Fragen des Anbaus / Landbaus sesshafter Indigener, ob und wie weit sie "nachhaltig" waren oder nicht, interessieren mich, weil sie dazu beitragen, den Mythos des "ökologischen Indianers" durch ein realistisches, geschichtswissenschaftlich fundiertes Bild zu ersetzen ...
Ich denke der Begriff eines "ökologischen Indianers" führt was die indigenen Kulturen Nordamerikas vor dem 20. Jahrhundert angeht ohnehin insofern in die Irre, als dass er ein ökologisch geprägtes Mindset und eine bewusste Entscheidung für ein daran ausgerichtetes Leben impliziert.
Sich ökologischer Entwicklungen aber vollauf bewusst zu sein, setzt vorraus über ein Methodenset zu verfügen, diese überhaupt erfassen und verstehen zu können.
Das ist aber in größerem Umfang erst seit dem vergangenen Jahrhundert möglich, während wirklich radikal umweltzerstörende Lebensweisen, die über lokale Phänomene (wie etwa die drastische Reduktion einer bestimmten Tierpopulation in einem begrenzten Gebiet) hinausging, eigentlich auch erst mit der Industrialisierung oder früherstens mit der ausgedehnten Großlandwirtschaft etc. ab dem 18. Jahrhundert in die Welt kam.
Insofern würde ich sagen, ist im Grunde die gesamte Debatte müßig, weil es sich um eine Rückprojektion moderner Probleme in eine Vergangenheit handelt, die für diese Probleme insgesamt noch kein oder kaum ein Bewusstsein hatte und in weiten Teilen auch nicht haben konnte, weil die Auswirkungen zum Teil nicht mess- oder erfahrbar waren.
Z.B. die Rodung von Regenwaldflächen macht uns heute ja vor allem deswegen Sorgen, weil wir mittlerweile eine Vorstellung davon haben, welche Funktionen die Vegetation dort eigentlich erfüllen (Sauerstoffproduktion, CO²-Speicher, wichtiger Lebensraum für verschiedene Tierarten, interdependenter Zusammenhang der verschidenen Pflanzen und vorhandenen Tiere als Ökosystem insgesammt, etc.) und auch weil wir natürlich mittlerweile Vorstellungen von den weltweiten Beständen haben und Theorien darüber, wie sich das auswirken könnte, wenn diese drastisch reduziert werden.
Aber woher hätten Personen die, sagen wir mal vor dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts lebten ein solches Bewusstsein haben sollen?
In dieser Zeit waren, wenn überhaupt nur lokale Auswirkungen menschlichen Aggierens erfassbar.
Wenn da größere Waldflächen verloren gingen, dann besorgte dass die ansässige Bevölkerung vielleicht weil Bau- und Brennholz knapper wurden oder mit der Verkleinerung der Waldflächen bestimmte tierische Produkte seltener wurden, weil die Tiere eben auswichen.
Mit ziemlicher Sicherheit erregte auch die damit einhergehende Umwandlung von mehr oder minder Allmende-Gebieten, die allen zur Nutzung offenstanden, in exkludirendes Privateigentum Besorgnis und Ärger.
Und sicherlich wurde in diesem Zusammenhang auch der Verlust von Naturflächen von denen, die von dem Privateigentum, in dass sie umgewandelt wurden, ausgeschlossen waren, beklagt.
Aber wahrscheinlich sehr viel mehr aus (subsistenz)ökonomischen, als aus ökologischen Motiven heraus.
Der Gegenstand ist dabei weniger die Rekonstruktion des Alltags / der realen Praktiken der Indianer im Hinblick auf die "Umweltgeschichte", sondern vielmehr die Konstruktion der Indianer als Mythos. Dies ist auch eine Form der Vereinnahmung oder cultural appropriation.
Dies kann man (meta-) historisch erforschen. Dann wird die Geschichte von – im Extrem frei erfundenen – Geschichten über die Indianer erforscht.
Mit frei erfunden wäre ich vorsichtig. Möglicherweise wurden da zum Teil Dinge missverstanden, was natürlich durchaus häufig passieren kann, wenn man mit einem modernen Mindset auf frühere Gesellschaften zurückblickt.
Und natürlich können auch überlieferte schriftliche Zeugnisse irreführend sein, weil derjenige, der sie mal niedergelegt hat, natürlich keine Vorstellung davon haben konnte, welche Entwicklungen und auch Bedeutungsverchiebungen von Begriffen sich im Laufe der Zeit ergeben würden, was spätere Diskurse beeinhalten würden und wie eine spätere alltägliche Normalität aussehen würde.
Um einfach mal ein Beispiel davon zu geben, was ich meine:
Wenn man sich mal Quellen und Literatur aus dem 19. Jahrhundert (im Besonderen 1. Hälfte) zum Thema Fabrikarbeit anschaut, wird man feststellen, das die von Teilen der damaligen Bevölkerung, die damit zu tun hatte, mehr oder weniger als eine Art ziemlich extremer Freiheitsberaubung empfunden wurde.
Warum war das so? Einfach weil diese Leute aus dem Kontext einer Agrargesllschaft kamen, in der es zumeist keine durchgeplante und durchdisziplinierte Einteilung des Arbeitstages gab. Ein eigenständiger Subistenzbauer oder Handwerker konnte sich seinen Tagesablauf einteilen, wie ihm das gerade passte, so lange er mit seiner Arbeit über die Runden kam.
Selbst ein grunduntertäniger Bauer, der seinem Grundherren Hand- und Spanndienste schuldig war oder ein in der Landwirtschaft beschäftiger Tagelöhner oder ein Gemeindehirte oder vergleichbares, hatten nicht den straff durchorganisierten Arbeitsablauf der Industriearbeiterschaft, sondern die bekamen eben einen Auftrag/ein Arbeitspensum, vorgegeben, den oder dass sie zu erledigen hatten, aber ohne dass ihnen jemand vorschrieb, wie sie die Arbeit einzuteilen hatten und ohne dass sie an ihrem Arbeitsplatz nach Schließung eines Fabriktores mehr oder weniger eingesperrt waren, ohne dass permanent ein Aufseher herumlief, der darauf achtete, dass alles in Bewegung blieb, ohne das vorgeschrieben war, wann Pausen eingelegt oder Mahlzeiten eingenommen wurden oder das Löhne gekürzt wurden wenn zu viel Zeit auf dem Abort verbracht wurde etc. etc.
Diese Implikationen wären aber einem historisch eher unbedarften Leser des frühen 21. Jahrhunderts oder sagen wir der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht klar, weil geregelte Arbeitszeiten und durchgeplante Arbeitstage und Termine, zu denen ein bestimmter Teil der Arbeit zwingend erledigt sein muss oder auch Arbeit mit Maschinen, die eine Anpassung des Menschen an den Arbeitsrythmus der Maschine erfordern für diesem Menschen schon immer ein Teil der erlebten Realität war und der Konntrast überhaupt nicht da ist, anders als bei dem Menschen des frühen 19. Jahrhunderts, der durch die wirtschaftlichen Umbrüche aus seiner Normalität gerissen und in diese ihn irritierenden Verhältnisse gebracht wurde.
Würde ein historisch eher unbedarfter Leser des 20. Jahrhunderts die Aufzeichnungen von industriearbeitern des frühen 19. Jahrhunderts mit der Implikation "Fabrikarbeit ist Freiheitsberaubung" und "früher als es die lärmenden und stinkenden Maschinen noch nicht gab war's besser" lesen, dann würde er den Autoren wahrscheinlich für einen Kapitalismuskritiker, Kommunisten, oder frühen Umweltaktivisten halten.
Einfach weil dass die Diskurse in der Zeit des Rezipienten waren und weil Leute, die diese Diskurse bespielten vielleicht auch eine ähnliche Sprache benutzten.
Möglicherweise wollte der Autor aber eigentlich nur den Schwierigkeiten Ausdruck verleihen, die ihm die neuen Arbeitsroutinen und veränderten Bedingungen machten, ohne damit eine weitergehende politische Agenda in sozialen, wirtschaftspolitischen oder Umweltfragen zu verfolgen.
Die kann aber natürlich von jemanden, der sich die Verhältnisse der Zeit nicht angeschaut hat, ohne weiteres da hineininterpretiert werden.