Die Etymologie von Idistaviso

Aha. Wir reden aneinander vorbei. [...] ausdrücklich: ich lehne die Doublettentheorie ab, das hatte ich ja schon gesagt. Sie ist einfach nicht nötig.
Okay, dann haben wir wirklich aneinander vorbei geredet.


Wie will man nun beurteilen, wo das Lager sich befand?
Anhand des Umstands, dass die Ampsivarier (nach Emendation von Angrivarier) a tergo ihre defectio ausführten, kann man wohl davon ausgehen, dass Germanicus sich bereits auf dem Marsch befand.

Wieso wird immer wieder angenommen, dass es sich bei dem fraglichen Lager um einen Brückenkopf an der Weser handelte?
Wer nimmt das denn an? Wie du richtig sagtest, wird der Lagerbau berichtet zwischen dem Bericht von der Emsüberquerung und dem Bericht vom Erreichen der Weser. Ampsivariorum (emendiert von Angrivariorum) a tergo.

Ems|Lager|Weser

Weil Tacitus den Bericht vom Aufstand der Angrivarier mit "Römer und Cherusker wurden durch die Weser getrennt." absetzt. Etwas neues beginnt, und der kurze Absatz wird schon zum Vorigen gehören, den Problemen bei der Landung an der Ems. Aber das ist, wie gezeigt eine falsche Annahme.
Richtig, denn so wie im Satz nach dem Abfallsbericht von den Cheruskern an der Weser gesprochen wird, wird im Satz vor dem Abfallsbericht noch von der katastrophischen Emsüberquerung gesprochen.

Hier müssten wir den Weg kennen, den das Heer nahm. Dies wird aber kaum rekonstruierbar sein.
Die grobe Richtung. Einmal quer südöstlich durch Westniedersachsen, von der Emsmündung bis zu einer Stelle, wo die Weser durch Gebirge fließt.

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Nur, dass eine Emendation hier unnötig, und damit auch unzulässig ist. Könnte das Lager an der Ems verortet werden, dann stimmte ich ihr wahrscheinlich zu, obwohl die Angabe 'a tergo' statt 'a fronte' rätselhaft bliebe. Nur das ist hier eben nicht der Fall.
Reden wir wieder aneinander vorbei? Als nochmal: Wir wissen nicht, wo das Lager gewesen sein soll, an welchem der ist. Wir können von Bentumersiel als womöglichem Stapelplatz Germanicus' bis nach Minden etwa 150 km Luftlinie ansetzen, Marschroute gibt Google Maps mit ca. 180 km an. Sind nach der 9-Leugen-Regel ;) acht Marschtage. Sprich acht Lager. Je länger der tatsächliche Weg, desto mehr Lager. Als Germanicus gerade dabei war, eines dieser etwa acht Lager zu errichten (castra metari ist ein fester Ausdruck, der wortwörtlich Lager ausmessen bedeutet, aber i.d.R. als Lager errichten übersetzt wird, gewissermaßen das Ausmessen als pars pro toto für alle Arbeiten), also am Ende eines Marschtages, da erfuhr er vom Abfall des Stammes. Dieser befand sich in seinem Rücken. Marschrichtung Südosten/Osten.

16nChr2.jpg

Die Doublettenthese habe ich doch ganz deutlich abgelehnt. Nochmal: Landung an der Ems, Marsch durch das Angrivariergebiet, Aufstandsmeldung im bewussten Lager kurz vor oder an der Weser.
Ich sehe das Angrivariergebiet eigentlich in der Hauptsache östlich der Weser. Erst in den Jahrzehnten danach verdrängen die Angrivarier die Brukterer.

Selbst in der Porta Westfalica ist genügend Platz für eine Änderung, wie man hier sieht.

Ich dachte, wir sprechen von Änderungen des Flusslaufs, die für unser Thema relevant sind. Also solche, die als wesentlich zu bezeichnen sind.
 
(ist o-t)
@ Dekumatland: Wo liegt die zeitliche Grenze bei der Erhaltung von Wörtern? Und wieso können sich Weser, Elbe, Ems und Lippe erhalten, aber nicht Idisen? Gut, die Bedeutung mag sich verändert haben. Aber die Annahme, dass es sich um dasselbe Wort handelt ist doch naheliegend, da ja auch die Idisen/Disen mit der Landschaft verbunden waren. (...)
Im Gegensatz zur Überzeugung früherer Zeiten, mag auch die Bedeutung von Idisen schon im Merseburger Zauberspruch vergessen sein. Darauf mag die Vergangenheitsform deuten: "Einst saßen...".
...vielleicht liegt es daran, dass große Gewässer durchaus langlebiger sind als diverse Wortbedeutungen oder gar Sprachen? z.B. der keltische Neckar heißt immer noch Neckar, obwohl entlang seiner Ufer seit sehr langem weder keltisch gesprochen wird noch irgendwelche Kelten hausen (statt hausen da heuer einen gräßlichen Dialekt malmende Schwaben...) ;)

Wenn man das "t" in idistiavisio in ein "i" ändert, damit man eine "Idisenwiese" erhält, dann ist ist eine Entscheidung für eine Sichtweise, die man haben will: den überlieferte Namen "idistiavisio" in einen germanisch-paganen Bereich einzuordnen. In diesem Fall - es geht um die "Idisi" des 1. Merseburger Zauberspruchs, althochdt. und altengl. "ides / itis" - ergeben sich aber mehrere Probleme:
a) die Datierung der frühmittelalterlichen Quellen zu allerlei "Idisen" ist nicht sicher: früher hielt man die Merseburger Zaubersprüche für älter, heute schätzt man sie Mitte 8. bis 9. Jh. ein; grob gesagt sind die altengl. und alhochdt. Idisen lange nach der Völkerwanderungszeit - die tacitäische idistavisio ist lange vor der Völkerwanderungszeit
b) wir wissen nicht sicher, was im 8.-9. Jh. in paganem Kontext diverse idisi, mihtigun wif bedeuten: Walküren (?), weise Frauen, Edelfrauen, oder einfach nur Frauen
c) was das 1.-3. Jh. betrifft, so kennen wir röm.-kelt.-german. "matronen" https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Matronennamen (irgendwo hab ich mal gelesen, dass die Idisi auch als Matronen gedeutet werden
d) wir wissen aber nicht, ob die "Mütter / Göttinnen" des 1.-3. Jhs. religionsgeschichtlich irgendwas mit dem eher kriegerischen Heidentum (Wodan, Odhin ec.) zu tun haben -- stattdessen spekulieren etliche Religionsgeschichten über einen german. Kultwechsel von den Vanen zu den kriegerischen Asen (und das fällt ungefähr in den fraglichen Zeitraum der idistiavisio)
e) allerdings wissen wir trotz alldem zu wenig über die Entwicklung der german. Religion(en), da verweise ich ja immer gern auf den nüchternen RGA Ergänzungsband zur german. Religionsgeschichte
f) zusätzlich gibt es noch die ebenfalls bei Tacitus erwähnte Baduhenna bei den Friesen; die ist insofern interessant, als ihr Name möglicherweise german. "badwa" (Kampf) oder sogar kelt. "bado" (Kampf) enthält - insofern interessant, als die meisten anderen Matronennamen nicht viel kriegerisches enthalten
Fazit: es bleiben also infolge der riesigen Überlieferungslücken zu viele Fragen offen, um sich eindeutig für eine "Idisen-Wiese" entscheiden zu können - eigentlich schade, denn wenn die Idisen der Idisenwiese Walküren wären (laut kreischendes mächtiges Weibsvolk wie in einer beliebten Wagneroper oder wie im altenglichen Zauberspruch gegen Hexenschuß hlude waeren (....) mihtigun wif ;) :)
 
Bezüglich des Flusslaufs werde ich mir die Karte nochmals anschauen. Es ist schließlich lange her, dass ich dort gewandert und nicht nur durchgefahren bin.

Das 'a tergo' wird aber erst zum Argument, wenn man von Ampsivariern ausgeht.

Zumeist lässt man die Angrivarier auch westlich der Weser siedeln. Ich gebe zu, dass sich die Autoren der Karten zumeist drücken, das fragliche Gebiet auszufüllen, da es einige Unsicherheiten gibt.

Ich selbst würde die Brukterer nur zwischen Ems und Kamm des Teutoburger Waldes siedeln lassen. Allenfalls, wenn man die Chassuarier etwas anders verortet (evt. auch zeitlich), bis zum Wiehengebirge. Du hattest, wenn ich mich recht erinnere mal eine Karte mit Deinen Vorstellungen zu den Brukterern hochgeladen. Ich hatte damals, meine ich, nichts dazu geschrieben. Ich werde mal schauen, ob ich meine Vorstellungen auch mit einer Karte erläutern kann.

Aber sich darüber zu streiten, hieße sich über etwas zu streiten, bei dem nicht genügend Fakten vorliegen. Oder gibt es etwa Quellen, die die Brukterer noch nordöstlich des Wiehengebirges siedeln lassen?

Wenn nicht, wird man Angrivarier annehmen. Natürlich mag eingewendet werden, dass eine große Strecke Landes nicht besiedelt gewesen sei. Aber auch das ist Spekulation.

Sauber wäre eine in jedem Fall eine Fallunterscheidung. Und da würde ich eben die Angrivarier bevorzugen. Schon methodisch. Aber da die fragliche Verschreibung sehr leicht geschehen kann, würde ich sie immerhin auch als möglich anerkennen. Nur sehe ich nicht, wie man die Angrivarier aus dem Westen der Weser überzeugend streichen will. Und noch fiel weniger, wie man die Brukterer dort hinbekommt.

Übrigens wissen wir nicht, wo er an die Weser kam. Theoretisch könnte man die Angabe des Tacitus ernst nehmen und ihn einfach gerade nach Osten marschieren lassen. Gut, das ist so nicht sehr wahrscheinlich, eine mehr östliche Route hätte aber den Vorteil gehabt, durch das Gebiet der Verbündeten Chauken ziehen zu können, was auch den Verzicht auf die Einfahrt in die Weser erklärte. Aber darauf will ich nicht beharren. Wir haben, wie gesagt, nicht genug Informationen.

:D Das Vermessen ist geschenkt. Ich bin sicher, er hat weder selbst vermessen, noch eigenhändig aufgebaut. Ich sag's ja immer, einmal hier nicht ganz korrekt formuliert, und schon gibt's 'ne Bemerkung. ;)

:motz:Und jetzt ist meine Annalen-Ausgabe endgültig zerfleddert. /:motz:
Edit:
:w00t1:Das heißt es gibt eine neue. :D
 
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Vielleicht. Wenn der Ort z.B. Walkürenwiese heißt. Oder Hexenfeld, oder Idieistjafiesau. ;)

Gut, ja, wir haben uns offtopict. :rotwerd:

:cry:Ich glaub' ich bin wieder richtig krank. Emoticonmanitis. :S

EDIT: Bezüglich der Idisen, meinte ich jenseits des Scherzes zunächst doch nur die Erhaltung des Wortes ohne die Bedeutung. Und die ist eigentlich sehr wahrscheinlich.

Dann könnte man schauen, ob dieses Wort in anderen Sprachen auftaucht, wann es entlehnt wurde, und so weiter. Ich habe gehört, in den Nordischen Sprachen sei das anfängliche 'I' weggefallen. Das gäbe einen T.a.q. für die Bedeutung.

Ich bezog mich auch nicht auf Ersetzung des 't', sondern auf Einsetzung desselben durch die lateinische Zunge. Aber das hatte sich ja mit dem Auffinden entsprechender Ortsnamen erledigt, worauf ich die Hexenweiber/Matronen/Nebelfrauen doch schon betrauerte::rip: Schon wieder! :S
EDIT2: Ich dachte, mittlerweile wäre für die Sprüche wieder von 1. Jahrtausendhälfte und vor der Völkerwanderung die Rede.

Und da wir nicht genau wissen, welche Verbindungen es zwischen den Religionen der Zeiten vor und nach der Völkerwanderung gibt, wäre ein Zusammenhang auch bei einer Spätdatierung nicht auszuschließen gewesen, wenn das 't' als zu streichen betrachtet werden könnte. Zeit ist kein Argument, da das lediglich auf dem Schweigen der Quellen beruhen kann. Je länger die Zeit, je unwahrscheinlicher wird es. Aber 400 Jahre unter Berücksichtigung, das einiges erhalten blieb? (Tiwas>Ziu/Tiu>Teufel; Ingwi>Ynglinge; Ermin>Irmin und alle mit Bedeutungsänderung. Beim Letzten ist Letztere allerdings nur wahrscheinlich.)

Und hat man die Wanen nicht mittlerweile auch gestrichen?
 
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Manchmal bewahrheiten sich auch dumme Witze.

Folgen wir einmal El Quijote nach Bückeburg. Dort gibt es den Ortsteil Evesen, 1185 Evessen, 1310 Everssen. (Wikipedia-Artikel zu Evesen) Der Name soll älter als die Gründung 1185 sein und auf Idistaviso zurückgehen. Interessant mag auch sein, worauf der Ortsname Jetenburg, ebenso bei Bückeburg zurückgeht.

Dies teilt zumindest der Wikipedia-Artikel zu Idistaviso mit. Auch dort gibt es keine Alternative zur traditionellen Deutung des Namens. Zur Lage wird in der Einleitung die Aue vor und hinter der Porta Westfalica angenommen, was dann auch mich bestätigen würde. Man beachte hier auch die Literaturangaben, insbesondere Scheungraber/Grünzweig.

Da nur die hintere Hälfte des Namens erhalten ist, hilft es für die Deutung allerdings auch nicht weiter.
 
Dann könnte man schauen, ob dieses Wort in anderen Sprachen auftaucht, wann es entlehnt wurde, und so weiter. Ich habe gehört, in den Nordischen Sprachen sei das anfängliche 'I' weggefallen. Das gäbe einen T.a.q. für die Bedeutung.
und aus welcher Zeit stammt die älteste Quelle, welche die "Disen" erwähnt? (das ist ja noch viel weiter vom Tacitus weg als der 1. Merseburger)...
 
Wenn man Evesen auf Idistaviso zurückführen könnte, wäre das natürlich eine nette Bestätigung. Nur sehe ich da keinen Zusammenhang, der müsste schon fast herbeikonstruiert werden. I[dista]viso? Fände ich vom Akzent her mindestens schwierig.
 
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Tacitus Annales II 16: ... in campum, cui Idistaviso nomen, ...

Möglich ist auch eine römische Bezeichnung als Campus Viso, der an der Visurgis lag.
Denn es ist davon auszugehen, dass die Römer den Örtlichkeiten ihrer geplanten Provinz Germanis vor 9 n.Chr. bereits Namen gaben.
So könnte also auch “idista…“ als “in dista“ oder “id est a“ gar nicht Bestandteil des Namens sein und sich als Abschriftfehler etabliert haben.
 
Piderit 1838, S.8: Id (Ida, Idan) = Stein/Fels (vgl. Ith-Gebirge); sta = Stau; viso = Wiese, also "Felsstauwiese", eine von Flusshochwasser (sicherlich der Weser) immer wieder unter Wasser gesetzte Wiese am Fuße eines Berges.

Ritter-Schaumburg Ausg. 2008, S. 209ff: Übersetzung als "In-der-Stau-Wiese" (vgl. das Gut "Stau" nahe der Weser bei Preussisch Oldendorf)

"Stauwiesen" gab es bis in jüngste Zeit z.B. bei Mühlen, teilweise fortlebend in heutigen Straßennamen.
 
Piderit 1838, S.8: Id (Ida, Idan) = Stein/Fels (vgl. Ith-Gebirge); sta = Stau; viso = Wiese, also "Felsstauwiese", eine von Flusshochwasser (sicherlich der Weser) immer wieder unter Wasser gesetzte Wiese am Fuße eines Berges.

Ritter-Schaumburg Ausg. 2008, S. 209ff: Übersetzung als "In-der-Stau-Wiese" (vgl. das Gut "Stau" nahe der Weser bei Preussisch Oldendorf)

"Stauwiesen" gab es bis in jüngste Zeit z.B. bei Mühlen, teilweise fortlebend in heutigen Straßennamen.

Diese Erklärung hat einen kleinen Haken:
Das Wort "Stau" im Sinn von "Hemmung, Stillstand von Fließendem" ist noch nicht so alt:
Stau m. ‘Hemmung, Stillstand von Fließendem’ (Wasser, Verkehr), auch ‘das angestaute Wasser’ (18. Jh.), mnd. stouw ‘Stauung eines fließenden Gewässers, Stauwerk’. Staudamm m., Staumauer f. (19. Jh.), Stausee m. (20. Jh.). Stauung f. ‘Abdämmung, aufgestautes Gewässer’ (18. Jh.), mnd. stöuwinge. verstauen Vb. ‘fest und ordnungsgemäß in einen Raum, einen Behälter packen’ (19. Jh.).
DWDS | Suchergebnisse für Stau
Auch beim Verb "stauen" ist die Bedeutung "Wasser zum Stehen bringen" erst ab dem Mittelalter belegt.
Unter den altenglischen, althochdeutschen und gotischen Belegen finde ich so eine Bedeutung nicht, sondern stattdessen: "zurückhalten", "anklagen", "schelten", "richten"...
 
Ach was, das ist einfach eine Zusammenziehen von 'Ie-die-ist-ja-fies.' Für jeden Neogermanen verständlich. Es wird wohl auf den Ort hinweisen, wo Drusus der großen Sibille begegnet ist. ;)
 
Zu der Bedeutung germanischer Namen habe ich mir auch meine Gedanken und Recherchen gemacht.
Bis auf das „viso“ vermutlich für Wiese ist da nichts wirklich mehr als reine Spekulation, was auch für meinen folgenden Senf gilt. Aber meiner Meinung nach gibt es bei Idistaviso nur zwei Deutungsmöglichkeiten. Die 1. wäre „idis-tau-wiese“ und die 2. „Idist-au-wiese“. Der Grund dafür liegt darin dass die Römer das Wort wahrscheinlich exakt so geschrieben haben wie sie es gehört haben. Die Römer sprachen es als Idistauiso aus. Demnach handelte es sich entweder um einen kleinen Bach, welcher nach „idist“ benannnt wurde, was auch immer das geheißen haben mag, oder um die Wiese welche bedeckt vom Tau (den Tränen) der Idisen (mythologische Wesen) zwischen Weser und Gebirge liegen.
 
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