Aber verstehe ich das richtig? Willst Du damit sagen, dass die Archäologie nicht helfen kann, Gemeinsamkeiten bei den Germanen zu erkennen und sie von anderen Kulturkreisen abzugrenzen?
Jein. Die Archäologie kann bzgl. der
- Sach-
- Siedlungs-
- und Bestattungskultur
Feststellungen treffen.
Diese Sach-, Siedlungs- und Bestattungskultur überschneiden sich natürlich.
Zur Sachkultur hatte ich bereits geschrieben, dass Keramik, Schmuck, Fibeln etc. (Fibeln hatte ich nicht erwähnt, sie sind aber archäologisch wichtig) von Werkstätten stammen und von anderen Werkstätten kopiert werden. Diese Werkstätten bilden im Prinzip Distribuitionszentren. Und nach den Funden einer Siedlung oder eines Bestattunsgplatzes wird dann diese Siedlung respektive dieser Bestattungsplatz z.B. in den La Tène-Kreis subsumiert und datiert. Dabei ist aber die Fundzusammensetzung eines La Tène-Fundplatzes in Südhessen ganz anders als die von La Tène selbst und La Tène als eponymer Fundplatz muss gar nicht das Zentrum oder der Ursprung dessen sein, was wir unter La Tène-Kultur subsumieren.
Bzgl. der Siedlungskultur haben wir natürlich auch wieder bestimmte Traditionen, aber die sind eben nicht alles. Neben der Tradition spielen auch lokal vorhandenes Baumaterial, Siedlungsfläche und Zweck der Gebäude eine Rolle. Du kannst lokale Bautraditionen vielleicht ausmachen, aber keine Ethnizität.
Nun "wissen" wir, dass die Kelten in Oppida lebten und die Germanen in versprengten Einzelgehöften. Stimmt so halt nicht ganz. Es gab ein Kulturgefälle von Südwesten nach Nordosten, keine ethnische Grenze anhand der man das ausmachen könnte.
Bezgl. der Bestattungskultur gab es ein Nebeneinander von Körper- und Brandbestattung, in der Eisenzeit setzte sich die Brandbestattung
weitgehend durch. Da gab es dann Ustrinen (feste Scheiterhaufen) und wenn die Ustrina abgebrannt und die Glut erloschen war, sammelten die Hinterbliebenen die kalzinierten Knochen (und ggf. mitverbrannten Grabbeigaben) ein und bestatteten sie in einer Urne oder einen Gefäß (> Brandgrubengrab)
Eine andere Form war das Bustum. Da wurde der Scheiterhaufen direkt über der Grabgrube angebracht und die Asche fiel einfach in die Grube hinein und wurde ohne weitere Sortierung überdeckt.
Diese Bestattungsformen lassen keine ethnische Differenzierung zu. Und an kalzinierten Knochen kann man auch keine DNA-Untersuchungen vornehmen.
Wir wissen, dass beim gallischen Stamm der Remer und bei der römischen Familie der Cornelier auch in den Zeiten, in denen die Brandbestattung die vorherrschende Bestattungssitte war, viel körperbestattet wurde.
Ergo: Man kann bestimmte Kulturareale ausmachen. Diese Kulturareale überlappen sich aber und sie definieren schon deswegen keine ethnischen Grenzen. Es gibt hin und wieder den plötzlichen Abbruch oder plötzlichen Wechsel einer archäologischen Kultur, in diesen Fällen können wir davon ausgehen, dass hier Migration (freiwillig oder erzwungen) stattgefunden hat. Aber auch da gibt es dann meist weitere archäologische Befunde (wie etwa Zerstörungshorizonte).
_____________
Kulturelle Artefakte werden umgenutzt oder kopiert:
Früher hat man Funde von Tatinger Ware in Skandinavien mit der Anwesenheit von Christen erklärt, da die Zinnfolienverzierungen oft Kreuze darstellen und wir durch Adam vom Bremen (wenn ich mich richtig erinnere) einen Brief as Zitat oder Paraphrase überliefert haben, wonach die skandinavischen Christen um Wein und liturgische Gefäße für die Eucharistie bitten (wie gesagt, ich erinnere mich nicht genau). Heute betrachtet man das ganze etwas differenzierter. Sicherlich werden einige der "Friesenkannen" (wie die Tatinger Ware auch oft genannt wird) speziell für den Bedarf von Christen nach Skandinavien exportiert worden sein. Aber wir finden sie eben auch in heidnischen Kontexten (v.a. Gräbern) wieder, was darauf schließen lässt, dass die Zinnfolienverzierungen auch bei Nichtchristen Gefallen fanden. Für die hatte das Kreuz halt keine oder eine andere Bedeutung.
Oder nehmen wir Münzen. Die keltischen Statere sind zunächst einmal Kopien griechischer Münzen, nur dass die Darstellungen im Laufe der Zeit immer abstrakter wurden und schließlich der in der ursprünglichen Darstellung erscheinenede Alexanderkopf (z.B.) zunächst noch als Kopf, aber nicht mehr als Alexander und später nicht einmal mehr als Kopf zu identifizieren ist, sondern aussieht, wie ein Wirbel (ich habe schon Deutungen gelesen - aber in die Kelten wird ja gerne viel Unsinn hinein gedeutet - es handele sich bei den Wirbeln um Galaxien), später kopieren Germanen kaiserzeitliche Münzen, etwa den Gaius-Lucius-Denar. Mit dem Gaius-Lucius-Denar wollte Augustus das römische Volk auf die Thronfolge seiner Engel Gaius und Lucius einstimmen, das war aber kaum das Interesse der diese Münze kopierenden Germanen. Spätantike Münzen sind oft Vorbilder der skandinavischen Brakteaten, gleichzeitig aber auch der frühumyyadischen Kalifenmünzen (aus dem Kaiser auf dem Avers wurde der Kalif mit Schwert, aus dem Kreuz auf dem Revers wurde eine Stange), islamische Münzen wiederum wurden im christichen Raum barbarisiert (etwa vom angelsäschsichen König Offa, der eine Abbasidenmünze kopierte) oder kopiert (Alfons VIII. von Kastilien übernahm den Maravedí und gab diesem einen christlichen Inhalt) - weder waren die Kelten gräkisiert, noch die Germanen romanisiert, noch war Offa ein Muslim oder sprach Alfonso VIII. Arabisch (also vermutlich sprach er tatsächlich Arabisch, aber eben nicht als Erst- und Muttersprache).