Das katalanische Referendum 2017, Gründe und historisierende Narrative

Dass Spanien ein massives Problem mit der Aufarbeitung der Franco-Diktatur hat, ist unbestritten und nicht zu leugnen.
Angehörige kämpfen seit Jahrzehnten um die Aufhebung von Unrechtsurteilen, um die Öffnung von Massengräbern, um die Ehre ihrer Eltern, Großeltern und anderer Verwandten.
Das sind allerdings zum Teil recht komplizierte Vorgänge, die wie schon einmal angsprochen auch mit der Art und Weise korrespondieren, wie dieses Regime abgewickelt wurde.

Ich weise da noch einmal dauf hin, dass das kein krasser Bruch, sondern ein fließender Übergang war.

Beim Thema Unrechtsurteile käme die Frage hinzu Unrechtsurtile vor dem Hintergrund welcher Rechtsgrundlage? Der der 2. Republik? Der des Franco-Regimes selbst? Der des postfranquistischen Spanien? Der der international annerkannten Grundrechte (die allerdings das Regime seinerzeit nicht anerkannte?).
Das wird mitunter nicht ganz einfach zu entwirren sein, da die entsprechenden Sachverhalten zu klären.

Auch das Öffnen von Massengräbern dürfte insofern ein diffiziles Problem sein, dass man zum Teil sicherlich überhaupt nicht weiß, wer darin liegt, während allerdings natürlich all Angehörigen von dort Begrabenen prinzipell ein recht haben müssten, sich dazu zu äußern ob sie eine Öffnung des Grabes und eine Umbeettung wünschen oder nicht.
Es kann ja durchaus plausible Gründe dafür geben, eine solche Öffnung des Grabes nicht zu wollen. Aus religiösen Gründen, weil man das mit der Totenruhe nicht für vereinbar hält, oder sei es, weil man den Massengräbern selbst einen historischen Wert als Mahnmale für die Taten des Franco-Regimes und die Greuel des Bürgerkriegs betrachtet und aus diesem Grunde die Dinge so belassen möchte.

Das sind Schwierigkeiten, die ausgehandelt werden müssen und das ist diffizil.

Man stelle sich mal vor es gäbe heute in Deutschland Petitionen an die französische Regiergierung, die im 1. Weltkrieg bei Verdun gefallenen deutschen Soldaten, deren Überresste im Beinhaus von Douaumont aufgebart liegen, nach Deutschland zu überfüren um sie hier bei den jeweiligen Familien zu bestatten.
Nicht auszudenken, was für ein Molloch an Sachfragen und Problmen sich daraus ergeben würde.


Das diese Dinge nicht befriedigend gelöst sind, ist durchaus kein Nachweis dafür (jedenfalls nicht en Gros), dass es kein Interesse daran gäbe das aufzuarbeiten.
 
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Man stelle sich mal vor es gäbe heute in Deutschland Petitionen an die französische Regiergierung, die im 1. Weltkrieg bei Verdun gefallenen deutschen Soldaten, deren Überresste im Beinhaus von Douaumont aufgebart liegen, nach Deutschland zu überfüren um sie hier bei den jeweiligen Familien zu bestatten.
Nicht auszudenken, was für Molloch an Sachfragen und Problmen sich daraus ergeben würde.

Bitte nicht wieder so einen Beitrag aus dem Elfenbeinturm.
Informier dich bitte wenigstens ein bisschen über die Situation, ehe du hier postest und völlig absurde Vergleiche ziehst.

In Spanien gibt es diese Probleme sehr konkret, dort ist niemand (um den es hier geht) in Beinhäusern aufgebart, es geht auch nicht darum, jemanden nach Hause zu holen.
Es geht um immer noch verschollene Opfer, um anonym verscharrte, um am Wegesrand eingebuddelte, deren Angehörige verzweifelt nach Informationen über den Verbleib suchen, um ehrenamtliche, die mit viel Einsatz versuchen, wenigstens ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen, um die mangelnde Unterstützung des Staates bei der Aufklärung und bei der Umsetzung.

Lies wenigstens mal den oben zitierten Tagesschauartikel, ehe du so etwas schreibst.
Franco-Diktatur: Spanien gräbt seine Geschichte aus
oder
45 Jahre nach Francos Tod - Wie Spanien um die Aufarbeitung seiner Verbrechen ringt
 
In Spanien gibt es diese Probleme sehr konkret
Naja, dass war es im deutsch-französischen Verhältnis zwischen den Weltkriegen durchaus auch (es ist nur einfach, weil die Zeit über diese Dinge hinweg gegangen ist nicht mehr aktuell).
Lies dich gerne mal in die Auseinandersetzungen um die Kriegsgräberproblmatik nach 1918 ein.

Insofern reine Einwände aus dem Elfenbeinturm sind das nicht.
 
Auch das Öffnen von Massengräbern dürfte insofern ein diffiziles Problem sein, dass man zum Teil sicherlich überhaupt nicht weiß, wer darin liegt, während allerdings natürlich all Angehörigen von dort Begrabenen prinzipell ein recht haben müssten, sich dazu zu äußern ob sie eine Öffnung des Grabes und eine Umbeettung wünschen oder nicht.
Es kann ja durchaus plausible Gründe dafür geben, eine solche Öffnung des Grabes nicht zu wollen. Aus religiösen Gründen, weil man das mit der Totenruhe nicht für vereinbar hält, oder sei es, weil man den Massengräbern selbst einen historischen Wert als Mahnmale für die Taten des Franco-Regimes und die Greuel des Bürgerkriegs betrachtet und aus diesem Grunde die Dinge so belassen möchte.

Das sind Schwierigkeiten, die ausgehandelt werden müssen und das ist diffizil.

Man stelle sich mal vor es gäbe heute in Deutschland Petitionen an die französische Regiergierung, die im 1. Weltkrieg bei Verdun gefallenen deutschen Soldaten, deren Überresste im Beinhaus von Douaumont aufgebart liegen, nach Deutschland zu überfüren um sie hier bei den jeweiligen Familien zu bestatten.
Nicht auszudenken, was für ein Molloch an Sachfragen und Problmen sich daraus ergeben würde.

Bei den Massengräbern geht es meist nicht um Kriegsgefallene, sondern um die Opfer von Massenerschießungen, wo sich beide Bürgerkriegsseiten schuldig gemacht haben. Ein Zeitgenosse hat das mal so beschrieben, dass der Tod mit seiner Sense durch Spanien gehe, wie ein Bauer durch das Weizenfeld bei der Ernte: Es bleibt kaum ein Halm stehen.

De facto war es an der dynamischen Front zeitweise so: Ein Dorf wurde von Faschisten erobert, dann zeigte der örtliche Terrateniente oder Priester den Faschisten die Häuser der Anarchisten etc., die wurden auf dem nächsten Acker erschossen. Die republikanische Miliz (die trotzkistische POUM oder die anarchistische CNT) eroberten das Dorf wieder: Der Priester, der Terrateniente und einige andere wurden an der Kirchenwand erschossen. Nun eroberten die Faschisten das Dorf wieder und erschossen alle, welche die POUM oder die CNT überlebt hatten als mutmaßliche Linke oder Sympathisanten der Republik.

Von vielen Massengräbern aus den Anfangstagen des Krieges wissen wir de facto, dass sie nur von den Faschisten stammen können, darin also Republikaner und Linke liegen.

In Katalonien, vor allem aber im Baskenland konnte es auch mal passieren, dass die Priester von den Faschisten erschossen wurden, weil sie auf der baskischen oder katalanischen Seite standen oder dessen verdächtigt wurden.
In den meisten spanischen Kathedralen findet man bis heute Gedenktafeln für die ermordeten Priester und Ordensleute, die von Republikanern oder Trotzkisten/Anarchisten ermordet wurden (für die von Faschisten ermordeten Priester und Ordensleute wohl eher weniger, oder diese Morde wurden der republikanischen Seite zugeschoben - Achtung, begründete Mutmaßung, Arbeitshypothese, sofern entsprechende Gedenktafeln nicht erst nach 1975 angebracht wurden), auf diesen Gedenktafeln werden die Täter dann meist als Rojos, Bolshevistas oder so gekennzeichnet. Mancher Priester hat mit dem Jagdgewehr vom Kirchturm aus hüben wie drüben an dem Krieg teilgenommen.

Als der damalige Generalstaatsanwalt Baltazar Garzón vor einigen Jahren die Massengräber öffnen ließ, hat die Organisation Manos Limpias ('saubere Hände'; dieselbe rechtsradikale Organisation, die letzte Woche versucht hat, Sánchez zum Rücktritt zu bewegen, indem sie seine Frau fälschlich der Korruption bezichtigte) ihn mit Korruptionsvorwürfen überschüttet, später hat die PP unter der Regierung Rajoy daran mitgewirkt. Die Aufklärung der Verbrechen des Bürgerkrieges wird also v.a. von Rechtsradikalen und Konservativen massiv behindert und, da man das auf dem direkten Weg nicht kann, indem man die Leute mit regelrechten Schmierenkampagnen mundtot macht.
 
....später hat die PP unter der Regierung Rajoy daran mitgewirkt. Die Aufklärung der Verbrechen des Bürgerkrieges wird also v.a. von Rechtsradikalen und Konservativen massiv behindert und, da man das auf dem direkten Weg nicht kann, indem man die Leute mit regelrechten Schmierenkampagnen mundtot macht.

Sehr richtig, was du da schreibst.
Aber bestätigst du damit nicht meine obige These, dass Spanien ein massives Problem in dieser Richtung hat, wenn sich also sogar die Regierungspartei an solchen Kampagnen beteiligt?
 
Bei den Massengräbern geht es meist nicht um Kriegsgefallene, sondern um die Opfer von Massenerschießungen, wo sich beide Bürgerkriegsseiten schuldig gemacht haben.
Es ging mir jetzt nicht um Schuldiskussionen, sondern im Allgemeinen auch um die Problematik von Massengräber und Umbettungen etc.
Die dürfte relativ identisch sein, unabhängig von den genauen Umständen unter denen die Leute zu Tode gekommen sind.

Wenn zig Angehörige von Leuten, die da wahrscheinlich liegen bei dem Umgang mit dem Grab gerne ein Wort mitreden möchten (was ja nur zu verständlich ist), wird dass zwangsläufig zu verschidenen Auffassungen des Umgangs führen.

Eine Familie möchte das Grab öffnen und eigene Angehörige umbetten lassen, andere möchten das vielleicht nicht.
Wer hat nun mehr recht/die besseren Argumente?

Mir ging es einfach darum, dass wenn dem Wünsch von Familien von in Massengräbern Begrabenen diese Gräber zu öffnen eben nicht entsprochen wird, dass nicht unbedingt etwas mit einer Politik, zu tun haben muss, die von der Vergangenheit nichts wissen möchte, sondern möglicherweise auch einfach daran liegen mag, dass andere Leute, die ein genau so berechtigtes Interesse daran haben, das anders sehen.
 
Sehr richtig, was du da schreibst.
Aber bestätigst du damit nicht meine obige These, dass Spanien ein massives Problem in dieser Richtung hat, wenn sich also sogar die Regierungspartei an solchen Kampagnen beteiligt?
Naja, dem habe ich ja nie widersprochen, im Ggt., die Entwicklung, welche die PP in den letzten 20 Jahren genommen hat, empfinde ich als hochproblematisch. Allerdings muss man eben auch festhalten, dass im Frühjahr 2017 eine rechtextreme Partei in Spanien noch als zu vernachlässigendes Problem galt, die Falange (also der Teil der Partei, der den Namen behalten hat) hat seit Francos Tod keine Bedeutung mehr, die neue rechte Partei in Spanien, VOX, lebt quasi nicht so sehr von Problemen in der Migrationspolitik, obwohl Spanien seit vielen Jahrzehnten eines der Länder mit dem höchsten Immigrationsdruck in der EU ist, sondern vom Katalonienkonflikt. In den katalanischen Wahlen 2017 von 0 auf fast 8 %. In Altkastilien teilweise besorgniserrehende Zahlen in Kommunalwahlen (die wohl auch als Protestwahlen gelesen werden müssen). Die von mir erwähnte Isabel Ayuso (PP, wiedergewählte Präsidentin der Comunidad de Madrid) schürt auch auch die Angst vor einer neuen Vorbürgerkriegszeit ("Kirchen werden brennen" - allerdings macht sie sich damit auch zum Affen). Nur sollte man über diesen Kamm nicht Spanien scheren und nicht einmal die konservativen Wähler. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Was natürlich festzuhalten ist, ist dass die katholische Kirche in Spanien wesentlich konservativer ist, als in Dtld. gegenüber manchem spanischen Bischof ist Woelki fast ein Progressiver.
Das alles ist wahr, ist aber nur ein Teil des Gesamtbildes. Und das ist eben das, was ich auch am Narrativ der Separatisten kritisiere: Dass sie das außerkatalanische Spanien insgesamt als Problem darstellen und nicht etwa die Problemverursacher identifizieren und dass sie die innerkatalanischen Problem nicht sehen. Katalonien war das letzte Bollwerk der republikanischen Regierung, aber es gab eben auch viele Katalanen, die auf Seiten Francos standen, sei es, weil sie von den anarchistischen und trotzkistischen Milizen, welche nach dem Putsch im republikanisch gebliebenen Teil de facto in weiten Teilen die Macht übernahmen verfolgt wurden, sei es wiel sie eh mit den Putschisten sympathisierten. Manche gingen ins Exil, manche über das Exil auf die Seite der Aufständischen (also der Faschisten). Es ist ungefähr so, wie mit den Österreichern, die Österreich als erstes internationales Opfer der Nazis sehen und die tatkräftige Hilfe österreichischer Faschisten am "Anschluss" wegreden wollen (oder mit den Deutschen, die sagen H. sei ja eigentlich Österreicher gewesen). Katalonien hat die ganze Härte des Francoregimes gespürt, v.a. in den Anfangsjahren, aber letztlich bis hin zur allmählichen Liberalisierung nach 1956 und bis etwa 1970/5. Aber dass Katalanen auch dem Franquismus anhingen (und zwar vo Anfang bis Ende), dass es auch nach wie vor Rechte in Katalonien gibt (Wahl 2017 in Katalonien der VOX 7,xx %), das ignorieren sie geflissentlich. "Die bösen saßen und sitzen in Kastilien etc., wir sind die Opfer." Und das stimmt eben in dieser Ausschließlichkeit nicht.
 
Es ging mir [...] im Allgemeinen auch um die Problematik von Massengräber und Umbettungen etc.
Die dürfte relativ identisch sein, unabhängig von den genauen Umständen unter denen die Leute zu Tode gekommen sind.

Wenn zig Angehörige von Leuten, die da wahrscheinlich liegen bei dem Umgang mit dem Grab gerne ein Wort mitreden möchten (was ja nur zu verständlich ist), wird dass zwangsläufig zu verschiedenen Auffassungen des Umgangs führen.

Eine Familie möchte das Grab öffnen und eigene Angehörige umbetten lassen, andere möchten das vielleicht nicht.
Wer hat nun mehr recht/die besseren Argumente?

Wie ich schon sagte: Baltazar Garzón war Generalstaatsanwalt, das waren also juristische Untersuchungen. Diese wurde politisch motiviert mundtot gemacht. Die Angehörigen der meist republikanischen Opfer wollen i.d.R. die Aufklärung und auch Umbettung ihrer Toten auf reguläre Friedhöfe.
 
Aber noch mal: dass die Aragonesen und Katalanen im 18. Jhdt. für Habsburg und gegen Bourbon kämpften und dies als Freiheitskampf deklarierten, hat nichts mit einer Unabhängigkeit von Spanien zu tun, sondern damit, dass sie seit 1705 Karl als rechtmäßigen und Philipp als unrechtmäßigen König ansahen.

Hier muss ich nochmals drauf eingehen.

Der Widerstand der Aragonesen, Katalanen und auch Valencianer richtete sich doch in erster Linie gegen die Decretos de Nueva Planta
die Philipp verabschiedet hatte, wodurch die gesamte innere Struktur der Krone von Aragon abgeschafft wurde. Alle lokalen Gesetze wurden dadurch außer Kraft gesetzt (außer in Navarra). Sämtliche lokalen Institutionen (Cortes von Aragon, Valencia und Katalonien) wurden abgeschafft.
Alle Institutionen wurden den Cortes von Kastilien, (nun Cortes von Spanien) unterstellt. Es ist die Entstehung des zentralistischen, absolutistischen spanischen Gesamstaates, im Gegensatz zu der bis dahin noch weitgehenden Unabhängigkeit der einzelnen Entitäten.
Die Gesetze des Königreichs Valencia (Furs de Valencia) verloren ebenso ihre Gültigkeit wie die Furs de Aragon oder die Gesetze der katalanischen Institutionen. Es war der Versuch, den bis dahin multinationalen spanischen Staat in einen kastilianischen Einheitsstaat zu verwandeln, und dieser Versuch hält zumindest in Teilen bis heute an.

Gegen diese de-Facto-Abschaffung ihrer Nationen richtete sich der Widerstand, nicht nur in Katalonien, auch im Königreich Valencia und in Aragon. Erzherzog Karl hatte den Erhalt des Status Quo zugesichert. Dies ist der Grund dafür, dass er die Unterstützung besagter Staaten im spanischen Erbfolgekrieg erhielt, und auch dass diese Staaten den Widerstand gegen Philipp bis heute als Freiheitskampf ansehen und in Katalonien das Jahr 1716 als ein Wendepunkt ihrer Geschichte angesehen wird.



 
Die Decretos de Nueva PLanta sind meines Erachtens unter zwei Gesichtspunkten zu sehen:
  1. Spanien war de facto seit den RRCC (mit Ausnahme des Interregnums von Philipp dem Schönen* (I.) und Johanna der Wahnsinnigen in Kastilien zwischen Isabels Tod und der Entmündigung Johannas durch ihren Vater Ferdinand) ein geeintes Königreich, spätestens aber unter Felipe II. Es war nur logisch, dass ein vereinigtes Königreich in einem absolutistischen Staat frz. Prägung - und das wurde Spanien unter Philipp von Bourbon - eine vereinte Gesetzgebung bekommen würde.
  2. Die Frage war das Wie! Im Erbfolgekrieg hatten die aragonesischen Erbländer - angesichts des Kriegsausgangs** - auf der "falschen" Seite gestanden (auch wenn nicht von Anfang an und mit voller Überzeugung) und dafür wurden sie brutal bestraft und mit den Decretos wurden die traditionellen Institutionen (weitgehend***) entmachtet.
Die Basken durften ihre fueros behalten, verloren sie erst im 19. Jhdt. mit der liberalen Verfassung, was sie in die Reihen der Carlistas trieb.


Der Punkt für mich ist, weswegen ich ja von historisierendem Narrativ spreche, ist, dass Valencia und Aragón, die ja genauso von den Dekreten betroffen waren, daraus heute, 300 Jahre später, keine "Konsequenzen" ziehen. Es gibt weder in Valencia (das ja auch katalanischsprachig ist), noch in Aragón (die Aragonesische Sprache ist in der Tat vom Spanischen/Kastilischen überdacht) eine konsiderable Unabhängigkeitsbewegung, obwohl sie doch mit Katalonien seit dem 12. Jhdt - sofern die Gebiete nicht noch Teil von al-Andalus waren - eine gemeinsame Geschichte teilen (aragonesisch-katalanische Personalunion). Die gibt es nur in Katalonien, trotz der gemeinsamen Geschichte. Und daher meine ich, dass diese historischen Ereignisse für einen eher politisch konstruierten als historisch interessierten Narrativ gebraucht werden.



*Phillip der Schöne von Habsburg, nicht zu verwechseln mit dem Kapetinger. Phillip der Schöne wird als Felipe I. gezählt.
**Bernecker meint sogar, dass Philipp der "rechtmäßige Herrscher" gewesen sei, ich würde so weit nicht gehen. Gleichwohl natürlich Carlos II. die Bourbonen als seine Erben eingesetzt hatte.
***Die Einschänkung, weil ich etwa an das Wassergericht in Valencia denke, das bis Jaume zurückverfolgbar, vermutlich aber aus islamischer Zeit ist
 
Der Widerstand der Aragonesen, Katalanen und auch Valencianer richtete sich doch in erster Linie gegen die Decretos de Nueva Planta
die Philipp verabschiedet hatte, wodurch die gesamte innere Struktur der Krone von Aragon abgeschafft wurde.

Pardon, aber der Großteil Kataloniens hatte sich bereits 1705 für Carlos III. und damit gegen den Bourbonen erklärt.
Die "Decretos de Nueva Planta" wurden aber erst ab Juni 1707 erlassen.

Alle lokalen Gesetze wurden dadurch außer Kraft gesetzt (außer in Navarra). Sämtliche lokalen Institutionen (Cortes von Aragon, Valencia und Katalonien) wurden abgeschafft.
Alle Institutionen wurden den Cortes von Kastilien, (nun Cortes von Spanien) unterstellt.
Wohlbemerkt nachdem sich die aragonesischen Länder gegen den Bourbonen erhoben hatten. Allerdings hatten sie den ja zunächst mal durchaus als ihren rechtmäßigen König akzeptiert, bevor sie sich auf die Seite des Habsburgers schlugen.
Damit aber hatten die aragoneischen Ländern den Kompromiss mit der Krone hinsichtlich ihrer überlieferten Rechte selbst gebrochen.

Es war der Versuch, den bis dahin multinationalen spanischen Staat in einen kastilianischen Einheitsstaat zu verwandeln, und dieser Versuch hält zumindest in Teilen bis heute an.
Es gab bis dahin keinen spanischen Staat, es gab eine Personalunion der iberischen Reiche. Es war die Begründung des einheitlichen spanischen Staates.

Und dadurch dass die einflussreichen Familien Aragons und Valencias nicht etwa die Möglichkeit verloren ihre Interessen vertreten zu können, sondern dies nunmehr innerhalb der gesamtspanischen Institutionen tun konnten, ist das, was dabei heraus kam auch kein "Großkastilien" oder ein katsillischer Einheitsstaat gewesen.
Die kastilistilier verloren ja dadurch, das Institutionen jetzt auf gesamtspanischer Ebene (ohne Navarra) aggierten und auch aus den aragonesischen Ländern besschickt wurden, ebenfalls die Möglichkeit ihre Belange exklusiv unter sich auszuhandeln.

Gegen diese de-Facto-Abschaffung ihrer Nationen richtete sich der Widerstand
Erstmal stimmt es nicht und zu zweiten ist es Unsinn, die überkommenen Adelsprivilegien einer historischen Landschaft mit der Nation gleichzusetzen.
Abgeschafft wurde nicht die Nation, abgeschafft wurden die exklusiven Kompetenzen der lokalen Adelsversammlungen.

Und dass es auch nicht gegen die nationalen Eigenheiten der Katalanen, ging, sondern einfach nur die Strafe für die Rebellion war, sieht man daran, dass Navarra, dass bei den Bourbonen blieb, seinen Sonderstatus behalten durfte-
 
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Es war nur logisch, dass ein vereinigtes Königreich in einem absolutistischen Staat frz. Prägung - und das wurde Spanien unter Philipp von Bourbon - eine vereinte Gesetzgebung bekommen würde.

Das ist eben wieder der Blick aus Madrid. Natürlich war es aus Sicht Philipps und der Granden in Madrid der logische Weg.
Am Hof von Valencia oder in Barcelona sah man das natürlich etwas anders.

Der Punkt für mich ist, weswegen ich ja von historisierendem Narrativ spreche, ist, dass Valencia und Aragón, die ja genauso von den Dekreten betroffen waren, daraus heute, 300 Jahre später, keine "Konsequenzen" ziehen. Es gibt weder in Valencia (das ja auch katalanischsprachig ist), noch in Aragón (die Aragonesische Sprache ist in der Tat vom Spanischen/Kastilischen überdacht) eine konsiderable Unabhängigkeitsbewegung, obwohl sie doch mit Katalonien seit dem 12. Jhdt - sofern die Gebiete nicht noch Teil von al-Andalus waren - eine gemeinsame Geschichte teilen (aragonesisch-katalanische Personalunion). Die gibt es nur in Katalonien, trotz der gemeinsamen Geschichte.

Die gibt es durchaus auch in Valencia, gerade aktuell gibt es dort darüber Diskussionen, dass die regierende PP einige traditionell valencianische Feste nicht mehr begehen möchte. In der Provinz Valencia ist der Anteil an nicht-Katalanen allerdings deutlich größer als in Katalonien.
Aragon hat praktisch überhaupt keine aragonensischen Muttersprachler mehr.
Katalonien hebt sich kulturell und sprachlich eben wesentlich stärker von Kastilien ab, daher verwundert die Bewegung dort nicht.
 
Ergänzend dazu: Philipp setzte "Provinzkapitäne", also Gouverneure aus Madrid ein, um die Provinzen Spaniens zu verwalten. Die lokale Oberschicht rückte von der zweiten in die vierte oder fünfte Reihe, was ihre Unzufriedenheit erklärt.
Auch galten bisherige Privilegien und ähnliches eben nicht mehr.
Auch wenn es natürlich nur die Oberschicht betraf: Katalonine und Valencia hatten bis dahin eine Selbstverwaltung.

* Valencia nannte sich gar "Königreich"
 
Das ist eben wieder der Blick aus Madrid. Natürlich war es aus Sicht Philipps und der Granden in Madrid der logische Weg.
Am Hof von Valencia oder in Barcelona sah man das natürlich etwas anders.
Ich würde eher sagen, dass es der Blick des in Versailles aufgewachsenen Phillip war. Die Kastilier hatten zunächst recht verhalten auf die Eroberung Madrids durch die Parteigänger der Habsburger reagiert. Erst nachdem die Katholische Kirche begann gegen Habsburg mobil zu machen, weil Habsburg mit Niederländern und Briten (Häretikern!) verbündet war, wendete sich das Blatt zu Gunsten des Bourbonen. Was nicht ausschließt, dass einige der Granden ihre eigene Macht auf Kosten der Erbreiche Aragóns ausbauten.

Die gibt es durchaus auch in Valencia, gerade aktuell gibt es dort darüber Diskussionen, dass die regierende PP einige traditionell valencianische Feste nicht mehr begehen möchte. In der Provinz Valencia ist der Anteil an nicht-Katalanen allerdings deutlich größer als in Katalonien.
Aragon hat praktisch überhaupt keine aragonensischen Muttersprachler mehr.
Katalonien hebt sich kulturell und sprachlich eben wesentlich stärker von Kastilien ab, daher verwundert die Bewegung dort nicht.
Vor einigen Jahren hat die Autonomie Valencia bei der EU versucht, Valencianisch als eigene Sprache (also nicht als sekundärer katalanischer Dialekt) registrieren zu lassen (entsprechend der Normas de Puig). In Umfragen befindet eine Mehrheit der Valencianischsprecher, dass Valencianisch nicht katalanisch ist (was linguistisch kaum zu rechtfertigen ist, das könnte man vergleichen, dass verschiedene deutsche Dialekte sich nicht als Einheit sähen, weil man in dem einen Dialekt Schrippe und in dem anderen Stullle sagt).
 
dass verschiedene deutsche Dialekte sich nicht als Einheit sähen, weil man in dem einen Dialekt Schrippe und in dem anderen Stullle sagt
Nur so am Rande: Meiner Meinung nach sind Schrippe und Stulle unterschiedliche Lebensmittel ein und des selben Dialekts. Eine Schrippe ist ein Brötchen (oder Semmel oder Rundstück oder Wecke in anderen Dialekten), eventuell belegt, meist aber unbelegt. Eine Stulle ist ein irgendwie belegtes Pausen- oder Frühstücksbrot, meistens Graubrot. Schrippe und Stulle würde ich beides als Berlin/Brandenburger Dialekt ansehen. Für deine ursprüngliche Aussage könnte man ja dann die unterschiedlichen Ausdrücke für Brötchen je nach Dialekt heranziehen.
 
Dass regional Semmel, Weckle ein Brötchen, Stulle, Schnitte eine Scheibe Brot meinen, rechtfertigt keinen Separatismus - in diesem Sinn ist zu verstehen, was @El Quijote sagen wollte.
Das ist richtig, war aber nicht ganz meine Aussageabsicht.
Wir müssen unterscheiden zwischen katalonischem Separatismus, dem eigentlichen Threadthema (bzw. den Gebrauch historisierender Narrative, um diesen zu rechtfertigen) und der in der Comunitat/Comunidad Valenciana (Valencia*) verbreiteten Auffassung, das Valencianisch nicht Katalanisch sei, worum es mir in dem gestrigen Beitrag ging.
Es sind halt wirklich Einzelworte, die im Valencianischen vorkommen, aber nicht im Katalanischen oder umgekehrt.
Spanisch und Katalanisch sind zwei romanische Sprachen (Primäre Dialekte), die sich aus dem Latein entwckelt haben. Das Valencianische und Balearische sowie das Algherische (von der sardischen Staft Alghero, nicht zu verwechseln mit Algerisch) sind sekundäre Dialekte des Katalanischen.
Es gibt natürlich auch in Valencia Pancatalanistas.


Die Autonome Region heißt Comunitat Valenciana, nach der Stadt Valencia/Valencià, ich neige dazu, die Region Valencia zu nennen. Ich hoffe, dass im Kontext immer klar ist, wann ich über die Stadt und wann über die Region rede. Ich benutze die kastilische Schreibweise ohne den katalanischen (valencianischen) Gravis (à).
 
Es gab bis dahin keinen spanischen Staat, es gab eine Personalunion der iberischen Reiche. Es war die Begründung des einheitlichen spanischen Staates.

Schön, dass mal einer bestätigt, was ich die ganze Zeit schreibe.
Bis zu den Erbfolgekriegen herrschte der spanische König über ein Sammelsurium verschiedenster Königreiche und Fürstentümer.
Königreich Kastilien, Königreich Aragon, (halb) Königreich Navarra, Fürstentum Katalonien, Königreich Valencia, Königreich Mallorca und andere.
Alle diese Entitäten verloren im Zuge der Dekrete bei Machtübernahme durch die Bourbonen ihre Selbständigkeit und wurden zu Provinzen degradiert. Bis dahin waren sie zumindest nominell unabhängig, wenn auch unter einer einzgen Herrschaft.
Daraus kann man schließen, dass die katalanische Sichtweise, 1716 die Unabhängigkeit verloren zu haben, nicht aus der Luft gegriffen ist.

Dies als "historisierend" abzutun, da Katalonien sowieso schon immer ein Teil Spaniens gewesen sei, ist eine typische Geschichtsklitterung Madrids.
 
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Das war eine Lüge, denn zu Gerichtsentscheidungen z.B. in Polen nahm der Rat der Europäischen Union durchaus Stellung.

Das beweist, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker in und von der EU nicht anerkannt wird. Die EU-Staaten, repräsentiert durch den EU-Ministerrat, sind nur dann für Selbstbestimmungsrecht der Völker, wenn sie davon nicht selbst betroffen sind.
Nein. Du bist hier völlig falsch informiert und ziehst falsche Schlüsse.

Die Europäische Union ist gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV in ihrem Tun und Lassen ausschließlich auf die Zuständigkeiten begrenzt, die ihr explizit von den Mitgliedern übertragen wurden. Vorliegend ging es um die Vereinbarkeit eines spanischen Rechtssetzungsaktes mit der spanischen Verfassung.

Das ist eine ausschließlich spanische Angelegenheit, die nicht die Kompetenzen der EU berührt. Als Trägerin völkerrechtlicher Rechte und Pflichten darf sich die EU genauso wenig in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitgliedsstaaten einmischen wie die Mitgliedsstaaten untereinander.

Die Kompetenzen der EU sind diesbezüglich nur eröffnet, sofern ein Staat europäisches Primärrecht verletzt (hauptsächlich EUV, AEUV, EGRCh) – oder mittelbar, wenn ein Staat gegen Sekundärrecht verstößt (d.h. v.a. gegen aufgrund von EUV oder AEUV gesetzte Rechtsakte der Union).

Für die Feststellung eines möglicherweise vertragswidrigen Zustands ist die EU-Kommission zuständig, nicht der Ministerrat, die den betreffenden Staat um Stellungnahme bittet und dann ggf. ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren einleitet (Art. 258 EUV).

Sie allein ist die sogenannte Wächterin der Verträge, und nur sie hat ein Mandat, sich diesbezüglich zu äußern.

Der Fall ist dann dem EuGH vorzutragen und zu begründen. Ob aber auch wirklich ein Verstoß vorliegt und ob die Union sich folglich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedslandes einmischen darf, entscheidet selbstverständlich die Judikative, nicht die Exekutive (Kommission) oder die Legislative (Parlament und Ministerrat). Auch auf EU-Ebene findet eine Gewaltenteilung statt.

Der Ministerrat kann sich nur äußern, wenn der vertragswidrige Zustand festgestellt wurde, oder er überschritte sein Mandat.

Und selbst dann sind seine Äußerungen mangels Rolle im Vertragsverletzungsverfahren bloße Resolutionen ohne rechtliche Bindung, und beweisen überhaupt nichts. Die Wahrheit ist, dass die Autoren der Anfrage da einfach einen politischen Stunt getätigt haben, wohlwissend, dass im Rat der Europäischen Union Regierungsmitglieder sitzen (inklusive aus Spanien selbst), also aus PR-Sicht die interessanteren Leute.

Sie hätten stattdessen eine Beschwerde bei der EU-Kommission einlegen und eine Vertragsverletzung rügen können. Das wäre der zielführende Weg gewesen, und allein dieser hätte die offizielle Position der Europäischen Union aufgezeigt.
 
Daraus kann man schließen, dass die katalanische Sichtweise, 1716 die Unabhängigkeit verloren zu haben, nicht aus der Luft gegriffen ist.
Natürlich ist sie das, weil sie die Unabhängigkeit einer katalanischen Nation in die Vormoderne zurückimaginiert.
Die katalanische Nation in ihrer Gesamtheit, wie man sie modern definieren würde, war damals aber nicht unabhängig. Unabhängig waren die Katalanischen Stände., die diese Nation de facto beherrschten.
Die Vorstellung in der Vormoderne sei da irgendjemand, der nicht zu den herrschenden Adelskreisen gehörte "unabhängig" gewesen, ist abstrus.
Genau wie die Vorstellung deren Vorherrschaft zu einer für die gesatme Nation besseren Vergangenheit verklären zu wollen.

Was die katalanische Nation angeht, verlor diese nicht 1716 ihre Unabhängigkeit, sondern sie geriet von einem Abhänigkeitsverhältnis in ein anderes.
 
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