zwar hätten die Bomberbesatzungen an jenem 1. April gewusst, dass sie sich nicht über Ludwigshafen, dem Missionsziel, befanden. Als sie dann aber unter den Wolken «eine Stadt mit Industrieanlagen an einem Fluss» erkannten, hätten die Piloten geglaubt, es handle sich um ein sogenanntes «Gelegenheitsziel» in Süddeutschland."

Quelle: Bericht in der Zeitung St. Galler Tagblatt vom 29.03.2019

Matthias Wipf: Die Bombardierung von Schaffhausen - Ein tragischer Irrtum. Meier Buchverlag Schaffhausen. 3. Auflage 2019. 108 Seiten.
 
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Ich bin natürlich maliziös und zitiere aus dem 75-Jahres-Bericht der Schaffhauser Nachrichten:
„Basler Nachrichten“ schreiben zur Bombardierung Schaffhausens redaktionell u, a.: „Nicht unwidersprochen darf das Communiqué bleiben, das vom Hauptquartier der amerikanischen Luftwaffe in Europa herausgegeben worden ist und das lautet: „Infolge der durch die Wetterverhältnisse verursachten schlechten Sicht wurden irrtümlich Bomben auf schweizerisches Territorium abgeworfen.“ Alle Berichte sind darüber einig, daß das Bombardement beim klarsten Himmel erfolgte. Dem schlechten Wetter schuldzugeben ist daher ein Argument, das in der Schweiz die Empörung verstärken, nicht mildern wird."

Für die Entschuldigung der Amerikaner gilt:
"Se non è vero, è ben trovato."
 
Frage in die Runde (vielleicht ergibt sich ja eine gute Diskussion daraus):

Bei aller berechtigten Kritik der politischen und wirtschaftlichen Entscheide der Schweiz - was hätten sie anders machen sollen?

Wenn man sich die Europakarte anschaut, dann sieht man, dass die Schweiz praktisch überall von den Achsenmächten bzw. von denen kontrollierten Staaten umgeben war. Einzige Ausnahme war Liechtenstein, aber das befand sich in der gleichen Binnenlage.

Aus der Dokumentation gestern habe ich entnehmen können, dass die Schweiz vom Import von Kohle abhängig war. Das konnte nur aus den bzw. über die Anrainerstaaten geshehen. Für dwn Export gilt umgekehrt das gleiche. Ich vermute, dass aufgrund der Kriegssituation Im- und Exportgeschäfte mit anderen neutralen Ländern oder gar alliierten Staaten de facto kaum möglich gewesen sein dürften. (Vielleicht hat da jemand bessere Erkenntnisse, ob und wie ein solcher Handel abgelaufen ist).

Insofern war die Schweiz wirtschaftlich von den Achsenmächten abhängig.

Bei anderen neutralen Staaten war die geographische Lage anders. Spanien und Portugal hatten oder hätten da mehr Spielraum gehabt. Irland hätte aufgrund seiner geographischen Lage andererseits keinen Handel mit den Achsenmächten betreiben können. Vergleichbar mit der Schweiz ist vielleicht noch Schweden. Als Ostseeanrainer hätten Schiffe mit Im- und Exportgütern erst einmal die Meerenge des Skagerrak passieren müssen und wären relativ einfach von der deutschen Kriegsmarine aufzubringen gewesen.
 
Ich bin natürlich maliziös und zitiere aus dem 75-Jahres-Bericht der Schaffhauser Nachrichten:
„Basler Nachrichten“ schreiben zur Bombardierung Schaffhausens redaktionell u, a.: „Nicht unwidersprochen darf das Communiqué bleiben, das vom Hauptquartier der amerikanischen Luftwaffe in Europa herausgegeben worden ist und das lautet: „Infolge der durch die Wetterverhältnisse verursachten schlechten Sicht wurden irrtümlich Bomben auf schweizerisches Territorium abgeworfen.“ Alle Berichte sind darüber einig, daß das Bombardement beim klarsten Himmel erfolgte. Dem schlechten Wetter schuldzugeben ist daher ein Argument, das in der Schweiz die Empörung verstärken, nicht mildern wird."

Für die Entschuldigung der Amerikaner gilt:
"Se non è vero, è ben trovato."

Der Historiker Matthias Wipf hat anhand der Quellen der US-Armee den 1. April 1944 rekonstruiert:
(Zusammengefasst aus dem Buch: Matthias Wipf. Die Bombardierung von Schaffhausen ein tragischer Irrtum. Im Auftrag des Stadtrates Schaffhausen zum 75. Jahrestag. Seite. 24 - 31)

Der Start war ursprünglich auf 31. März 1944 geplant, wurde dann auf den 1. April 1944 verschoben. Gestartet wurde zwischen 06.30 bis 06.45 von den Luftwaffenbasen in Ostengland. ca. 1000 Bomber und Begleitjäger der US Army Air Forsces (USAAF) gingen auf die «Mission 287» Ziel war Ludwigshafen. Die Bedingungen waren an diesem Tag, wie auch schon Tage davor nicht gut. Bereits über dem Ärmelkanal und später über Frankreich trafen die Besatzungen der Flugzeuge auf derart schlechtes Wetter mit kompakter Wolkendecke und starkem Bodennebel, dass der Grossteil von ihnen umgehend die Mission abbrachen und auf ihre Luftwaffenbasen zurückkehrten. Ein Teil der 2. Luftwaffen-Division mit insgesamt 162 Flugzeugen setzte die Offensive fort, darunter der 14. Combat-Wing mit den beiden Bombergruppen 44 und 392. Statt das sie über die Ardennen und die Eifel Richtung Tagesziel Ludwigshafen am Rhein flogen, im Logbuch der 392. Bombergruppe wurde diese Route auch eingegeben, kamen sie immer weiter vom Kurs ab. Die 14. Combat-Wing kam immer südlicher und somit in die Nähe der Schweizer Grenze. Erschwerend kam noch dazu, dass die verfügbaren Radargeräte an Bord ausgestiegen sind und sich die Besatzung auf althergebrachte Koppelnavigation, mit Bestimmung von Flugrichtung und Geschwindigkeit angewiesen waren, was bei den vorherrschenden meteorlogischen Bedingungen kaum gelingen konnte. Das die Situation turbulent waren, bezeugt das Logbuch der Bombergruppe und wird auch im späteren Rechenschaftsbericht aufgeführt.
«Die Crew mit Lead Navigator Christian H. Koch glaubte sich über den heuteigen Rheinland-Pfalz, knapp 70 Kilometer nordwestlich von Ludwigshafen bei Bingen am Rhein, als man um 10.15 den Luftangriff initiierte. Wegen Problemen am Bombenschacht wurde der Versuch allerdings abgebrochen, und die Staffeln überflogen vorerst das anvisierte Zielgebiet. Warnungen des benachbarten Geschwaders, welches aufgrund seiner eigenen Positionsberechnungen nun scharf gegen Norden wendete, wurden nicht beachtet und erst viel später vollzog auch der 14. Comat Wing einen Richtungswechsel um 180 Grad, flog eine Art Zusatzschlaufe im Raum Bodensee und Ostschweiz. Um 10.47 Uhr, so zeigen die Aufzeichnungen, scheint Captain Koch dann ein sogenanntes «target of opportunity (ein Gelegenheitsziel) - vermeintlich knapp 40 Kilometer nordwestlich von Ludwigshafen entdeckt zu haben. In einem anderen Bericht wurde das Ziel als «last resort target» bezeichnet. Der Lead Bombardier meldete dem Captain, er könne eine «Sichtbombadierung» verantworten. Nun wurde das genannte Ziel mittels Rauchbomben für den Angriff markiert. Im Logbuch notierte der Captain um 10.50 Uhr dann «Bombs away». Durch ein plötzliches Loch in der Wolkendecke fühlte sich der Kommandant des 14. Comat Wings genug bestärkt, einen Angriff auf ein «Gelegenheitsziel» mittels Sichtbombardierung zu wagen. Das Loch in der Wolkendecke erstreckte sich über die Region Schaffhausen – deshalb gibt es ja die Berichte vom schönen Wetter, aber eben nur über der Region Schaffhausen.

Kenneth Healing sass in einem der Flugzeuge und erinnerte sich später: «das Wetter war schrecklich, man sei deshalb über dem Kontinent ein bisschen herumgewandert und habe schliesslich die Bomben einfach auf eine Stadt abgeworfen.»

Du darfst natürlich weiterhin glauben, dass es Absicht war - die Quellen sprechen eine andere Sprache und es ist heute zweifelsfrei festgestellt worden (eben durch die Quellen) - es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die dazu führten. Alles andere ist Verschwörung und nicht haltbar.


Quellen:
Air Force Historical Research Agency. Montgomery Al (USA). Tactical Mission Report Operation Nr. 287, April 1944.
Air Force Historical Studies Division. Washington D.C. Div. Mikrofilme 1944 – 1949
American Air Museum. Duxford. Div. Mission Reports der 44th and 392nd Bomb Groub.
Etc.
 
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Wenn man sich die Europakarte anschaut, dann sieht man, dass die Schweiz praktisch überall von den Achsenmächten bzw. von denen kontrollierten Staaten umgeben war. Einzige Ausnahme war Liechtenstein, aber das befand sich in der gleichen Binnenlage.

Aus der Dokumentation gestern habe ich entnehmen können, dass die Schweiz vom Import von Kohle abhängig war. Das konnte nur aus den bzw. über die Anrainerstaaten geshehen. Für dwn Export gilt umgekehrt das gleiche. Ich vermute, dass aufgrund der Kriegssituation Im- und Exportgeschäfte mit anderen neutralen Ländern oder gar alliierten Staaten de facto kaum möglich gewesen sein dürften. (Vielleicht hat da jemand bessere Erkenntnisse, ob und wie ein solcher Handel abgelaufen ist).

Insofern war die Schweiz wirtschaftlich von den Achsenmächten abhängig.

Bei anderen neutralen Staaten war die geographische Lage anders. Spanien und Portugal hatten oder hätten da mehr Spielraum gehabt. Irland hätte aufgrund seiner geographischen Lage andererseits keinen Handel mit den Achsenmächten betreiben können. Vergleichbar mit der Schweiz ist vielleicht noch Schweden. Als Ostseeanrainer hätten Schiffe mit Im- und Exportgütern erst einmal die Meerenge des Skagerrak passieren müssen und wären relativ einfach von der deutschen Kriegsmarine aufzubringen gewesen.

Von der UEK gibt es ein Band der sich ausschliesslich mit der Wirtschaft der Schweiz befasst.
Schweizerische Aussenwirtschaftspolitik 1930 - 1948. Strukturen-Verhandlungen-Funktionen. Band 10

Hier eine Zusammenfassung:
https://www.uek.ch/de/schlussbericht/Publikationen/Zusammenfassungenpdf/10d.pdf

"Was die Kohleförderung in der Schweiz betrifft: "Die Steinkohle bildete 1850-1955 die Hauptenergiequelle (Energie) der Schweiz und löste im 19. Jh. die Holzkohle (Köhlerei) und das Holz ab. Bis zum Aufkommen der Eisenbahn stammte sie aus einheim. Abbau und wurde danach importiert."
(...)

Die schweiz. Energieversorgung war von Importen aus dem Ausland abhängig. Bereits im 19. Jh. führten Kriege (Dt.-Franz. Krieg 1870-71) und soziale Konflikte in den Herkunftsländern (Bergarbeiterstreik 1889-90 in den Ruhr- und Saarrevieren) zu Versorgungsengpässen und kleineren Energiekrisen in der Schweiz. Besonders deutlich wurde die Abhängigkeit in den beiden Weltkriegen, als Kohlelieferungen zum polit. Druckmittel gegen die Schweiz wurden. Ungeachtet ihres ab 1918 schwindenden Anteils am Primärenergieverbrauch war die K. noch bis 1955 der wichtigste Energieträger."
Aus dem: Historischen Lexikon der Schweiz. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/047174/2007-08-17/
 
Ich vermute, dass aufgrund der Kriegssituation Im- und Exportgeschäfte mit anderen neutralen Ländern oder gar alliierten Staaten de facto kaum möglich gewesen sein dürften. (Vielleicht hat da jemand bessere Erkenntnisse, ob und wie ein solcher Handel abgelaufen ist).
Der Im-/Export von Gütern welche die Schweizer Hochseeflotte transportierte (bereits diskutiert im Thema Neutrale Länder im 2. Weltkrieg), funktionierte mittels einem Geleitscheinsystem. Selbst der Export von Waffen an die Alliierten funktionierte manchmal trotz Umzingelung, vermutlich bis 1942 über das "Loch von Genf", eine Eisenbahnverbindung von Genf durch Vichy-Frankreich.

Für Details, wie es funktionierte, siehe: Die Schweiz im Würgegriff der Alliierten und Deutschlands
Zur Hochseeflotte noch ein neuerer Link:
Schweizer Geschichte - Der eidgenössische Weg aufs Meer
 
Und weil es so spannend ist, hier eine kleine Geschichte zum "Loch von Genf " (übersetzt aus dem Französischen):

Der Bahnhof Annemasse ist die letzte französische Station vor der Schweiz. Das Waffenstillstandsabkommen scheint dieses kleine Stück Eisenbahnlinien zwischen Frankreich und der Schweiz vergessen zu haben. Angesichts des deutschen Drucks, den Schweizer Handel auf das Reich auszurichten, begriffen die Schweizer Behörden schnell welcher Glücksfall sich ihnen durch das „Genfer Loch“ bot. Dieses Fenster ermöglicht es, den Handel mit dem Vereinigten Königreich und neutralen Gebieten außerhalb der Kontrolle Deutschlands fortzusetzen. Zwischen dem Bahnhof Eaux-Vives in Genf und dem Bahnhof Annemasse befand sich noch eine vor den Achsenmächten geschützte Eisenbahnlinie. Zwischen der zweiten Hälfte des Jahres 1940 und der ersten Hälfte des Jahres 1941 war diese Eisenbahnlinie sehr aktiv: Der Verkehr verfünffachte sich zum Nachteil der von den Deutschen kontrollierten Strecken. Der Boom des grenzüberschreitenden Handels schien nicht alle zufrieden zu stellen. Eine erste Sabotage fand in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 1940 im Aires-Tunnel an der Grenze der Gemeinden Groisy und Evires statt, d. h. mitten auf der Strecke von Annecy nach La Roche sur Foron. Am 14. Juli 1940 wird der Schienenverkehr zwischen Frankreich und der Schweiz vom Gare des Eaux-Vives sowie zwischen Annemasse und Saint-Gingolph (CH ) wieder aufgenommen. Danach explodierte die Kapazität förmlich: Bis zum 3. September 1940 fuhren 4.051 Wagen in beide Richtungen oder ungefähr hundert pro Tag.
In der Nacht vom 3. auf den 4. September 1940 pulverisierte eine zweite Explosion den Viadukt, der den Foron im Weiler Lavillat überspannt. Die deutsche Beteiligung scheint nicht mehr zweifelhaft zu sein. Ein von der deutschen Abwehr unter dem Deckmantel des belgischen Roten Kreuzes und unter der Führung von Léon van Cayzeele eingesetztes Kommando schafft es, vom Ort der Explosion zu fliehen und sich danach auf dem Posten der deutschen Wache in Frangy zu melden. Cayzeele persönlich bestätigt seine Beteiligung während seines Prozesses in Belgien im Jahr 1946. Der Bericht des Präfekten Coudor von Haute-Savoie, in dem der Verdacht einer deutschen Beteiligung wiederholt wird, befriedigt Vichy nicht. Der neue Innenminister, Marcel Peyrouton, bevorzugt eine andere Version: Die Sabotage ist die Arbeit sowjetischer Geheimagenten, die von der Teilnahme einer Gruppe ehemaliger italienischer Mitglieder der Internationalen Brigaden profitiert hätten. Peyrouton entließ daraufhin Lucien Coudor am 17. September 1940 unter Anwendung des Gesetzes vom 17. Juli 1940. Letzteres erlaubte tatsächlich den Ausschluss von Personen, die als politisch unsicher gelten, aus dem öffentlichen Dienst. Reisende, die am Bahnhof Annemasse ankamen, kamen von überall her: aus der Freien sowie der besetzten Zone, auch aus dem Ausland. Annemasse ist nur ein Kreuzungspunkt auf einer längeren Reise, die normalerweise in die Schweiz führt. Am Ausgang der Station erfolgte systematisch eine Identitätsprüfung. Man konnte diese vermeiden, indem man durch das Stationsbuffet ging, das über einen eigenen Ausgang verfügte.


Aus: Annemasse, ville frontiére 1940-1944 ,Dozol Vincent, Université de Lyon, 2010
 
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