Von daher halte ich eine grundsätzliche Unterscheidung des christlichen Antijudaismus hier und des rassistischen Antisemitismus für eher schwierig und fadenscheinig.
Bei der Einschätzung "schwierig" würde ich mitgehen, im Besonderen dann, wenn sich vor allem im 19. Jahrhundert das eine aus dem anderen heraus entwickelt und Personen und Gruppen auftreten, die Elemente von beiden Strömungen in ihrer Denke und Handlungsweise hatten.
Bei der Einschätzung "fadenscheinig" nicht.
Nach wie vor vor allem aus dem Grund, dass der Antisemitismus bestimmte Zuschreibungen als biologisch festgelegt und unabänderlich definiert.
Bei Luther, Melanchton und Bucer findet sich auch schon der "Sozialneid", den Götz Ali für die Besonderheit des Antisemitismus hielt.
Hier wird man allerdings zwischen
individuellem und
kollektivem Sozialneid unterscheiden müssen.
Einen kollektiven Sozialneid auf "die Juden", gab die gesellschaftliche Struktur der Reformationszeit überhaupt nicht her, weil 95% der jüdischen Bevölkerung Europas im Elend lebten.
Natürlich hat sich da ein gewisser Sozialneid auf die wenigen Juden, die tatsächlich zu massivem Wohlstand gelangten, tatsächlich manifestiert.
Aber die Gruppe, auf die sich das tatsächlich bezog, dürfte innerhalb der gesamten jüdischen Bevölkerung zu klein und der Unterschied zu den im Elend lebenden Juden zu frappierend gewesen sein, um daraus eine homogene Gruppe zu konstruieren.
Das dürften die gesellschaftlichen Strukturen nicht hergegeben haben.
Anders im aufkommenden rassistischen Antisemitismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, dem ja ein tatsächlich breiter aufgestellter sozialer Aufstieg beachtlicher Teile der jüdischen Bevölkerung vorausgegangen war.
Hier waren zum ersten mal Juden gemessen an ihrem Gesamtanteil innerhalb der Bevölkerung tatsächlich überrepräsentiert, was den sozialen Aufstieg betrifft.
Vorher waren das in der Regel Einzelschicksale.
Das in beiden Strömungen Sozialneid vorhanden gewesen ist, ist sicherlich richtig. Inwiefern dieser allerdings prägend für das Bild "der Juden" und zwar als kollektive Gruppe war, lässt sich sicherlich im Bezug auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit durchaus hinterfragen.
Das andere Problem ist eben, dass sich bei Luther und Konsorten, so weit mir bekannt keine quasibiologischen Zuschreibungen finden, denn das hätte ja deren Unabänderlichkeit postuliert und jeglichen Missionsbemühungen ein Ende setzen müssen.
Ich weiß, dass du bei der Unterscheidung zwischen revidierbaren religiös bezogenen Zuschreibungen im Unterschied zu pseudobiologischen Kategorien des 19. und 20. Jahrhunderts sicherlich die Iberische Halbinsel, das dortige Herumreiten auf Blutsvorstellungen und die Vertreibung der "Conversos" im Auge haben wirst.
Das Problem bei der Argumentation ist nur, dass sich das so weit ich weiß, für das übrige Europa so nicht beobachten lässt und selbst im Bezug auf die an die iberische Halbinsel gebundenen Herrschaftszusammenhänge nur sehr inkonsequent gehandhabt wurde.
Im Besonderen die Vorstellung das religiöse Einstellungen etwas unveränderliches, an das Blut gebundenes seien, geht ja sowohl mit der von den ibrirschen Königen betriebenen Mission in aller Welt, als auch mit der gesamten Religionspolitik im Hinblick die Reformation und allen damit zusammenhängenden Fragen nicht zusammen.
Auch ist dabei bemerkenswert, das die auf der iberischen Halbinsel stattgefundene Vertreibungspolitik, nicht auf die übrigen, sich ansammelnden Nebenbesitzungen der "spanischen" Krone in Europa ausdehnten.
Das macht sie nicht moralisch besser, zeigt aber ihre Inkonsequenz auf.
Insofern würde ich dagegenhalten und behaupten, dass es durchaus einen Unterschied gibt, und dessen Negation wahrscheinlich in einem Bedürfnis liegt, überlange Kontinuitätslinien zu konstruieren.