Der Krieg... "der Vater aller Dinge"? Oder doch nicht?

Da ist kein Widerspruch,
Nein? Ich erlaube mir mal neu zusammenzusetzen:
In den katholischen Ländern wurden die Zöpfe nicht abgeschnitten – sie wurden durch die Gegenreformation noch gestärkt,
Und natürlich war Frankreich bis zur Revolution ein katholisches Land –
Gib doch einfach mal zu, wenn du dich verrannt hast. Das lässt dich souveräner erscheinen, als das ständige Beharren auf Widersprüchen.

wie Spanien und Italien, doch nur in Frankreich gab es diese Trennung von Kirche und Staat, und die Bürgerrechte wurden gleich verwirklicht, während man in den anderen beiden Staaten noch mindestens ein halbes Jahrhundert darauf warten musste.
Die spanische Verfassung von 1812 („La Pepa“) war zwar nur von 1812 - 1815 und dann noch mal von 1821 - 1823 in Kraft, aber sie gilt als die liberalste Verfassung Europas dieser Zeit. Es war im Übrigen französisches Militär, welches Ferdinand VII. 1823 half, den Absolutismus zu restaurieren und die Verfassung wieder außer Kraft zu setzen. In Spanien bekannt als Los Cien Mil Hijos de San Luis: die hunderttausend Söhne des Heiligen Ludwig (damit war Ludwig XVIII. gemeint).

Deutsches Reich bestand nach den napoleonischen Kriegen zwar nicht mehr, dennoch darf man das bevölkerungsreiche katholische Kaiserreich Österreich (mit Böhmen und Ungarn) wie auch das katholische Königreich Bayern bis 1849 noch dazu zählen. Will sagen: So deutlich sehe ich die protestantische Dominanz bis dahin nicht.
Ich hatte zunächst Deutschland geschrieben, dann Deutschland wegen Unpräzision durch Deutsches Reich ersetzt und aus Zeitdruck nicht beachtet, dass der Rest des Satzes dann noch unpräziser als die ursprüngliche Version war. Mein Fehler. Aber im Grunde genommen hast du mich ja verstanden.
 
Die spanische Verfassung von 1812 („La Pepa“) war zwar nur von 1812 - 1815 und dann noch mal von 1821 - 1823 in Kraft, aber sie gilt als die liberalste Verfassung Europas dieser Zeit.
Wenn man die Geschichte Spaniens des 19. und des 20. Jahrhunderts betrachtet, waren das von dir genannten Zeiten genauso Ausnahmen, wie die Zeit der Zweiten Spanische Republik von 1931 bis 1936 bzw. 1939. Das alles ändert nichts an der Feststellung, dass Spanien spätestens seit Isabella I. von Kastilien ein tief katholisches Land war, das länger als andere in einem Zustand verblieb, in dem die Großgrundbesitzer das Sagen hatten. Das gilt auch für Italien - in dem Roman Der Leopard von Giuseppe Tomasi di Lampedusa oder auch in dem Film 1900 wird das sehr schön dargestellt.

Aber auch das führt mich/uns nicht weiter: Ich weiß eigentlich nicht, was in diesem Zusammenhang an meinen Ausführungen falsch sein sollte, deswegen will ich sie noch einmal in zwei Sätzen zusammenfassen:

1. Dass die Gegenreformation in den katholischen Ländern siegte und dadurch dort das Rad der Geschichte zurückdrehte, was sich als Nachteil für sie herausstellte, ist Fakt.

2. Und Fakt ist auch, dass die Französische Revolution grundlegende Veränderungen in ganz Europa bewirkte – freilich in einigen Ländern früher und/oder mehr als in anderen.


Es gibt ja die Vorstellung, dass z.B. die großen Katastrophen der planetaren Geschichte (Massenaussterben) der biologischen Evolution sozusagen jeweils einen Boost gaben. Ob das so war, oder nicht, lässt sich nicht sagen.
Und noch viel weniger wenn man die kulturellen Evolutionen betrachtet.
Ja – eine Katastrophe, egal welchen Ursprungs, vernichtet Leben. Das schafft aber auch Platz für neues Leben, das nicht unbedingt dem alten gleichen muss.

Bei den kulturellen Evolutionen ist es ähnlich: Eine Katastrophe, die die Vertreter des alten Denkens dahinrafft, schafft Platz für neues Denken. Darüber dürfte es keine zweite Meinung geben.

Was man aber m.E. sicher sagen kann, dass im Werkzeugkasten des Fortschritts und der Erkenntnis, Mord und Totschlag nicht sinnvoll zu finden sind.
Das ist richtig, obwohl wir auch den Begriff Tyrannenmord kennen. Und manche wissenschaftliche Meinung hat sich auch schon als Tyrannei entpuppt, die den wissenschaftlichen Fortschritt behinderte.

In solchen Fällen sagen wir beschönigend: Die Zeit wäre damals für jene Idee/Neuerung nicht reif gewesen. Man könnte aber auch sagen: Ein frühzeitiges (Aus)Sterben der Vertreter der „alten“ Meinung hätte jene Zeit reif gemacht. :D
 
Wenn man die Geschichte Spaniens des 19. und des 20. Jahrhunderts betrachtet, waren das von dir genannten Zeiten genauso Ausnahmen, wie die Zeit der Zweiten Spanische Republik von 1931 bis 1936 bzw. 1939.
Das ist richtig.
Aber schauen wir uns doch noch einmal deine Behauptung an:
In den katholischen Ländern wurden die Zöpfe nicht abgeschnitten – sie wurden durch die Gegenreformation noch gestärkt,
Und das ist eben so nicht richtig. Denn wie du richtig festgestellt hast
war Frankreich bis zur Revolution ein katholisches Land –
Ich möchte sogar sagen: Frankreich ist bis heute ein katholisches Land.
Und wie ich ergänzt habe, gilt die Pepa als liberalste Verfassung ihrer Zeit.

Das alles ändert nichts an der Feststellung, dass Spanien spätestens seit Isabella I. von Kastilien ein tief katholisches Land war, das länger als andere in einem Zustand verblieb, in dem die Großgrundbesitzer das Sagen hatten.
So wie die Lairds im presbyterianischen Schottland? Oder die Lords im anglikanischen England?
Es gibt im Übrigen eine Reihe von Parallelen in der spanischen und französischen Geschichte des 19. Jhdts. die du ignorierst. Ist ja nicht so, als wäre das nachrevolutionäre Frankreich mit seinem Kaiser Napoleon, seinem Ludwig XVIII., seinem "Bürgerkönig" Louis-Phillipe und seinem Napoleon III. der Ausbund an Liberalität gewesen ;)

1. Dass die Gegenreformation in den katholischen Ländern siegte
ist der Grund, warum wir diese Länder überhaupt als katholisch wahrnehmen.

und dadurch dort das Rad der Geschichte zurückdrehte, was sich als Nachteil für sie herausstellte, ist Fakt.
Das ist eine Behauptung, die du bisher NICHT belegt hast, und die für jedes Land und jeden Landstrich einzeln bewertet werden müsste. Weil du z.B. Il Gattopardo nanntest: Norditalien ist nicht weniger katholisch als Süditalien. Und dennoch haben beide Landstriche vollkommen unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht. Die Toskana, Rom und sogar das süditalienische Neapel waren Zentren der Renaissance, deren Ideen sie nach ganz Europa exportieren.

2. Und Fakt ist auch, dass die Französische Revolution grundlegende Veränderungen in ganz Europa bewirkte – freilich in einigen Ländern früher und/oder mehr als in anderen.
In einem katholischen Land. Was, ich wiederhole es, deine obige These widerlegt.

Wenn du deine These weiter vertreten willst, solltest du dich vielleicht heimlich von Frankreich verabschieden und deine These mit anderen Ländern belegen. ;)
 
Ich will es noch ein letztes Mal versuchen: Frankreich war bis zur Revolution katholisch – und blieb es danach auch, aber der wesentliche Unterschied zu Spanien und Italien war und ist bis heute: Seit der Revolution hat der Vatikan in Frankreich wenig bis nichts zu sagen.

In Italien hat es diesen Bruch erst halbes Jahrhundert später mit Garibaldi gegeben, wobei sich der Vatikan auch dann noch in die Politik einmischte, indem es z.B. 50 Jahre lang den italienischen Katholiken verbot, an den Wahlen teilzunehmen; da galt Römer 13,1-7, auf den sich die Kirche immer berufen hatte, wenn es galt, ihren Schäfchen das Gehorsam gegenüber dem Staat abzuverlangen, plötzlich nicht mehr. :D

Das ist eine Behauptung, die du bisher NICHT belegt hast, und die für jedes Land und jeden Landstrich einzeln bewertet werden müsste.
In dieser Sache dürfte es genügen, auf das Werk von Max Weber hinzuweisen.

Weil du z.B. Il Gattopardo nanntest: Norditalien ist nicht weniger katholisch als Süditalien. Und dennoch haben beide Landstriche vollkommen unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht. Die Toskana, Rom und sogar das süditalienische Neapel waren Zentren der Renaissance, deren Ideen sie nach ganz Europa exportieren.
Ja, das waren Zentren der Renaissance – aber danach wurde es ziemlich duster, vor allem in dem auf einer mittelalterlichen Fälschung beruhenden Kirchenstaat; du vergisst, wir sprechen hier über die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg bzw. nach der französischen Revolution.

Außerdem ist die (katholische) Religiosität im Süden Italiens mit der im Norden nicht zu vergleichen: Die eine ist märchenhaft und noch mittelalterlich mystisch, die andere fast so pragmatisch wie im Protestantismus. Ich weiß das, weil ich in Italien, hauptsächlich im Norden, ein paar Jahre arbeitete und lebte.

Wenn du deine These weiter vertreten willst, solltest du dich vielleicht heimlich von Frankreich verabschieden und deine These mit anderen Ländern belegen.
Nein, weil Frankreich nach wie vor ziemlich das einzige katholische Land in Europa ist, in dem Laizismus (Trennung von Religion und Kirche) nicht nur in der Verfassung steht, sondern auch praktiziert wird. Alle anderen (katholischen) Staaten sind davon mehr oder weniger weit entfernt.

Wir haben uns beide mittlerweile ziemlich weit vom Threadthema entfernt. Ich schlage daher vor, uns wieder dem eigentlichen zuzuwenden.
 
Ich will es noch ein letztes Mal versuchen: Frankreich war bis zur Revolution katholisch – und blieb es danach auch, aber der wesentliche Unterschied zu Spanien und Italien war und ist bis heute: Seit der Revolution hat der Vatikan in Frankreich wenig bis nichts zu sagen.
Das ist egal. Deine These war: In katholischen Gebieten gab es keine (erfolgreichen) Revolutionen, dort wurden Zöpfe nicht abgeschnitten. Dann hast du die These im nächsten Satz mit dem Hinweis auf die Französische Revolution gleich selbst widerlegt (freilich ohne dies selbst zu merken, darauf musstest du erst hingewiesen werden). Seitdem du darauf hingewiesen wurdest, dass du deine These schon selbst widerlegt hast, versuchst du sie mit allerlei rabulistischen Winkelzügen irgendwie doch noch zu retten. Warum?
 
Huch, was habe ich hier wieder losgetreten? Kein Wunder, dass ich in diesem Forum immer den Überblick verliere …
Dann stellen wir doch mal zwei Fragen zu zwei Kriegen, die "tragischerweise" den "Fortschritt" massiv hätten beflügeln müssen. Der erste ausgedehnte Krieg, der angeführt werden sollte, war der der "Hundertjährige Krieg" (1337 bis 1453) und der zweite wäre der "Dreißigjährige Krieg" (1618 bis 1648).

Folgt man Malamima (Europäische Wirtschaftsgeschichte, S. 191ff) dann gehört diese Periode eher zum "zweiten Zeitalter" und war bis in das 19. Jahrhundert eher durch Stagnation gekennzeichnet. Welche Form von "Fortschritt" soll man sich mit diesen zwei Kriegen vorstellen. Zumal Trevor-Roper in "The Crisis of the 17th Century" ein zerrissenes Europa beschreibt, gekennzeichnet durch gravierende Antagonismen.
Bewegst Du Dich hier nicht im Bereich der anekdotischen Beweisführung? Genügt es, einen Krieg zu finden, der Stagnation oder Rückschritt, nicht Fortschritt verursachte, um die oben genannte These zu widerlegen? Krieg bedeutet zunächst einmal immer Leid und Zerstörung.

Bedenkenswert sind jedoch die Bemühungen des Menschen, sowohl sich einen Vorteil über den Feind zu verschaffen (ein Taktgeber des technologischen Fortschritts), als auch Leid und Mangel zu lindern oder zu überwinden, die ein Krieg auslöst. Dazu weiter im Folgenden.
Zusätzlich formuliert Lombard für die "Blütezeit des Islam" die Periode zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert. Warum nicht für die Phase nach den Kreuzzügen, wenn der Fortschritt doch so beflügeln sein soll.
Das Adjektiv 'menschlich' in meiner Formulierung bezog sich auf das 'Unterfangen', nicht auf den Fortschritt. Ich weise darauf hin, weil Du von einem allumfassenden Fortschrittsbegriff auszugehen scheinst, den verwendet zu haben ich mich nicht erinnern kann.

Warum sollten wir von einem solchen Fortschrittsbegriff ausgehen? "Globalen" Fortschritt dürfte es kaum jemals gegeben haben. Selbst wo eine Errungenschaft letztendlich weltweite Verbreitung findet, müssen i.d.R. erst die politischen, wirtschaftlichen (usw.) Voraussetzungen für ihre Verbreitung geschaffen werden.

Du hast eingewandt, die Blütezeit des Islam sei den Kreuzzügen (das ursprüngliche Thema) vorangegangen, und wäre der Krieg ein Fortschrittsmotor, müsste sie diese überdauert haben. Demgegenüber stehen jedoch positive Auswirkungen in Europa, vulgo: Fortschritt. Was nun?

Wir könnten Lombard diskutieren; Blachère etwa verortet die Hochzeit des Islam abweichend zwischen dem Aufstieg der Abbasiden und der Eroberung Bagdads durch die Mongolen. Für ihn liegt sie auch während der Kreuzzüge. Aber darum geht es hier nicht.

Vielmehr ist zu klären, ob dort von Fortschritt zu sprechen ist, wo es für Hänschen vorangeht, Fritzchen indes zurückgeworfen wird. Freilich sehe ich nicht, welchen Sinn eine derart exklusive Definition hätte. Was mir die Frage aufwirft, warum wir dieser Diskussion keine Definition des Fortschritts voranstellen.

Ich vermute, unsere Meinungsverschiedenheit beruht auf unterschiedlichen Vorstellungen davon, was "Fortschritt" ist. Und natürlich auf Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Konsequenz (noch) welcher Ursache zuzurechnen ist.

Was Letzteres anlangt, würde ich auf die Bedingungstheorie abstellen, aus Gründen, die bereits in der Formel condicio sine qua non anklingen: Bedingung, ohne die kein. Hätte es ohne die bedingende Ursache "Krieg" nicht die Folge "Fortschritt" gegeben, würde ich einen Zusammenhang unterstellen.

Du sprichst nun den Hundertjährigen Krieg an und führst die wirtschaftliche Stagnation jener Zeit ins Felde.

Setzen wir meinetwegen eine kriegsbedingte Stagnation voraus, obwohl die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts unter dem Vorzeichen der Pest stand und folglich erst einmal untersucht werden müsste, ob Du nicht womöglich dem Krieg Folgen der Pandemie zuordnest, bzw. ob und wie der Konflikt die Folgen der Pandemie beeinflusste.

Ist dies aber die einzige Konsequenz des Hundertjährigen Krieges? Was ist z.B. mit seinen Auswirkungen auf das französische Staatswesen?

Immerhin führt der Konflikt zu entscheidenden Neuerungen (Zentralisierung und Verrechtlichung des Staates, Einhegung der Magnaten, Nationalgefühl, stehendes Heer), die den Grundstein legen für Frankreichs Aufstieg zum reichsten und bedeutendsten Staat auf dem Kontinent.

Was ist mit den sozialen Veränderungen in England infolge der kriegsentscheidenden Rolle, die bürgerliche Bogenschützen spielen? Was ist mit den vielen technologischen Innovationen, die sich etablieren? Fallen diese Aspekte für Dich nicht unter Fortschritt?

Das ist keine rhetorische Frage; ich versuche, Deine Einwände zu verstehen.
Im Prinzip dürfte das Gegenteil zu dem zutreffen, was "muck" vermutet. Die empirisch angereicherte Arbeit von Pinker (Gewalt") zur historischen Abnahme von Gewalt in seinen vielen Facetten deutet eher darauf hin, dass Friedenszeiten den sozialen Wandel - im positiven Sinne - am stärksten verändert haben.
Friedenszeiten haben den 'sozialen Wandel' am stärksten 'verändert'? Du wolltest wahrscheinlich sagen: beschleunigt? Freilich macht sich hier wieder negativ bemerkbar, dass dieser Diskussion keine Definition von Fortschritt vorangestellt wurde.

Du sprichst von 'soziale[m] Wandel'. Warum? Lässt sich darunter alles subsumieren, was "Fortschritt" ist? Da wäre ich anderer Ansicht, nicht zuletzt deshalb, weil Entwicklungen, die sich langfristig als vorteilhaft für die ganze Menschheit erwiesen haben, oft anfangs einzelne demographische Gruppen oder ganze Völker einseitig belasteten.

Das einfache Volk etwa erlebte den Kapitalismus – dem Pinker zu Recht zuschreibt, die ganze Menschheit langlebiger, sicherer und reicher gemacht zu haben – anfangs nicht gerade als Segen.

Was übrigens Steven Pinker anlangt … in Aᴜꜰᴋʟᴀ̈ʀᴜɴɢ Jᴇᴛᴢᴛ relativiert er Gᴇᴡᴀʟᴛ: Eɪɴᴇ ɴᴇᴜᴇ Gᴇsᴄʜɪᴄʜᴛᴇ ᴅᴇʀ Mᴇɴsᴄʜʜᴇɪᴛ insofern, als die von ihm betrachtete Epoche, die mit der Industriellen Revolution beginnt, nicht stellvertretend stehen könne für die gesamte menschliche Geschichte.

Die Fülle globaler Veränderungen seit 1945 stelle ein Kapitel eigener Genese dar, aus dem sich keine Vorhersagen für die Zukunft ableiten ließen. Woraus in meinen Augen folgt, dass die daraus zu ziehenden Lehren auch die Vergangenheit, sprich 99,999% der Menschheitsgeschichte, nur unvollständig beschreiben können.

Es mag sein, dass wir uns in der ersten Epoche der Geschichte befinden, in der Fortschritt nicht mehr hauptsächlich aus der Not – gleich welcher Form von Not – geboren wird. Aber selbst die Innovationen der Gegenwart müssen noch immer auf ihren Ursprung abgeklopft werden.

Sind bspw. diejenigen Innovationen, die aus dem Raumfahrtprogrammen der USA und der UdSSR hervorgegangen sind, wirklich als Produkt friedlicher Forschung zu werten?
Die Arbeiten von Preisser-Kapeller […] und Abu-Lughod […] zeigen, wie stark Handel und damit Wohlstand durch einen von Fürsten garantierten und möglichst ungestörten und friedlichen Austausch begünstigt wurde. Und wie anfällig dieses Handelssystem gegen kriegerische Störungen war und in der Regel sich neue Handelsverbindungen suchte.
Dieser Einwand scheitert in meinen Augen wieder an der noch auszudiskutierenden Frage, wie allumfassend eine Entwicklung sein muss, um von Fortschritt zu sprechen.
Deshalb erscheint die Schlussfolgerung in Form einer unkritischen Bejahung eines kriegerischen Sozialdarwinismus problematisch.
Ich halte diesen Begriff hier für deplatziert, und 'unkritisch' bejahe ich ihn schon gar nicht. Wenig kontrovers erscheint mir indes die Beobachtung, dass Veränderung nicht aus Zufriedenheit, Sorglosigkeit und Überfluss geboren wird.

Wo Passivität nicht bestraft wird, müssen günstige politische und ökonomische Bedingungen sich überhaupt erst einmal derart vereinigen, dass Aktivität lohnender ist als Passivität.
 
Die ersten Räder benutzte man an Ochsenkarren, nicht an Streitwagen. Das Schreiben war ein Produkt von Berechnung von Ackerflächen, Geschäftsbriefen und Diplomatie (die ältesten Keilschrift-Dokumente sind Geschäftsbriefe, lange bevor wir Lyrik oder Historiographie haben). Ackerbau und Viehzucht, Segen und Fluch zugleich (siehe Harari, der sich freilich polemisch überspitzt fragt, ob wir den Weizen oder der Weizen uns domestiziert habe), war eher der Grund für Krieg, als durch Krieg verursacht. Die sesshafte Lebensweise, die v.a. der Ackerbau voraussetzt, ist im Krieg ein Nachteil.

Bronze und Eisen? Weiß ich nicht. Was war zuerst: Gerät (etwa die Pflugschar) oder Waffe (das Schwert)?

Noli turbare circulos meos sagte Archimedes (angeblich und wenn wohl auf griechisch) zu dem unbekannten römischen Legionär, der Wissenschaftler zum Soldaten, der Konstrukteur zum Destructeur.
 
Entschuldige Muck,
aber in welchem Bereich der Beweisführung befindest Du Dich?
Oder glaubst Du, dass das Absondern von Postulaten auch schon eine solche sei?
Wenn Du auf diese Frage eine Antwort möchtest, müsstest Du schon etwas genauer darauf eingehen, welcher Teil meines Kommentars Dir kritikwürdig erscheint und wozu ich mich also äußern soll.
 
Wenn Du auf diese Frage eine Antwort möchtest, müsstest Du schon etwas genauer darauf eingehen, welcher Teil meines Kommentars Dir kritikwürdig erscheint und wozu ich mich also äußern soll.
Deine These war: "Generell lässt sich sagen, dass Kriege tragischerweise den Fortschritt beflügeln wie kaum ein anderes menschliches Unternehmen".
Du bist in der Bringschuld diese zu belegen, und nicht andere diese zu widerlegen.

Und wenn Du mich schon fragst welcher Teil Deines Kommentars 'kritikwürdig' sei, so halte ich diesen für insgesamt verfehlt, da er keinerlei Belege für Deine These beinhaltet.
... um es mit ausgesuchter Höflichkeit auszudrücken.
 
Und dann noch folgender Satz : Für den preußischen Raum ist das nicht ohne die Stein-Hardenbergschen Reformen zu denken. Zudem Abschaffung der Zünfte und Bauernbefreiung (Bauernentlassung würde ich das eher nennen). Die Bauernbefreiung führte dann dazu, dass sich viele Bauern nun scheinbar freiwillig in die bourgeoisen Fabriken begaben. Die Reformen haben also der Bourgeoisie eine Reservearmee an Arbeitern verfügbar gemacht.
Das wäre ohne die Niederlage gegen Frankreich nicht passiert.
Ohne die kriegerische Konkurrenz zwischen den Staate kein Aufstieg des Bürgertums.
 
In China wurde das Bürgertum unterdrückt. In Europa war das wegen der kriegerischen Konkurrenz weniger der Fall. Auch darum fand die industrielle Revolution in Europa und nicht in China statt.
Die Hohenzoller hatten ihr eigenes Bürgertum unterdrückt und mussten eines aus Frankreich importieren.
 
2. Der verlorene Krimkrieg 1853 – 1856 (Alliierte (Frankreich, Osmanisches Reich, Vereinigtes Königreich und Königreich Sardinien) gegen Russland war dann sowas wie eine Initialzündung die Anstoß zu Reformen gab. So wurde beispielsweise 1861 die Leibeigenschaft abgeschafft.
Der Krieg als Vater der Industrialisierung.
 
Ohne die kriegerische Konkurrenz zwischen den Staate kein Aufstieg des Bürgertums.

Warum schaffte das Bürgertum dann seinen Aufstieg im Besonderen und sehr früh in Großbritannien? Also in einem Land, dass mit den Dauerkrisenherden und Dauerkonflikten und -Rivalitäten auf dem europäischen Kontinent deutlich weniger zu tun hatte, als die kontinentalen Akteure, bei denen die Emanzipation des Bürgertums deutlich länger dauerte?

In China wurde das Bürgertum unterdrückt.
Gab es in China ein Bürgertum, dass mit dem Europäischen vergleichbar wäre? Halte ich für hinterfragbar, da sollte man sich dann vielleicht einmal darüber unterhalten, was genau Bürgertum eigentlich auszeichnet.

Sofern wir nicht von einem Bürgertum als sozialer Spezialkategorie reden, sondern von sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, würde ich behaupten wollen, dass der chinesische Staatsaufbau mit seinen Genormten Beamtenexamen, zu denen weite Teile der Bevölkerung durchaus Zutritt hatten, in der vorindustriellen Zeit deutlich meritokratischer war, als die europäischen Feudalgesellschaften.

Auch darum fand die industrielle Revolution in Europa und nicht in China statt.

Woher eigentlich die Vorstellung dass automatisch das Bürgertum natürlicher Träger industrieller Entwicklung sein müsse?
Das mag in Teilen Westeuropas der Fall gewesen sein, schaut man sich aber etwa Obeerschlesien und das dortige Magnatentum an, z.B. dort ansässige Dynastien von Großgrundbesitzern wie etwa Henckel von Donnersmarck an, wird man feststellen, dass es durchaus auch Regionen gibt, in denen der alteingesessene Adel zum Träger der wirtschaftlichen Transformation und frühen Industrialisierung wurde.

Solche Beispiele finden sich im Besonderen in Mittelosteuropa und Osteuropa auch an anderer Stelle. Ein prominentes Beispiel wäre z.B. Metternich, der in der späteren Geschichtsschreibung ja als relativ fortschrittsfeindlich dargestellt wurde, der nichts desto weniger in seinen späteren Jahren die Bodenschätze seiner Güter zu nutzen wusste und ort Hüttenbetriebe errichten ließ.
So weit ich informiert bin ist es auch in Russland so gewesen, dass der Adel einen gewissen Anteil an der Industrialisierung vor dem 1. Weltkrieeg hatte.

In Großbritannien, ist eine solche Typisierung auch nicht ganz so einfach, weil hier die Übergänge zwischen Wirtschaftsbürgertum und Adel relativ fluide waren und sich das Wirtschaftsbürgertum, wenn es mit seinen industriellen Unternehmungen Erfolg hatte, sich sehr schnell Adelstitel zulegte, womit sehr viel an inddustrieller Entwicklung zwar aus dem Bürgertum kam, sich dann aber genau so schnell unter der adeliger Kontrolle wiederfand.

Das halte ich in dieser Form für schwierig.

Die Hohenzoller hatten ihr eigenes Bürgertum unterdrückt und mussten eines aus Frankreich importieren.

Wo genau hatten die Hohenzollern ihr Bürgertum unterdrückt?
Der einzige Raum in dem es das Bürgertum unter den Hohenzollern wirklich extrem schwer hatte Fuß zu fassen, war die Armee.
Ob das Bürgertum aber Aussicht auf Offizierspatente hatte, war für die Frage ob es zum Träger einer industriellen Entwicklung werden konnte, aber eher weniger bedeutend.

Das Bürgertum in Brandenburg Preußen war, bis ins 18. Jahrhundert hinein eher schwach aufgestellt, was aber auch einfach daran liegt, dass es in diesem Landd kaum größere Städte gab, in denen überhaupt so etwas wie ein Bürgertum vorkam.
Das es wiederrum relativ wenig größere städtische Siedlungen gab, mag im Hinblick auf die Mark Brandenburg möglicherweise auch mit den sandigen Böden zusammenhängen, die relativ wenig Ertrag lieferten und die Versorgung größerer Siedlungen nicht gerade vereinfacht haben dürften.
 
Gab es in China ein Bürgertum, dass mit dem Europäischen vergleichbar wäre? Halte ich für hinterfragbar, da sollte man sich dann vielleicht einmal darüber unterhalten, was genau Bürgertum eigentlich auszeichnet.
Das Großbürgertum ist gemeint . Die Spinning Jenny wurde schon früher in China erfunden und ihr Betrieb verboten.
 
Die Spinning Jenny wurde schon früher in China erfunden und ihr Betrieb verboten.

Die "Spinning Jenny" wohl nicht. Es kann durchaus sein, dass in China bereits zuvor leistungsfähigere Webetechnikten erfunden, auf Grund ihrer sozialen Konsequenzen aber unterdrückt wurden.

Das wäre allerdings für China kein Alleinstellungsmerkmal, das Verbot der Anwendung bestimmter Produktionstechniken, die so effizient waren, dass sie tatsächlich für die alteingesessenen Handwerker existenzbedrohend wurden, ist etwas, was es in Europa durchaus auch immer wieder gegeben hat, im Besonderen bevor Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die sozialen Umwälzungen die Zunftvereinigungen weitgehend entmachtet wurden und sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Gewerbefreiheit allmählich durchsetzte.

Und selbst als diese Schranken sukkzessive fielen, hatten die Fabrikbesitzer in Europa durchaus Schwierigkeiten sich vor den, nun nicht mehr benötigten Arbeitern/Handwerkern zu schützen, die sich dann nicht stelten als Ludditen/Maschienenstürmer betätigten und die Maschinen, mit denen sie nicht konkurrieren konnten einfach kurzerhand zerstörten.

Bis sich in Europa die Maschinerie tatsächlich ungestört von gesetzlichen Beschränkungen und dem Zorn marodierender, um sich um ihre Existenz gebracht sehende Handwerker und Arbeiter entwickeln konnte, dauerte es bis in die 1850er-1860er Jahre hinein und bis größere Unternehmen ein so großes Kapital aufbauen konnten, dass sie aus ihren eigenen Profiten und Kapitalien heraus wirklich voll auf Maschinen und Expansion setzen konnten, dauerte je nach Branche nicht selten bis in die 1870er Jahre hinein.

So groß, würde ich meinen, waren die europäischen Vorteile hier nicht.

Ich würde eher annehmen, aber das ist lediglich eine Vermutung, dass China den Übergang von einem in Teilen durchaus vorhandenen Manufakturwesen hin zu einem modernen Fabrikwesen vor allem deswegen nicht in der Zeit wie Europa oder sogar schneller schaffte, wahrscheinlich damit zusammenhing, das auf Grund der großen Bevölkerung menschliche Arbeitskraft sehr günstig zu haben war, während z.B. in England die zunehmende koloniale Abwanderung und die ohnehin (damals noch) überschaubare Bevölkerung der britischen Inseln mutmaßlich dazu geführt haben dürfte, dass menschliche Arbeitskraft teuer und technische Lösungen damit attraktiv wurden, zudem war die Rohstofflage hier günstig.

Hohe Kosten für menschliche Arbeitskraft und überschaubare Bevölkerung mag für andere Teile Europas nicht zugetroffen haben, dafür gab es hier massiven Konkurrenzdruck durch die englischen Fortschritte in der Produktionsweise und einen anderen Zwang in Sachen technischer Entwicklung nachzuziehen.

Das Großbürgertum ist gemeint

Das Großbürgertum, ist zunächst mal eine Plattitüde.

Sprichst du von einem Bürger im Sinne des Citoyen, als einer Gesellschaftsklasse mit durchaus politischen Funktionen und Machtmitteln oder meinst du mit "Großbürgertum" einfach nur Besitzer wirtschaftlicher Mittel, die in einer Agrargesellschaft, so sie nicht explizit dem Handel zuzuordenen waren, wahrscheinlich eher mit Großgrundbesitzern als dem europäischen Bürgertum im Sinne städtischer Warenproduzenten etwas zu tun hatte?
 
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