Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung in der heutigen Zeit.

Auf die Einlassungen zur Ukraine, zu Ungarn, Rumänien und Jugoslawien gehe ich hier nicht näher ein (inhaltlich müsste ich einigem widersprechen) weil sie mit dem Versailler Vertrag nichts zu tun haben.
Wenn das gwünscht ist, kann man sich gerne gesondert über die anderen Pariser Vorortveerträge unterhalten.

Es gehört in der Summe zu den Pariser Vorortverträgen, die keine Versöhnung, keinen wirklichen Frieden, keine tragbare Friedensordnung, sondern lediglich die Bedürfnisse der Sieger bedient wurden.

Und komm mir bitte nicht mit den Kolonien, du weißt so gut wie ich, dass die ein Zuschussgschäft waren und die deutsche Nachkriegsgesellschaft, die breits so vor genug wirtschaftlichen Probleemen stand, diese zusätzliche wirtschaftliche Balastung nun wirklich nicht mehr gebrauchen konnte.
Das hat man damals in Unkenntnis des nicht vorhandenen wirtschaftlichen Nutzens dieser Gebiete vielleicht anders gesehen, aber wir müssen uns doch nicht noch 100 Jahre danach den Erkenntnissen dazu verschließen?

Ist mir durchaus bekannt. Trotzdem gab es ganz offensichtlich ein lebhaftes Interesse der Alliierten an den deutschen Kolonien, denn ansonsten hätte man diese ja nicht einbehalten.

Das keine umfassende Friedensordnung begründet wurde, war keine Nachlässigkeit sondern entsprach dem technisch möglichen, ansonsten hätte man erstmal ganz Osteuropa besetzen müssen um die Konflikte zu beenden.

Es gab auch andere, als militärische, Machtmittel, um den Wünschen der Alliierten Nachdruck zu verleihen. Es ging primär um die Abrechung mit Deutschland.

So weit ich ich weiß sträubte man sich in den USA allerdings eher gegen die Garantien, die man für Frankreich übernehmen sollte, als gegen die Behandlung Deutschlands.

Kam das erst nicht später zu den Streitigkeiten bezüglich der Garantien für Frankreich? In Frankreich war man geradezu paranoid. Für mich ist das französische Verhalten nur schwer bis gar nicht zu verstehen. Aber mir fällt schon auf auf, das von dir so gar nichts zu den Demütigungen, den Schikanen, der Willkür etc. kommt.

Ich kann nicht die Stelle finden, wo ich die genannten Probleme zu der russischen Mobilmachung gelesen habe. Ich weiß aber genau, daß ich das gelesen habe.

Es gab für Russland keinen Grund zur Mobilmachung. Entscheidend für die Eskalation der Julikrise war der russische Entschluß Serbien beizustehen. Die Deutschen waren auch nach dem Ultimatum noch untätig geblieben; in der Hoffnung, der Konflikt ließe sich lokalisieren. Aber ab dem 26.07. ergriffen die Russen Maßnahmen zur Vorbereitung der Mobilmachung - ebe die sogenannte Vorbereitungsperiode entlang der Grenzen zu Deutschland und Österreich-Ungarn. Zu diesem Zeitpunkt hatte Österreich den Krieg an Serbien noch nicht erklärt gehabt.
Warum überließ Russland es nicht Serbien und Österreich einfach den Konflikt auszutragen? Noch 1908/09 und wieder 1912/13 hatten die Russen die Serben zur Zurückhaltung gedrängt. Aber 1914 meinte Sasonow, Russland werde dem Schicksal Serbiens nicht gleichgültig gegenüberstehen. Das wirtschaftliche Engagement Russlands in Serbien ist nicht der Rede Wert gewesen. Es dürfte wohl eher um das "Gleichgewicht auf dem Balkan", was 1914 für Russland günstig war, gewesen sein und könnte durch den militärischen Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn aus russischer Sicht, Stichwort die Meerengen, zu Lasten Russlands verändert werden. Nur hatte Österreich deutlich gemacht, das man keine Annektion beabsichtige.
 
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Muss ich suchen gehen. Ich meine, dass das mit dem Bahnhof Warschau zusammenhing. Da gab es ein Problem.

Das ist doch mit Verlaub Unsinn.
Man konnte der Deutschen Seite bereits zu verstehen geben, dass eine Mobilisation nicht gegen das Reich gerichtet war, in dem man jede Mobilmachungstätigkeit im Bereich Litauen unterließ und jetzt erkläre mir nicht, dass es im Rahmen eineer Teilmobilmachung nicht möglich gewesen wäre auf Aushebungen und Aufmarsch in Litauen zu verzichten.

Im Hinblick auf den ostgalizischen Abschnitt und dem Aufmarsch gegen die Bukowina dürften eher die Bahnstationen Brest und Kiew als drehkreuze von Belang gewesen sein, aber nicht Warschau.

General Janoschkewitsch hat den deutschen Militärattache von Eggeling in einem Gespräch am 29.07.1914 darauf hingewiesen, falls die russsiche Mobilmachung auch an der deutschen Grenze erfolgt, dann habe das nichts zu bedeuten. Das ginge nicht anders, wegen des Verlaufs der Grenze zu Österreich-Ungarn.

ja, im Bezug auf Obrschlesien mag das technisch richtig sein, man konnte sicherlich nicht gegen den Raum Krakau aufmarschieren ohne in begrenztem Maße eine Beedrohung für Oberschlesien darzustelleen, insofern ließ sich ein Aufmarsch an der deutschen Grenze dann sicherlich nicht vollständig vermeiden.
Gegeebeenenfalls mussten im Westen auch Banhlinien verwendet werden, die auch genutzt hätten werden können um Truppen gegen Deutschland zu verschieben Brest-Warschau z.B.

Aber da hätte man von Deutscher Seit her wenn man es noch auf Deeskalation angelegt hätte kreative Abhilfen finden können.
Man hätte den Russen hier entgegnen können:

- Das jegliche Mobilisierungstätigkeit im Raum Litauen eine rote Linie überschreiten würde.
- Man zur Abschirmung Oberschlesien zunächst Teile des Friedenheeres dorthin verlegen wird.
- Man im Rahmen russische Teilmobilmachung ebenfalls teilmobilmachen müsste, aber zunächst darauf verzichten würde die Reservetruppen in die direkten Grenzgebieete zu verlegen, ausgenommeen der Reserveformationen, die die Truppen des Feldheeres in Oberschlesien abzulösen hätten.
- Man den Russen anheimstellen müsse die Mobilmachung keineswegs über eine gewisse Anzahl an Divisionen hinaus voranzutreiben, weil dies sonst als Generalmobilmachung aufgefasst und entsprechend beantwortet würde.
- Das keineswegs russische Truppen an die deutsche Grenze verlegt werden dürften ausgenommen der Raum Tschenstochau-Sosnowiec.
- Das im Geegenzug auch von deutscher Seite keine Truppen an die gemeinsame Grenze verlegt würden.
- Das sofern die Russen Bahnhöfe nutzten, die auch zur Verlegung an die deutsche Grenze genutzt werden könnten, die dortigen Bahnlinien in Richtung der deutschen Grenze durch vorübergehende Teildemontage der Gleisanlagen dafür Sorge getragen wird, dass das nicht passiert.
- Man einen Austausch von Militärbeobachtern vorschlägt um die beiderseitige Einhaltung zu gewährleisten.
- Das bei Nichterfüllung dieser Punkte der Aufmarsch als gegen Deutschland gerichtet betrachtet würde.

Etwas in der Art hätte man doch durchaus vorschlagen können, wenn man die Situation tatsächlich noch hätte bereinigen wollen.


Offensichtlich besteht und bestand eine gewisse Unsicherheit, was genau die Russen da taten, man hätte sie mit einem Vorschlag wie obeen genannt zwingen können ihre Karten auf den Tisch zu legen und die Art ihrer Mobilmachung transparent zu machen.
Warum tat man das nicht?
In erster Linie wohl deswegen, weil in Berlin länst die Hardliner das Ruder übernommeen hatte, die kein Interesse mehr hatten die Sache zu regeln und denen jegliche Art von russischer Mobilmachung recht war um ihre eigenen Schritte damit zu rechtfertigen, ob sie damit nun objektiv zu rechtfertigen waren oder nicht.

Auch der englische Botschafter Buchanan erinnert sich daran, das russische Militärs ohne Wissen des Zaren die Generalmobilmachung vorbereitet hätten. Stand im Dailey Express.
Ja, nur sind Mobilmachungsvorbereitung und Mobilmachung ja noch immer zwei verschiedene Paar Schuhe, zumal wir beide wissen, dass auch Moltke und Falkenhayn entsprechende Vorbereitungen anlaufen ließen und zwar bevor sie kaiserliche Order hatten und auch bevor die Generalmobilmachung in Russland offiziell war.
 
Das nennt man Verständnis.

Veerständnis ja, aber nicht für die Sentiments einer Partei, sondern für entsprechende Sachzwänge, denen sich die handelnden Personen gegenüber sahen.
Ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, was daran anrüchig sein sollte.

Ich habe den sogenannten Frieden von Brest klar und unmissverständlich gebrandmarkt. Das wirst du sicher gelesen haben. Nichtsdestotrotz, man sprach mit den Russen. Dazu haben sich die Alliierten erst gar nicht herabgelassen. Und Deutsche und Russen kamen sich nach dem Kriege schnell näher; beide waren geächtete Parias. Das verbindet.

Ich habe dir ja auch nie vorgeworfen, das du den Brester Frieden in irgendeiner Weise beschönigt hättest.
Mich irritiert nur, dass du aus dem Umstand ob man jetzt mit der Deleegation eines anderen Landes verhandelte, nur um ihr ein Diktat zu präsentieren oder ob man ihr ohne Verhandlung ein Diktat präsentierte, so einen Unterschied machst.
De facto waren beides Diktate bei denen der Unterlegene keinen Verhandlungsspielraum hatte und de facto taten die Deutschen und Österreicher, nachdem Trotzki die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen hatte genau das, womit die Entente in disem Fall Deutschland drohte.

Effektiv beschwerst du dich also hier nicht über Inhalte, sondern darüber dass man von Seiten der Entente vor dem Diktat niemandem die Illusion vermittelt hat, dass der Unterlegene irgendwas mitzureden hätte.


Dann hätte man nicht jahrelang Schauermärchen über die Deutschen verbreiten sollen und die eigene Bevölkerung gezielt falsch zu informieren.

Weder Lloyd George noch Clemenceau waren im Juli 14 die wirklich maßgeblichen Entscheidungsträger, die diesen Krieg vom Zaun gebrochen oder die Propaganda-Maschine ins Rollen gebracht hatten. Diese Umstände hatten sie von ihren Vorgängern geerbt.

Keynes war mit seiner Meinung ohne Frage näher an der Realität als die Franzosen und Engländer.

Ich hatte Keynes immer für einen Engländer gehalten, man lernt nie aus. ^^
Vielleicht war seine Meinung näher an den ökonomischen Gegebenheiten, als die der Politiker, aber wiee gesagt, die Politiker hatten auch die Gesamtsituation im Auge zu behalten.
 
Das ist doch mit Verlaub Unsinn.
Man konnte der Deutschen Seite bereits zu verstehen geben, dass eine Mobilisation nicht gegen das Reich gerichtet war, in dem man jede Mobilmachungstätigkeit im Bereich Litauen unterließ und jetzt erkläre mir nicht, dass es im Rahmen eineer Teilmobilmachung nicht möglich gewesen wäre auf Aushebungen und Aufmarsch in Litauen zu verzichten.

Es war sicher kein prinzipielles Problem, eine Teilmobilmachung durchzuführen, sofern entsprechende Pläne dafür vorhanden waren.

Das eigentliche Problem bestand wohl darin, dass man, wenn die Teilmobilmachung erst mal läuft, man nicht so ohne weiteres auf eine Generalmobilmachung umschwenken konnte, ohne ein organisatorisches Chaos anzurichten. D. h. man hätte darauf vertrauen müssen, dass Deutschland bei einem Krieg Russlands gegen Österreich-Ungarn einfach zusieht, ohne einzuschreiten.

Offensichtlich besteht und bestand eine gewisse Unsicherheit, was genau die Russen da taten, man hätte sie mit einem Vorschlag wie obeen genannt zwingen können ihre Karten auf den Tisch zu legen und die Art ihrer Mobilmachung transparent zu machen.

Ich glaube kaum, dass Russland sich so konkrete Vorschriften hätte machen lassen und es ist auch die Frage, ob das alles so umsetzbar gewesen wäre, wenn es nicht den vorhandenen Plänen entsprach und es war auch die Frage, wie man das alles genau kontrollieren wollte.

Nicht zuletzt muss man imho aber davon ausgehen, dass auch eine Teilmobilisierung nur gegen Österreich-Ungarn zum Krieg zwischen Russland und Deutschland geführt hätte, da Deutschland seinen einzigen verlässlichen Bündnispartner nicht im Stich lassen konnte.

Im Nachhinein betrachtet, wäre es sicher besser gewesen, Deutschland hätte nur Russland den Krieg erklärt und nicht auch Frankreich und dann versucht, den Vorteil der schnelleren Mobilisierung dadurch zu nutzen, dass man in Russland möglichst viel Land besetzt, bevor Russland voll mobilisiert ist und sich dann im Westen gegen Frankreich auf die Verteidigung konzentriert.

Dann hätte dort Frankreich den Krieg erklären müssen und es hätte keine Verletzung der belgischen Neutralität gegeben. Unter solchen Umständen wäre Großbritannien dann möglicherweise neutral geblieben, denn es wäre dort sich sehr unpopulär gewesen, für den Zaren zu sterben.

Nur gab es ja den Aufmarschplan Ost seit 1913 nicht mehr. Das ist ein Versäumnis der deutschen Heeresführung, die dadurch die Möglichkeiten der Politik einschränkte. Eventuell hätte man aber einfach auf Basis den letzten verfügbaren Planes mobilisieren können. Man hat die vorhanden Pläne ja sicher nicht einfach verbrannt.
 
Ist mir durchaus bekannt. Trotzdem gab es ganz offensichtlich ein lebhaftes Interesse der Alliierten an den deutschen Kolonien, denn ansonsten hätte man diese ja nicht einbehalten.

Ja, die Briten und Franzosen hatten damals ein Intersse daran. Ich verstehe nur noch immer nicht, warum das jetzt für dich heute noch ein Aufreger ist, im Grunde genommen ist das doch eigentlich eher ein Grund zum Schmunzeln, dass die sich damals diese Probleme ans Bein gebunden haben, während der Verlust dieser Gebiete Deutschland eher ent- als blastet hat.
Aus Perspektive der dortigen Bevölkerung war die Fortsetzung kolonialer Herrschaft unter neuer Regie sicherlich unerfreulich, aber das hatte ja dann nun nichts mehr mit Deutschland zu tun.

Es gab auch andere, als militärische, Machtmittel, um den Wünschen der Alliierten Nachdruck zu verleihen. Es ging primär um die Abrechung mit Deutschland.

Welche anderen Machtmittel standen der Entente denn so zu gebote, um die Konflikte in Osteuropa und den russischen Bürgerkrieg mit seinen Ausgriffen nach Polen und ins Baltikum zu beenden?
Ich bin gespannt.

Aber mir fällt schon auf auf, das von dir so gar nichts zu den Demütigungen, den Schikanen, der Willkür etc. kommt.

Nun, wie gesagt, weil sie mich nicht wirklich interessieren, weil irgendwelche Demütigungen nicht zu objektiven dauerhaften Nachteilen führen, jedenfalls nicht auf dieser Ebene.

Ja, mag sein, dass die Friedensdelegation und vor ihr schon die Waffenstillstandskommission unter Erzberger von der Entente schlecht behandelt wurde. Mag sein, dass die Mantelnote des Versailler Vertrags eine unnötige Beleidigung darstellte etc..
Aber was tuts? Letztendlich ging es darum das Leben auch für die deutsche Bevölkrung wieder erträglich zu machen und in dieser Hinsicht waren begangene diplomatische Unhöflichkeiten nicht von Belang.

Ich kann nicht die Stelle finden, wo ich die genannten Probleme zu der russischen Mobilmachung gelesen habe. Ich weiß aber genau, daß ich das gelesen habe.

Tut nichts, lass dir Zeit.

Es gab für Russland keinen Grund zur Mobilmachung.

Wie gesagt, ich sehe durch den österreichischen Angriff auf Serbien und den Aufmarsch österrechischer Truppen in Galizien durchaus Anlass mindestens für eine russische Teilmobilisierung an der Österreichisch-Ungarischen Grenze.
Aber ab dem 26.07. ergriffen die Russen Maßnahmen zur Vorbereitung der Mobilmachung - ebe die sogenannte Vorbereitungsperiode entlang der Grenzen zu Deutschland und Österreich-Ungarn. Zu diesem Zeitpunkt hatte Österreich den Krieg an Serbien noch nicht erklärt gehabt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Österreich Ungarn die Feindseligkeiten noch nicht aufgenommen es hatte sie aber angekündigt und die Mobilisierung begonnen, während es in Russland zunächst bei Mobilisierungsvorbereitungen blieb.

Nur hatte Österreich deutlich gemacht, das man keine Annektion beabsichtige.
Die Frage ist nur, ob man das in St. Petersbrug auch glaubte.
 
Man den Russen anheimstellen müsse die Mobilmachung keineswegs über eine gewisse Anzahl an Divisionen hinaus voranzutreiben, weil dies sonst als Generalmobilmachung aufgefasst und entsprechend beantwortet würde.
- Das(s) keineswegs russische Truppen an die deutsche Grenze verlegt werden dürften ausgenommen der Raum Tschenstochau-Sosnowiec.
- Das im Geegenzug auch von deutscher Seite keine Truppen an die gemeinsame Grenze verlegt würden.
- Das sofern die Russen Bahnhöfe nutzten, die auch zur Verlegung an die deutsche Grenze genutzt werden könnten, die dortigen Bahnlinien in Richtung der deutschen Grenze durch vorübergehende Teildemontage der Gleisanlagen dafür Sorge getragen wird, dass das nicht passiert.
Fatalerweise befanden sich aber in der Konzeption durchaus aggressive große Militärarreale relativ unweit der dt.-russ. Grenze (Nowogeogiewsk/Legionowo/Warschau, Iwangorod) und Modlin/Warschau war ein zentraler Bahnknotenpunkt: also war ohnehin schon eine hohe Militärpräsenz im fraglichen Raum vorhanden und eine Bedingung wie "ihr sollt aber bei euch eure Bahnlinien, die zu uns führen, demontieren" kommt mir ziemlich unrealistisch vor. Kurzum frage ich mich, wie solche - fiktiven! - Vorschläge ohne Berücksichtigung der real vorhandenen Gegebenheiten (Bahnlinien Bug-Narew-Weichsel mit Festungskette, aktive/aggressive Zentralposition Nowogorgiewsk/Warschau/Legionowo als Bahnknotenpunkt) plausibel gemacht werden können.
 
- Das sofern die Russen Bahnhöfe nutzten, die auch zur Verlegung an die deutsche Grenze genutzt werden könnten, die dortigen Bahnlinien in Richtung der deutschen Grenze durch vorübergehende Teildemontage der Gleisanlagen dafür Sorge getragen wird, dass das nicht passiert.

Diese Forderung nach Teilmontage der Bahnlinien hatte ich übersehen und bin erst durch die Antwort von Dekumatland darauf aufmerksam geworden. Man kann wohl davon ausgehen, dass eine derartige Forderung für Russland völlig unannehmbar gewesen wäre. Einerseits aus strategischen Gründen und andererseits, weil man so etwas wohl als Eingriff in die russischen Souveränität verstanden hätte.
 
Es war sicher kein prinzipielles Problem, eine Teilmobilmachung durchzuführen, sofern entsprechende Pläne dafür vorhanden waren.

Die werden nicht vorhanden gewesen sein, weil Teilmobilmachung in der Regel kein sinnvolles Mittel ist.
In der Regel will man entweder Abschrecken oder Kriegführen, dann mobilisiert man vollständig oder man will es nicht, dann lässt man es.
Zumal Mobilisation extrem kostspielig ist und Teilmobilmachung das Problem, im Besonderen auf den Bahnverkehr mit sich bringt, dass militärisch und zivilee Strukturen nebeneinander laufen müssten, was chaotisch sein muss.

Hier hätte man ohn Zweifen improvisieren können und der von @Turgot zitieerte Einwan ähnelt demjenigen Moltkes, der im Bezug auf den Lichnowsky-Zwischenfall und die kaiserliche Anweisung den Aufmarsch nach Osten umzulenken, auch einigermaßen konsterniert war und behauptete, dass der Aufmarsch im Westen aus technischen Gründen anlaufen musste und erst danach Truppen nach dem Osten verlegt hätten werden können.

Im Fall Russland wäre es ja aber nicht darum gegangen eine Vollmobilmachung umzuderigieeren, sondern die Mobilisierung von Teilabschnitten des Aufmarschplans einfach wegzulassen und das hätte auch mit improvisierten Mitteln möglich sein müssen.
Dazu musste man ja lediglich dem Mobilmachungsplan für den Fall "A" aus der Schublade ziehen, ihn etwas ausdünnen und die Mobilisierung der Nordarmeen streichen.

Das eigentliche Problem bestand wohl darin, dass man, wenn die Teilmobilmachung erst mal läuft, man nicht so ohne weiteres auf eine Generalmobilmachung umschwenken konnte, ohne ein organisatorisches Chaos anzurichten. D. h. man hätte darauf vertrauen müssen, dass Deutschland bei einem Krieg Russlands gegen Österreich-Ungarn einfach zusieht, ohne einzuschreiten.

Das aber ist ja der eigentliche Punkt.
Wenn Russland sich keinen Krig gegen Deutschland vorbereitete, dass sich bisher ruhig verhielt, brauchte es keine Generalmobilmachung.
Gleichzeitig, musste man von russischer Seite her wegen der deutschen Mittellage wissen, dass Deutschland eine geregelte Teilmobilmachung an der österreichischen Grenze vielleicht erdulden konnte, wenn Frankreich sich ruhig verhielt, dass aber eine russische Generalmobilmachung die Maschinerie auf deutscher Seite in Gang setzen musste.

Eine russische Vollmobilisation musste eine deutsche Generalmobilmachung heraufbeschwören, eine Deutsche wegen der Mittelage eine Französische provozieren.
Wenn aber Russland und Frankreich vollmobilmachten, musste Deutschland losschlagen um nicht unter die Räder zu kommen.
Insofern hat Turgot nicht unrecht, dass eine russische Generalmobilmachung eine rote Linie überschreiten und einee mordsgefährliche Mechanik in Gang hätte setzen müssen.

Nur wie gesagt, gerade deswegen hätte man, wenn man den Frieden gwollt hätte die Russen zwingen müssen die Karten auf den Tisch zu legen und klar zu machen, ob das ein Generalmobilmachung oder eine Teilmobilmachung war.
Bei letzterem hätte man Handlungsspielraum gehabt, bei ersterem immerhin noch die Möglichkeit Russland zu warnen, dass es Krieg gibt, wenn es das nicht sofort unterließe.

Ich glaube kaum, dass Russland sich so konkrete Vorschriften hätte machen lassen

Es ging dabei immerhin um den europäischen Frieden und die russischen Militärs wussten das.
Sie wussten welche Mechanik sie in Gang setzten, wenn sie Deutschland zur Mobilmachung zwangen.
In diesem Sinne hätte man es um der Rettung des Friedens willen versuchen müssen.

Nicht zuletzt muss man imho aber davon ausgehen, dass auch eine Teilmobilisierung nur gegen Österreich-Ungarn zum Krieg zwischen Russland und Deutschland geführt hätte, da Deutschland seinen einzigen verlässlichen Bündnispartner nicht im Stich lassen konnte.

Das ist nicht der Punkt.
In diesem fall hätte man sich möglicherweise aus bündnispolitischen Erwägungen für einen Krieg entschieden.
Worauf Turgot hinauswill ist, ja aber eher, dass eine Russische Mobilmachung aus technischen Gründen zur Eröffnung des Krieges zwang.
Das ist im Hinblick auf eine Generalmobilmachung, die Deutschland beantworten und damit Frankreich aufschrecken musste, sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen.
Würde sich aber bei einer russischen Teilmobilmachung, die Deutschland nicht zu derlei drastischen Reaktionen gezwungen hätte anders aussehen.

Im Nachhinein betrachtet, wäre es sicher besser gewesen, Deutschland hätte nur Russland den Krieg erklärt

Im Nachhinein wäre es, wenn man schon unbeedingt Krieg führen musste besser gewesen den Ostaufmarsch nicht ad acta zu legen und diesen Ansatz weiter zu verfolgen.
Aber hinterher ist man immer schlauer.
 
Zuletzt bearbeitet:
eine Bedingung wie "ihr sollt aber bei euch eure Bahnlinien, die zu uns führen, demontieren" kommt mir ziemlich unrealistisch vor.

Sollte man auch nicht zu hoch hängen es war ein ins Kraut geschossener Vorschlag.

Natürlich gab es im Raum bereits massiv Militärpräsenz, aber es gab ja auch entsprechende Gegenpräsenz und wenn Russland die Mobilisation zahlenmäßig nicht übertrieb, hätte das auf deutscher Seite durch Heranziehung von Formationen des Friedensheeeres in disem Bereich abgeschirmt werden können, ohne gleich zu mobilisieren.
 
Napoleon I. hat viel Leid über Deutschland und Europa gebracht und wird trotzdem bejubelt.
Das Leid der Deutschen hielt sich damals in Grenzen. Aber du hast vergessen zu erwähnen, dass er uns den Code civil gebracht und damit u.a.

- Freiheit für jeden
- Gewerbefreiheit und freie Berufswahl
- Abschaffung des Zunftzwangs
- Gleichheit vor dem Gesetz

Weshalb bemüht sie Brest?
Und weshalb bemühst du Ludwig XIV. und Napoleon I.?
 
Du schreibtst Entente-Mächte. Die Forderung nach Auslieferung stellten eben auch u.a. Belgien und Jugoslawien. Ergo werden diese Mächte auch auf Auslieferung verzichtet haben.



Dann zeige mir bitte die versöhnlichen Elemente, die eine dauerhafte Friedensordnung hätten begründen können. Deutschland und Russland waren nach dieser Friedensordnung internationale Parias, die nicht mal in dem Völkerbund aufgenommen worden waren.



Selbst diese Bewertung kann ich nicht teilen, weil die Alliierten überhaupt nicht begonnen hatten, einen Weg der Aussöhnung, der Verständigung des Ausgleichs zu gehen. Es wurden in erster Linie die eigenen Bedürfnisse bedient und die waren eben dergestalt, das sich damit kein Fundament für eine Frieden von Dauer legen ließ.



Und dabei wurde keine gute Arbeit geleistet.



Der ehemalige italienische Ministerpräsident Nitti, der den Versailler Vertrag mit unterschrieben hatte, sagte 1921 später der Versailler Vertrag sei ein Mittel zur Fortsetzung des Krieges. Der bekannte amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kenan schrieb nach dem 2.Weltkrieg in der New York Times, "die Rachsucht der britischen und französischen Friedensbedingungen habe dem Nationalsozialismus und einen weiteren Krieg den Boden bereitet. Der britische Economist schrieb zur Jahrhundertwende:" Das letzte Verbrechen im Ersten Weltkrieg sei der Versailler Vertrag gewesen, dessen harten Bedingungen einen weiteren Krieg unausweichlich machten.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Für die Nazis war der Begriff Versailler Diktat zum politischen Grundvokabular. Versailles war "optimale" Propaganda, die sich die Naziverbrecher sehr zu Nutze machten und auf fruchtbaren Boden fiel. In der Republik herrschte über alle Grenzen hinweg Konsens, der der Versailler Vertrag "eine Schande" war.

Dem würde ich doch widersprechen wollen. Der Vertrag von Versailles wurde auch in den Unterzeichnerstaaten durchaus kritisch gesehen, GB hat weite Forderungen Frankreichs nicht mitgetragen, und es hat durchaus auch Bemühungen der Annährung und der Verständigung gegeben, und es hat auf beiden Seiten Leute gegeben, die dafür aufgeschlossen waren. Mit dem Vertrag von Locarno wurde schon so etwas wie eine Verständigung und Annäherung erreicht.

Stresemann betrieb einerseits eine Politik der Erfüllung von Forderungen der Siegermächte und Verständigung, andererseits aber Anerkennung von Deutschland als gleichberechtigter Partner in der europäischen Politik. Damit war Stresemann durchaus erfolgreich, und das war nicht zuletzt auch dadurch erreicht worden, dass Stresemann sehr gute Beziehungen zum französischen Botschafter in Berlin hatte und er mit dem britischen und amerikanischen Botschafter geradezu ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Als Stresemann 1925 ein Memorandum vorlegte das einen Sicherheitspakt von Frankreich, Deutschland, GB und Italien vorsah mit den USA als Garantiemacht, stimmte Stresemanns französischer Amtskollege Aristide Briand sofort diesem Vorschlag zu.

Beide, Stresemann und Briand worden 1926 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Stresemann sah den Vertrag von Locarno kurz vor seinem Tod recht kritisch. Dennoch wurde mit Locarno durchaus so etwas wie eine Annäherung und Verständigung erreicht, die Westgrenzen wurden anerkannt, und Deutschland erreichte mit der Aufnahme in den Völkerbund auch so etwas wie eine außenpolitische Anerkennung als Akteur in der europäischen Politik.

Der Vertrag von Versailles war zweifellos hart, und er hatte zahllose kleinliche und beleidigende Klauseln. Es hatte der Vertrag aber Deutschland demographisch und territorial kompakt erhalten. Deutschland lag buchstäblich am Boden, wirtschaftlich, politisch und moralisch. Es war aber immer noch die stärkste Volkswirtschaft Europas, und es war potenziell eher noch stärker, weil seine Nachbarn schwächer waren: Die Donaumonarchie und das Zarenreich waren futsch, die SU mit sich selbst beschäftigt, und Frankreich war viel zu schwach, Deutschland dauerhaft in Schach zu halten, zumal die Briten nicht mitzogen und die USA sich aus Europa weitgehend zurückzogen.

Geschäftsgrundlage war sozusagen, dass Deutschland Reparationen zahlt, dass es Verpflichtungen einhält, dass dafür aber im Gegenzug die Schraube gelockert wurde.

Es hätte durchaus keinen 2. Weltkrieg geben müssen. Es gab keine territorialen Streitfragen, die einen Krieg gerechtfertigt hätten, erst recht nicht brauchte Deutschland Lebensraum. Im 20. Jahrhundert so zu tun, als befände man sich in der Zeit der Völkerwanderung war reiner Wahnsinn. Niemand außer Hitler wünschte sich Krieg in Europa.
Hitler, Mussolini waren irgendwie auch Kinder von Versailles. Ohne den Krieg und die Niederlage hätte keiner von beiden in der Politik eine Chance gehabt. So wie der Vertrag von Versailles zustande kam, mit all den Kleinlichkeiten konnte er Europa keine dauerhafte Friedensordnung geben.
Ich denke aber, dass es zu weit geht zu sagen, dass der Vertrag von Versailles in sich schon den Keim für den Faschismus und den 2. Weltkrieg trug.

Frankreich war zu schwach, Deutschland dauerhaft in Schach halten zu können, in der europäischen Politik konnte man Deutschland nicht übergehen, man musste es einbinden. Wenn Deutschland Reparationen bezahlen sollte, dann durfte man die deutsche Wirtschaft nicht abwürgen, dann musste es wieder auf die Beine kommen.

Der Vertrag von Versailles war in vielen Bestimmungen kleinlich und ungerecht. So wie die Dinge aber nun einmal lagen, war der Vertrag auch angelegt, nach und nach revidiert zu werden. Die "Erfüllungspolitik" der Weimarer Republik hat durchaus Teilerfolge erreichen können, und ich halte es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass mit einer schrittweisen Revidierung der teils absurden Reparationsforderungen Europa durchaus mit der Zeit zu einer relativ stabilen Friedensordnung hätte kommen können.
 
Das Leid der Deutschen hielt sich damals in Grenzen. Aber du hast vergessen zu erwähnen, dass er uns den Code civil gebracht und damit u.a.

- Freiheit für jeden
- Gewerbefreiheit und freie Berufswahl
- Abschaffung des Zunftzwangs
- Gleichheit vor dem Gesetz

Und weshalb bemühst du Ludwig XIV. und Napoleon I.?

Oh, warst du dabei gewesen? Die Einwohner der damaligen Rheinbundstaaten könnten etwas anderes erzählen. Schließlich waren sie nur noch ein Protektorat Napoleons und Aufmarschgebiet . Sie hatten Napoleon Soldaten für seine Kriege zu stellen. 1806 waren es 63.000, 1808 waren es schon 119.000. Nayern und Württemberg mussten übergroße Armeen unterhalten, die sie bis am die Erschöpfungsgrenze brachte. Westfalen und Berg mussten Domänen für den französischen Verdienstadel stellen. Aufgrund der erheblichen Belastungen durften die Deutschen eine drückend Steuerlast Schultern usw.usw. .

Aber das ist ja Peanuts; betraf ja nur die Deutschen.

Und deine Frage ist albern, denn wenn du aufmerksam gelesen hättest, würdest du die Frage nicht stellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Leid der Deutschen hielt sich damals in Grenzen. Aber du hast vergessen zu erwähnen, dass er uns den Code civil gebracht und damit u.a.

- Freiheit für jeden
- Gewerbefreiheit und freie Berufswahl
- Abschaffung des Zunftzwangs
- Gleichheit vor dem Gesetz

Und weshalb bemühst du Ludwig XIV. und Napoleon I.?

Die Liste der positiven Errungenschaften der "Franzosenzeit" ist durchaus lang, und sie ließe sich ergänzen durch die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Einführung der Zivilehe, die völlige Emanzipation der Juden, erste Parlamente auf deutschem Boden und was dir besonders sympathisch sein dürfte: Im Reich des König Jerome konnte man sogar aus der Kirche austreten.
Die durchaus positive Bewertung der "Franzosenzeit" nicht zuletzt als Katalysator moderner Errungenschaften- sie ist- nachvollziehbar- vor allem auch aus einer bajuwarischen Perspektive, wenn man an die Reformen unter Montgelas denkt.

Andererseits aber ist die Feststellung dass Napoleon großes Leid über Europa gebracht hat, zweifellos zutreffend. Das Leid der Deutschen hielt sich in Grenzen? Da wird man sich fragen dürfen gemessen woran? An dem der Spanier, der Russen, gemessen am Leid von 1933-45?

Die westphälische Armee wurde in Spanien und Russland aufgerieben. Von 38.000 die den Russlandfeldzug unterstützten, haben keine 1000 die Heimat wieder gesehen. 2012 kamen erstmals Kunstschätze als Leihgabe nach Kassel zurück- das war Beutegut, das Napoleon so gut gefiel, dass er es mitnahm. 1806 und 1809 kam es zu Aufständen gegen die Franzosen, die Kontinentalsperre hat zahllose deutsche Länder heftig betroffen. Das Königreich Westphalen wurde auch sehr davon belastet, dass der große Bruder Napoleon rücksichtslos auf die Ressourcen- auch die menschlichen- des Landes zurückgriff, um seine Kriege- Eroberungskriege zu finanzieren.

In ganz Europa war die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass gute Gesetze, Gewerbefreiheit und andere Errungenschaften nicht Einquartierungen, Kontributionen, Zwangsmaßnahmen und eine weitgehende Verarmung durch Auswirkungen der Kontinentalsperre aufwogen.
 
Der Vertrag von Versailles war in vielen Bestimmungen kleinlich und ungerecht. So wie die Dinge aber nun einmal lagen, war der Vertrag auch angelegt, nach und nach revidiert zu werden. Die "Erfüllungspolitik" der Weimarer Republik hat durchaus Teilerfolge erreichen können, und ich halte es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass mit einer schrittweisen Revidierung der teils absurden Reparationsforderungen Europa durchaus mit der Zeit zu einer relativ stabilen Friedensordnung hätte kommen können.
All dem kann ja kaum widersprochen werden. Meines Erachtens aber auch kaum zu bestreiten ist, dass der in vielerlei Hinsicht kleinliche und ungerechte Vertrag die deutsche Gesellschaft (und vielleicht besonders die sogenannten Eliten) den Grundvorstellungen der westlichen Demokratien weiter entfremdet hat.
 
All dem kann ja kaum widersprochen werden. Meines Erachtens aber auch kaum zu bestreiten ist, dass der in vielerlei Hinsicht kleinliche und ungerechte Vertrag die deutsche Gesellschaft (und vielleicht besonders die sogenannten Eliten) den Grundvorstellungen der westlichen Demokratien weiter entfremdet hat.

Wenn die Frage erlaubt ist, welche Vorstellung von "westlicher Demokratie" hätten die Zeitgenossen denn haben sollen?
Bzw. liegt in der Vorstellung der "westlichen Demokratien" als liberale Gesellschaftsform zu diesem Zeitpunkt nicht ein massives Maß an Verklärung?

Schaut man sich die USA an, muss die Ungeichbehandlung der eigenen Bevölkerung durch die gesetzlich verordnete Rassentrennung und die rechtliche Diskriminierung der Afro-Amerikaner iins Auge springen.
In anderen Systemen lässt sich ja immerhin noch behaupten, dass massiv Ungelichbehandlung der Bevölkrung zwar in den Kolonien stattfand, aber wenigstens die Bevölkerung im Kernland, was ihre Reichte angeht, einigermaßen egalitär behandelt wurde.
Das lässt sich von denn USA nicht sagen.

Im Bezug auf Frankreich ergeben sich ebenfalls ähnliche Probleme, wenn man den Anspruch Frankreichs, das die drei Departéments an der algerischen Gegenküste keine Kolonien sondern Teil des Mutterlandes seien ernst nimmt.
Gegen Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts hatte ja nun auch die Dreyfus-Affaire recht starke antisemitische Tendenzen in Frankreich Trotz aller offizieller égalité vor dem Gsetz deutlich offen gelegt, was in der Zwischenkriegszeit ja durchaus auch im Hinblick auf die USA zu konstatieren ist (wobei ich hier nicht sicher bin, wie konkret das schon vorher zu fassen war und inwiefern das mit ein Produkt der Wirtschaftskrise war, die die USA als Einwandereungsland noch einmal vor andere Probleme stellte, als die traditionellen europäischen Auswanderungsländer).
Schaut man sich die weitere gesellschaftliche Entwicklung Frankreichs in der Zwischenkriegszeit an, verläuft die in einer Weise, dass sich die Gesellschaft dort so stark polarisierte, dass nicht wenige Beobachter in der Mitte der 1930er Jahre die Gefahr eines Bürgerkriegs sehen wollten (die inneren Probleme Frankreich halfen Hitler sehr bei den ersten Schritten seiner Revisionspolitik).

Großbritannien hat in den 1920er Jahren ganz massiv mit der Irland-Problematik zu kämpfen gehabt, im Zug dessen kam es gerade in Irland, so lange es noch zum Vereinigen Königreich gehörte zu Ereignissen und Maßnahmen von denen man sehr hinterfragen kann, ob das als eine Art Leitmodell getaugt hätte.

Ich sehe, selbst wenn man die koloniale Perspektive mal völlig ausblendet und den Zeitgenossen zugesteht, dass sie das vielleicht nicht so sehr auf dem Schirm hatten (wobei sich vor allem in Frankreich seit den frühen 1920er Jahren eine durchaus beachtliche antikoloniale Bewegung formierte), ganz ehrlich in den 1920er und 1930er Jahre kein wirkliches Leitmodell für eine "liberale Demokratie", dass bei genauerem Hinsehen diesen Namen tatsächlich verdient hätte.
In diesem Sinne möchte ich die Frage gestellt haben, an was genau in diesm Zusammenhang die Leute eigentlich hätten glauben sollen?
Bzw. an welchem tatsächlich existierenden Gesellschaftsmodell sie sich da tatsächlich orientieren sollten, wenn man mal bedenkt, dass selbst relativ kleine etablierte Staaten, wie die Niederlande und Belgien in Sachen kolonialer Fremdherrschaft mitunter recht groß waren oder ein Land wie die Schweiz , mit durchaus starken republikanischen Traditionen den Frauen das Wahlrecht verweigerte?

Davon abgesehen, wäre die Frage zu stellen, wenn es in Deutschland so sehr der Versailler Vertrag war, der die Bevölkerung den Glauben an liberale Ideen verlieren ließ, warum passierte das Gleiche (nur viel früher) in Italien auch in einem Staat, der dezidierter Profiteur der Friedensschlüsse war?
 
Wenn die Frage erlaubt ist, welche Vorstellung von "westlicher Demokratie" hätten die Zeitgenossen denn haben sollen?
Bzw. liegt in der Vorstellung der "westlichen Demokratien" als liberale Gesellschaftsform zu diesem Zeitpunkt nicht ein massives Maß an Verklärung?
Democracy, indeed the worst form of government except for all those other forms that have been tried from time to time.
(fälschlich dem Duke of London zugeschriebenes Bonmot)
 
Man könnte auch sagen, dass in westlichen Demokratien die Regierung das Vertrauen des Parlaments benötigt und nicht einfach durch einen Monarchen von Gottes Gnaden eingesetzt wird. Wenn es in einer westlichen Demokratie einen Monarchen gibt, hat dieser lediglich repräsentative Aufgaben.
Das drückt sich z.B. in der Verfassungswirklichkeit vieler monarchischer westlichen Demokratien aus. Der dänische König, bzw. die Königin hätte laut der geschriebenen Verfassung das Recht eine Regierung nach eigenen Wünschen einzusetzen (oder eine Regierung abzusetzen), wird es aber nicht tun, sondern damit jemand beauftragen, der eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man könnte auch sagen, dass in westlichen Demokratien die Regierung das Vertrauen des Parlaments benötigt und nicht einfach durch einen Monarchen von Gottes Gnaden eingesetzt wird.Wenn es in einer westlichen Demokratie einen Monarchen gibt, hat dieser lediglich repräsentative Aufgaben.

Kann man das sagen?
Mit Blick auf Großbritannien könnte man z.B. um so mehr vor dem Hintergrund des beginnenden 20. Jahrhundert bemerken, dass der Monarch durch sein Recht Adelstitel zu verleihen oder einzuziehen durchaus Möglichkeiten hatte an der Zusammensetzung der britischen Parlamentskammern etwas zu ändern.

Sei es dadurch einem Mitglied des "House of Commons" einen Adelstitel anzubieten, dessen Annahme ein Ausscheiden der Person aus dem "House of Commons" erfordert hätte, im Hinblick auf auf das "House of Lords", dahingehend dass der Monarch die Zugangsvoraussetzungen verleihen oder entziehen konnte, im frühen 20. Jahrhundert konnten wohl auch Mitglieder durch den Monarchen ernannt werden.

Insofern so rein repräsentativ..................................

Und dann wäre da natürlich noch die Problematik der Kronkolonien, die zwar in irgendeiner Form mit dem Empire verbandelt waren, aber nicht der Kontrolle des Parlaments unterstanden und mindestens theoretisch absolutes Refugium und Prärogative der Monarchie waren.

Hinsichtlich der dem Parlament verantwortlichen Regierung:

Inwiefern lässt sich aber von einer tatsächlichen liberalen Demokratie sprechen, wenn große Teile der Bevölkerung von der Wahl dieses Parlaments de facto ausgeschlossen sind? Kolonien, Frauen vor der Durchsetzungdes Frauenwahlrechts bzw. in der Ausübung ihres Wahlrechts massiv behindert werden etc.?
 
Das drückt sich z.B. in der Verfassungswirklichkeit vieler monarchischer westlichen Demokratien aus. Der dänische König, bzw. die Königin hätte laut der geschriebenen Verfassung das Recht eine Regierung nach eigenen Wünschen einzusetzen (oder eine Regierung abzusetzen), wird es aber nicht tun, sondern damit jemand beauftragen, der eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat.


Wobei "Verfassungswirklichkeit" ein sehr nebeliger und unscharfer Begriff ist, denn woran bemisst sich, dass der Verfassungswirklichkeit nach eine Instanz ihre theoretischen Recht nicht wahrnimmt?
Dadurch, dass sie es eine gewisse Zeit lang nicht getan hat? Und wenn je, woran orientiert sich der dafür erforderliche Zeitraum?
Das ist doch das letztendliche Problem jeder form von Konvention, die sich allenfalls gwohnheitsrechtilich begründen ließe, zumal wenn dem kodifiziertes Recht entgegensteht.

Mit angeblicher "Verfassungswirklichkeit" lässt sich in diesem Sinne alles und nichts begründen.

Um im Hinblick auf die britischen Verhältnisse ein sehr konkretes Beispiel für die Nichtintervention der Monarchie in die Tagespolitik und den Verzicht auf die Nutzung ihrer theoretischen Recht zu liefern:

"Im Wahlkampf für die Wahlen von 1910 machten die Liberalen die Befugnisse des House of Lords daher zu ihrem wichtigsten Wahlkampfthema und erreichten damit ihre Wiederwahl. Asquith schlug daraufhin vor, dass die Befugnisse des House of Lords sehr eingeschränkt werden sollten. Das Gesetzgebungsverfahren wurde kurzzeitig durch den Tod von König Eduard VII. unterbrochen, jedoch bald darauf unter Georg V. wieder aufgenommen. Nach weiteren Wahlen im Dezember 1910 konnte die Regierung Asquith in beiden Kammern ein Gesetz durchbringen, das eine massive Beschneidung der Befugnisse des House of Lords vorsah. Um den absehbaren Widerstand der Lords zu brechen, hatte man zu einer Drohung gegriffen: Der Premierminister schlug mit Zustimmung des Monarchen vor, dass das House of Lords mit der Schaffung von 500 neuen, liberalen Peers überflutet werden könnte, falls es die Verabschiedung des Gesetzes verweigern sollte. Dieser angedrohte Pairsschub war das gleiche politische Vehikel, das bereits die Verabschiedung der Reformakte von 1832 befördert hatte, und erzwang die Zustimmung der Lords zu ihrer faktischen Entmachtung."

House of Lords – Wikipedia


Hier hat Intervention und Androhung mit exzessivem Wahrnehmen der monarchischen Rechte zu einem bedeutenden Umbruch in den politischen Verhältnissen Großbritanniens geführt und dass lag in den 1920er noch nicht so lange zurück.
So viel zum Thema der rein repräsentativen Funktion und der "Verfassungswirklichkeit".
 
Unterhaltsam, wenn ignorierte Mitglieder meinen in Fettschrift ihre Meinung zur Verfassungswirklichkeit herausbrüllen müssen zu einem Land, das keine Verfassung hat. Belustigend, wenn man meint, etwas das fast 100 Jahre zurück liegt, sei doch gar nicht so lange her. Erschreckend, wenn man die parlamentarische Kontrolle einer Regierung dadurch delegetimieren will, dass in einer Zeit in der es so gut wie nirgends ein Frauenwahlrecht gab, dieses als mangelnde Legitimierung der westlichen Demokratie auslegen will und somit einem Royalismus und dem "persönlichen Regiment" das Wort reden will.
 
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