Wie liefen die "Beschaffungen" für Hagenbecks Völkerschauen ab?

dr.kleiner

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Hallo zusammen:
Habe gerade in meiner Einheit zum Imperialismus eine Stunde für Hagenbecks Völkerschauen verwendet. Woran ich nicht, aber meine Schüler recht schnell gedacht haben war: Wie ist Hagenbeck an seine "Exponate" gekommen? Sklaverei war schon verboten, Menschenhandel fällt damit weg. Ich gehe mal von Versprechungen, bzw. einer (geringen) Bezahlung aus, falls die Menschen überlebt haben. Hat da jemand genauere Informationen zu? Die Wikipedia gibt nur diese kurze Info (Hervorhebungen von mir):

"Die Organisation der Völkerschauen war mit großem Aufwand verbunden. Insgesamt mussten für eine Völkerschau bis zu fünf Jahre zur Vorbereitung und Umsetzung eingeplant werden. Bereits die Anwerbung begann ein halbes Jahr vor der eigentlichen Tournee. Anwerber des Tierhändlers Carl Hagenbeck waren zum Beispiel der Nordpolargebiet-Reisende Johan Adrian Jacobsenhttp://de.wikipedia.org/wiki/Johan_Adrian_Jacobsen oder Mitglieder aus Hagenbecks Familie.
Es wurde stark darauf geachtet, möglichst Kinder und Erwachsene beiden Geschlechts und verschiedenen Alters vorzuführen, damit die Besucher mehr über das „Familienleben“ der Völker erfahren konnten. Mit einem Vertrag zwischen Organisator und den fremden Menschen wurde die Länge des Aufenthalts, die Verpflichtungen während der Schau und das Gehalt festgelegt. Einige Schauen verzeichneten Verluste durch verschiedene Krankheiten, wodurch eine medizinische Untersuchung Pflicht wurde." (Quelle: Wikipedia - Völkerschau)

Hat da jemand noch etwas Genaueres / Interessantes / Spannendes / Anekdotenhaftes oder generell im Unterricht verwendbares?

Vielen Dank schon mal und Lieben Gruß
 
Ich weiß nicht, ob es im Unterricht verwendbar ist, aber Hagenbecks Sicht der Dinge kann man in "Von Tieren und Menschen" nachlesen. Dort schreibt er z.B. über das Ende einer Völkerschau mit Inuit:

"Arm waren sie gekommen, reich im buchstäblichen Sinne zogen sie in ihre Heimat zurück. Außer einem, wenigstens für ihre Verhältnisse, wirklich großen Vermögen von 8000 Kronen führten sie zwei Wagen voller Geschenke aller Art mit in ihre Heimat. Wie ich später durch meinen Eismeerreisenden erfuhr, war die Freude der grönländischen Eskimos bei Rückkunft der Truppe unbeschreiblich. Ukubak lud fast alle Bewohner der Disko-Bucht zu einem gewaltigen Wiedersehensfest ein. Fast 3000 Gäste halfen ihm einmütig, sein Vermögen bis auf das letzte Öre auf den Kopf zu schlagen, und die ersten Robbenjäger zogen erst wieder auf Nahrungssuche, als der letzte Bissen verzehrt und das letzte Lot Kaffee in den Schneehütten verduftet war."
Hagenbeck, Carl, Von Tieren und Menschen, 3. Völkerschauen von der Arktis bis zum Feuerland - Zeno.org

Die Berliner Zeitung zeichnete am 08.07.1994 ein weniger positives Bild: "Während beispielsweise die Teilnehmer der "Wildwest-Shows" auf Drängen der Regierung der Vereinigten Staaten feste Arbeitsverträge erhielten und vor allem selbst genau wußten, worauf sie sich einließen, erging es anderen Gruppen schlechter. Die erwähnte Feuerländer-Gruppe wurde von Agenten Hagenbecks eingefangen und entführt."
Eskimos starben an Pocken : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv

Interessant könnte auch die Arbeit "Fremde Bilder - Koloniale Spuren in der Schweiz" sein. Sie richtet sich an Lehrende und beschäftigt sich zu einem nicht kleinen Teil auch mit "Völkerschauen".
http://www.globaleducation.ch/globaleducation_de/resources/AN_Ln/FremdeBilder_2011.pdf

Wenn ich mich richtig erinnere, gelangte das traurige Thema vor etwa 10 Jahren zu einer großen Medienaufmerksamkeit als der Augsburger Zoo eine Ausstellung mit Afrikanern plante.

Eine interessante Linksammlung inkl. zeitgenössischen Filmausschnitten lässt sich hier finden.
http://www.crieur-public.com/tag/volkerschauen/
 
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Einen vielleicht ganz guten kompakten Einstieg ins Thema bietet Dreesbach, Anne: Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden", in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) (hier online). Für den Schulunterricht etwas leichter verdaulich könnte der GEO-Artikel Von Feuerländern und Nubiern sein. Oder anekdotisch die Geschichte des Lakota-Sioux Edward Two-Two, der während seines dritten Europa-Aufenthalts als Darsteller so einer Völkerschau verstarb und auf eigenen Wunsch in Dresden begraben wurde; den im Wiki-Text erwähnten Dokumentarfilm hab' ich vergangenes Jahr verblüfft-interessiert gesehen, weil mir das Thema bis dahin völlig fremd war.
 
Vielen Dank für diese beiden äußerst hilfreichen Antworten! Da hab ich schon mal was zu lesen, two-two's Geschichte wurde direkt mit eingebracht und dass sich sogar die Amerikanische Regierung eingeschaltet hatte auch. Vielen Dank nochmal, super Informationen.
 
Völkerschauen waren Ende des 19. Jahrhunderts der ganz große Renner. Zahlreiche Zoologische Gärten wie Hagenbecks Tierpark in Hamburg, die Wilhelma in Stuttgart und andere warben mit Völkerschauen, und selbst auf dem Münchner Oktoberfest wurden exotische Völker ausgestellt. Die Ethnologie steckte noch in den Kinderschuhen. In Belgien warb König Leopold II. auch mit Völkerschauen für sein Lieblingsprojekt, den Kongo-Freistaat. In Tervuren gründete Leopold ein Museum für Zentralafrika. Bei einer Ausstellung waren Modelle eines traditionellen und eines "zivilisierten" kongolesischen Dorfes zu besichtigen.

Leopold ärgerte sich aber darüber, dass Besucher den lebenden Exponaten allerlei "Leckerbissen" zuwarfen, was einige Kongolesen nicht vertrugen und einige erkrankten. Seine Majestät ließ daraufhin Schilder aufstellen mit der Aufschrift "Füttern verboten".

Im Stuttgarter Zoo, der Wilhelma existieren noch mehrere Bauten in maurischem Stil, die Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts u. a. auch als Kulisse für Völkerschauen dienten.

Bereits im 17, und 18. Jahrhundert umgaben sich absolutistische Herrscher gerne mit exotischen Völkern, "Kammermohren", "Leibtürken" Chinesen, Indianern, Polynesiern.

Georg I. Ludwig, der erste "Hanoverian" auf dem britischen Thron ließ sich bevorzugt von zwei türkischen Kammerdienern bedienen, die er persönlich im Türkenkrieg gefangen genommen hatte. Der Historiker Götz Aly ist ein Nachkomme solcher Kriegsgefangenen. Peter der Große wurde von einem türkischen Pascha Ibrahim Petrowitsch Hannibal als Geschenk gemacht. Peter wurde Hannibals Pate, der es zum General und Gouverneur brachte. Ibrahim Petrowitsch Hannibal war ein Ur- oder Ururgroßvater von Alexander Puschkin.

Landgraf Friedrich II. unterhielt in Kassel-Wilhelmshöhe eine Siedlung Mulang, die man als eine Art Menschenzoo bezeichnen könnte. Schwarze Tamboure, die mit den hessischen Truppen aus Amerika kamen, Türken, Tscherkessen und Chinesen lebten in Mulang, es gab dort die vermutlich erste Moschee in Hessen. Der Historiker Rommel beschreibt in seinen Kindheitserinnerungen wie er die Schwarzen beim Bad in der Fulda beobachtete.

Woher sonst die Bewohner Mulangs nach Kassel kamen, weiß ich nicht genau. Denkbar ist, dass einige "Exoten" Geschenke fremder Herrscher waren, wahrscheinlicher ist, dass Agenten des Fürsten Exoten anwarben oder auch kauften.

Hagenbeck war Tierhändler und verfügte über die nötigen Kontakte, um ganze Dörfer anzuwerben.


Die Lebensbedingungen, die Behandlung der "Exponate" und die Schicksale der Exoten waren sehr unterschiedlich. Ludwig Thoma nimmt an einigen Stellen Bezug auf Völkerschauen auf der "Wiesn". Der fiktive bayrische Landtagsabgeordnete Josef Filser beschreibt in seinem "Briefwexel" einem "Spezi" von Attraktionen auf dem Oktoberfest. Üblich war, dass Schausteller oder Händler Verträge mit Agenten abschlossen, die vor Ort Leute für einen bestimmten Zeitraum mieteten. Viele "Exoten" wurden wie wilde Tiere ausgestellt und auch recht gönnerhaft und herablassend behandelt. Viele wurden krank, weil sie das Klima nicht vertrugen oder falsch ernährt wurden. Es verbreiteten sich rassistische Theorien auch in der Wissenschaft, und das färbte natürlich auch auf die Behandlung und Wahrnehmung fremder "Exoten" ab.

Dennoch wurde in manchen Fällen diesen "Exoten" durchaus auch Anerkennung und Wertschätzung gezollt. Einige Indianer und deren Nachkommen, die mit einer Wildwestshow nach München kamen, berichteten von positiven Erfahrungen. Es wurden anscheinend in manchen Fällen faire Löhne gezahlt, und die Teilnehmer wurden korrekt behandelt und ernährt. Die Lebensbedingungen waren besser, als in manchem Reservat.

Einige Indianer wurden sogar an den Hof eingeladen, und durften sich europäische Kulturveranstaltungen ansehen. Der Besuch der Oper, wo "Die Fledermaus" von Strauß inszeniert wurde, beeindruckte die Gäste wenig. Auf sehr große Begeisterung stieß allerdings eine bayrische Trachtenkapelle, die einen "Watschentanz" aufführte.
 
Im Stuttgarter Zoo, der Wilhelma existieren noch mehrere Bauten in maurischem Stil, die Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts u. a. auch als Kulisse für Völkerschauen dienten.
Gibt es zu den Völkerschauen in der Wilhelma leicht zugängliche Quellen? Ich frage nicht, weil ich das anhand der Beweise nachprüfen will, sondern weil mich interessiert, was es darüber zu lesen gibt: ich erinnere mich nicht, dass bei den Tafeln vor Ort auch Hinweise auf die Völkerschauen vorhanden waren (kann mich da aber auch irren: mein letzter Besuch der Wilhelma ist mindestens 20 Jahre her)
 
Gibt es zu den Völkerschauen in der Wilhelma leicht zugängliche Quellen? Ich frage nicht, weil ich das anhand der Beweise nachprüfen will, sondern weil mich interessiert, was es darüber zu lesen gibt: ich erinnere mich nicht, dass bei den Tafeln vor Ort auch Hinweise auf die Völkerschauen vorhanden waren (kann mich da aber auch irren: mein letzter Besuch der Wilhelma ist mindestens 20 Jahre her)

Leider nicht! Ich habe als Kind mal in der Nähe von Stuttgart, in Fellbach, gewohnt, und ich habe damals die Wilhelma und das nahe gelegene Naturkundemuseum Schloss Rosenstein geliebt- sie ist auch einer der schön Zoologischen Gärten in Deutschland. Die Wilhelma habe ich dann fast 40 Jahre nicht mehr wieder gesehen. Bei einem Besuch, auch schon über 10 Jahre her, bekam ich eine Führung mit, der ich mich anschloss. Die Referentin sagte, dass Völkerschauen um 1900 herum sehr verbreitet gewesen seien und auch in Stuttgart so etwas angeboten worden sei. Angaben ohne Gewähr!

Ich halte es aber für plausibel, Völkerschauen waren sehr populär, ethnologische Sammlungen aus Afrika und Polynesien stießen auf relativ hohes Interesse. Viele deutsche Zoos boten Völkerschauen an Sie waren, wie gesagt auch auf dem Münchner Oktoberfest zu sehen. Der Canstatter Wasen in Stuttgart-Bad Canstatt, ist nach dem Oktoberfest das größte Volksfest in Süddeutschland, auch damals schon. Wenn ich dazu recherchieren müsste, würde ich die Archive der Stuttgarter Zeitungen durchsehen, da sollte sicher etwas zu finden sein.
 
Ich halte es aber für plausibel, Völkerschauen waren sehr populär, ethnologische Sammlungen aus Afrika und Polynesien stießen auf relativ hohes Interesse.
die völkerkundliche Sammlung im Freiburger Augustinermuseum könnte auch weitenteils aus der fraglichen Zeit um 1900 stammen - (ohne Gewähr) ich glaube, sowas mal gelesen zu haben
 
Noch bis zum 03.06.2022 gibt es in der arte-Mediathek "Die Wilden" (im TV am Dienstag, den 05.04. 2022, 20:15h). Anhand von 6 Einzelschicksalen wird die Praxis von "Menschenzoos" in Europa und Nordamerika über mehrere Jahrzehnte bis in die 30er Jahre dargestellt. Die teils gewaltsame, teils aber auch freiwillige Akquise wird erwähnt. Hagenbeck kommt als einer der Hauptorganisatoren vor. Der Schwerpunkt liegt aber auf den "Völkerschauen" in Europa und Nordamerika, wo die "ausgestellten Personen" auch als Beispiele für das damalige rassenideologische Konzept benutzt werden.
 
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Und in der aktuellen Paderborner Heimat- und Geschichtszeitschrift "die Warte" Nr. 195 Herbst 2022 (Chefredadakteur ist der Kreisarchivar Wilhelm Grabe) findet sich ein Artikel auch, aber nicht nur zum Thema: S. 5-9. Jonas Eberhardt, "Schwarze Menschen" aus Afrika in Paderborn in der Zeit des Kolonialismus. Bereits 1833 soll eine Frau aus Indonesien zu Libori gezeigt worden sein.10 Völkerschauen kamen 1875-1933 nach Paderborn, als Teil von Zirkussen (u. a. Busch) oder als eigenständige kleine Gruppen ("Karawanen") zum Liborifest. Teils wurden aber nur schwarz geschminkte Deutsche ("abwaschbare N.") gezeigt. Die Behandlung der Darsteller war wohl unterschiedlich und zur Anwerbung kann der Autor nichts konkretes sagen. Immerhin mögen die Zahlen zu einer Stadt wie Paderborn interessant sein, sonst ist ja meist nur von Hamburg, Berlin und München die Rede.

Eine letzte Völkerschau verzeichnen die Akten zu Libori 1959. Der Autor vermutet, dass es sich nur um eine Filmvorführung handelt. Mir wurde einst erzählt, dass das so nicht ganz stimmt und zumindest ein Afroamerikaner, der als GI nach Deutschland gekommen war, als authentisch wirkender Erzähler dabei war. Wie zuverlässig der Zeitzeuge war, kann ich nicht sagen.

(Zum Vergleich: 1896-1940 soll es 50 Völkerschauen in Deutschland gegeben haben. )

Daneben wird im Artikel von einem Diener und einigen teilweise von der Kirche hier ausgebildete Jugendlichen aus Westafrika berichtet. Es wurde erwartet, dass sie ihr Wissen später in der Heimat nicht nur nutzten, sondern auch weitergaben. Die Eltern sollen Geld bekommen haben. Ein Sohn eines Königs erhielt eine Schulausbildung. Dieser und ein weiterer wandten sich gegen die Kolonialverwaltung und endeten im Gefängnis.
 
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