Ich meinte nicht etwa dass man bestimmte Errungenschaften ignorieren und Gesellschaften auf irgendwelche religiösen Ideen reduzieren soll, sondern dass eine Zivilisation an sich eine Errungenschaft ist, und nicht jede Kultur eine Zivilisation hervorbringt
Und das ist aus meiner Sicht ein Irrtum.
Unter "Zivilisation", lässt sich alles verstehen, was in irgendeiner Weise zivilisatorische Merkmale aufweist und insofern man darunter vor allem Schlüssel-Fähigkeiten und Grundlagen für die weitere Entwicklung versteht, wird man durchaus feststellen können, dass jeder dauerhaft bestehende menschliche Gruppe früher oder später gewisse Zivilisationsmerkmale ausprägen wird, wenn möglicherweise auch auf einem eher bescheidenen Niveau.
Eine Jäger- und Sammlergesellschaft ist keine Zivilisation
Selbst eine Jäger- und Sammlergeselslchaft, kennt sehr wahrscheinlich bereits ausbaufähige organisatorische Prinzipien, wie Arbeitsteilung (verschiedene Aufgaben der Mitglieder bei der Jagd), oder die grundsätzlich Vermittlung und weitergabe von Wissen (z.B. im Bezug auf Techniken zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen, deren Materialeigenschaften etc. etc.).
Das erreicht natürlich nicht unbedingt das deutlich komplexere Niveau größerer, sesshafter post-neolithischer Gruppen, denen in der Regel auch viel größere Ressourcen zur weiteren Ausbildung zivilisatorischer Merkmale zur Verfügung standen, ist aber nicht wegzudiskutieren, weil es kulturunabhängig vorhanden ist.
Warum sollte hier keine Vergleichbarkeit vorhanden sein?
Z.B. wird man das mündliche Tradieren von Informationen und Wissen, als die Basis des Konzepts "Wissensvermittlung" ansehen können. Gefolgt von Entwicklungsstufen, wie der Erfindung grundsätzlich bedeutungstragender Zeichen, später komplexerer Schriftlichkeit, mit der sich auch abstrakte Dinge sehr viel besser ausdrücken lassen, Einführung massentauglicher Schriftträger, Druck, Einführung flächendeckender Elementarbildung und so weiter.
Gruppen, die die Basisstufe des Konzepts erschlossen haben, können ohne weiteres und zwar kulturunabhängig die weiteren Stufen erschließen oder von anderenn Gruppen übernehmen.
Der Umstand etwa, dass wir in Mittel und Westeuropa mehr oder weniger alle die lateinischen Buchstaben benutzen (selbst in Gegenden in die das römische Reich nie hin reichte und wo die Bevölkerung zu keiner Zeit an die römische Kultur assimiliert war) belegt das ja.
Um die unterschiedliche Bedeutung von Zivilisation und Kultur an dem einfachen Beispiel Schriftlichkeit festzumachen:
- Die grundsätzliche Fähigkeit, sich der Schriftlichkeit zu bedienen, ist keine kulturelle, sondern eine zvilisatorische Errungenschaft.
- Kulturell bedingt, wäre die Frage für welches Zeichensystem man sich entscheidet.
Allerdings hat diese Entscheidung keinen maßgeblichen Einflus darauf ob über die Schriftlichkeit Wissenssicherung und Vermittlung grundsätzlich erreicht werden können.
Sie mag einen gewissen Einfluss darauf haben, ob es eher leicht oder eher schwer ist zu einer weiteren Entwicklugsstufe überzugehen. Je komplizierter die Zeichen sind und je größer ihre Menge (z.B. die Chinesischen Schrifzeichen), desto schwerer fällt es natürlich technisch zum massenhaften Drucken überzugehen und desto teurer ist die Einrichtung einer Druckerpresse, womit auch die Kosten des Produkts steigen.
Oder je dezentraler eine Gesellschaft organisiert ist (z.B. das mittelalterliche Europa), desto schwierieger muss sie es natürlich haben Wissen zusammen zu tragen und zu speichern, weil kein Gesamtüberblick über die Ressourcen vorhanden ist und es sehr wahrscheinlich vorkommt, dass deswegen verschiedene Erkenntnisse mehrfach unabhängig voneinander gemacht werden müssen um sich zu verbeiten.
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Aus diesem Grund, wäre das Thema "Kultur", wenn man sich über die Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft auslassen möchte eher zu vernachlässigen, wichtiger wäre die Frage, welchen Stand sie bereits erreicht hat und wie einfach/schwierig es von dort aus unter den gegebenen Umweltbedingungen (stehen z.B. Schlüsselressourcenn zur Verfügung?) ist zu einem höheren Niveau in den eigenen Fähigkeiten zu kommen.
Zumal -ich wiederhole mich - Kultur ohnehin etwas fluides und stark veränderliches ist, dass schon aus diesem Grund kaum als feste Messgröße dienen kann, wenn man sich über zukünftige Entwicklungspotentiale auslassen möchte, da man die Entwicklung der Kultur selbst in der mittelfristigen Zukunft nicht absehen kannn.
Z.B. wird man, wenn man das kulturspezifisch angeht dem europäischen ausgehenden Früh- Hochmittelalter attestieren können, nach modernen Begrifflichkeiten ziemlich wirtschaftsfeindlich gewesen zu sein, wenn man z.B. an das religiös motivierte Zins- und Wucherverbot so wie die kulturell durchaus negativ konnotierte Bewertung von Profit und Reichtum in dieser Zeit denkt.
Im ausgehenden Mittelalter und im Speziellen in den von der Reformation erfassten Gebieten Europas kippt diese Bewertung, die sicherlich als kulturelles Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden kann, allerdings total.
Und das ohne größere Anstöße von außen, die denn Europäern ihre Kulturtraditionen aberzogen hätten, sondern durchaus von innen heraus.
Sowas kann man durchaus auch an außereuropäischen Gesellschaften beobachten.
Als in Japan die Sengoku-Zeit nach der Schlacht von Sekigahara (1600) und der endgültigen Etablierung des Tokugawa-Shogunats endete und die Edo-Zeit begann, etablierte sich in Japan eine ständische Gesellschaftsordnung, die als ersten und vornehmsten Stand, den Kriegerstand kannte, als zweiten den der Bauern und Landbesitzer, als dritten den der Handwerker und als vierten und rangniedrigesten in der Gesellschaftshierarchie den der Händler.
Man könnte also sagen, dass die damalige kulturelle Auffassung, die in Japan Gültigkeit hatte, dem profitorientierten Handel am wenigsten Achtung entgegen brachte und vor allem, neben dem traditionellen Schwertadel den Landbesitz als am stärksten prestigeträchtigen Wirtschaftszweig in der Sozialhierachie ansah.
Dementsprechend musste auch das Ziel von jedem, der in der Sozialhierarchie aufsteigen und etwas werden wollte, in erster Linie zunächst einmal darin gelegen sein, irgendwie Landbesitzer zu werden und von Handwerk und vor allem vom Handel möglichst die Finger zu lassen.
Diese Sozialhierarchie gerät bereits vor der Öffnung Japans für den größer angelegten Austausch mit dem Westen spätestens im frühen 19. Jahrhundert komplett aus den Fugen und in Schlagseite.
Warum? Einfach deswegen, weil sich Handwerk und Handel wesentlich dynamischer weiterentwickeln konnten, als die Landwirtschaft und sich die wirtschaftliche Macht zunehmend dorthin verschob, mit der wirtschaftlichen Macht, dann sukzessive auch das Sozialprestige folgte, was die überkommene Feudalordnung und ihre Sozialhierarchie zunhemend infragestellen musste.
Und im Fall Japans, wird man wegen der 200 Jahre langen, weitgehendenn Abschottung des Landes gegenüber dem Austausch mit Europa nicht davon ausgehen können, dass hier äußere Einflüsse aus dem Westen eine besondere Rolle spielten um das weitgehend umzudrehen.
Die überkommene Sozialordnung war einfach in Widerspruch zu der Entwicklung ihrer Materiallen Grundlagen geraten, im Besonderen in Widerspruch, mit der zunehmend dynamischen Entwicklung von Wirtschaftszweigen, die traditionell eigentlich eher geringgeschätzt bis verachtet wurden (die allerdings durchaus von der langen Friedensperiode der Edo-Zeit die durch diese Macht- und Sozialordnung eingeletet war, durchaus strukturelle Vorteile gewinnen konnte).
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Damit zu argumentieren, das Kastenwesen in Indien oder andere Kulturtraditionen, wären ein dauerhaftes Entwicklungshindernis gewesen, ist schon deswegen unzulässig, weil überhaupt nicht abgesehen werden konnte, ob und wie lange sie noch bestand haben würden und wie sie sich möglicherweise verändert hätten, hätte es den Eingriff von außen nicht gegeben.