Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Im deutschen Auswärtigen Amt hat man die Politik gegenüber England für wichtiger gehalten als Wilhelm II. alberne Randbemerkungen. Berlin war zu einem Verlust an Prestige bereit und hat auch sehenden Auges in Kauf genommen.
Die 'albernen Randbemerkungen' stammen immerhin von dem Mann, der das letzte Wort hat. Und der, um es höflich auszudrücken, starke Schwankungen bei seinen Geistesblitzen hat. Wilhelm ist der vielleicht unberechenbarste unter den Großen Spielern auf der Bühne. (ich denke das sehen wir ungefähr gleich)
Was das Nachgeben Berlins in der Krise angeht, so war dieses im Endeffekt nicht gegeben. Es ging schließlich nurmehr darum dem Sazonov ein Trostpflaster zu spenden welches er irgendwie an die aufgebrachte Presse verkaufen kann.
Er fleht zum Schluss schon fast darum.
Es entbrennt eine radikale Meinungsmache der Zeitungen auch im DR, doch in Russland hat das eine andere Qualität.
Dort befindet man sich besonders ausgeprägt im hochgefährlichen Übergang zum liberalen Staat.
Die Glutnester der Revolution von 1905 sind nicht erloschen und der Panslavismus droht aus dem Ruder zu laufen.
Und die junge Presse hetzt ihre Auflagen hoch.

Das ist eine Scheißsituation für Sazonov, der sich unverstanden sehen musste, weil die anderen ihn nicht verstanden und nicht die Lage Russlands. (?)
 
Was das Nachgeben Berlins in der Krise angeht, so war dieses im Endeffekt nicht gegeben. Es ging schließlich nurmehr darum dem Sazonov ein Trostpflaster zu spenden welches er irgendwie an die aufgebrachte Presse verkaufen kann.
Er fleht zum Schluss schon fast darum.
Es entbrennt eine radikale Meinungsmache der Zeitungen auch im DR, doch in Russland hat das eine andere Qualität.

Der russische Ministerpräsiden Kokowzow hatte sich ausdrücklich am 17.01.1914 bei dem deutschen Botschafter Pourtales mit warmen Worten, wie Pourtales es in seinem Bericht am 18.01.1914 ausdrückt, für die Beilegung der Krise bedankt. Diese wäre ohne Entgegenkommen Berlins und schließlich Konstantinopels wohl nicht zu einem Ende gekommen.
Das Deutsche Reich musste international ein Verlust an Prestige schlucken, was in der damaligen Zeit für eine Großmacht eine Kröte war. Schon im Dezember 1913 war klar, das man Petersburg irgendwie nachgeben würde; es sollte bloß nicht so aussehen, als ob man den lautstarken russischen Agieren nachgebe.
 
Der russische Ministerpräsiden Kokowzow hatte sich ausdrücklich am 17.01.1914 bei dem deutschen Botschafter Pourtales mit warmen Worten, wie Pourtales es in seinem Bericht am 18.01.1914 ausdrückt,
Der Kokovzov verliert im folgenden Monat sein Amt.
Er gehört zur "deutschen Gruppe" wie auch Witte und Durnovo.
Diese Gruppe sieht die Hauptgefahr in einer erneuten Revolution, nach der hochgefährlichen Revolution von 1905.
Die Gruppe um Sazonov hält das befürchtete Greifen des DR nach den Meerengen für bedrohlicher.
Die Liman-von-Sanders Krise polarisiert die Standpunkte und die durchaus auch begründete Einschätzung der Sazonov-Gruppe setzt sich durch.
Und noch einen Schritt geht es weiter zum Abgrund.

Und der Kaiser, der ja den ganzen Zauber wesentlich inszeniert, schärft dem Liman ein, dass das Wehen der deutschen Fahne über dem Bosporus das Ziel sein müsse. Und nun "Nacken steif und Hand ans Schwert!"
Stell Dir mal vor Du bist der Sazonov und gehst davon aus, dass ein feindlich gesonnener Staat daran geht Deine schwächste Stelle in den Griff zu nehmen.
Leicht könntest Du daraus schließen, dass der Gegner tatsächlich den Krieg sucht.

Und so würde ich das verstehen. Die leichtfertig ausgelöste Krise war ein Kipp-Punkt der außenpolitischen Ausrichtung Russlands.
 
Die Frage ist doch, wie realistisch eigentlich das Bedrohungsszenario des russischen Außenminister tatsächlich gewesen war?

Der Zar ist die Antwort schuldig geblieben, wie denn bitte schön das Deutsche Reich die Befürchtungen des russischen Außenministers wahr werden lassen soll. ( BD Band X/2 2.Halbband S.1268ff)

Sasonow hatte am 03.April gegenüber Buchanan ausgeführt, "Rußland werde nie aggressiv gegen die Türkei vorgehen, solange diese ein unabhängiger Staat bleibe, aber es würde nie dulden, daß sie in die Abhängigkeit einer anderen Macht geriete."

Und von Sasonow liegt m.W. nach auch keine Erkenntnis vor, wie die angebliche Bedrohung denn Realität hätte werden sollen.

Wir wissen ja, was Sasonow im Febraur 1914 so alles auf der Konferenz mit dem Spitzen von Heer und Marine angeregt hatte.
Und wie war es eigentlich mit der Abhängigkeit Konstantinopels gegenüber Frankreich und England? Zählte diese nicht?

Deutschland wollte in dieser Krise gewiss kein Krieg, während Petersburg vor militärischen Zwangsmaßnahmen nicht zurückgeschreckt wäre; es hatte nur keine Unterstützung von Paris und London erhalten, worüber Sasonow ziemlich erbittert war.

Russland hätte in dieser Krise nicht nachgegeben und es wäre möglicherweise zum Krieg gekommen, wenn Berlin nicht nachgegeben hätte. Und das wurde damals auch so wahrgenommen; siehe die Stellungnahme von Sir Edward Grey, der das Bedrohungsszenario von Sasonow schlicht für stark übertrieben hielt.
 
Stell Dir mal vor Du bist der Sazonov und gehst davon aus, dass ein feindlich gesonnener Staat daran geht Deine schwächste Stelle in den Griff zu nehmen.
Leicht könntest Du daraus schließen, dass der Gegner tatsächlich den Krieg sucht.

Und das ist eben das Problem. Die nicht zutreffende Analyse schon aufgrund der fehlenden Machbarkeit.
 
Ich denke, für Russland ging es im Verlauf der Krise auch darum, nicht nachzugeben, da dies einer bedeutenden politischen Niederlage gleichkommt und die gefährlichsten Folgen nach sich ziehen könne. So brachte es Sasonow gegenüber den Zaren in einem Bericht vom 05.01.1914 zum Ausdruck. Das Prestige spielte also eine Rolle und Berlin hat diesen Prestigeverlust im Sinne des Friedens für sich hingenommen. Und genauso wurde dies auch in London verstanden.
 
Ich zitiere aus dem Telegramm vom 15.01.1914 des Botschafters Österreich-Ungarns in Konstantinopel Pallavicini:

"Russland hat, wie es mir scheint, in der Frage der deutschen Militärmission einen vollen Erfolg errungen. [...] Es würde also das eintreten, was Russland von Anfang an wünschte. Um der Enthebung Limans vom hiesigen Korpskommando eine plausible Erklärung zu geben, wurde er zum deutschen General der Kavalerie und im Zusammenhang hiermit zum türkischen Marschall ernannt."(1)

Und sicherlich ging es wohl auch um die imperialistischen Ambitionen des Zarenreichs, nämlich den Erwerb der Meerengen oder zumindest deren Kontrolle.

(1) Österreich-Ungarns Außenpolitik, Band VII, Dokument 9195

Ich sehe, ich schreibe einfach zu viel; zumal es eh fast niemanden interessiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am 16.Januar 1914 erhielt der russische Botschafter Iswolski ein Telegramm von seinem Chef Sasonow.

"Für den Fall eines glücklichen Abschlusses der Frage der deutschen Militärmission fallen auch die Gründe fort, die die Unterzeichnung unseres wirtschaftlichen und Eisenbahnabkommens hinausschoben." (1)

Unterstreichung durch mich.



(1) Der diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 1911 - 1914, Band 4, Dokument 1229
 
Der Zar ist die Antwort schuldig geblieben, wie denn bitte schön das Deutsche Reich die Befürchtungen des russischen Außenministers wahr werden lassen soll. ( BD Band X/2 2.Halbband S.1268ff)
Der Zar ist andauernd Antworten schuldig geblieben. Er war auch nicht angemessen orientiert um den Ansprüchen seiner Rolle gerecht zu werden.
Davon abgesehen wurden ja die Befürchtungen des russischen Außenministers durchaus wahr. Schon deshalb verstehe ich die Argumentation nicht, es wäre hier von Sazonov eine Fliege zu einem Elefanten aufgeblasen worden.

Auch einer anderen Erzählweise will ich widersprechen. Dass es so gewesen sei, dass das DR die Krise durch Nachgiebigkeit beendete. Das DR war klar der Sieger, während ein gedemütigter Sazonov ein Trostpflaster an eine aufgeheizte Presse in seinem wackligen Land verkaufen musste.

Und der Zar ist unglücklich weil er das Spiel nicht versteht und wohl ahnt, dass er es nie verstehen wird.
 
Der Zar ist andauernd Antworten schuldig geblieben. Er war auch nicht angemessen orientiert um den Ansprüchen seiner Rolle gerecht zu werden.
Davon abgesehen wurden ja die Befürchtungen des russischen Außenministers durchaus wahr. Schon deshalb verstehe ich die Argumentation nicht, es wäre hier von Sazonov eine Fliege zu einem Elefanten aufgeblasen worden.

Sasonow hat diesen Vorgang zu einer schweren diplomatischen Krise aufgeblasen. Das wird am Ende der Krise auch durch Greys Äußerung deutlich.

Auch einer anderen Erzählweise will ich widersprechen. Dass es so gewesen sei, dass das DR die Krise durch Nachgiebigkeit beendete. Das DR war klar der Sieger, während ein gedemütigter Sazonov ein Trostpflaster an eine aufgeheizte Presse in seinem wackligen Land verkaufen musste.

Hmmh, ich habe hier Belege zitiert, die deiner Ausführung widersprechen; beispielsweise hat Sir Edward Grey, britischer Außenminister, als Zeitzeuge eine ganz andere Wahrnehmung vom Ausgang der Krise. Sasonow selbst spricht ebenfalls gegenüber seinen Botschafter Iswolski von "einem glücklichen Ausgang".

Ich zitiere einmal aus dem sehr guten Werk "Vermiedene Kriege" von Düffler, Kröger und Wippich. Dort ist im Beitrag "Letzter Konflikt vor der Katastrophe. Die Liman von Sanders Krise zu lesen:
"Mit seinem widerholten Hinweis auf den möglichen deutschen Prestigeverlust im Kreis der Großmächte und in der Türkei hatte Wilhelm II. nicht unrecht. Als Liman von Sander nach den Verhandlungen, Wangenheims, des zeitweisen Geschäftsträgers Mutius und des Militäraatches Strempel mit der Pforte und der russsichen Botschaft schließlich (10., 14. Januar 1914) zum Marschall des türkischen Heeres und Generalinspekteur der Armee und der Militärschulen befördert wurde, wodurch er sein eigeners Kommando verlor, da galt dies sofort als Zeichen deutscher Schwäche. (Siehe hierzu Wernecke, Wille zur Weltgeltung S.244 - 246) Das Berliner Tageblatt meldete aus osmanischer Quelle, es handle sich um ein Zugeständnis an Russland.

Kannst du denn Belege nennen, dass das Deutsche Reich in der damaligen Wahrnehmung als Sieger vom Platz gegangen war?

Und der Zar ist unglücklich weil er das Spiel nicht versteht und wohl ahnt, dass er es nie verstehen wird.

Das war wohl das alleinige Problem des Zaren, wenn seine Administration ihm nicht adäquat ins Bild setzte, statt ihre eigene Politik zu betreiben. Immerhin war er Autokrat. Der Zar selbst hat er ja nicht einmal für nötig gehalten, seinen Außenminister von der Liman Mission zu informieren, von der er ja in Berlin Kenntnis erhalten hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gustav Stresemann schrieb an den Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei Ernst Bassermann von " einer äußerst wehmütig stimmende Schwächung unseres Ansehens." Stresemann regte an, dies im Reichstag zur Sprache zu bringen.
Bassermann selbst wies Unterstaatsekretär Zimmermann auf die "wachsende Beunruhigung der Öffentlichkeit hin."
 
Das DR war klar der Sieger

  • Und diese Einschätzung beruht auf was oder welchen Kenntnissen der damaligen Presse/Öffentlichkeit usw. beispielsweise in Berlin oder Paris?
  • das 'DR' war nicht der bzw. ist kein Akteur, wenn, dann das Militärkabinett, KWII, Bethmann usw.
  • daher sind Gegenüberstellungen 'DR' vs. armer Sasonov eine gute Geschichte, doch keine Geschichte, meine ich
  • 'gedemütigt' haben Sasonov seine Selbstüberschätzung in Relation zu den erwarteten und dann nicht erhaltenen Reaktionen der britischen und französischen Verbündeten.

Stell Dir mal vor Du bist der Sazonov und gehst davon aus, dass ein feindlich gesonnener Staat daran geht Deine schwächste Stelle in den Griff zu nehmen.
Stell Dir mal vor, du währst KWII. und ein in Deiner Wahrnehmung dir feindlich gesonnener, direkt angrenzender Staat rüstet und rüstet, hat absehbar (vielleicht) in wenigen Jahren einen militärischen 'Gleichstand' erreicht und baut nun seine Eisenbahnstrecken gegen die Ostgrenze des dt. Kaiserreiches aus, mit finanzieller Hilfe des anderen Dir feindlich gesinnten, direkt angrenzenden 'Staates' im Westen. Und du siehst nun die Chance, vielleicht mehr Einfluss auf einen wichtigen Handelsweg dieses werdenden militärischen östlichen Koloss zu gewinnen....

...doch das ist natürlich genauso Geschichtenerzählerei wie die Vorlage, bilde ich mir ein...
 
  • Und diese Einschätzung beruht auf was oder welchen Kenntnissen der damaligen Presse/Öffentlichkeit usw. beispielsweise in Berlin oder Paris?

Soweit mir digital zugänglich, und das sind einige der großen Tageszeitungen wie auch sehr viele kleinere und kleine Lokalblätter im Dt. Kaiserreich, berichteten alle herangezogenen großen, die kleineren und kleinen berichteten (fast) gar nicht darüber, überraschenderweise eher knapp und durchweg sachorientiert, kein Aufmacher, keine Titelstory, praktisch keine Kommentare oder Glossen, kein Triumph, doch auch kein Niederlage-Geschrei. Selbst in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung nicht.

Einzig die konstant leicht regierungs- und KWII.-kritische Vossische kommentierte mehrfach - kritisch.

Die vermeintlich internationale Krise um die Liman Sanders-Berufung fand zumindest nicht in der großen Tagespresse des Dt. Kaiserreiches statt (und damit wohl auch in der 'Öffentlichkeit'), soweit mir bekannt.
Da viele große Blätter gerne mal andere große aus den Hauptstädten wie Paris, London und Moskau/St. Petersburg zitierten und davon berichteten, wie andere Nationen einen wichtigen Vorgang wahr nahmen, belegt durch eben Berichte über die Berichte der Hauptstadtpresse der genannten Hauptstädte, und auch diese Berichte in der reichsdt. Tagespresse der großen Zeitungen fehlen, soweit mir ersichtlich, bleibt offen, wie weit die 'Öffentlichkeit' in London, Paris oder Moskau/St. Petersburg, da vielleicht noch am ehesten, damit beschäftigt gewesen war.
 
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