Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Ich bezweifle sehr (...)
Es wäre erfreulich, wenn du für deine Zweifel Gründe angeben würdest.

Ebenso wäre informativ, wenn du mittels Argumenten (und gerne auch Quellen) diese Information
Seit dem 13. Jahrhundert flossen volkssprachliche Texte ein. Die Spiele wurden außerhalb der Kirche aufgeführt und von den Städten organisiert. Zu den Szenen, die oft auch sehr derb sein konnten, gehörten etwa: Pilatus- und Judenszene, Auferstehung, Grabwächterszene, Höllenfahrt, Teufelsszene mit Sünderrevue, Marienklage, Krämerszene, Visitatio, Apostellauf. Oft verlor sich der belehrende Aspekt, und die Freude am Spektakel, etwa bei den Teufelsszenen, trat hervor.
falsifizieren könntest. Ich hatte sie zuvor schon zitiert aus https://de.wikipedia.org/wiki/Osterspiel
 
Ich bezweifle sehr, dass in "geistlichen Spielen" im Rahmen der Liturgie „Gott, Teufel, Papst und Kirche durch den Kakao“ gezogen worden sind – egal ob auf Deutsch oder Latein.

Im Innsbrucker Osterspiel bricht Christus die Tore der Hölle auf und befreit die armen Seelen. Oberteufel Lucifer und Vizeoberteufel Satanas überlegen ob dieses Desasters, wie sie die Hölle wieder füllen. Satanas verspricht diensteifrig: "Ich will dir viele Seelen bringen", und Lucifer schickt ihn los: "Bring mir den Papst und den Kardinal, Patriarchen und Legat, die den Leuten geben bösen Rat; König und Kaiser, die bringe mir allzumal her..."
https://www.seh.ox.ac.uk/asset/Innsbruck-Harrowing.pdf
 
Auf #33 wollte ich noch eingegangen sein:

Zitat aus Wikipedia: Um 800 betrug die Einwohnerzahl gerade noch 20.000 Einwohner.

Womit es sich, nachdem die Einwohnerzahl der meisten europäischen Städte zu der Zeit deutlich unter 10.000 lag, nach wie vor um eine veritable Metropole handelte.

Hintergrund für das als „Leichensynode“ in die Geschichte eingegangene Verfahren waren Machtkämpfe zwischen verfeindeten römischen Adelsfamilien. Diese bestimmten über die Papstwahl, was oft mit „extremen Gewaltexzessen“ einherging, so Reinhardt.

Der massive Einfluss des römischen Adels auf die Papstwahl und im Übrigen auch auf die Besetzung der italienischen Bischofsstühle ist aber kein Charakteristikum des Frühmittelalters, sondern das hält sich bis mindestens ins Spätmittelalter hinein relativ konstant.
Die Orsini und die Colonna, die Borghese, die Chigi stellen bis ins 16. Jahrhundrt hinein, mehr oder weniger laufend Kardinäle, mitunter Päpste und und insofern sie Teile Roms und der Umgebung de facto kontrollierten, konnten sie auch Einfluss darauf nehmen, wer an der Wahl eines Papstes überhaupt teilnehmen konnte, da es ihnen mitunter möglich war, einfach zu verhindern, dass unliebsame Gegner von außerhalb Roms den Wahlort vor Beginn der Wahl erreichten.

Wenn du die Schwäche der Kirche, an einem starken Einfluss des römischen Adels auf die Wahl des Papstes festmachen wolltest, müsstest du die katholische Kirche bis ins 15.-16. Jahrhundert mindestens, als eine ziemlich ohnmächtige Veranstaltung betrachten.

Und genau darauf kommt es an: Gott ist überall präsent und sieht alles – und wenn man irgendein der 10 Gebote übertrat, drohte die Kirche zumindest mit Fegefeuer, wenn nicht mit ewiger Verdammnis. Aber durch die Beichte konnte man diesem Schicksal teilweise entgehen.

Das ist nicht richtig. Nicht durch Beichte konnte man diesem Schicksal teilweise entgehen, sondern durch Buße und gute Werke.
Nun wird man argumentieren können, dass das Beichten nicht zwangsläufig nötig war um Buße tun zu können, sondern allenfalls um sich zu versichern, ob die Buße auch angemessen war.
Prinzipiell konnte man die Beichte aber übrspringen und sich selbst Bußritualen unterziehen, ohne die Geistlichkeit bemühen zu müssen.

Und konsequenterweise machte die Kirche ein Geschäft daraus: Ablasshandel war geboren, denn mit einem Ablass konnte man – je nach Höhe der Summe, so und so viele Jahre (das wurde in Hunderten von Jahren gemessen, und es gab ein ganzes Katalog, welch Sünde wie viel kostete) – den Aufenthalt im Fegefeuer verkürzen.
Nun war der Ablasshandel allerdings im Kern auch eine sinnvolle Einrichtung, weil er einen Ersatz für Bußen darstellte, die mitunter gar nicht so einfach zu erbringen waren.

Als Bußritual so und so viele Gebete zu sprechen, mag recht machbar erscheinen, wie aber kann z.B. ein Stummer diese Auflage erfüllen?
Wie kann z.B. ein Gehbehinderter sich zur Buße einer Pilgerreise in angemessener Weise (d.h. er müsste zu Fuß gehen) unterziehen, oder ein Unfreier, der an die Scholle gebunden ist und dem es es von seinem Herrn nicht erlaubt wird sich zu entfernen?

Prinzipiell war der Ablasshandel eigentlich keine so schlechte Sache, weil er eine Alternative für alle bot, die sie den gängigen Bußpraktiken aus welchen Gründen auch immer nicht unterziehen konnten.
Die Art und Weise, wie die Kirche das später kapitalisierte ist sicherlich kritikwürdig, ich sehe allerdings, wenn man es praktisch bedenkt relativ wenig Anlass diese Einrichtung an und für sich zu skandalisieren.

Auch wennn man Ausnahmefälle wie die oben Angesprochenen einmal ausklammert, führten auch andere etablierte Praktiken zu Problemen. Z.B. länger dauernde Wallfahrten als Massenphänomen mussten unweigerlich das gesamte Wirtschaftsleben stören.
Auch für die damit verbundenen Heilsversprechen, war das Schaffen einer Alternative, sagen wir mal gesellschaftlich sinnvoll, weil in der Zeit, die dann nicht mehr für eine Wallfahrt aufgewendet werden musste, weitergearbeitet werden konnte.
Vor dem Hintergrund, dass das Mittelalter eine Zeit permanenter Mangelwirtschaft darstellte, waren Geldzahlungen oder Abgabe von Naturalien als Sühneleistung sicherlich sinnvoller, als die Gesellschaft noch wirtschaftlich dadurch zu strapazieren ihre ohnehin nicht im Übermaß vorhandenen Arbeitskräfte tagelang zwecks Pilgerreise von der Arbeit abzuziehen und sie schlimmstenfalls ans andere Ende Europas zu schicken.

So viel Missbrauch mit dem Ablass getrieben wurde, sofern man an Buß- und Sühneleistungen als Ausgleich für Verfehlungen festhalten oder ausufernde Wallfahrten eindämmen wollte, gab es einige gute Argumente dafür.

Und auch dafür hat die Kirche bis heute ein Hilfsangebot parat – natürlich gegen Bezahlung: Totenmesse oder wie es neumodisch heißt: „Messe für die Verstorbenen“
Ja, aber liturgisches Totengedenken ist nichts, was die Kirchen einfach als Mogelpackungen an gutgläubige Laien verscherbelten, sondern dass nahmen die Geistlichen für sich selbst nicht ungern in Anspruch.

Und weil viel hilft viel, kann man schon zu Lebzeiten selbst bestimmen und vorausbezahlen, dass diese Messe jährlich für einen am jeweiligen Todestag gelesen werden soll.
Wie gesagt, dass ist allerdings nichts, was einfach benutzt worden wäre, um die Laien übers Ohr zu hauen. De facto gibt es vor allem im Frühmittelalter recht häufig Verbrüderungsverträge zwischen verschiedenen klösterlichen Gemeinschaften, die sich gegenseitig verpflichteten ihrer Toten zu gedenken und als sich dann irgendwann die individuelle Totenmesse entwickelte, wurde die durchaus auch von Geistlichen selbst für sich in Anspruch genommen.
Davon abgesehen, blieb diese Praxis durchaus nicht auf die Kirche beschränkt, diverse wohltätige Stiftungen, wie Armenhäuser etc. wurden regelmäßig mit der Auflage versehen, dass diejenigen, die davon profitierten, dann regelmäßig beim Allmächtigen ein gutes Wort für den Stifter einzulegen hatten.

Das sind Vorstellungen und Bräuche, die man kritisieren kann, aber das war durchaus kein exklusiv von der Kirche verwendetes Instrument, dass vor allem darauf abgezielt hätte die Laien zu gängeln.

Diese Gelder waren im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert ein Teil des Einkommens der Priester.
Wobei man dann allerdings dazu sagen sollte, dass im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit der niedere Weltklerus häufig ziemlich arm war, weil er sich mitunter um sehr kleine Gemeinden kümmern musste, so dass die Pfründe oder Teilpfründe, die da abfielen allein mitunter nicht zum Leben reichten, oder gerade eben so.
Das mag sich in den größeren Gemeinden in den Städten anders verhalten haben, aber in den kleinern Landgmeinden, mit vielleicht gerade einmal 100 oder 200 Personen, für die ein Geistlicher verantwortlich war, was kam denn da an Abgaben (die Teilweise noch an das Bistum abzuführen waren) herum?
Insofern massives Wachstum an Bevölkerung, Produktivität und die Transporttrevolution erst im 19. Jahrhundert einsetzen, wundert es auch nicht, dass das noch lange so blieb.

schließlich ist das Beten für einen Gestorbenen auch Arbeit, die bezahlt gehört, nicht wahr? :D
Ich weiß nicht, was daran so lustig ist, modern gesprochen handelt es sich um eine Dienstleistung.
Insofern zum Ritual etwa auch Messwein und Weihrauch, oder Wachskerzen oder Öllampen gehörten, verursachte das ggf. Materialkosten und natürlich nahm das die Zeit der Geistlichen in Anspruch, in der sie keiner anderen produktiven Tätigkeit nachgehen konnten.
Insofern sehe ich auch da den Skandal nicht, das als Zusatzleistung anzubieten und bezahlen zu lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich weiß nicht, was daran so lustig ist, modern gesprochen handelt es sich um eine Dienstleistung.
Insofern zum Ritual etwa auch Messwein und Weihrauch, oder Wachskerzen oder Öllampen gehörten, verursachte das ggf. Materialkosten und natürlich nahm das die Zeit der Geistlichen in Anspruch, in der sie keiner anderen produktiven Tätigkeit nachgehen konnten.
Insofern sehe ich auch da den Skandal nicht, das als Zusatzleistung anzubieten und bezahlen zu lassen.

Man könnte vermuten, dass der Threadersteller mit einer ganz bestimmten, sehr religionskritischen Sichtweise an das Thema herangeht. Das ist prinzipiell nicht zu beanstanden, sollte aber berücksichtigt werden, wenn man über historische Gegebenheiten spricht. Auch heutzutage gibt es in sehr vielen Religionen Menschen, die hauptamtlich tätig sind, etwa als Seelsorger/innen, Verwaltungskräfte oder ganz allgemein Geistliche. In vormoderner Zeit konnte man sich ein Leben ohne Religion vermutlich mehrheitlich noch weniger vorstellen als heute, eine Finanzierung war also prinzipiell (aus Sicht der Zeitgenossen!) nötig. Wie Du zu Recht anmerktest, handelt es sich um eine "Dienstleistung", auch wenn religilöse Menschen wohl nicht diese Beschreibung verwenden würden.

Dion kann natürlich der Ansicht sein, es handle sich um weltfremden Humbug; das dürften aber Kleriker und Laien des 14. oder 16. Jh. ganz anders gesehen haben. Auch die Reformatoren schafften bezahlte Tätigkeiten in der Seelsorge nicht etwa ab, sondern gestalteten sie bloß anders. Wenn eine freie Reichsstadt ihre Pfarrer selbst besoldete, hatte der Rat natürlich eine erheblich stärkere Kontrolle über sie als vorher über ein städtisches Kloster mit viel Eigenbesitz; grundsätzlich wurden aber auch hier materielle Güter für die "Bearbeitung" immaterieller Aufgaben zur Verfügung gestellt.
 
"Bring mir den Papst und den Kardinal, Patriarchen und Legat, die den Leuten geben bösen Rat; König und Kaiser, die bringe mir allzumal her..."
https://www.seh.ox.ac.uk/asset/Innsbruck-Harrowing.pdf
Das klingt überzeugend. Allerdings werden Papst, Kardinäle, Kaiser etc. nicht gebracht, sondern nur ein paar Handwerker und von der Geistlichkeit nur ein Kaplan. Hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre, denn schon damals galt anscheinend: Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen. :D

Und: Das Spiel wurde – wenn überhaupt – nicht in den Kirchen aufgeführt, sondern draußen, wahrscheinlich auf dem Marktplatz.

Dion kann natürlich der Ansicht sein, es handle sich um weltfremden Humbug; das dürften aber Kleriker und Laien des 14. oder 16. Jh. ganz anders gesehen haben.
Das habe ich nie in die Abrede gestellt – siehe z.B. meine Bemerkung in dem gleichen Beitrag – Zitat: Gott ist in dieser Welt des Spätmittelalters nicht eine entrückte Größe, sondern eine überall mithandelnde Person.

Und was meine letzten 2 Absätze in dem Beitrag betrifft – Zitat:
Und weil viel hilft viel, kann man schon zu Lebzeiten selbst bestimmen und vorausbezahlen, dass diese Messe jährlich für einen am jeweiligen Todestag gelesen werden soll. Diese Gelder waren im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert ein Teil des Einkommens der Priester. Auch heute noch muss man trotz Kirchensteuer dafür extra bezahlen.

Das ist auch völlig in Ordnung, denn kleine Sünder zahlen nur für wenige Messen, wenn überhaupt, größere entsprechend mehr, schließlich ist das Beten für einen Gestorbenen auch Arbeit, die bezahlt gehört, nicht wahr? :D
Das ist erkennbar gemünzt auf die immer noch andauernde Praxis der katholische Kirche, die seinerzeit auch Luther (mitunter mit derben Worten) kritisierte, in dem er ungefähr sagte: Man kann sich die Gnade Gottes weder mit Geld noch mit Gebeten erkaufen.
 
Wenn man als Produkte von "kin-based institutions" Personengruppen versteht, die wesentlich durch multiple verwandtschaftliche Verbindungen zusammengehalten werden, kommt man ja zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass extensive Verbote von Verwandtenheiraten diese Institutionen schwächten. Oder gab es solche kin-based institutions im Frümittelalter vielleicht gar nicht?
Es müsste doch erst einmal belegt werden, ob und wo es solche Institutionen gab und welche Rolle sie spielten. Wo sollen wir also suchen? In der spätantiken Gesellschaft?

Die althistorische Forschung hat dieser These entgegengehalten, dass die Familienstruktur durch die Ausdehnung der Inzestverbote nicht entscheidend beeinflusst wurde. Bereits vor dem Einsetzen der Inzestgesetzgebung war die Kernfamilie in der spätantiken Gesellschaft vorherrschend. (Ubl, S. 496)​

Oder doch bei den Germanen? War Bayernherzog Garibald I. der Spross einer "kin-based institution"? Und plante er, seine eigene Institution zu schwächen, indem er seine Tochter mit dem Langobardenkönig verheiratete, anstatt sie mit einem seiner eigenen Neffen zu verkuppeln?

Jean-Perre Poly ist es trotz verzerrender Quellenlektüre nicht gelungen, die Cousinenehe bei den Franken auch nur im Ansatz nachzuweisen.
[...]
Die Ehe diente bei Franken und Romanen nicht so sehr der Festlegung und Fixierung der Verwandtschaft, sondern wurde unter der Beachtung wirtschaftlicher, politischer und standesrechtlicher Gesichtspunkte geschlossen. Mit der Ehe sollte nicht der Zusammenhalt einer 'Sippe' bewahrt werden, sondern Allianzen mit anderen Familien geknüpft, Besitztümer erworben und der gebührende Stand veranschaulicht werden.
(S. 114)​
 
Man könnte vermuten, dass der Threadersteller mit einer ganz bestimmten, sehr religionskritischen Sichtweise an das Thema herangeht.
Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt.

Das ist prinzipiell nicht zu beanstanden, sollte aber berücksichtigt werden, wenn man über historische Gegebenheiten spricht. Auch heutzutage gibt es in sehr vielen Religionen Menschen, die hauptamtlich tätig sind, etwa als Seelsorger/innen, Verwaltungskräfte oder ganz allgemein Geistliche.
Ich beanstande das auch gar nicht. Religionskritische Sichtweisen immer gerne, denen fühle ich mich in der Regel verbundener, als solchen Sichtweisen, die Religionen unkritisch betrachten. Ich persönlich kann mit dem Konzept Religion insgesamt nicht viel anfangen.
Was ich zu beanstanden habe, ist, dass Dion mit seinen Betrachtungen regelmäßig übeer das Ziel hinaus schießt und damit dem Ziel einer angemessen kritischen Betrachtung regelmäßig einen schlechten Dienst erweist.

Wie Du zu Recht anmerktest, handelt es sich um eine "Dienstleistung", auch wenn religilöse Menschen wohl nicht diese Beschreibung verwenden würden.

Dion kann natürlich der Ansicht sein, es handle sich um weltfremden Humbug; das dürften aber Kleriker und Laien des 14. oder 16. Jh. ganz anders gesehen haben.

Das ist an und für sich nicht der Punkt, wenn man mich nach meiner persönlichen Meinung fragte, halte ich das inhaltlich ebenfalls für Humbug.
Nur Dion unterstellt nicht nur, dass es sich einfach um Humbug gehandelt habe, sondern um pure Scharlatanerie und damit bin ich nicht einverstanden.
Ich stehe da grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass wenn jemand sich entscheidet Humbug konsumieren zu wollen, weil er oder sie sich dann besser fühlt, dass das grundsätzlich erstmal legitim ist und ebenfalls, dass es sich um ein grundsätzlich legitimes Geschäftsmodell handelt, so etwas anzubieten, jedenfalls, so lange es nicht mit beetrügerischen Praktiken verbunden ist.

Zumal Scharlatanerie erstmal voraussetzen würde, dass der Klerus das selbst a) agressiv beworben hätte und sich b) sehr bewusst darüber gewesen wäre, dass es sich um reinen Unfug handelte.
Insofern es aber diverse Kleriker gab, die zu Lebzeiten dafür sorgten, dass auch für sie Totenmessen gelesen würden, wird man letzteres schonmal eher verneinen können, denn wenn diese einhellig der Meinung gewesen wären, dass das alles nichts taugte, hätten sie selbst kaum Wert darauf gelegt, geschweigedenn etwas dafür bezahlt.
Das kam aber durchaus vor.
Das etwa Bischöfe einem in der eigenen Diözese liegenden Kloster reiche Geschenke machten um in das dortige Totengedenken mit einbezogen zu werden, dafür gibt es Beispiele.

Und was das agressive Bewerben angeht, stellt sich erstmal die Frage, inwiefern das überhaupt notwendig war und inwiefern die menschen auch gar ohne dass die Kirchen ihnen etwas einflüsterten das Bedürfnis hatten etwas für ihre Angehörigen zu tun und die Vorstellung so etwas bewirken zu können, möglicherweise auch auf Vorstellungen zurückgeht, die ggf. älter sind, als das Christentum.

Wenn man z.B. die eigenen Verhaltensweisen mal übeerdenkt, wird man möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass es bei einem selbst oder in der Familie so Usus ist die Gräber von Angehörigen zu pflegen, pflegen zu lassen, Kerzen aufzustellen oder Blumen zu bringen.
Im Prinzip tut man damit nichts anderes, als mit der Veranlassung einer Totenmesse, nämlich Mittel aufzuwenden um das Gedenken an einen verstorbenen Menschen zu gestalten, wenn vielleicht auch mit anderen Bedürfnissen und Erwartungen als im Mittelalter und wenn vielleicht auch eher um eigene Bedürfnisse zu erfüllen, als deijenigen des oder der verstorbenen.
Dieses Bedürfnis, dass zu tun, scheint, wenn ich mich in meiner eigenen Verwandtschaft so umsehe von christlichen Vorstellungen ziemlich unabhängig zu sein, jedenfalls kenne ich eine ganze Menge Leute, die sich recht intensiv um Grabpflege kümmern und einigermaßen regelmäßig den Friedhof besuchen, die man aber niemals in der Kirche antreffen würde, oder allenfalls vielleicht an Weihnachten.

Ich argumentiere im Normalfall eigentlich nie naturalistisch im Sinne von "der Mensch an und für sich ist so und so, daher.......", weil dass in der Regel ziemlich beliebig und kaum nachweisbar ist, in diesem Fall würde ich allerdings sagen, der Mensch an und für sich scheint ein Bedürfnis zu haben, mit dem Umstand des Todes irgendwie umzugehen.
Und wenn ich mir so ansehe, wie verbreitet Ahnenopfer in der Welt so sind, bis in Regionen Afrikas und Asiens hinein, in denen die christlichen Kirchen nie wirkmächtig auftreten konnten, würde ich sagen, dass die Vostellung, die Kirche hätte ihre Gläubigen erst zur Bereitschaft für die Pflege des Totengedenkens materielle Mittel aufzuwenden erpressen müssen, ziemlich weit hergeholt erscheint.
Auch wenn man in Europa bleibt und sich die vorchristlichen Kulturen und deren Prunkgräber anschaut, wird man nur zu dem Schluss kommen können, dass Bedürfnis und die Bereitschaft die Toten für das Jenseits auszustatten und vorzubereiten und dafür Entbehrungen inkauf zu nehmen, geht auf vorchristliche Zeit zurück.

Was sich mit dem Christentum änderte, war die Vorstellung, wie dieses Jenseits beschaffen gewesen sein mag und welcher Ausrüstung es bedurfte, um dort gut weiterleben zu können, insofern wurden dann die die vorher mit begrabenen Waffen, Schmuckstücke etc. etc. gegen Aufwendungen für Totenmessen eingetauscht.

Das heißt, die Kirche mag die Bevölkerung dahingehend beeinflusst haben die Art und Weise, wie diese Opfer für ihre Toten erbrachte zu verändern, aber sie hat das nicht erfunden.
Und vor allem produzierte sie nicht durch demagogische Spielchen ein Bedüfrnis, dass ohne sie nicht vorhanden gwesen wäre und insofern sie den Laien mindestens im Bezug auf Totenmessen Mittel verkauften, die sie selbst in Anspruch nahmen, wird man wenigstens diese Praktik nicht als pure Geldmacherei un Scharlatanerie betrachten können.
Das mag sich mit bestimmten Formen des Ablasshandels anders verhalten haben (aus den genannten Gründen nicht mit dem Modell per se).

Ich habe wie gesagt nichts gegen eine religionskritische Haltung. Mir erscheint nur Dions Bedürfnis daraus per se einen Skandal zu machen, schlecht begründet und unangebracht.

Was mir hier nicht gefällt, ist Dions Schiene die Laien in dieser Beeziehung einmal mehr zu willenlosen, manipulierten Opfern erklären zu wollen um damit gegen die Kirchen zu schießen.
 
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Das ist erkennbar gemünzt auf die immer noch andauernde Praxis der katholische Kirche, die seinerzeit auch Luther (mitunter mit derben Worten) kritisierte, in dem er ungefähr sagte: Man kann sich die Gnade Gottes weder mit Geld noch mit Gebeten erkaufen.

Damit lehnte sich Luther allerdings extrem weit aus dem Fenster, wenn man einige alttestamentarische Geschichten bedenkt.

Nimmt man das alte Testament zum Maßstab, konnte Jona durch sein Bereiterklären im Namen seines Gottes nach Ninive zu gehen seine Freigabe aus dem Bauch des Wals erwirken, Noah durch tätliches Befolgen göttlicher Befehle erwirken dass er und seine Familie von der Sintflut verschohnt wurden, die Flucht aus Sodom und Gomorrah und die Weigerung dort zu verbleiben oder zurück zu schauen schützten davor das verderbliche Schicksal dieser Orte zu teilen und wenn wir an die Geschichte von Abraham und Isaak denken, könnte man daraus durchaus den Schluss ziehen, dass Gott sich durch Opfer oder wenigstens die tätliche Bereitschaft diese zu Erbringen durchaus gewogen stimmen ließe und die Bibel Opferpraktiken durchaus sanktioniere (wenn auch am Ende nur Tieropfer), was ohne die Voraussetzung, dass sich das irgendwie auf die eigene Beurteilung durch Gott auswirkte, überhaupt keinen Sinn ergibt.

Das sind jetzt nur einige Bibelstellen, die mir als nicht besonders bibelfestem Atheisten so einfallen, aus denen sich durchaus der Schluss ziehen ließe, dass Gott durch gottgefällige Taten und ggf. Opferpraktiken eben doch zu beschwichtigen sei.
Insofern, dünnes Eis Herr Dr. Luther.

Nimmt man diese Stellen, und gegebenenfalls noch andere und zieht daraus den Schluss, dass Gott eben doch durch gottgefälliges Handeln dazu bewegt werden könnte einem Menschen wohlgesonnen zu seien oder ihm ein schlimmes Schicksal zu ersparen, stellt sich nur noch die Frage um welches Schicksal es sich handelte und was für Taten dass denn dann sein könnten.
Hier verhielt sich die katholische Kirche sicherlich ziemlich kreativ, allein, wenn wenn man etwa die oben genannten Erzählungen in Zusammenhang miteinander bringt, lässt sich das Narrativ, dass Sünder der göttlichen Strafe unterfielen (Sodom und Gomorrah/Sintflut), Opfer und fromme Taten Gott aber durchaus gnädig stimmen konnten (Abraham und Isaak/Jona und der Gang nach Ninive) und er diejenigen vor einem schlimmen Schicksal errettet, die nach seinem Willen handeln, nicht bloß glauben (Noah), durchaus begründen.

Nun ließe sich theologisch dagegen vielleicht einwänden, dass aus christlicher Sicht das Neue Testament stärker zu werten sei als das Alte und dass dieses etwas andere Positionen vertritt, was dann aber vor dem Problem steht, dass etwa mit der Schöpfungsgeschichte und den 10 Geboten Teile des alten Testaments nach wie vor Kerninhalte des Christentums sind, womit sich das alte Testament aus christlich-theologischer Sicht nicht so ohne weiteres völlig wegerklären lässt.

Insofern könnte man durchaus sagen, dass Luthers lesart theologisch alles andere als unproblematisch und unanfechtbar gewesen ist und er in seiner Argumentation weiter ging, als es sich eigentlich wirklich solide begründen lässt.
Er konnte sicherlich anführen, dass die Vorstellung vom Fegefeuer, sich nicht aus der Bibel herleiten lasse, aber dass die Bibel drakonische Bestrafung von Sündern durch Gott postulierte, lässt sich vor dem Hintergrund des AT nicht ganz wegdiskutieren.
Er konnte sicherlich anführen, dass Geldzahlungen an die Kirche nirgendwo in der Bibel als gottgefälliges Werk genannt werden oder dass Reliquienverehrung gemessen an der Bibel weitgehend Hokospokus sei, mit dem alten Testament vor Augen ließ sich allerdings eigentlich schwerlich behaupten, dass Errettung durch gottgefällige Werke prinzipiell unbiblisch und daher zu verwerfen seien.
Insofern standen die katholischen Traditionen theologisch möglicherweise grundsätzlich auf einem solideren Fundament, als Luther das wahrhaben wollte, sofern man sich von der Ebene der konkreten Inhalte löst.

Auf der anderen Seite, könnte man durchaus behaupten, etwa eine Spende an die Kirche, sei letztendlich ein Opfer zu Ehren Gottes und etwa die Geschichte von Abraham und Isaak beweise, dass Gott dadurch gnädig gestimmt werden und möglicherweise zur Erretung vor schlimmem Schicksal veranlasst werden kann.
Das wäre, denke ich, Interpretionssache, aber nicht vollständig abwegig.
 
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Es müsste doch erst einmal belegt werden, ob und wo es solche Institutionen gab und welche Rolle sie spielten. Wo sollen wir also suchen? In der spätantiken Gesellschaft?
Das ist ein interessentes Thema, auch wenn ich fürchte, dass ich dann doch nicht die Zeit dazu aufbringe, mich damit intensiv zu beschäftigen (und beispielsweise Ubl zu lesen). Hier nur ein Vorab-Zitat aus dem Buch "Das Geschenk des Orest" des Leibnizpreisträgers Bernhard Jussen, das erst nächsten Monat bei Beck erscheint:
"Die neuen lateinischen Gesellschaften – allen voran die langlebigste, die sich «fränkisch» nannte – haben erhebliche Energie investiert in Institutionen und Lebensformen, die den ahnenorientierten Verwandtschaftsverband systematisch zerstört haben."
Dass in diesen von Jessen gesehenen Zusammenhang auch die Verbote von Verwandtenheiraten gehören, möchte ich stark vemuten, aber um das zu wissen, müsste man das Buch gelesen haben.
 
Zumal Scharlatanerie erstmal voraussetzen würde, dass der Klerus das selbst a) agressiv beworben hätte und sich b) sehr bewusst darüber gewesen wäre, dass es sich um reinen Unfug handelte.
Insofern es aber diverse Kleriker gab, die zu Lebzeiten dafür sorgten, dass auch für sie Totenmessen gelesen würden, wird man letzteres schonmal eher verneinen können, denn wenn diese einhellig der Meinung gewesen wären, dass das alles nichts taugte, hätten sie selbst kaum Wert darauf gelegt, geschweigedenn etwas dafür bezahlt.
Das kam aber durchaus vor.
Das etwa Bischöfe einem in der eigenen Diözese liegenden Kloster reiche Geschenke machten um in das dortige Totengedenken mit einbezogen zu werden, dafür gibt es Beispiele.

Das scheint mir auch sehr unwahrscheinlich, ja. Zumal es sich um einen Klerus handelte, der sich zumindest nicht flächendeckend durch eigene, legitime Nachkommen selbst reproduzieren konnte, gerade auf dem Lande selten der Oberschicht entstammte und vor dem Trienter Konzil oft nur mangelhaft ausgebildet wurde. Man müsste dann annehmen, dass die Kleriker irgendwann in das "Geheimnis" eingeführt wurden, nach welchem die ganzen Dienste an den Verstorbenen wirkungslos und bloß aus finanziellen Gründen erfunden worden seien.

Das schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Ablassprediger und vielleicht auch einige Bischöfe ein rein instrumentelles Verhältnis zur Religion hatten, aber gerade beim Totengedenken dürfte die "Nachfrage" dem "Angebot" eher vorausgegangen sein. Wie Du schon sagtest, spielt das ehrende Angedenken samt materieller Ausstattung in vielen nichtchristlichen Kulturen eine bedeutende Rolle, und selbst heute gibt es allgemein viel Verständnis und Unterstützung dafür, dass jemand das "Vermächtnis" oder den "letzten Wunsch" eines Verstorbenen erfüllen möchte.
 
Nun ließe sich theologisch dagegen vielleicht einwänden, dass aus christlicher Sicht das Neue Testament stärker zu werten sei als das Alte und dass dieses etwas andere Positionen vertritt, was dann aber vor dem Problem steht, dass etwa mit der Schöpfungsgeschichte und den 10 Geboten Teile des alten Testaments nach wie vor Kerninhalte des Christentums sind, womit sich das alte Testament aus christlich-theologischer Sicht nicht so ohne weiteres völlig wegerklären lässt.

Das Alte Testament ist aus christlicher Sicht vielleicht nicht völlig unwichtig geworden, aber trotzdem ist es imho der Kern des christlichen Glaubens, dass das Verhältnis zwischen Gott und Menschen durch den Opfertod Jesu quasi auf eine neue Geschäftsgrundlage gestellt wurde.

So wie ich den christlichen Glauben verstehe, kann der Mensch allein schon wegen der Erbsünde niemals aus eigener Kraft durch gute Taten oder Unterlassung von Sünden Gnade vor dem göttlichen Urteil finden. Allein der Glaube an Jesus kann die Menschen erretten.

In diesem Sinne können die 10 Gebote für Christen immer noch als Richtschnur des Handelns dienen. Entscheidend für die Erlösung ist ihre Befolgung aber nicht.

Im Übrigen ist ja ein Großteil der konkreten Vorschriften im Alten Testament für die Christen explizit aufgehoben, wie etwa die ganzen Speiseverbote, die ja durch Paulus zumindest für die Heidenmission abgeschafft wurden (laut Evangelien eigentlich schon von Jesus, aber das wurde ihm mit Sicherheit nachträglich in den Mund gelegt, denn sonst hätte es nach seinem Tod ja nicht den Streit um die Heidenmission gegeben).

Auch die von Dir genannten Beispiele aus der Bibel lassen sich übrigens z. T. auch so interpretieren, dass der Glauben oder eben der Mangel daran zum jeweiligen Ausgang entscheidend beitragen. Z. B. könnte man die Geschichte mit Lots Frau so interpretieren, dass ihr Glaube an Gott und den Sinn seiner Gebote nicht groß genug war und sie sich deshalb umgedreht hat und dann zur Salzsäule erstarrt ist.
 
Im Übrigen ist ja ein Großteil der konkreten Vorschriften im Alten Testament für die Christen explizit aufgehoben ...
Und das völlig zurecht, denn selbst Zeugen Jehovas, die ja die Bibel fast wörtlich und streng auslegen, lassen wichtige Vorschriften und Strafen, die im dritten Buch Moses aufgeführt sind, nicht gelten, weil sie sonst zu viele Gläubige zur Strafe hätten töten müssen.

So kreiert sich jede christliche Gemeinschaft selbst ihre Bibel, sprich sie übersetzten die antiken Schriften selektiv und erreichen so eine weitgehende Übereinstimmung mit ihrer Lehre. Man könnte auch sagen: Was nicht passt, wird passend gemacht. :D
 
So wie ich den christlichen Glauben verstehe, kann der Mensch allein schon wegen der Erbsünde niemals aus eigener Kraft durch gute Taten oder Unterlassung von Sünden Gnade vor dem göttlichen Urteil finden. Allein der Glaube an Jesus kann die Menschen erretten.

Nun stellst du aber gerade, wenn du die "Erbsünde" in den Mittelpunkt der Argumentation rückst, allerdings das alte Testament ins Zentrum der ganzen Argumentation und gerade wenn man das tut, kann man die dort niedergelegten Vorschriften, kaum ignorieren.
Worin besteht aber deren theologischer Sinn, wenn die Einhaltung dieser Vorschriften für die eigene Beurteilung vor Gott vollkommen irellevant ist, da man sich selbst auch durch einen regelkonformen Lebenswandel nicht retten kann?
Ich würde meinen, das widerspricht sich.
Bei einigen Vorschriften könnte man argumentieren, dass die gesllschaftliche Vernunft deren Einhaltung gebietet, aber rein religiöse Vorschriften, die mit der Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen überhaupt nichts zu tun haben, würden damit mehr oder weniger komplett überflüssig.

Außerdem wären da dann noch immer die angesprochenen alttestamentarischen Geschichten.

Wie steht denn z.B. die Vernichtung nicht gottgefällig lebender Menschen durch göttliche Strafen im Fall der Sintflut und im Fall Sodom und Gomorrah, aber die Errettung Noahs und Lots, die die göttlichen Befehle befolgten (und nicht bloß einfach glaubten) im Verhältnis zu der Annahme, dass der Mensch sich selbst durch gotgefälliges Verhalten nicht vor Strafe retten könne?
Ich würde meinen, das widerspricht sich.

Auch die von Dir genannten Beispiele aus der Bibel lassen sich übrigens z. T. auch so interpretieren, dass der Glauben oder eben der Mangel daran zum jeweiligen Ausgang entscheidend beitragen. Z. B. könnte man die Geschichte mit Lots Frau so interpretieren, dass ihr Glaube an Gott und den Sinn seiner Gebote nicht groß genug war und sie sich deshalb umgedreht hat und dann zur Salzsäule erstarrt ist.

Dieser Interpretation würde ich nicht folgen wollen, weil für die Rettung in diesem Fall nicht nur der Glaube an Gott hinreichend war, wenn man sich an die Überlieferung hält, sondern das Handeln danach.
Noah hat sich und seine Familie der Geschichte nach nicht allein dadurch retten können, dass er an Gott glaubte, sondern dass er ganz konkret die in Auftrag gegebene Arche zusammenzimmerte.
Und Lot und seine Töchter wurden auch nicht allein auf Grund ihres Glaubens gerettet, sondern dadurch, dass sie entsprechend göttlicher Weisung die Beine in die Hand nahmen.

Nun kann man sicherlicherlich argumentieren, dass der Glaube an Gott in diesen Geschichten notwendig war um die Rettung der entsprechenden Figuren herbei zu führen, aber er war eben nicht hinreichend, hinreichend war erst das konkrete Handeln danach.

So wie ich das sehe, ist Luthers Postulat nur zu halten, wenn man das AT mehr oder weniger komplett als ungültig ausblendet, was schwierig ist, wenn man aber gleichzeitig auf die Schöpfungsüberlieferung, die 10 Gebote oder wie in deiner Argumentation auf die Erbsünde abstellt.
Voraussetzung wäre dann, Einzelfallbegründungen zu finden, warum die einzelnen Geschichten, die eine Kausalität zwischen Verhalten und Strafe oder Rettung naheliegen, falsch seien müssten.

Eine Kritik, die darauf abstellt, dass dieser Zusammenhang insgesamt unbiblisch sei (und dass wäre die Voraussetzung um ihn mit Luther, der sich ja explizit nur auf die Schrift berufen wollte, um ihn verwerfen zu können), ist in meinen Augen so nicht zu halten, es gibt in der Bibel Beispiele dafür.

Allenfalls hätte man, wie ich das sehe hierzu anmerken können, dass das unsichereres Terrain sei, weil die Bibel sich in diesem Punkt teilweise widerspricht und man der eigenen Interpretation nach eine Lesart für richtig hält, aber im Fall sich widersprecheender Lesarten der anderen Partei vorzuwerfen, dass es sich aus der Überlieferung nicht begründen ließe, geht weiter als das argumentativ zulässig wäre.
In einem Streit der Meinung zu sein, der Einzige zu sein, der die Sache richtig durchblickt, dass ist die eine Sache.
Abr so zu tun, als hätte die andere Seite überhaupt keine Grundlage obwohl man sich selbst nicht auf einen absoluten Beweis, sondern nur eine Interpretation stützt, dass hat schon eine andere Qualität.

Ich will hier auch gar nicht weiter in Hobby-Theologie heerumdilletieren oder der katholischen Seite das Wort reden, mir ging es nur einfach darum, dass es mir problematisch erscheint Luthers Ansicht kritiklos stehen zu lassen, nur weil einem vielleicht bestimmte historische Praktiken der katholische Kirche als amoralisch erscheinen und dass ein sinngemäßes Zitat Luthers, wie bei Dion vorgenommen eben kein Beweis für dessen Richtigkeit ist.

Nebenbei ist es relativ wenig glaubwürdig, wenn jemand, für den Luther gestern noch der Verecher schlechthin war, ihn dann auf einmal zum Kronzeugen für die eigenen Ansichten erhebt.
Das erweckt irgendwie den Eindruck, als wechselte der Postulant seine Positionen in der Geschwindigkeit seiner Unterwäsche.
 
Man müsste dann annehmen, dass die Kleriker irgendwann in das "Geheimnis" eingeführt wurden, nach welchem die ganzen Dienste an den Verstorbenen wirkungslos und bloß aus finanziellen Gründen erfunden worden seien.

Wenn man die Diskussion auf die Spitze treiben wollte könnte mann hier sogar noch so weit gehen und die Vermutung äußern, dass durch die Praxis der Besetzung hoher Kirchenämter mit Laien Amtsträger in dieses Geheeimnis mitunter nicht eingeführt worden wären, weil keine Kleriker.
Dann müsste man Untersuchungen darüber anstellen, ob diejenigen übeerlieferten Bischöfe, die das für sich in Anspruch nahmen tatsächlich im Einzelfall Kleriker waren oder nicht.

Spätestens bei Verträgen zwischen verschiedenen Klostergemeinschaften die Mitglieder der jeweils anderen Gemeinschaft in das eigene Totengedenken mit aufzunehmen, zieht diese Argumentation aber nicht mehr.
Das sind zwar vor allem Früh- und hochmittelalterliche Traditionen und noch keine inddividuellen Totenmessen, die in der Regel auch nicht mit Ablassvorstellungen verbunden waren und wenn monastische Gemeinschaften wechselseitiges Totengedenken aushandelten, war das in der Regel auch nicht mit Zahlungen verbunden, weil die Gegenlistung eben in der Aufnahme in das Gedenken der anderen Gemeinschaft bestand, also imaterielle Leistungen zum Gegenstand hatte, aber der grundsätzliche Handel der Aufnahme in Gebete und liturgische Erinnerungspraktiken im Austausch für Gegenleisten, lag damit auf dem Tisch und zwar zwischen Gemeinschaften, die von Klerikern geleitet waren und deren überwiegende Mehrheit dem Klerus angehört oder sich gerade darauf vorbereitete diesem in Zukunft anzugehören.

In dem Moment, in dem Kleriker so etwas unter einander aushandelten, ist die Vorstellung, es handle sich um eine Einrichtung um die Laien übers Ohr zu hauen hinfällig.

Das schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Ablassprediger und vielleicht auch einige Bischöfe ein rein instrumentelles Verhältnis zur Religion hatten, aber gerade beim Totengedenken dürfte die "Nachfrage" dem "Angebot" eher vorausgegangen sein.

Ich würde wie gesagt auch den Ablasshandel nicht in Bausch und Bogen als reine Maßnahme zwecks Abzocke verwerfen wollen, aus den oben genannten Gründen.
Man wird sicher die Methode einzelner Ablassprediger durchaus als genau das charakteriserien können, insofern diese mit konkreten Angeboten arbeiteten, so und so viele Jahre Fegefeuer zu ersparen, vor dem Hintergrund dass die Figur des Fegefeuers sich eben nicht aus der Bibel ableiten lässt und somit nicht einmal eine mögliche Lesart der entsprechenden Schriften darstellt.
Insbesondere halte ich auch die Vorstellung problematisch, dass Ablässe für anderere Personen, vor allem für bereits Verstorbene erworben werden konnten.

Denn selbst wenn man so weit geht, wie ich das oben getan habe und mal unterstellt, dass das Postulat dass gottgefällige Werke Gott zumindest gemäß einer möglichen Lesart der Bibel gnädig stimmen könnten und dass die Praxis des Ablasses ein sinnvoller Ersatz für bestimmte Sühneleistungen und Bußrituale darstellen konnte, die gegebenenfalls aus technischen Gründen nicht abgeleistet werden konnten, würde ich hier auf dem Standpunkt stehen wollen, dass die entsprechende Person, der das "gute Werk" positiv angerechnet werden sollte, dieses auch mindestens selbst erbracht haben müsste.
Nun könnte man auch hier noch darüber verhandeln, wie es sich mit Personen verhielte, die sich einen Ablass allein nicht leisten konnten.
Auch dem wird man bei dieser Argumentation vielleicht noch so weit entgenkommen können, dass aber die Zustimmung, die sichtliche Bereitschaft und das Beitragens wenigstens eines Teils der Ablassumme, wenn jemand anderes den anderen Teil übernimmt, als entsprechndes gutes Werk betrachtet werden könnten.

Bei Ablässen für Tote, Kleinkinder oder nicht zurechnungsfähige Personen oder entfernt lebeenden Verwandten, die dem Erwerb des Ablasses gar nicht zustimmen oder gar sich daran beteiligen konnten, sehe ich aber das Problem, dass man in diesem Fall Personan an Taten messen würde, mit denen sie überhaupt nichts zu tun hatten und da wäre dann für mich die Grenze zum Missbrauch überschritten, ebenso wie beim Verkauf von Ablässen, für zukünftige Sünden.

Das sind Dinge, die sich selbstverständlich kritisieeren lassen, weil wirklich nicht mehr mit der Lesart der Bibel vereinbar, die notwendig wäre, um die Ablasspraktiken per se (nicht konkrete Inhalte, in Form von so und so vielen Jahren befreiung vom Fegefeuer) zu rechtfertigen.
Das geht nur dann, wenn man postuliert, dass individuelles Verhalten für die Bewertung der eigenen Person durch Gott maßgeblich sei, was mit der Vorstellung der Übertragung guter Werke von einer Person auf eine andere unvereinbar ist.
Das so etwas betrieben wurde, kann man in Grund und Boden kritisieren und eben auch dass mit der Vorstellung Fegefeuer gearbeitet wurde.

Dafür die Vorstellung, das die eigene Bewertung vor Gott sei durch bestimmtes Handeln oder matrielle Opfer aufwertbar, aber als komplett unbiblisch zurückzuweisen und damit die Praktik der Ablässe per se anzugreifen (nicht die konkreten damit verbundenen Versprechungen, die sind anreifbar), sehe ich so keine Basis, dass ist mindestens mit möglichen Lesarten der Bibel durchaus vereinbar.
 
P.S.

Was ich im Hinblick auf die Ablassthematik noch vergessen habe, ist dass man sich bei allen Missbräuchen, die es in diesem Zusammenhang gegeben hat, auch darüber in Klaren sein muss, dass die Praktik auf den selben Grundlagenstand, wie das Allmosenwesen und damit jegliche Form vorhandener konkreter Sozialfürsorge.

Denn die Vorstellung durch materielle Opfer um den Armen ihr Schicksal zu erleichtern die eigene Bewertung durch Gott verbessern zu können, war eben auch maßgebliche Motivation für die private Stiftung von Armenhäusern, Armenspeisungen und Almosen ohne die die verarmten Teile der Bevölkerung in noch wesentlich massivere Bedrängnis geraten wären, als dies ohnehin schon der Fall war.
Nun wird man sicherlich einwenden können, dass diese Art der von Hilfsmaßnahmen oft unzureichend waren und nach ungerechten Mustern funktionierten, aber sie waren besser als nichts.

Und wenn man die Lesarten der Bibel der katholischen Kirche im Hinblick auf den Wert von guten Werken und materiellen Gaben für die Beurteilung der eigenen Person vor Gott grundsätzlich angreift, kritisiert man damit nicht nur, dass die Kirche dahingehend Druck ausübte Geldmittel für die Kirche selbst heranzuschaffen, sondern dann kritisiert man damit auch, dass die Kirche im selben Maße moralischen Druck aufbaute, den verarmten Schichten der Bevölkerung materiell unter die Arme zu greifen.
Das sind zwei Seiten der selben Medallie.
 
So interessant die vielen Überlegungen zu speziell kirchlichen Details wie Beichte Ablass etc auch sind, ich habe den Verdacht, dass wir uns damit vom Thema weg bewegen, denn zu jedem der Details können pro-contra Dispute entbrennen und dann sind die kontroversen Details im Fokus und das Thema selber verschwindet.

Um ganz anders zurück zum eigentlichen Thema zu gelangen, stelle ich eine provokante These in den Raum: für die spätantiken und frühmittelalterlichen Menschen war es kein plötzliches Novum, dass "hohe Herren", mit Macht und Mittelnvausgestattet, mit höheren Mächten in Verbindung standen (bzw dies vorgaben) und ihnen bis tief in den Alltag hinein Vorschriften machten, die zu ignorieren gar zu oft keine gute Idee war... ob das "Logo" dieser Moral und Sitten bestimmenden Herrschaften Wotan, Jupiter, Kaiser-im-fernen-Rom, oder Jesus lautete, änderte prinzipiell für die meiste Bevölkerung nicht viel: es wurden salopp gesagt alte Götter durch neue ersetzt, und "wie seit ehedem gewohnt" hatte man den Regeln der Götter-Profikaste zu folgen, egal ob diese Kaste als Tempelpriester, Seher/Schamanen oder Pfarrer/Bischof geheißen wurden.

Was ich damit zum Ausdruck bringen will: das Verhältnis der antiken, spätantiken, frühmittelalterlichen und mittelalterlichen Menschen zu der allgegenwärtigen Tatsache, bis in den Alltag hinein (Wertvorstellungen, Verhalten, Haltungen) von Religion/Aberglaube und deren Organisation (Kult, Tempel, Priester etc) durchdrungen/beherrscht zu sein, ist für uns heute völlig fremdartig, da wir zu solchen Glaubens/Religionsinstitutionen ein sachlich-distanziertes Verhältnis haben (können und dürfen)

So fremdartig für uns diese prinzipiell unfreiwillige Eingebundenheit/Abhängigkeit in/von Kultischem als damals nicht hinterfragte Normalität ist, so fremdartig ist den Menschen früher (Antike-Mittelalter) eine areligiöse oder gar atheistische Haltung gewesen: jene späten, Götter und Priester als Humbug verlachenden Wikingerpiraten, die nur an die eigene Stärke glaubten, erschienen als ganz besonders entsetzlich.

Dass seitens der Kulte, egal welcher (!!), jegliche schöngeistig/intellektuelle Abweichung (antike Philosophie) sowie jegliche Konkurrenz (andere Kulte) auf Ablehnung/Abwehr stieß, ist kein Wunder. Dass die Götter Erfindungen weiser Staatsmänner seien, verbitten sich alle Schamanen, Tempelpriester, Bischöfe, Imame!

Daraus resultiert nun etwas überraschendes: die Kirche (egal welche) oder das Christentum, andernorts der Islam, der Buddhismus, sie alle sind nicht die raffinierten aktiven, planenden "Erfinder" von Indoktrination(en), als die sie uns erscheinen müssten, wenn vor 1000 oder 2000 oder noch mehr tausend Jahren moderne, selbstbestimmte, kritische, freiheitlich-demokratische Menschen von den bösen mächtigen Kulten unterdrückt worden wären - so aber war das nicht. Man war die unhinterfragte Eingebundenheit in kultisch-religiöses als gemeinschaftsbildende Größe, als Norm und Wert, als Normalität seit unzähligen Generationen gewöhnt. Für uns heute fremdartig, aber vor diesem Hintergrund müssen betrachten, was uns absonderlich erscheint: Opfer, Zaubersprüche, Aberglaube, Heiligenverehrung, Fürbitten, Gebete usw usf - darin sah man damals keinen Zwang!

Das Kultisch-Religiöse als gemeinschaftsstiftende Norm reichte zu allen früheren Zeiten sehr weit "ins Privatleben", da hat "die Kirche" keine größere oder bösere Indoktrinationsmacht als die Moschee oder der Tempel.
 
Das Kultisch-Religiöse als gemeinschaftsstiftende Norm reichte zu allen früheren Zeiten sehr weit "ins Privatleben", da hat "die Kirche" keine größere oder bösere Indoktrinationsmacht als die Moschee oder der Tempel.

Ja und nein.
Das auch vorchristliche Kulte etc. ins "Privatleben" hineinregierten oder das zumindest versuchten, dem würde ich zustimmen wollen, aber es gibt einen Unterschied zwischen Privatleben per se und Alltagsleben.

Durch, nennen wir es mal religiöse Machthaber dazu gedrängt zu werden, sich z.B. einmal im Jahr an irgendwelchen Opferpraktiken, einem religiösen Fest etc. zu beteiligen, war zwar eine Einmischung in das Privatleben, gleichzeitig aber auch eine zeitlich begrenzte (wenn möglicherweise auch periodisch widerkehrende) Ausnahmeerscheinung, die keinen Alltagscharakter hatte.
Im Römischen Reich vor der Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion konnte man zwar genötigt werden dem Kaiser Opfer zu bringen, aber nicht jede Woche.

Im Hinblick auf wirkliches Eingreifen in den Alltag, kommen eigentlich nur kodifizierte religiöse Vorschriften, wie ständig geltende Speisevorschriften o.ä. infrage, aber das setzte einen gewissen Grad an Institutionalisierung voraus, der sich in den meisten kultischen Bräuchen wahrscheinlich eher nicht findet.
Man wird anmerken müssen, dass es jedenfall schon vor dem Christentum gab, insofern Speisevorschrifte ja etwa auch im Judentum oder in Hindu-Traditionen existieren, die vor der institutionalisierung Kirche da waren, man wird aber wahrscheinlich festhalten können, dass mit der zunehmenden Institutionalisierung der Eingriff dieser Institutionen in das alltägliche Leben intensiver wurde und dass ist, denke ich in dieser Form mit den antiken Mustern nicht mehr vergleichbar, außer vielleicht eben in speziellen Gemeinschaften wie dem Judentum.
 
Im Hinblick auf wirkliches Eingreifen in den Alltag, kommen eigentlich nur kodifizierte religiöse Vorschriften, wie ständig geltende Speisevorschriften o.ä. infrage, aber das setzte einen gewissen Grad an Institutionalisierung voraus, der sich in den meisten kultischen Bräuchen wahrscheinlich eher nicht findet.
Die vielen Amulette, die man täglich (Alltag!) bei sich trug, apotropäische Bräuche etc - siehst du da keine Wirkung ins Alltagsleben?
 
Die vielen Amulette, die man täglich (Alltag!) bei sich trug, apotropäische Bräuche etc - siehst du da keine Wirkung ins Alltagsleben?

Wie viele Amulette waren denn durch nachweisbare religiös motivierte Vorschrift obligatorisch?
Insofern wir von "hineinregieren" in den Alltag und das Privatleben reden, unterhalten wir uns ja über Vorschriften, die die wie auch immer geartete Priesterkaste den Angehörigen ihres Vereins gemacht haben müsste.
 
Wie viele Amulette waren denn durch nachweisbare religiös motivierte Vorschrift obligatorisch?
Diese Frage nach quasi amtlichen Dokumenten, ohne die nichts sein kann, verblüfft mich... ;) Angesichts von Amuletten etc nichtschriftlicher Kulturen wie z.B. der Kelten denke ich, dass diese Frage ins Leere läuft. Denn ohne solche Vorschriftsdokumente müssten wir bei Kelten, Slawen (hübsche Svantevitamulettchen) davon ausgehen, dass sie nix kultisches hatten... oh Weh: sogar zum tragen eines Kreuzchens im Alltag gibt es meines Wissens keine päpstliche Vorschrift, sehr viele Leute aber machten das.
Spaß beiseite: beim mäkeln am Umstand, dass uns nahezu keine historische Kultur ohne Kult/Religion bekannt ist, geraten wir auf pfennigfuchserische Avwege.
 
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