Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Geht es jetzt wieder sachlich weiter?
Dann würde ich gerne eine Frage geklärt wissen, ohne dass es zum Anlass für Blödelei, Eifer oder Konfrontation wird.
 
@hatl

Mich würde deine Stellungnahmen, bisher ist hierzu ja noch keine erfolgt, deshalb eine Zusammenfassung und Ergänzung, zu den nachfolgenden Punkten interessieren:

Nicht unwichtig bei dem ganzen Spektakel, welches Sasonow entffacht hatte, war die Tatsache, das es der Großwesir Said Halim Pascha gewesen war, das Kaiser Wilhelm II. um die Entsendung eines erfahrenen deutschen Generals. gebeten hatte. Darüberhinaus ist es überaus erwähnenswert, das Kaiser Wilhelm den Zaren im Voraus über die deutsche Militärmission informiert hatte. Wenn der Zar seinen Außenminister nicht entsprechend informierte hatte, dann ist dies kein Versäumnis Berlins. Die ganze Frage lag in der Hand des Kaisers und den Militätbeörden; nicht in den Händen des Auswärtigen Amtes. Das AA hatte gemäß Zimmermann erst Kenntnis nach Beginn der Krise von dieser Mission bekommen. Deshalb konnte folgreichtig auch Sasonow, bei dessen Besuch in Berlin, nicht vom Reichskanzler entsprechend informiert werden. Sasonow hatte sich mittlerweile ein Deutschlandbild konstruiert, das keinen Raum für eine Verständigung mit Berlin ließ. Und dann war da noch der Katalysator in Person des französischen Botschafters Theophile Delcassé, der Sasonow, ähnlich wie später Paléologue, unaufgefordert französische Beistandsversprechen bis zum Äußersten abgab.

Und was der von dir schon erwähnte Sir Louis Mallet:" Die Unabhängigkeit der Türkei ist vor den Avancen der französischen Fianziers eine schwindende Größe." Für die Briten waren eher die Franzosen der Anlass zur Besorgnis. Eyre Crowe, ganz bestimmt nicht verdächtig ein Freund der Deutschen zu sein, nannte die Ansichten Sasonows "unglaublich dürftig."

Was meinst du dazu, das der Chef der britischen Marinemission Admiral Limpus die ganze Aufregung um die Mission über die deutsche Militärmission nicht nachvollziehen konnte? Er, als militärischer Fachmann, hätte wohl die ganzen angeblichen Gefährdungen und Bedrohungen, doch sehen müssen. Selbst die französische Misson machte da keinen großen Wind.

Auch würde mich deine Meinung zu den unten stehenden, ich habe sie ja mehrfach schon gebracht, du hast diese aber nicht kommentiert, Zitaten interessieren.

Zitat George Buchanan, britischer Botschafter in Petersburg in einem Gespräch am 03.April 1914 mit dem Zaren:

"Der Zar ist die Antwort schuldig geblieben", wie denn bitte schön das Deutsche Reich die Befürchtungen des russischen Außenministers wahr werden lassen soll. ( BD Band X/2 2.Halbband S.1268ff) Buchanan gab noch durch die Blume den Rat, doch die Beziehungen zu Deutschland einfach zu verbessern, in dem er auf das Potsdamer Abkommen verwies. Die britische Regierung sei bemüht, das Verhältnis zu Deutschland zu bessern.

Zitat Sir Edward Grey in einem Telegramm an Buchanan:

Mein lieber Buchanan,
... Was das deutsche Militärkommando in Konstantinopel betrifft, so meine ich,
daß dessen wirklich Bedeutung sehr stark übertrieben wurde, und allgemein ist der Eindruck entstanden das Deutschland einen diplomatischen Rückschlag erlitten hat, den die deutsche Presse so gut es ging vertuschen musste. Ich sehe nicht ein, warum Sasonow nicht zufrieden sein sollte."

Zitat des russischen Botschafters in Berlin Swerbejew


Unter dem Datum des 03.01./16.01.14 schrieb dieser an seinem Chef Sasonow unter anderem:
"Ich kann nicht umhin zu erklären, dass das Berliner Kabinett alles ihm Mögliche getan hat, um unsere berechtigten Wünsche zu erfüllen, und das ihm dies wegen der gegen die Regierung gerichtete Zeitungskampagne nicht leicht gewesen ist."

Zitat Martin Kröger: "Die harte Reaktion aus Petersburg läßt sich nur durch eine Bedrohungsperzeption erklären, die die tatsächlichen Ereignisse am Bosporus maßlos übersteigerte."

Es wurde doch hier im Faden von dir ausgeführt, das die osmanische Regierung sich "in deutscher Hand" befände.

Wie verträgt sich das mit dem Folgenden:

Als die Goeben und Breslau im August in Besik Bay an der Mündung der Dardanellen eingetroffen waren, hatte der Großwesir "knallharte Bedinungen ausgehandelt, das mit die deutschen Schiffe einlaufen konnten.

Berlin musste die sogenannten Kapitualationen annullieren, die europäischen Staatsangehörigen im Osmanischen Reich eine Art rechtlichen Status exterritorialen verschafften. Des Weiteren musste Berlin versprechen, Konstantinopel bei der Forderung einer Entschädigung zu unterstützen, des Weiteren sollte Deutschland bei der Rückgewinnung der ägäischen Inseln Unterstützung gewähren und schließlich bei der Rückeroberung eines Tels des kauskasischen Territorium, welches die Osmanen 1878 an die Russen verloren hatten. Das waren schon opulente Forderungen. Nun ja, die Schiffe wurden ja letzten Endes an Konstantinopel verkauft.

Die Entente unternahm natürlich alles, damit die Osmanen die deutschen Kriegsschiffe nicht einlaufen lässt. Die Russen gingen dabei soweit, ihrer Schwarzmeerflotte den Befehl zur Versenkung von Goeben und Breslau zu geben wenn dieses in die Meerengen einlaufen würden. Das dabei die Hoheitsgewässer der Osmanen verletzt würden, spielte natürlich keine Rolle.

Und abschließend würde mich deine Meinung hierzu doch interessieren:
Am 30.Juli, es war noch kein Krieg, sandte Sasonow an Benckendorff, russischer Botschafter in London die folgenden Zeilen:
" In der gegenwärtigen Krise ist es eine Sache von allerhöchster Bedeutung, dass die Türkei die beiden Schlachtschiffe der Dreadnought-Klasse Sultan Osman I. und Reshadieh nicht erhält. Der Bau der beiden Schiffe ist so weit fortgeschritten, dass das erste innerhalb weniger Wochen, das zweite innerhalb weniger Monaten an die Türkei geliefert werden kann. Bitte machen Sie der britische Regierung klar, welche überragende Bedeutung diese Frage für uns hat und üben Sie energischen Druck aus, das diese Schiffe in England zurückgehalten werden müssen."
Schon in Mail und Juni ließ Sasonow Benckendorff bei Grey und Churchill in dieser Frage vorstellig werden. Sasonow musste gar nicht am 30.07. heftig intervenieren lassen, denn Churchill hatte bereits beschlossen, die beiden Schiffe zu beschlagnahmen und der Royal Navy zuzuführen. Am gleichen Tage begann ja auch offiziell die russische Generalmobilmachung. Sobald der Krieg begann, konnte Russland nicht allen Ernstes darauf hoffen, Kriegsschiffe irgendwelcher Art durch die Meerengen in das Schwarze Meer zu bekommen. Ergo durften dir Osmanen die beiden Großkampfschiffen keinesfalls bekommen.
Als Enver von der russischen Generalmobilmachung Kenntnis erhielt, ordnete er für das Osmmanische Reich die Generalmobilmachung an. Am 03.August befahl Enver die sofortige Schließung und Verminung des südlichen Endes der Dardanellen und des nördlichen Endes des Bosporus.
Der Großwesir warnte des russischen Botschafter Giers, das jegliche Provokation durch die russische Flotte im Schwarzen Meer mit der vollständigen Schließung der Meerengen für russische Schiffe jeder Art beantrwortet werden würde. (1)

Aha, die Meerengen waren also schon vorher auf Veranlassung der osmanischen Regierung mehr oder weniger geschlossen! Haben das Mallet und Morgennthau etwa nicht gewußt? Wohl kaum.


Und nur mal aus Interesse an deiner interessanten Wortwahl hinsichtlich der jungtürkischen Regierung. Wie würdest du die serbische Regierung nach dem Juni 1903, als die Serben den eigenen Monarch, grauenhafte Details kannst du bei Clark, Schlafwandler nachlesen, samt Ehefrau abgeschlachtet haben, bezeichnen? Bitte um Entschuldigung für die Wortwahl, aber das Wort Mord wird dem Geschehenen nicht mehr gerecht.


Und Sasonow: Ihm genügte der Erfolg und das deutsche Nachgeben, die deutsche diplomatische Niederlage nicht. Er verlangte jetzt ein russisch-britisches Abkommen im Geiste des Briefwechsels von Grey und Cambon. Das war dann die projektierte Marinekonvention. Darüber hinaus, siehe die Drei Konferenzen von Prokowski, wurrden Überlegungen und Planungen unternommen, um die Frage der Meerengen endgültig gewaltsam im russischen Sinne zu lösen.
 
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Geht es jetzt wieder sachlich weiter?
Das tat es doch die ganze Zeit, denn in satirisch-humorigem Stil formulierte Beiträge verzichten aus stilistischen Gründen nicht auf das transportieren von - Inhalten! (für den unwahrscheinlichen Fall von Verständnisschwierigkeiten wäre ich bereit, meine ironischen Formulierungen zu Meerengen, Inselreichen britischen "Usancen" in trockenen Stil zu übersetzen)

Dann würde ich gerne eine Frage geklärt wissen
Dazu hilfreich wäre, die Frage auch zu stellen ;)


ohne dass es zum Anlass für Blödelei
Da empfehle ich, mit gutem Beispiel voran zu gehen, indem auf blödelnde Einsprengsel wie
Denn mit großem nationalen Enthusiasmus beteiligten sich sehr viele Kleinspender am gemeinsamen Projekt.
(Vielleicht hat das in der Gestalt Ähnlichkeit mit der wilhelminischen Flottenbegeisterung?)
verzichtet wird. Die Finanzierung der vom osmanischen Reich bestellten zwei Kriegsschiffen hat mit wilhelminischer "Flottenbegeisterung" nichts zu tun.
 
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Ein paar Worte zur sogenannten Flottenbegeisterung in Deutschland.

Ausgangspunkt war zunächst die geographische und strategische Lage Deutschlands. Man war zwischen Frankreich und Russland, den beiden potenuziellen Kriegsgegnern, eingeklemmt. Und der Krieg würde auch zur See geführt werden müssen.

Tirpitz, damals noch nicht Staatssekretär des Reichsmarineamtes, hatte hierzu ein Memorandum verfaßt. Tirpitz führte aus, das die Marine ihre Aufgabe nur erfüllen konnte, wenn sie in den Heimatgewässern über die Seeherrschaft verfüge. Ob der Überlegenheit der vereinten französischen-russischen Flotten bestehe für de kaiserliche Marine die einzige Chance darin, entweder die französische Nordflotte oder die russische Ostseeflotte zur Schlacht zu zwingen, ehe die beiden sich vereinen können oder französische Unterstützung aus dem Mittelmeer käme. Selbst ein solcher Sieg könne den Gegner vermutlich nicht daran hindern, die Kontrolle über deutsche Gewässer zu übernehmen - mit all seinenverheerenden Folgen für Handel, die davon betroffenen Häfen und die Armee, die auf entsprechenden Nachschub angewiesen sei. In wenigen Jahren, wenn die Gegner ihre Bauprogramme durchgeführt hätten, sei die Lage für Deutschland wahrscheinlich hoffnungslos. Um dem entgegenzuwirken, müsse das Gleichgewicht wiederhergestellt werden.

Diesen Überlegungen Tirpitz lässt sich kaum widersprechen.
 
Ein paar Worte zur sogenannten Flottenbegeisterung in Deutschland.
Meiner Ansicht nach unnötig - die "Flottenbegeisterung" manifestierte sich nicht im Wirkungskreis von Liman von Sanders.

Da müssten wir eher über Festungsbegeisterung reden: mit fortifikatorischen Defensivmaßnahmen wurde den Angreifern von Gallipoli eine blutige Nase verpasst (und das, obwohl diese zur See über zwei zusätzliche feiste Kriegsschiffe aus einer schäbigen "Usance" verfügten...)

Aber bei letzterem sind wir ja aus der Zeit der hier im Faden titelgebenden Krise heraus.
 
Meiner Ansicht nach unnötig - die "Flottenbegeisterung" manifestierte sich nicht im Wirkungskreis von Liman von Sanders.

Das habe ich auch nirgends behauptet. Ich habe lediglich ein paar ergänzende Informationen geliefert, wie und warum es überhaupt zu einer Flottenrüstung, anfänglich eben gegen Frankreich und Russland, gekommen war. Ich finde das durchaus interessant.
 
Henry Kissinger – Diplomacy („Die Vernunft der Völker") nennt das eine „doomsday machine“

Kissinger widmet in seinem Buch "Die Vernunft der Nationen" der Krise nicht einmal eine Seite. Naturgemäß ist es dann nicht wirklich möglich im Detail auf die Krise einzugehen. Ohne die Berücksichtigung zahlreicher Fakten, lassen die Ausführungen Kissingers vor allem die notwendige Distanz und vor allem Objektivität jedoch vermissen. Ist meines Erachtens zum Nachschlagen, wenigstens was die Liman-von-Sanders-Krise angeht, ganz gewiss nicht geeignet.
 
Und wollte man argumentieren nur Sasonov hätte „aggressive Absichten“ gehabt, so ist das gänzlich irreführend.

Stellt sich bloß die Frage, weshalb Sasonow militärisch tätig werden wollte.

Soweit ich das übersehe, sind die genannten Einwände aus #390 erledigt.
 
Es ist doch etwas eigenartig das praktisch in keimem Geschichtsbuch die Tatsache Erwähnung findet, das die Briten Anfang Dezember 1913 mit Konstantinopel über den Bau von Docks, die auch für die großen Schiffe geeignet wären und Werkstätte in Ismid abgeschlossen hatten. (1)

Nur aus diesem Grunde sah sch Sir Edward Grey veranlasst, an einer Demarche der Entente teilzunehmen. Sir Louis Mallet hatte hiervon mit Verweis auf die Limpus-Mission ausdrücklich abgeraten.

Mallet führt gegenüber Wangenheim aus, das er vollkommen begreife, solange Russland Druck ausübe, Deutschland seines Prestiges halber nicht nachgeben könne.

Am 27.Dezember wollte Sasonow eine weitere Kollektivnote.Paris und London antworteten, doch erst einmal das Resultat von Wangenheim in Berlin abzuwarten, sodann sich darüber klar zu werden, welche Forderungen überhaupt gestellt werden sollen und zu welchen Mittel man greifen will, um diese in Berlin bzw. Konstantinopel durchzudringen. (2)

Am 30.Dezember, das Nachgeben Berlin zeichnete sich bereits deutlich ab, verpflichtete sich der französische Ministerpräsident Doumergue gegenüber den russischen Botschafter Iswolkski, dass die französische Regierung fest entschlossen sei, sich allen Schritten der russischen Regierung in der Angelegenheit der Mission Liman in Konstantinopel anzuschließen. Poincaré unterstrich, das Frankreich fest entschlossen sei, mit Russland bis zum Ende zusammenzugehen und sich nicht den Verpflichtungen zu entziehen, die ihm das Bündnis auferlegte.(3)

Als Wilhelm II. Liman zum General der Kavallerie beförderte, hatte die Pforte freie Hand, ihm zum Marschall zu ernennn, wodurch das Kommando des ersten Korps von selbst wegfiel. Der Zar war zufrieden und bemerkte anlässlich des Jahresempfanges, dies sei guter Jahresanfang, das die Angelegenheit Liman applaniert sei.
Sasonow hingegen bemerkte, er habe noch keine offizielle Bestätigung über die Stellung des Generals Liman erhalten. Der russische Geschäftsträger Etter aber hatte Sasonow bereits am 12 Januar telegraphiert, das die Agenturen berichteten, Liman gebe das Kommando über das erste Armeekorps ab. (4)

Sasonow war trotzdem noch in kriegerischer Stimmung, wie sich auf der Konferenz am 13. Januar mit Kriegsminister, Generalstabschef und Marineminister zeigte. Die gute Nachricht des deutschen Nachgebens hatte auf Sasonow keinen beruhigenden Einfluss. Im Namen des französischen Außenminister habe ihm Delcassé ihm die Versicherung gegeben das Frankreich so weit gehen werde, als Russland wünsche.


(1) Österreich-Ungarns Außenpolitik Band VIII, Dokument Nr. 9053
(2) Große Politik Band 38, Dokumente Nr. 15.493, 15.499, 15.303 und 15.508
(2) Große Politik Band 38, Dokumente Nr. 15.487 und 15.489
(4) Große Politik Band 38, Dokumente Nr. 15.514, 15.515, 15.518. 15.521 und 15.522
 
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Ende 2021 hier im Faden ediert, scheint der Beitrag immer noch und erneut eine hilfreiche Sichtweise bieten zu können:


Die Konjunkturen der unvermeidlich vom jeweiligen Zeitgeist bzw. politischen und wissenschaftlichen Moden geprägten wissenschaftlichen Interpretationen der Liman-Mission bieten vielfältige Anregungen und Perspektiven (wie auch Unterhaltung...), und in gewisser Weise fördern sie manchmal die Sehnsucht/Suche nach bzw. Betonung einer 'empirischen' Basislinie in der geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung mit der Liman-Krise.

Eine davon scheint mir doch die Frage nach den Realisierungsmöglichkeiten eines womöglich oder angeblich avisierten kaiserreichdeutschen Protektorats - letztlich natürlich mit Hilfe und auf Basis militärischer Gewalt(möglichkeiten) - zu sein, welches dann ggf. beispielsweise entsprechend willkürlich die Meeresengen zum Schaden der russischen Wirtschaft mit allen Folgen hätte sperren können.

So schreibt der ehemalige Militärattaché Ö-U. in Konstantinopel, Joseph Pomiankowski, in Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches (Wien 1928), S. 51. u.a.

Die letzten Ziele der deutschen Politik in der Türkei und im nahen Osten überhaupt waren für mich in der Zeit vor dem Kriege bis zu einem gewissen Grade ein Rätsel. Alles was ich sah und hörte, deutete darauf hin, daß die Deutschen — obwohl sie sich selbstverständlich hüteten dies offen einzugestehen — doch eine langsame Besitznahme des ganzen türkischen Territoriums in Form eines Protektorates oder politischen Vertrages anstrebten und überdies noch irgend welche weiteren ins Innere Asiens, möglicherweise bis nach Indien reichenden Pläne hatten.
Ich konnte mir jedoch trotz vielen Nachdenkens nicht recht vorstellen, auf welche Weise diese Absichten verwirklicht werden sollten. Denn es war mir wohlbekannt, daß die Türken betreffs der letzten Ziele der deutschen Politik sich gar keinen Illusionen hingaben. Sie nützten zwar die Deutschen nach Möglichkeit aus, waren aber sehr auf ihrer Hut, sowie äußerst mißtrauisch und im Falle irgendeines deutschen Übergriffes stets bereit, ihre staatliche Unabhängigkeit energisch zu verteidigen. An eine Gewaltanwendung von Seite Deutschlands gegen die Türkei war schon mit Rücksicht auf die geographische Lage und die Entfernung der beiden Reichsgebiete nicht zu denken.

In diesem Faden wurde diese Fragestellung, die Unterstreichungen, und schlichte Tatsache im Laufe der Jahre im Faden bereits vielfach angesprochen, meine ich. Siehe gewisse Hinweise meinerseits auf Giers, Lentjev, auf die Frankreich- und GB-Botschafter und Militärattachés, Konteradmiral Limpus, auf die Publikationsreihen der BD und der DD (Frankreich), usw. usw., nachdem sich die politische Aufregung vor allem auch des Vorlaufes und der Krise selbst gelegt hatten.


Ich habe das jetzt auch in den BD Band X/2 2.Halbband S.1268ff nachgelesen.
Die interessanteste Passage ist doch die, in der Buchanan den Zaren fragt, wie Berlin denn seine politischen Wunschvorstellungen realisieren will, der Zar darauf aber nicht geantwortet hat.
Durchaus symptomatisch, sowohl Buchanans eher nüchterne wie erfahrungsnahe Frage als britisches Beispiel, und des Zaren Reaktion.

Wenn 1913/1914 irgendwelche Großmächte viel Erfahrung mit Anbahnung, Aufbau und Verankerung von 'Protektoraten' gesammelt hatten, dann waren es die britischen wie die französische Administrationen. So lassen beispielsweise sowohl die BD- wie die DD-Reihe nicht erkennen, dass, nachdem die Krise um die Liman-Mission im Januar 1914 abflaute, man (auch weiterhin) eine mögliche kommende Gefahr für die Anbahnung und Errichtung einer kaiserreichdeutschen Vorherrschaft via beispielsweise eines Protektorats, beispielsweise auf Basis einschlägiger, vielfältiger und konstanter wie dichter Indizien und der eigenen Erfahrungswerte, sah und diskutierte, im Zeitraum bis Ende Juli 1914.



Teil 2:

Der immer noch aktuelle, gut fundierte und in der neueren bis neuesten Literatur umfangreichste Text nur zur Liman-Krise von Martin Kröger, Letzter Konflikt vor der Katastrophe. Die Liman-von-Sanders-Krise 1913/1914, in
  • Dülffer u.a., Vermiedene Kriege (1997), S. 657-671,
summiert treffend, die harte russ. Reaktion sei nur durch eine Bedrohungsperzeption erklärbar, welche die tatsächlichen Ereignisse am Bosporus maßlos übersteigert hätte.
Die Entwicklungsmöglichkeiten der dt. Militärmission hätten dazu keinen ausreichenden Anlass geboten.

Allein die Idee, mit Hilfe der Militärmission wäre entweder

  • im Lauf der Monate bis zum Beginn des Weltkrieges eine Art Protektorat entstanden, oder
  • im Laufe der Jahre ein dt. Protektorat in der Türkei möglich geworden
war amüsanter weise sowohl in St. Petersburg wie auch im diesem Faden ohne Grundlage und lange Jahre wiederholt worden, teils wohl auch mit vermeintlich wissenschaftlichem Plausibilitätsanspruch.

Wie wissenschaftlich sinnvoll und für eine belegte Argumentation letztlich unverzichtbar konkrete Beispiele paralleler Aktionen einer tatsächlichen Protektoratserrichtung durch eine damalige europäische Großmacht sind und sein können, wird im Beispiel der Tunesienkrise 1881 deutlich. Siehe Martin Kröger, Ein Beispiel von Gleichzeitigkeit. Militärische Eskalation und diplomatische Deeskalation in der Tuniskrise 1881, in Dülffer, Vermiedene Kriege, S. 250-261.

Knapp 30.000 Mann französischer Truppen besetzten 1881 im Frühjahr Gebiete in Tunesien bzw. um Tunis, um dem militärisch, wirtschaftlich wie politischen schwachen bis sehr schwachen, aber leicht widerspenstigen tunesischen Regime unter noch formaler osmanischer Fernherrschaft ein französisches Protektorat aufzuerlegen, nachdem der Bey von Tunis jahrelange Avancen aus Paris mitsamt einseitigen Verträgen zugunsten der franz. Administration ignoriert bzw. abgelehnt hatte.
Klassisch: der tunesische Nachbar Algerien war in französischer Hand, schon Teil Frankreichs, weshalb französische Truppen eben vom angrenzenden französischen Algerien aus einmarschieren konnten.

Vor Ort (Tunesien) konkurrierten italienische Einflussnahme via wirtschaftlicher Projekte/Konzessionen und Siedler mit französischer via wirtschaftlicher Projekte und vor allem Kredite.

Im Kerngebiet des Osmanischen Reiches, der Türkei, konkurrierten 1913 alle Großmächte und noch mehr teils intensiv wirtschaftlich, politisch und in diversen Reformprojekten wie der britische Marine-Mission, der zeitweiligen dt. Militärmissionen, der französischen Justiz- und Gendarmerie-Mission. Die dort konzentrierte osmanische Armee ging immer noch in die Hunderttausende, das jungtürkische geprägte Regime in der kosmopolitischen Millionenhauptstadt Konstantinopel hatte sich an die Macht geputscht. Und Konstantinopel bekam von den Kapitalmärkten in Frankreich und GB fast jeden Kredit.
 
Die Bestellung erfolgte übrigens auch bereits vor dem 1. Balkankrieg, nämlich 1911, so dass man darin keine Reaktion auf das Ergebnis des Balkankrieges sehen kann.
Following the Young Turk revolution of 1908, the Ottoman Empire determined to replenish their crumbling navy with the aid of gold coins, jewels and necklaces donated by citizens. Every penny spent in England.
The Turkish Admiralty had drawn up a scheme of construction worth £18 million, including six dreadnoughts, of which ‘every penny…was to be spent in England.’ The new programme called for ‘six battleships (dreadnoughts), twelve destroyers, twelve torpedo boats,and six submarines.’In September 1908, the Young Turks requested the loan of an English admiral to oversee reorganisation of the Turkish fleet.
Der Genauigkeit halber: es war, wie immer zuerst, ein sog. 'Memorandum Of Understanding' (MOU)
"In February 1911, the Turks communicated interest to Armstrong (LTD) about buying new battleships,[dreadnoughts] and signed a preliminary agreement [MOU] of an order for two. Armstrong (LTD)collaborated with Vickers (LTD)to obtain the contract, with the backing of the British government.​
In July 1911, in regards to the battleships contract, Vickers very generously permitted the Turkish government six months free credit, payment by ten equal instalments, and arranged the financing of the commencement of construction for the Turks. In an even more generous move, Vickers’ bankers, Glyn Mills, guaranteed advances of £600,000 to the Turks in respect of payment due to Vickers on a warship. In 1911, Vickers had contracts with the Ottomans worth TL2.2 million and promises for a further TL5.5 million in 1913.9 (TL=Turkish Lira)​

Viel mehr wird man sie als Reaktion auf den Krieg mit Italien betrachten können, in dem sich das Osmanische Reich gerade befand, und in diesem Kontext machte es ja auch durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass die afrikanische und vorderasiatische Peripherie des Reichs durch Italiens Seestreitkräfte bedroht waren.
Die tuerkische Bestellung der beiden 'dreadnoughts' hat absolut nichts mit diesen Gedankengaengen zu tun gehabt. Sorry.
'dreadnought'='dread'=Sorge; Furcht; 'nought'=Null,ohne, keine; 'Dreadnought' ='Sorglos'; 'Furchtlos'
 
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Die tuerkische Bestellung der beiden 'dreadnoughts' hat absolut nichts mit diesen Gedankengaengen zu tun gehabt. Sorry.
[dreadnought=dread[/I]=Sorge; nought=Null,ohne, keine; dreadnought=''Sorglos' = Sansouci]
Ich glaube eher weniger, dass man aus der wörtlichen Bedeutung des Namens einer Schiffsklasse die Motivation zum Kauf ableiten kann, aber wenn man das schon versucht, sollte man wenigstens genau sein. "dread" würde ich hier eher mit Furcht übersetzen, was nicht dasselbe wie Sorge ist. Gemeint ist hier wohl, dass es sich um Schiffe handelt, die keinen Gegner zu fürchten haben. Es geht also nicht um sorgenloses Lustwandeln oder Herumschippern, wie es bei "Sanssouci" vielleicht die Assoziation mit dem gleichnamigen Schloss nahelegen soll.
 
Ich glaube eher weniger, dass man aus der wörtlichen Bedeutung des Namens einer Schiffsklasse die Motivation zum Kauf ableiten kann, aber wenn man das schon versucht, sollte man wenigstens genau sein. "dread" würde ich hier eher mit Furcht übersetzen, was nicht dasselbe wie Sorge ist. Gemeint ist hier wohl, dass es sich um Schiffe handelt, die keinen Gegner zu fürchten haben. Es geht also nicht um sorgenloses Lustwandeln oder Herumschippern, wie es bei "Sanssouci" vielleicht die Assoziation mit dem gleichnamigen Schloss nahelegen soll.
Inhaltlich hat er hier allerdings wahrscheinlich zumindest bei einem der beiden Schiffe insofern recht, dass es bereits vor dem Beginn des Krieges mit Italien in Auftrag gegeben wurde, also keine Reaktion darauf darstellen kann (das zweite kaufte das Osmanische Reich 1913 im halbfertigen Zustand der brasilianischen Regierung ab, die anscheinend ein Problem mit den Kosten bekommen hatte.
 
Das ist durchaus zutreffend.

Joh, Churchill hatte ohne Billigung des Kabinetts schon mal vorauseilend gehandelt. Die Billigung kam dann nachträglich.
Joh, widdah dahnehm [...]
"
Die Türken ahnten, was Churchill vorhatte. Rauf Bey und seine Matrosen, die sich bereits an Bord der SULTAN OSMAN I in der Tyne befanden, versuchten, die türkische Flagge zu hissen und seine Schiffe zu entführen. *

Am 29. Juli warnte das brit. Auswärtige Amt die Admiralität, dass die SULTAN OSMAN I Treibstoff aufnahm und den Befehl hatte, sofort nach Istanbul zu fahren, obwohl sie noch nicht fertig war. Churchill wies sofort britische Sicherheitskräfte an, die Schiffe zu bewachen und die türkischen Besatzungen daran zu hindern, die Schiffe zu entern oder die osmanische Flagge über ihnen zu hissen. Um die Schiffe herum war es zu Zusammenstößen gekommen, die sowohl auf türkischer als auch auf britischer Seite einige Todesopfer forderten. Am 31. Juli akzeptierte das Kabinett Churchills Ansicht, dass er beide türkischen Schiffe für die königliche Marine übernehmen sollte, um sie im Kriegsfall gegen Deutschland einsetzen zu können. Nach dieser Entscheidung wurde die SULTAN OSMAN I zur HMS Agincourt und die HADIEH zur HMS Erin. Diese Ereignisse lösten in der Türkei große Enttäuschung und Hass aus und zwei Tage später wurde ein Abkommen zwischen dem Osmanischen Reich und Deutschland unterzeichnet. Dieses etwas plumpe Verhalten fuehrte direkt zum Kriegseintritt der Tuerkei.

türkischen Besatzungen daran zu hindern, die Schiffe zu entern oder die osmanische Flagge über ihnen zu hissen. *
*Das wirft eine interessante Frage auf: 'Konnte zu diesem Zeitpunkt und in dieser Verfassung die SULTAN OSMAN I den Status souveraenes,tuerkisches Hoheitsgebiet beantspruchen? Selbst wenn die SULTAN OSMAN I 100% seetuechtig mit gehisster Flagge, voll bezahlt und mit kompletter Mannschaft auslaufbereit gewesen waere so haette sie dennoch nicht tuerkisches Hoheitsgebiet beanspruchen koennen...weil.....ihr vom Hersteller kein 'title' ,verbriefte, offizielle Eigentumsbescheinigung und somit Registrierung feierlich ueberreicht worden wurde.
Unter Kriegsrecht hatte GB/Churchill das Recht die beiden Kriegsschiffe ohne Entguetung voruebergehend zu beschlagnahmen (to commandeer). Zu dem Zeitpunkt fand sich GB jedoch nicht im Kriegszustand mit den Osmanen, GB war demnach also nicht berchtigt die beiden Kriegsschiffe zu beschlagnehmen.
Auch haette GB die beiden' commandeered' tuerkischen Kriegsschiffe nach 1.WK-Kriegsende den osmanischen Auftragsgebern zurueckgeben muessen, was zum schaeumendem Zorn der Tuerken auch nicht geschah. Dieses fragwuerdige Verhalten der Briten war dann auch der Grund gewesen, warum die Tuerken quasi ueber Nacht seine Interessen weg von GB und hin zum DR umdrehten und warum dieses plumpe, britische Verhalten ultimativ zum tuerkischem Kriegseintritt fuehrte.



Grey suchte noch einen Grund, um in dem Krieg einzutreten, den er dann für das eigene Parlament und die interessierte Weltöffentlichkeit ins Schaufenster stellen konnte. Motto: Schaut her, wir ziehen aus edlen und uneigennützigen Gründen in dem Krieg, um das arme Belgien vor den Barbaren zu retten.
 
Ich glaube eher weniger, dass man aus der wörtlichen Bedeutung des Namens einer Schiffsklasse die Motivation zum Kauf ableiten kann, aber wenn man das schon versucht, sollte man wenigstens genau sein. "dread" würde ich hier eher mit Furcht übersetzen, was nicht dasselbe wie Sorge ist. Gemeint ist hier wohl, dass es sich um Schiffe handelt, die keinen Gegner zu fürchten haben. Es geht also nicht um sorgenloses Lustwandeln oder Herumschippern, wie es bei "Sanssouci" vielleicht die Assoziation mit dem gleichnamigen Schloss nahelegen soll.
Ja, 'Furcht' war mir auch auf der Zunge gewesen, kam aber nicht raus. Also 'HMS FURCHTLOS'. Danke fuer Deinen guten Einwand. Und jetzt muss ich in's Bett gehen. :)
 
Dieses etwas plumpe Verhalten fuehrte direkt zum Kriegseintritt der Tuerkei.
Zu dem wäre es in der Kriegskonstellation ohnehin gekommen, weil Istanbul ja über die russischen Interessen an den Meerengen gut bescheid wusste und es für die Hohe Pforte auch klar sein musste, dass wenn die Zentralmächte diesen Krieg verlieren würden niemand mehr da sein würde, der die Russen daran hindern könnte sich zu nehmen, was sie wollten.

Dem Osmanischen Reich blieb also nichts anderes übrig, als auf die Zentralmächte zu setzen und im Sinne von deren Chancen den Krieg zu gewinnen zu agieren.
 
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