Wo lagen "Ad pontes Tesseninos"

Was hat eine Höhensiedlung der römischen Kaiserzeit, die keine römische Siedlung ist, mit einer römischen Strasse zu tun?
sorry, dass ich erst jetzt antworte. Ich wollte erst den Disput mit El Quijote bereinigen.

Nun zu Deiner Aussage:
Ich gehe davon aus, dass auch eine solche Siedlung über eine Anbindung an ein Verkehrsnetz verfügte und nicht völlig isoliert war. Der vermutlich schon vorrömische Saumpfad über den Kesselberg bis Walchensee, Wallgau, Mittenwald und Seefeld/Zirl ist hier schon mehrfach genannt worden. Eine weitere Verbindung nach Norden auf der Ostseite von Loisach und Kochelseemoor ist mehr als wahrscheinlich.
Die Römer haben sicher die vorhandenen Verkehrswege weiter genutzt, die ersten römischen Straßenbauten sind mit Sicherheit unter Einbeziehung der vorrömischen Trassen errichtet worden.

Damit könnte die Antwort erledigt sein, ich möchte aber etwas "Fleisch auf die Gräten" geben:

Das meint auch Freutsmiedel "Römische Straßen der Tabula Peutingeriana in Noricum und Raetien". Freutsmiedel ist Straßenbauer und geht mit seiner Fachkenntnis an die Tabula ran.
In der Tabula gibt es eine Strecke Salzburg - Augsburg, die über Kempten geschildert wird. Freutsmiedel weist zunächst nach, dass die Tabula wohl - mit späteren Ergänzungen und Überarbeitungen - kurz vor der Jahrtausendwende entstanden sein müsste.
Das wird m.E. nach dadurch bestätigt, dass sowohl Pompeji (im Herbst 79 untergegangen) noch enthalten ist, aber weder die Via Claudia (von Augsburg den Lech entlang nach Süden, unter Claudius bis ~ 46 n. Chr., spätestens 54 n. Chr. fertig gestellt) noch die heute so bezeichnete Via Julia (über Schöngeising, Gauting und Helfendorf als Direktverbindung Augsburg - Salzburg mit Meilensteine des von 193 bis 211 regierenden Kaisers Septimius Severus ) als Verbindungsstrecken aufgeführt sind. Beide Straßen hätten - mit der Via Claudia spätestens ab dem Lechübergang - einen kürzeren Weg von Salzburg nach Augsburg geboten als die in der Tabula Peutingeriana genannte Trasse über Kempten. Nun war Kempten (Stadterhebung um 30 n. Chr.) sogar vor Augsburg bis zum späten 2. Jh. einige Zeit der Sitz der Provinzregierung von Raetien.
Freutsmiedel stellt weiter fest, dass die Länge der Tabula-Strecke zwischen Salzburg und Kempten mit 140 Meilen = 206,4 km und der "direkten Verbindung" mit 203,7 km nahezu identisch sind. Daraus zieht Freutsmiedel den Schluss, dass eine ursprüngliche (wohl schon auf vorrömische Zeiten zurückgehende Altstraße) "raetische Queralpenstraße" zwischen den beiden späteren Städten bestanden haben müsste, die dann auch in der Tabula aufgenommen worden ist. Mit dem Sachverstand des Straßenbauingenieurs stellt Freutsmiedel dann fest, dass diese "direkte Linie" südlich des Starnberger Sees und der Osterseen verlaufen musste, und aufgrund der topographischen Verhältnisse nur ein Loisachübergang bei Langau/Rain infrage kam, und von dort (Anm. über das spätere Penzberg) nach Untereurach / Iffeldorf oder nach Sindelsdorf führten musste. Dort möchte er dann auch in der Peutingertafel genannte Straßenstation "URUSA" verorten.
Freutsmiedel verweist auch mehrfach darauf, dass Straßenstationen soweit möglich im Kreuzungsbereich von Verkehrswegen lagen. Und da finden wir neben dem Flurnamen "Kreuzgang" bei Langau - dem Bergrand nach Süden folgend - am Fuß des Kesselberges nicht nur eine vorrömische Siedlung ("Birg") sondern auch noch eine Höhensiedlung der römischen Kaiserzeit, die ja wohl nach Süden über einen Saumpfad nach Walchensee / Wallgau erschlossen war und nach Norden wohl entlang der Loisach eine wetere Verkehrsanbindung hatte.
Diese "raetische Queralpenstraße" dürfte nach der Rücknahme der römischen Reichsgrenze auf die Iller als direkter Weg zwischen Gallien bzw. dem Frankenreich und Noricum bzw. dem späteren Ungarn über Bregenz und Kempten wieder an Bedeutung gewonnen haben.
 
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"Romanisiert" beziehe ich hier auf die Sprache.

Aus archäologischer Sicht kann man es etwas anders sehen:
Neues von den Bajuwaren mit Irmtraud Heitmeier - 1000 Jahre bayerische Geschichte - Mythos Bayern | BR Podcast
Gerade merke ich, dass mir da ein gänzlich sinnentstellender Fehler unterlaufen ist. Hier das verbesserte Transkript:

Irmtraut Heitmeier:
Noricum war durchaus urbanisiert, da gab es einige Städte, vor allem in Binnenoricum, also im heutigen Kärnten, während Raetien immer schon eine militärisch geprägte Provinz war. Wir haben nur das municipium Augsburg, und ansonsten - Regensburg war Legionslager. Also das war eine sehr stark militärisch geprägte Provinz und hatte deswegen auch einen anderen Charakter als Noricum.

Gerald Huber:
Also militärische Provinz heißt: Wir haben eine große Provinzhauptstadt gehabt, die war durchaus großstädtisch geprägt. Dann hat es kleinere Verwaltungsstädte oder Orte gegeben [...] und man hat natürlich große Truppenlager gehabt, die ernährt werden wollten, und deswegen hat es dann auch im Hinterland zahlreiche Bauernhöfe gegeben, die für die Versorgung da waren. Aber sonst war nicht viel geboten außer ein paar Römerstraßen.

Irmtraut Heitmeier:
Also Raetien war auch nicht jetzt in dem Sinn stark romanisiert - kulturell romanisiert. Auch da ist Noricum ein ganz anderes Pflaster [...]
 
Irmtraud Heitmeier "Das Planvolle Herzogtum" weist m.E. nach überzeugend nach,
  • dass die "Gau-" namen (Allgau, Schwangau bei Füssen, Ammergau, Schongau und Peiting (aus Pitengauoua) am Lechübergang, Wallgau, Steingau, Warngau, Obing (nördlich des Chiemsees aus Obingaoe) usw. in umittelbaren Bezug zur Kontrolle und Sicherung von Straßen zu sehen sind
Auch Schorr geht dann (S. 235 ff) auf die -gau-Namen ein, die er im Ammergau, Schongau (Scongova, nun Altenstadt), Peiting (1063 Pitengouua), Wallgau (763 Wvalhagoi) oder Steingau (bei Dietramszell, 817 Steincoi)) erkennt.

Schorr* erwähnt drei -gau-Orte, nämlich Legau und Haidgau (beide im Allgäu, davon Haidgau allerdings schon auf heute württembergischem Gebiet) und Weihengäu/Wihengau (bei Lauingen), die auf Heitmeiers Karte nicht verzeichnet sind (vielleicht wurde Vollständigkeit gar nicht angestrebt). Von den bei Schorr erwähnten -gau-Orte lagen drei drei an einer ehemaligen Römerstraße:
- Weihengäu (wenige Kilometer vom Kreuzungspunkt mit vicus unbekannten Namens entfernt)
- Betzigau (wenige Kilometer vom Zentralort Kempten entfernt)
- (Unter)Thingau an der Fortführung der Straße Kempten-Betzigau (ca. 10 km Luftlinie von Betzigau)
Die Orte Forggen und Schwangau lagen unweit der bedeutenden Via Claudia Augusta, aber von dieser durch den Lech getrennt und damit ohne Zugang zur Straße. Ebenfalls rechts des Lech, mit größerem Abstand zur Via Claudia, liegen Buching und Trauchgau. Übrigens findet es Heitmeier selbst "irritierend" (S. 589), "dass kein -gau-Ort südlich von Altenstadt-Schongau an der alten Trasse der Via Claudia links des Lechs liegt."

Für Legau, Haidgau und Salgen finde ich keinen Bezug zu einer Römerstraße.

Um nicht missverstanden zu werden: Heitmeier behauptet mitnichten, anhand der -gau-Orte römische Spuren nachweisen zu können.

Was jedoch auffällt, ist, dass sämtliche -gau-Orte in Schorrs Untersuchungsgebiet, sofern überhaupt ein Bezug zu einer Römerstraße feststellbar ist, keine erkennbar bedeutsamen Punkte markieren bzw. sogar denkbar schlecht für eine Kontrolle oder Sicherung wichtiger Straßen und Kreuzungen positioniert sind.



* Andreas Schorr, Frühmittelalterliche Namen an Iller, Donau und Lech. Ihr Aussagewert für eine transdisziplinäre Kontinuitäts- und 'Ethnogenese'-Diskussion, in: Die Anfänge Bayerns, hrsg. Hubert Fehr / Irmtraut Heitmeier, St. Ottilien 2012
 
Wie in den meisten römischen Grenzregionen muss man auch hier von einer längeren Phase der Mehrsprachigkeit ausgehen, und ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung dürfte in dieser Phase über eine romanische und eine "germanische" Identität verfügt haben.

Auf die Zweisprachigkeit habe ich schon mehrmals hingewiesen, sowohl in diesem Thread
- in Bezug auf den bairischen Raum:
In einer Phase der Zweisprachigkeit kann es vorkommen, dass Toponyme übersetzt werden.

Im Indiculus Arnonis aus dem späten 8. Jahrhundert erscheint eine zweisprachige Bezeichnung "pontes, die jetzt stega genannt werden":

Similiter idem dux tradidit in ipso pago suprascripto tributarios Romanos CXVI inter vestitos et apsos per diversa loca, et venationem in silva, que adjacet inter alpes a Gaizloberg usque ad pontes, quae nunc vocantur stega.

Altbayern bis 1180
- in Bezug auf den alemannischen Raum:
... aus der Zeit 735/37 ist eine sehr interessante Schreibung für den heutigen Ort Delémont überliefert:
in figo Delomonze
Namenpaare an der Sprachgrenze

Hier sehen wir eine Zweisprachigkeit am Werk: Das lateinische vico (aus vicus) hat sich im Mund der romanischen Bevölkerung zu vigo gewandelt; dies wird von einem deutschsprachigen Schreiber als "figo" geschrieben.

... wie auch in der Paralleldiskussion:
Welche fundierten Aussagen machen welche archäologischen Fundstücke zur Sprache der Personen, die von ihnen benutzt wurden - insbesondere in einer zweisprachigen Gegend?
Ich halte es für denkbar, dass deren Bevölkerung bereits germanischsprachig war, während sich die romanisch sprechende Bevölkerung weitestgehend in die ummauerten Orte zurückgezogen hatte (wo angesichts germanischer Söldnern und Föderaten eine zweisprachige Bevölkerung anzunehmen ist).
 
.....
Die Orte Forggen und Schwangau lagen unweit der bedeutenden Via Claudia Augusta, aber von dieser durch den Lech getrennt und damit ohne Zugang zur Straße. Ebenfalls rechts des Lech, mit größerem Abstand zur Via Claudia, liegen Buching und Trauchgau. Übrigens findet es Heitmeier selbst "irritierend" (S. 589), "dass kein -gau-Ort südlich von Altenstadt-Schongau an der alten Trasse der Via Claudia links des Lechs liegt."
...
Heitmeier vermutet, dass die Via Claudia südlich von Altenstadt-Schongau zur Entstehungszeit der -gau Namen keine größere Bedeutung mehr hatte.
Tatsächlich ist ja (vermutlich ab Peiting?) eine Verbindung über Ammergau zur Via Reatia bei Oberau / Partenkirchen zumindest in Teilen archäologisch belegt. Diese Verbindung könnte auch über das alte Kloster Rottenbuch geführt haben "Erste urkundliche Erwähnung war im Jahr 1073, als Welf IV. dem schon bestehenden Kloster Rottenbuch große Ländereien zu beiden Seiten der Ammer schenkte." (Wikiepedia)

Möglicherweise ist die Verkehrsachse ab einem vorhandenen Lechübergang z.B. bei Schongau/Peiting oder Lechbruck auch auf dem Hochufer östlich des Lech weiter genutzt worden, wo nicht nur das Welfenkloster Steingaden liegt (Der Ort Steingaden gehörte zur geschlossenen Hofmark des 1147 von Welf VI. gegründeten Prämonstratenserklosters Steingaden) Wikipedia, sondern wo sich dann mit Trauchgau und Schwangau zwei -gau-Orte in Richtung Füssen anschließen.
BayernAtlas

Da die Via Claudia zwischen Füssen, Lechbruck und Bernbeuren/Bruck mehrmals unmittelbar im Uferbereich des Lech verläuft - ein Teile ist heute sogar vom Forggensee überschwemmt - BayernAtlas - könnte der Lech in diesem Bereich einmal bei Hochwasser einen Teil der alten Via Claudia abgeschwemmt haben. Das könnte die Verlagerung des Verkehrs vom Lechufer weg auf die Ostseite des Lech erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Heitmeier vermutet, dass die Via Claudia südlich von Altenstadt-Schongau zur Entstehungszeit der -gau Namen keine größere Bedeutung mehr hatte.
Sie meint sogar, dass sie "über einen längeren Zeitraum unterbrochen" war und erst im 8. Jahrhundert mit der Gründung des Magnus-Klosters in Füssen wiedereröffnet wurde.
Das Gebiet zwischen Füssen und Fernpass dürfte in dieser Zeit nahezu unbesiedelt gewesen sein; Heitmeier weist auf das Verschwinden aller romanischer Siedlungsnamen in diesem Gebiet hin. Der heutige Hauptort Reutte war ausweislich seines Namens eine mittelalterliche Rodung.

Wie die dendrochronologischen Daten von Lermoos zeigen, wurde die Straße bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts regelmäßig instandgesetzt, danach wurden wohl nur die nötigsten Reparaturen durchgeführt. Ende des 3. Jahrhunderts ließ sich eine durchgreifende Erneuerung nicht mehr vermeiden; der Straßenkörper wurde bei den Arbeiten 292/93 aber auf die Hälfte der bisherigen Breite reduziert. Die letzten Reparaturarbeiten wurden mit Stämmen vorgenommen, die 373/74 gefällt wurden. Danach setzt der Verfall der Straße ein.
https://www.uibk.ac.at/geographie/dendro/pdf/1997-nic-et-al-vca.pdf
 
Danke. Diese Daten decken sich mit historischen Angaben.
Die Straße ist also zuletzt einige Jahre nach der Schlacht bei Solicinium (367) hergerichtet worden - wohl um schnelle Truppenbewegungen zu ermöglichen.
Möglicherweise sind weitere Reparaturen angesichts des Auftauchens der Hunnen in Europa (im Jahr 375) unterblieben. Als Stilicho zum Schutz Italiens vor den Goten ab 401 die römischen Truppen von der Reichsgrenze abziehen musste war es definitiv mit den Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten vorbei.

Vielleicht aber - auch das wäre beim Vergleich mit dem Eschenloher Holzbohlenweg denkbar - ist die Straße nach den letzten Reparaturen auch nur verlegt worden.
vgl. dazu Via Claudia Augusta - Die Römerstraße - zwischen Meran und dem Außerferner Zwischentoren - verren.at
Der Prügelweg (Bohlenweg) durch das Lermooser Moos veranschaulicht deutlich, dass die Straßenbauer aus römischer Zeit nicht versuchten eine Moorfläche zu umgehen, sondern mit großem bautechnischen Wissen eine 1,5 Kilometer lange Trasse schnurgerade durch das Moos anzulegen vermochten. ...
Das "Leermoos" ist ein Talkessel, aus dem nördlich die Loisach entwässert. Auch heute noch führen die Verkehrswege ringsum am Bergfuß am Rand des Talkessels vorbei und queren diesen nicht. Eine erneuerte Trassenführung am Rande des Moores hätte sicher weniger Unterhaltsarbeiten erfordert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine erneuerte Trassenführung am Rande des Moores hätte sicher weniger Unterhaltsarbeiten erfordert.

Eine Straße auf einer neue Trasse anzulegen ist jedenfalls ein größerer Kraftakt als eine vorhandene, noch benutzbare, aber reparaturbedürftige Straße auszubessern. Das macht man, wenn genügend Mittel da sind, um sich eine neue Trasse leisten zu können (das dürfte wohl bei Eschenlohe der Fall gewesen sein). Oder wenn die alte Straße in einem unbenutzbaren und irreparablen Zustand ist (was eventuell bei Lermoos der Fall war).
 
Zur Situation um Lermoos gibt es eine interessante Grabung in Biberwier am südlichen Ende des Talkessels, unmittelbar an dem beginnenden steilen Anstieg zum Fernpass. Möglicherweise war hier eine Straßenstation, in der für die Bewältigung des Passes Zugtiere vorgehalten wurden.
...
Die Siedlung von Biberwier wird von der Via Claudia Augusta gleichsam durch -schnitten; somit erscheint es durchaus naheliegend, dass ihre Entwicklung in engstem Zusammenhang mit der römischen via publica steht. Als günstig erweist sich der Umstand, dass der in seiner Bau- und Benutzungsgeschichte detailliert erforschte Abschnitt der Via Claudia durch das Lermooser Moor nur wenige hundert Meter nördlich des Siedlungsplatzes beginnt. Die Straße durch das Moor wurde 46 n. Chr. angelegt und weitere Bauphasen oder umfangreichere Reparaturmaßnahmen sind für 74, 95, 102, 137, 144, 154, 180, 219, 279, 293, 318, 327, 333, 365 und 374 n. Chr. belegt. Zwischen 260 und 270 n. Chr. ist ein Hiatus in der Instandhaltung der Straßentrasse nachgewiesen − in dieser Zeit ist eine dünne, natürlich gewachsene Torfschicht über dem Straßenkörper entstanden.

Die palynologischen Untersuchungen ergaben einen signikanten Rückgang der Siedlungszeiger im Laufe des 3. Jhs. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass die Pollenanalyse für die römische Kaiserzeit keine Zunahme der Acker- und Wiesenflächen gegenüber der jüngeren Latènezeit zeigt. Somit schlägt sich auch die Gründung der Siedlung in Biberwier, die nach Aussage der Kleinfunde in tiberischer Zeit erfolgte, nicht im Pollendiagramm nieder. Die bei den Grabungen geborgenen Funde legen ein Ende der römischen Besiedlung in Biberwier im Laufe des 3. Jh. nahe. Das keramische Fundspektrum endet hier mit Rheinzaberner Terra Sigillata der Formen Drag (Bernhard Gruppe II) und Drag. sowie einzelnen Fragmenten rheinischer Glanztonware. Das Münzspektrum hingegen reicht in geringerem Umfang bis in die 2. Hälfte des 4. Jhs. und auch ein Bruchstück einer Zwiebelknopfibel weist in dasselbe Jahrhundert. Diese Funde werden aber eher als Niederschlag des durch die Straßenausbauten nachgewiesenen an anhaltenden Verkehrsstromes zu werten sein. Eine Parallelisierung des Hiatus in der Erhal-tung der Via Claudia Augusta im Lermooser Moor und dem Abbruch der Siedlungstätigkeit 500 m weiter südlich ist sehr wahrscheinlich, zumal die Straße als „Lebensader“ dieser Straßensiedlung gesehen werden kann.
Die römische Siedlung in Biberwier in ihrem Kontext mit der Via Claudia Augusta S. 242 (254) ff
...
Es ist durchaus denkbar, dass in der frühen Kaiserzeit diese Aufgaben von Privaten übernommen worden sind. Hierfür könnte auch der Umstand sprechen, dass die Via Claudia Augusta weder in der Tabula Peutingeriana noch im
Itinerarium Antonini aufscheint und somit eventuell nicht vom cursus publicus bedient worden sein könnte, wenn man diese Auslassung nicht mit dem Bedeutungsrückgang der Straße nach dem Ausbau der römischen Brennerstraße unter Septimius Severus erklären möchte. Die Siedlung von Biberwier wird jedenfalls infrastrukturelle Aufgaben an der
via publica erfüllt haben, sei es in öffentlichem Auftrag oder privatwirtschaftlich motiviert.
ebd. S. 258
 
Das wird wohl hier gewesen sein:
Ortsgeschichte

Sigrid Braunfels-Esche befaßte sich in ihrem Buch „Sankt Georg“ ausführlich mit der historischen Überlieferung und der Ausbreitung im Abendland mit der Figur des Heiligen. Sie kam zu dem Entschluß, dass der Titelheilige stets an Orten auftritt, die an Römerstraßen liegen oder die selber Römersiedlungen waren.

...
Gerade versuche ich, diese Angabe etwas zu verifizieren.

Dr. Kratzsch (LAfD München) und Dr. Winghart (LAfD München, später Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege schreiben in "Das Ramsachkircherl am Murnauer Moos", S. 8 und 10

Als Ort seiner Hinrichtung, die im Jahr 303 erfolgt sein soll, wird Lydda (Israel) genannt, wo die seit etwa 520 nachgewiesenen älteste Georgskirche als baulicher Rest in der Moschee El Chidr enthalten ist.

Im Westen wurde der Georgskult im 6./7. Jahrhundert vom merowingischen Königtum und vom Adel aufgenommen. Frühe Georgskirchen entstanden in Soisons, Metz, Regensburg und Mainz, weitere bedeutende vom 9. bis zum 11. Jahrhundert auf der Reichenau, in Limburg und auf dem Hradschin in Prag. ...

Damit muss konstatiert werden, dass die (Vorgängerbauten der) heutigen Georgskirchen zwischen Bichl, Sindelsdorf, Habach und Aising in WO-Richtung sowie von Sindelsdorf, Großweil, Murnau/Ramsach und Oberau (in NS-Richtung) wohl kaum in römische Zeiten zurück gehen.
Es ist zwar immerhin möglich, dass auch nach der Römerzeit vorhandene Straßen weiter genutzt wurden, aber wir sind mit diesem Patrozinium sogar schon über die Karolinger-Herrschaft hinaus.
 
Gerade versuche ich, diese Angabe etwas zu verifizieren.
Dabei ist sie schon in weiten Teilen falsifiziert:
Dazu ist zweierlei zu sagen:

1. Sigrid Braunfels-Esche behauptet nicht, dass der Titelheilige stets an Orten auftritt, die an Römerstraßen liegen oder die selber Römersiedlungen waren.

2. Sie behauptet allerdings (S. 76), dass im bairischen Raum etliche der vor dem 13. Jahrhundert erwähnten Georgskirchen bereits in römische Zeit zurückreichen. Dafür liefert sie sogar genaue Zahlen, jedoch keinen einzigen Beleg. Die einzigen namentlich erwähnten Georgskirchen, für die sie einen römischen Ursprung behauptet, liegen im Bereich der Diözese Augsburg:
"In der Stadt Augsburg liet die Georgskirche im Bereich der alten Römerstadt; in ihrer Diözese haben von 17 Orten im altbaierischen Teil 2 (Dießen und Oberpfaffenhofen) sicher ihren Georgskult schon in römischer Zeit besessen, 2 andere sehr wahrscheinlich...".

Auch sonst finde ich keinerlei Beleg für die als "sicher" behaupteten Ursprünge der Georgspatrozinien:

Dießen:
"Der Legende nach soll um 815 ein Graf Rathard in St. Georgen ein erstes Kloster gegründet haben, das 955 von den Ungarn zerstört und im 11. Jh. wiedererrichtet wurde."
Markt Diessen am Ammersee - Geschichte

Oberpfaffenhofen: "Untertägige mittelalterliche und früheuzeitliche Befunde im Bereich der Alten Kath. Pfarrkirche St. Georg in Oberpfaffenhofen und ihres Vorgängerbaus sowie Siedlung des hohen und späten Mittelalters."
http://www.geodaten.bayern.de/denkm...enkmalliste/pdf/denkmalliste_merge_188144.pdf

Augsburg:
"Nach nicht gesicherter Überlieferung soll Bischof Embrico 1070 außerhalb der damaligen Stadt bei einer Georgs-Kapelle für zwei Domkanoniker ein Oratorium errichtet haben. Daraus sei 1135 das Augustinerchorherrenstift St. Georg entstanden."
Alle Lexikonartikel

"Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß bisher keine frühchristlichen Kirchenanlagen aus spätrömischer Zeit sicher für Augusta Vindelicum nachgewiesen werden konnten"
Wißner-Verlag - Bücher über Augsburg, Schwaben, Stadtführer, Musik, Geowissenschaft - Siedlungsgeschichte und Archäologie in Augusta Vindelicum/Augsburg

Der beliebteste Patron entlang der alten Straßen dürfte wohl nicht der Heilige Georg, sondern der Heilige Martin gewesen sein. Ich habe mal spaßeshalber ab Günzburg donauabwärts die alte Römerstraße im Bayernatlas abgeklappert:
Günzburg: St. Martin
Gundremmingen: St. Martin

Aislingen: St. Georg
Holzheim: St. Martin
Binswangen: St. Nikolaus
Pfaffenhofen: St. Martin
Lauterbach: St. Stefan
Mertingen: St. Martin
Oberpeiching: Mariä Heimsuchung
Staudheim: St. Quirin
Burgheim: St. Cosmas und Damian

Und als zweite Stichprobe links des Neckar von Rottenburg neckarabwärts:
Rottenburg: St. Martin
Wurmlingen: St. Briccius (Briccius war der Nachfolger des Heiligen Martin)
Tübingen: St. Georg, St. Martin, St. Maria (dreifaches Patrozinium)
Lustnau: St. Martin
Pliezhausen: St. Martin
Neckartailfingen: St. Martin

Neckarhausen: St. Bernhard
Oberensingen: St. Maria
Untersensingen: St. Michael
Köngen: St. Peter und Paul
Deizisau: St. Basilides, Cyrinus, Naborius und Nazarius
Hedelfingen: St. Leonhard
Wangen: St. Michael
Cannstatt: St. Martin
 
Erich, ist dir eigentlich dieser Sammelband bekannt?

Gerald Grabherr/Barbara Kainrath (Hrsg.): conquiescamus! longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpenraum. Akten des Kolloquiumszur Forschungslage zu römischen Straßenstationen

Innsbruck 4. und 5. Juni 2009
, Innsbruck 2010.
 
Im Laufe der Diskussion hat ein Teilnehmer auch eingeworfen, das sogenannte "Dekumatenland" (südliches Ba.-Wü.) sei von römischen Siedlern völlig verlassen worden.
Zum Beriech des Limes-Hinterlandes ist mir inzwischen eine interessante Untersuchung über den Weg gelaufen:
(2) Die spätantike Besiedlung der östlichen Schwäbischen Alb. In: J. Biel/J. Heiligmann/D. Krausse (Hrsg.), Landesarchäologie. Festschrift D. Planck. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 100 (Stuttgart 2009) 469-501 | Markus Scholz - Academia.edu
Ja, es ist anzunehmen, dass die römischen Siedler bei der Aufgabe dieses Gebietes in die weiterhin unter römischer Herrschaft stehenden Gebiete umgesiedelt wurden.
Der völlige Bruch mit der römischen Kultur ist in allen archäologisch fassbaren Lebensbereichen unübersehbar. Hierin unterscheiden sich die Ostalb-Alamannen teilweise von weiterwestlich siedelnden Gruppen.
Auch das schließt aber eine weitere Nutzung der Infrastruktur der östlichen Schwäbischen Alb durch die neuen Bewohner elbgermanischer Herkunft nicht aus.
Und das "Verlassen" muss nicht zwangsläufig für den Teil der Provinzen Raetien und Noricum gelten, der weiterhin Bestandteil des römischen Imperiums war und "geordnet" (536, 537) an die germanischen Herrscher übergeben wurden, die (wie die Merowinger) ursprünglich als Statthalter schon lange vor der Übergabe in römischen Diensten gestanden waren oder von diesen beauftrag wurden (540: Bajuwaren lösen im fränkischen Auftrag die Breonen als Wächter der Alpenpässe ab, Agilolfinger um 591 durch die Merowinger installiert).
 
Habe ich gesucht aber nicht gefunden.
sorry, ich habe zwei Threads durcheinander gebracht; es war hier
Die germanischen Siedler haben also wohl verlassene Siedlungsreste vorgefunden, die sie dann in Unkenntnis des einstigen Namens als wīla bezeichneten. Damit ist keine "Funktion" verbunden - außer dass es sich eben um eine Art Siedlung handelte.
Es wurde ja auch schon das Beispiel Rottweil genannt, dessen römischer Name Ara Flaviae bestens bekannt ist. Hier handelt es sich übrigens nicht um eine villa rustica, auch nicht um einen vicus, sondern um ein municipium, also eine größere Stadt! Das hielt die germanischen Neusiedler nicht von der -weil-Benennung ab.
dagegen hatte ich eingewendet:
Nun kommen wir zu dem von Dir genannten Rottweil, das rund 200 Jahre länger den Germanen überlassen worden ist.
Rottweil liegt in dem Gebiet, das um 300 von den Römern de facto verlassen wurde (Dekumatenland - Illergrenze), - und ab 500 (nach den Siegen der Franken gegen die Alemannen) wurde auch der westliche Teil der Raetia secunda bis zum Lech vom ostgotischen und italienischen König Theoderich d.Gr. der Ansiedlung von Alamannen überlassen (ab dem Lech werden die frühen Baiern genannt), und auch wer jenseits der Grenze wohnt und immer wieder zu Plünderungszügen in's Reich aufbricht, kennt in der Regel die Orte, die er heimsuchen möchte oder auch heimgesucht hat.
Das heißt aber nicht, dass das "germanischen Stämmen überlassene" Gebiet zwingend "brach lag".

Ich möchte nicht ausschließen sondern eher unterstellen, dass die Alamannen die strategisch günstig gelegenen Funktionsorte der Römer für eigene Zwecke weiter nutzten (auch unter einer eigenen -weil-Benennung).
Rottweil an der Kreuzung einer N-S und O-W Straße nahm im frühen Mittelalter einen Herzogs- und späteren Königshof (im 8. Jh. als Ausstellungsort einer Urkunde genannt) auf. Wir haben also eine Lücke von wenigen hundert Jahren, in denen durchaus auch eine alemannische Residenz in den ehemals römischen Bauwerken möglich wäre.
worauf entgegnet wurde:
Ich habe doch geschrieben, warum mich das nicht überzeugt. Die Behauptung mit der "wichtigen Verkehrslage" wird durch die von mir angeführten Weil-Namen widerlegt. Dass sich hier etwas "unmittelbar aus römischen Strukturen" entwickelte (wenn man unter "Strukturen" mehr verstehen soll als Mauerreste), ist nicht ersichtlich. Und dass "Weil"-Namen im Württembergischen eine andere Bedeutung gehabt haben sollen als "Weil"-Namen in Oberbayern, wirst Du wohl nicht behaupten wollen.
 
Im Laufe der Diskussion hat ein Teilnehmer auch eingeworfen, das sogenannte "Dekumatenland" (südliches Ba.-Wü.) sei von römischen Siedlern völlig verlassen worden.

Also wiedersprichst du dir eigentlich selbst?

Rottweil liegt in dem Gebiet, das um 300 von den Römern de facto verlassen wurde

Warum dann die ganzen Zitate von Sepiola? Die schreibt doch was ganz anderes?
 
Also wiedersprichst du dir eigentlich selbst?
Warum dann die ganzen Zitate von Sepiola? Die schreibt doch was ganz anderes?
Wie kommst Du darauf?
Im Laufe der Diskussion hat ein Teilnehmer auch eingeworfen, das sogenannte "Dekumatenland" (südliches Ba.-Wü.) sei von römischen Siedlern völlig verlassen worden.
Das war nicht meine Position.

Soweit ich Sepiola (auch hier #203) verstanden hatte, war nach seiner Ansicht allgemein (flächendeckend) und insbesondere auch Rottweil im Dekumatenland eine verlassene Ruinenansammlung an einem ehemals wichtigen Verkehrsknotenpunkt, öde, leer und verlassen.

Ich hatte dagegen eingewendet, dass auch die späteren Alemannen, die das Dekumatenland besiedelten, ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Infrastruktur hatten und daher auch die römischen Straßenstationen (die als Versorgungsstationen durchaus etwas abseits der Straße gelegen haben können - siehe Andechs, Gilching oder Weil am Lech) übernommen hätten (vermutlich sogar als herzoglichen Besitz) - und unter Beibehaltung einer römisch-romanischen Rumpfbesetzung.
Ich war darauf schon vor längerer Zeit gekommen, weil in der Tabula Peutingeriensis
TabulaPeutingeriana.jpg (21657×930) (wikimedia.org)
der Rhein mit Bodensee und Brigantum (Bregenz) eingetragen ist, und auf der gegenüberliegenden Seite im eindeutig als alemannisch gekennzeichneten Gebiet eine Fernstraße mit mehreren Stationen, die von Augusta Ruracum aus den Rhein überquert und dann am Schwarzwald entlang weiter zur Donau (Samuloceno) und an dieser entlang (Donaustraße) bis Regensburg führt.
Die These hatte ich hier #201 und hier #204 dann auch eingebracht.

Über die Datierungsprobleme der Tabula hatten wir uns hier Datierungsprobleme der Tabula Peutingeriana | Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte weiter unterhalten
 
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