Nun stellst du aber gerade, wenn du die "Erbsünde" in den Mittelpunkt der Argumentation rückst, allerdings das alte Testament ins Zentrum der ganzen Argumentation und gerade wenn man das tut, kann man die dort niedergelegten Vorschriften, kaum ignorieren.
Die Erbsünde beruht zwar auf Vorkommnissen, die im Alten Testament beschrieben werden, aber das Konzept der Erbsünde ist dennoch originär christlich. Im jüdischen Glauben gibt es das so nicht.
Eine biblische Grundlage für die Erbsündenlehre sind vor allem einige Stellen in den Paulusbriefen, insbesondere Römer 5,12 ff:
"Deshalb: Wie durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise der Tod zu allen Menschen gelangte, weil alle sündigten -"
Römer 5,12 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver
Explizit ausformuliert wurde die Erbsündenlehre dann von Augustinus.
Ich würde auch sagen, dass sich die Erbsünde und der Opfertod Jesu im Grunde einander bedingen. Ohne die Erbsünde ist der Opfertod Jesu eigentlich nicht notwendig und ohne den Opfertod Jesu würde die Erbsündenlehre bedeuten, dass es für die Gläubigen keinerlei Entrinnen vor den Folgen der Erbsünde gibt und das wäre dann doch relativ unattraktiv.
Worin besteht aber deren theologischer Sinn, wenn die Einhaltung dieser Vorschriften für die eigene Beurteilung vor Gott vollkommen irellevant ist, da man sich selbst auch durch einen regelkonformen Lebenswandel nicht retten kann?
Ich würde meinen, das widerspricht sich.
Man kann durch den Glauben an Jesus zwar Vergebung von Sünden erlangen, aber wenn man dann fortwährend weiter sündigt, ist das wohl ein Zeichen, dass man es mit dem Glauben doch nicht so ernst meint. Daher ist man auch als reformierter Christ gut beraten, sich um einen regelkonformen Lebenswandel zu bemühen.
Und was mögliche Widersprüche betrifft: religiöse Lehren und Schriften sind ja nun selten logisch und frei von Widersprüchen, insbesondere wenn sie wie die Bibel von vielen Autoren stammen und über einen längeren Zeitraum entstanden sind.
Dieser Interpretation würde ich nicht folgen wollen, weil für die Rettung in diesem Fall nicht nur der Glaube an Gott hinreichend war, wenn man sich an die Überlieferung hält, sondern das Handeln danach.
Noah hat sich und seine Familie der Geschichte nach nicht allein dadurch retten können, dass er an Gott glaubte, sondern dass er ganz konkret die in Auftrag gegebene Arche zusammenzimmerte.
Und Lot und seine Töchter wurden auch nicht allein auf Grund ihres Glaubens gerettet, sondern dadurch, dass sie entsprechend göttlicher Weisung die Beine in die Hand nahmen.
Das liegt aber auch daran, dass durch die Art der jeweils anstehenden Katastrophe quasi der Zwang dazu bestand, selbst noch aktiv zu werden. Im Falle Lots stand eben die Vernichtung Sodoms unmittelbar bevor und es wäre vielleicht etwas zu viel verlangt gewesen, wenn Lot die Erwartung gehabt hätte, dass die Engel ihn und die seinen aus der Stadt heraustragen.
Analog gilt das auch für Noah. Um die Sintflut zu überleben, benötigte er eben ein Schiff. Hier kommt noch dazu, dass Gott hier Noahs Schiff auch noch brauchte, um von jedem Tier ein Paar zu retten.
Aber ganz grundsätzlich gilt hier eben auch, dass dies alles ja vor dem Opfertod Jesu geschah, durch den, wie ich schon geschrieben hatte, das Verhältnis zwischen Gott und Menschen eine neue Geschäftsgrundlage erhielt.
Noch zwei Bemerkungen:
1. Das Christentum ist ja gegenüber dem Judentum eine neue Religion, auch wenn ersteres seine Grundlagen in letzterem hat, aber teilweise auch in griechischen Vorstellungen hat. Und da ist ja ganz normal, dass sich die neue Religion aus den Schriften der Vorgängerreligion das heraussucht, was sie verwerten kann und den Rest verwirft. Man ist also durchaus nicht gezwungen, das ganze Alte Testament inklusive aller Vorschriften zu akzeptieren, nur weil man sich auf bestimmte spezifische Teile beruft.
2. Der Ablasshandel stand auch deshalb in der Form, wie er zur Zeit Luthers praktiziert wurde, nicht auf biblischen Grundlagen, weil die Bibel das Fegefeuer, des Verkürzung ja der Hauptzweck des Ablasshandels war, nicht kennt. Wenn man sich dann also auf den Grundsatz "sola scriptura", "allein durch die Schrift" beruft, ist es nur folgerichtig, auch den Ablasshandel zu verwerfen.