Bismarcks Kolonialpolitik

Turgot

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Im Folgenden möchte ich hier nach und nach ein paar Informationen zur Kolonialpolitik von Bismarck einstellen.

Beginnen möchte ich mit einer Aufzeichnung des Generaladjutanten Carl von Wedel. Wedel notiert in seinem Tagebuch unter dem Datum des 12.Februar 1891 das Folgende:

Heute erlebte ich eine ganz interessante Episode. Als ich nämlich heute vormittag mit dem Kaiser zu Marschall kam und wir dort von Bismarcks Auftreten gegen die Kolonialpolitik der Regierung und speziell gegen den Kolonialvertrag mit England sprachen, sagte der Kaiser plötzlich zu Marschall und mir: " Und wissen Sie denn überhaupt, wem wir unsere Kolonien verdanken? Als wir verneinend antworteten, meinte er: das sei ihm auch früher fremd gewesen, doch sei er letzthin, und zwar durch eine genau informierte Person, darüber orientiert worden. Als nämlich Kaiser Wilhelm I. immer älter geworden und damit ein Thronwechsel in immer größere Nähe gerückt sei, habe Bismarck in der Furcht, daß der englische Einfluß durch die Kaiserin Friedrich die deutsche Politik beherrschen werde, die Kolonien geschaffen, um damit ein Objekt zu besitzen, das er im Notfall jederzeit zur Heraufbeschwörung von Streitigkeiten mit England und damit zu einer Erkaltung unserer Beziehungen zu jener Macht benutzen könne."

Carl von Wedel, Zwischen Kaiser und Kanzler, S.151
 
Im britischen Außenministerium und in der Kolonialbehörde machten sich die Verantwortlich, Granville und Derby, auch so ihre Gedanken, was denn Bismarcks Motive zur plötzlichen Kolonialpolitik sein könnten.

Aus Derbys Tagebuch erfahren wir unter dem Datum des 19.August 1894,

"What can he gain picking a quarrel with us." (1)

Später meinte Derby den Grund in der Innenpolitik Deutschlands gefunden zu haben.

"The Crown Princess is his avowed enemy, & controls her husband the future emperor: & he ist working to destroy her influence by holding her up as the representative of English Ideas, & English as the enemy of Germany."(2)

Derby, Diaries S.696-697
Derby, Diaries S. 742
 
Der französische Botschafter in Berlin, Courcel, in einem streng vertraulichen Privatbrief an seinem Chef, Freycinet in Paris am 28.Mai 1885

Bismarck hat sich im Gespräch mit ihm folgendermaßen geäußert: Der Gesundheitszustand des Kaisers sei beunruhigend; man müsse sich auf dem Thronwechsel einstellen. Bismarck wisse nicht, ob er dann im Amt bleiben werde; der Kronprinz hege den Wunsch, Neuerungen einzuführen: er ignoriere aber die Realität, seine Gemahlin habe einen großen Einfluß auf ihn; man müsse sich auf eine Ära der Coburgs einrichten; er - Bismarck - könne zwar Kanzler und Leiter der Außenpolitik bleiben; wäre er zwanzig Jahre jünger, könnte er den neuen Herrscher langsam auf dem Pfad der richtigen nationalen Interessen führen; jetzt fühle er aber nicht dazu die Kraft in sich; bei einem Thronwechsel sei Hinneigung zu England zu gewärtigen; die jetzige deutsch-französische Annäherung könne zurückgedreht werden; er hoffe nicht, daß man deutscherseits England den Gefallen tue, Krieg mit Rußland zu führen; auf jeden Fall werde sich Rußland weniger auf Deutschland verlassen und eher mit England handelseinig werden; er empfehle der französischen Politik, England nicht mit Samthandschuhen anzufassen, sich aber in der ägyptischen Frage zu einigen; dies habe er auch Lord Rosebery (während des Bessuchs in Berlin) wissen lassen.-

Nachdem beide Gesprächspartner sich erneut über den bedenklichen Gesundheitszustand des Kaisers (Blasengries) unterhalten hatten, brach Bismarck in einem Krampf aus und rief: Ein Vierteljahrhundert habe ich den Kaiser nicht verlassen [...] Wenn ich ihn verliere, wäre die Welt für mich nicht mehr dieselbe.

Hatzfeld, dem Courcel einiges von seiner Unterredung mit Bismarck mitgeteilt hatte, zeigte sich überrascht: Er glaube nicht, das der Kaiser ernsthaft krank sei und Bismarck sich mit dem Kronprinzen auseinanderdividieren könne. Bismarck scheint in der ägyptischen Frage wieder auf seinen Kurs von 1882 zurückzukehren, nämlich Ägypten England zu überlassen und Frankreich zu einer Verständigung darüber mit England zu raten. Damit verläßt er den Versuch, das englische Reich durch eine Dreier-Entente (Deutschland, Frankreich, Rußland) nicht nur zum Verlust Ägyptens, sondern auch Indiens und seiner Kolonien zu zwingen.


Documents diplomatiques francais I.6, S.40-47
 
Auszug Tagebucheintrag Hohenlohe-Schillingfürst v. 26.10.1883

Bleichröder zu Besuch. Dieser sorgt sich um das Verhältnis des Kronprinzen zu Bismarck. Wie werde sich der Kronprinz, wenn er Kaiser werde, zu Bismarck stellen? Der Mann des Kronprinzen sei Forckenbeck. Den werde Bismarck nie akzeptieren wohl aber Benningsen. Bleichröder hält den Einfluß der Kronprinzessin für gefährlich. Das Verhältnis zwischen Kronprinzen und seinem Sohn Wilhelm, den Bismarck schätzt, sei unterkühlt.

Rogge, Holstein und Hohenlohe, S.205
 
Auszug aus einem Tagebucheintrag der Baronin Spitzemberg vom 02.Dezember 1883

Die Baronin war zu Besuch beim Kanzler in Friedrichsruh. Der Kanzler führte aus:

"Das Volk kann nicht reiten! Die war haben, arbeiten nicht, nur die Hungrigen sind fleißig und die werden uns fressen. Ich sage dies ohne Bitterkeit und ganz ruhig: ich sehe schwarz in Deutschlands Zukunft. Wenn die Forchow und Wirkenbek (Virchow und Forkenbek) ans Ruder kommen und von oben her protegiert werden, so fällt alles wieder auseinander. Sie sind alle kleinlich und enge, keiner wirkt für das Ganze, jeder stoppt nur an seiner Fraktionsmatratze."

"Aber", entgegnete Schweinitz (deutscher Botschafter in Petersburg; Anmerkung von mir) "Preußen wird immer reiten können und die Jugend, die in den großen Traditionen erwachsen ist, auf die zähle ich." [...]

Sehr ernst und ergriffen gingen wir auseinander.

Die Fürstin fügte bei, das Bismarck oft nächtelang simuliere, wenn er scheidend sein Werk überlassen könnte und keinen finde: "Sie sind zu eng, so eng!" klagt der große Mann.

Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg 1859 - 1914, S.202
 
Auszug aus einem Brief Bismarcks an Kaiser Wilhelm I. vom 16.November 1883

Bismarck berichtete über ein Gespräch mit dem russischen Außenminister Giers.

Beunruhigender wäre für uns die Truppenanhäufung auf der Grenze, gegen die wir aber nicht reklamieren , sondern nur einige Garnisionsverstärkungen auch unsererseits auf schwachen Punkten unserer Grenze vornehmen würden.
Mein russischer Kollege bestritt jede aggressive Tendenz der Truppenzusammenziehungen mit dem Bemerken, daß diese nur solange, als die russischen Grenzbefestigungen so gut wie gar nicht existiere, einen Ersatz für die mangelnden Fortifikationen bildeten und überflüssig würden, wenn die Grenzbefestigungen vollendet wären.
Aug meine Frage, ob man dann wirklich glaube, das Deutschland auf den Gedanken eines Angriffskrieges gegen Russland kommen könne, war die Erwiderung, das man nicht befürchte, solange Eure Majestät regierten, daß aber bei etwaigen Thronwechsel diesselbe Sicherheit der Überzeugnung nicht mehr haltbar sei, und der englische Einfluß an unseren Hofe prävalieren könne.

Große Politik der Europäischen Kabinette, Band 3, S.302
 
Das sind letzten Endes Zukunftsängste Bismarcks, die ihm dazu veranlassten, die Kolonialpolitik zu starten.
Ziel war der eigene Machterhalt zur Sucherung der eigenen Schöpfung, eben Das Deutsche Reich, den Kronprinz so mürbe zu machen, das dieser sich nicht auf große liberale Experimente einlässt und schließlich Zoff mit England, nur temporär, bis Gladstone gestürzt ist und keine Stütze mehr für das Kronprinzenpaar sein kann.
Alle Ziele waren um die Jahresmitte 1885 erreicht.

Es freut mich, das sich jemand für dieses hochinteressante Thema interessiert.
 
...ich fürchte, das würde viel zu weit weg vom Thema führen, denn: du hattest eine Textstelle vom
zitiert, in welcher der russische Festungsbau (an der Westgrenze) angesprochen war - fatalerweise ist alles, was sich (nicht nur dort) im Festungsbau von 1875-83/84 tat, schon ein-zwei Jährchen darauf Makulatur: die Brisanzgranatenkrise 1885 zwang zu gänzlich anderen Festungskonzepten. Das konnten Bismarck & Co. 1883 nicht wissen.
1883 waren die russ. Großfestungen Modlin, Warschau, Kaunas, Iwangorod, Brest noch im Bau, folgten den dann zwei Jahre später hoffnungslos veralteten Konzepten der Bieler und Brialmont Fortgürtel. Nach 1890 setzte dann die Verwendung von Beton/Stahlbeton, Panzerbatterien und "gesplittete Bauweise" ein.
 
Das Interesse ist hier ja auch leider auch überschaubar.

Auszug aus dem Tagebuch Holstein vom 15.04.1884

Wenn der Kanzler sich mit der Gruppe Benningsen-Miquel jetzt verständigt und die alsdann unter dem nächsten Regiment in Preußen ans Ruder kommen, ist damit schroffen Umwälzungen vorgebeugt. Denn wenn das Kabinett Benningsen zu Sturz gebracht werden sollte, während Bismarck noch im Reich mitzureden hat, wird er jedenfalls bei Kaiser und Volk Einfluß genug haben, um zu verhindern daß Forckenbeck, Bamberger, Richter und Konsorten herankommen.

Friedrich von Holstein, Die geheimen Papiere, Band 2, S.126f
 
Auszug aus einem Privatbrief Holsteins an Eulenburg vom 24.11.1896

Der Kaiser hat dem Direktor der Kolonialabteilung Richthofen gesagt:
Unsere Kolonialpolitik hat Bismarck nur erdacht, um einen Keil zwischen uns und England zu treiben wegen der englischen Einflüsse. Er solle das Geld, das der Reichstag bewillige, für Ostafrika, nicht für Südwestafrika verwenden.

Hatzfeld, Nachgelassene Papiere, Band 2, S.1098
 
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