Da hätte ich mal eine Frage...

Ich finde das Thema immer wieder interessant. Interessieren sich Menschen eher für Kriege? Können Menschen eine Epoche eher einordnen, wenn man sagt "Das ist die Zeit mit dem Siebenjährigen Krieg"? Ich habe den Eindruck, dass das früher stärker war, da der Geschichtsunterricht anders war. Ich kann da ja auch nur mit meinen persönlichen Erfahrungen aufwarten. Wenn ich in einem Museum Geschichte vermittle, dann gibt es viele Themen, die mindestens genauso interessieren, mit denen ich Besucher genauso gut abholen kann. Es ist natürlich so, dass Menschen besonders das interessiert, was heute den Weg auf die Titelseiten von Zeitungen finden würde: Räuber, Diebe, Krieg, persönliche Schicksale. Der Mensch interessiert sich einfach eher für Konflikte als für Alltagsleben.
 
Ja, aber diese Konflikte sind immer ein guter Einstieg in das Alltagsleben der entsprechenden Zeit, vor allem wenn man das Alltagsleben auch noch in den Konflikt einbetten kann.
 
Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schai - also ein Archäologe, ein Evolutionsbiologe und ein Historiker* - haben im Herbst das Buch Die Evolution der Gewalt vorgelegt. Sie schreiben, dass der erste nachweisbare Mord zwar vor 400.000 Jahren passierte, dass aber Krieg nicht in unseren Genen liege. Der Mensch sei eigentlich Katzenfutter, seine Stärke sei nicht der Kampf untereinander, sondern die Kooperation. Im Paläo- und Mesolithikum haben Gruppen sich ausgetauscht, wenn sie sich trafen, sprich, sie haben bei der Jagd (nachweislich) kooperiert und haben Gruppenmitglieder ausgetauscht. Also wenn zwei Gruppen sich wieder trennten, waren die Gruppenzusammensetzungen anders als zuvor. Der Krieg als organisierte Form von Gewalt sei eigentlich nur das letzte Prozent der Menschheitsgeschichte. Aber eben die geschriebene Geschichte.

*ich gebe zu, dass ich das hier ein wenig als argumentum ad verecundiam einsetze ;)
 
Und die wäre, was findet man eigentlich an Kriegen?

Diese Frage beschäftigt mich seit Kindheit als ich mit meiner Mutter 1946/1947 durch das zerstörte Chemnitz ging.

Auch hier im Forum ist eine Kriegslastigkeit zu beobachten. Zu so manches Ereignis wird ausgiebig diskutiert und auch die Anzahl der Threads, incl. der Beiträge dazu ist schon beeindruckend.

Manchmal denke ich der „Gombe – Stream – Nationalpark“ ist für so einige ein leuchtendes Vorbild.
Was die dort gemacht haben scheint ganz nach den Geschmack so einiger zu sein.
Denn was da dort so zwischen den 07.01.1974 – 05.06.1978 passierte, scheint bei so manchen der Sinn und Zwecke des Lebens zu sein.

Friedrich Nietzsche hat in Menschliches Allzumenschliches (Kapitel Ein Blick auf den Staat) einen Aphorismus über den Krieg geschrieben, der das Thema auf den Punkt bringt:

Krieg

Zuungunsten des Krieges kann man sagen: Er macht den Sieger dumm und den Besiegten boshaft.
Zugunsten des Krieges: Er barbarisiert in beiden ebengenannten Wirkungen und macht dadurch natürlicher;
Er ist für die Kultur Schlaf- oder Winterzeit, und der Mensch kommt kräftiger zum Guten oder Bösen aus ihm heraus.


Als ich 1967 geboren wurde, da waren Deutschlands Städte längst wieder aufgebaut, aber auf Schritt und Tritt stieß man auf Spuren des Krieges. Männer, die einen Arm, ein Bein, eine Hand oder ein paar Finger verloren hatten. Es gab ältere gestandene Männer, die plötzlich ganz ernst wurden, wenn wir als Kinder mit Spielzeugpistolen herumknallten, die einem sagten:

"Auf Menschen schießt man nicht! Auf Menschen zielt man nicht!"

Man spürte, dass der Krieg die Erwachsenen, die ihn erlebt hatten, sehr stark beschäftigte, obwohl er längst vorbei war, die deutschen Städte wieder aufgebaut. Es gab ältere Männer, die waren etwas wunderlich oder auch total schräg drauf, und als Erklärung warum sie so waren, wurde meist "der Krieg" angeführt.

Man hörte, dass dieser verschüttet war, ein anderer hatte danebengestanden, als eine Granate seinen ganzen Zug ausgelöscht hatte, und bei wieder anderen wollten einem die Erwachsenen gar nicht sagen, was ihnen passiert war, weil es so Grauenhaft war, dass man es nicht beschreiben konnte.
Immer wieder stieß man als Kind auf "den Krieg", vieles, was man hörte, aufschnappte hat man erst Jahre später so richtig kapiert, konnte man als Kind nicht ohne Weiteres einordnen, und fast jeder Deutsche der Kriegs- und Nachkriegsgeneration wird die Erfahrung gemacht haben, dass oft ein Wort, eine Anspielung fiel, und es stellte sich eisiges Schweigen ein, fast so, als gäbe es eine Verabredung, bestimmte Themen wie eine gefährliche Klippe zu meiden.
Großeltern erzählten von Geschwistern, die "gefallen" waren, von Bombenangriffen, von Fliegern. Man hörte von Kindern und halben Kindern, die "in den Krieg mussten". Es hingen Fotos an der Wand von Verwandten, von jungen Männern in Uniformen, und man hörte von fremd klingenden Orten, von Stalingrad, Kiew, Monte Cassino, Rschew, ,El Alamein.

Man erfuhr, weshalb ein Großvater ein Loch im Hals hatte und eine Kanüle tragen musste, man hörte auch so Manches, was nicht für Kinderohren bestimmt war. Krieg oder "der Krieg" schlechthin, das war ein Synonym für etwas unglaublich Zerstörerisches, etwas Grausames, etwas Barbarisches wie eine Naturgewalt.

Die Erwachsenen waren sich in einem Punkt zumindest einig: Krieg ist eine Hölle, und es darf so etwas nicht mehr geben. Aber selbst wenn Krieg für die deutsche Kriegs- und Nachkriegsgeneration nichts Heroisches, nichts Nachahmenswertes war, so hat das Thema doch fasziniert. Krieg-das ist sozusagen der absolute Ausnahmezustand, in dem Dinge erlaubt sind, ja in dem Dinge erwartet werden, was in Friedenszeiten ein absolutes No Go ist.

Krieg ist zweifellos ein Ausnahmezustand, eine Extremsituation, und menschliches Verhalten in Extremsituationen ist psychologisch sehr interessant, wenn Menschen etwas Ungewöhnliches tun, sich durch Bestialität oder durch Zivilcourage auszeichnen, dann ist das natürlich etwas, das aus dem Alltäglichen, Gewohnten herausragt, und ich halte es für psychologisch absolut nachvollziehbar, das so etwas eine gewisse Faszination hat und wohl auch immer haben wird.
 
Krieg ist zweifellos ein Ausnahmezustand, eine Extremsituation, und menschliches Verhalten in Extremsituationen ist psychologisch sehr interessant, wenn Menschen etwas Ungewöhnliches tun, sich durch Bestialität oder durch Zivilcourage auszeichnen, dann ist das natürlich etwas, das aus dem Alltäglichen, Gewohnten herausragt, und ich halte es für psychologisch absolut nachvollziehbar, das so etwas eine gewisse Faszination hat und wohl auch immer haben wird.
Das würde ich zumindest relativieren. Reizüberflutung kann zwar angenehme Gefühle auslösen, doch die Frage ist, warum? Werden Kleinkinder mit Reizüberflutung überhäuft, z.B. mit Fernsehen, mit sehr bunten Bildern, die von Erwachsenen im Glauben hergestellt wurden, für Kinder könne es nicht bunt genug sein, sowie heute mit Filmchen auf Smartphones, dann werden Trigger fürs Leben gesetzt. Davon abgesehen ist die Wirkung von Reizen bei Mädchen und Jungs unterschiedlich. (Bsp.: Buben reagieren auf bewegte Kleinobjekte viel interessierter als Mädchen)
Autofahren bspw. schöpft seine Attraktivität nicht zuletzt aus der Reizüberflutung, weil wir Menschen nicht für die Verarbeitung von einer derartig schnellen Bilderflut geschaffen sind. Und warum halten mittlerweile fast alle Menschen stets ein Smartphone in den Händen? Wegen den bunten, sich bewegenden Bildern, ohne denen die Hersteller die Massen wohl kaum zu diesem eigentlich völlig lächerlichen Verhalten hätten verführen können. Ähnliches ließe sich auch über akustische Reize aufzählen.

So frage ich mich (zumal ich mich schon als {sehr ruhiges} Kind über die bunte ›Kinderwelt‹ der Erwachsenen genervt habe), inwieweit die Sensationslüsternheit anerzogen sein könnte. Natürlich sind ungewohnte Eindrücke interessant, aber könnte es sein, dass die Steinzeit-Menschen das Morden weniger fasziniert hatte, dass sie Abenteuer generell eher mieden?
 
Das würde ich zumindest relativieren. Reizüberflutung kann zwar angenehme Gefühle auslösen, doch die Frage ist, warum? Werden Kleinkinder mit Reizüberflutung überhäuft, z.B. mit Fernsehen, mit sehr bunten Bildern, die von Erwachsenen im Glauben hergestellt wurden, für Kinder könne es nicht bunt genug sein, sowie heute mit Filmchen auf Smartphones, dann werden Trigger fürs Leben gesetzt. Davon abgesehen ist die Wirkung von Reizen bei Mädchen und Jungs unterschiedlich. (Bsp.: Buben reagieren auf bewegte Kleinobjekte viel interessierter als Mädchen)
Autofahren bspw. schöpft seine Attraktivität nicht zuletzt aus der Reizüberflutung, weil wir Menschen nicht für die Verarbeitung von einer derartig schnellen Bilderflut geschaffen sind. Und warum halten mittlerweile fast alle Menschen stets ein Smartphone in den Händen? Wegen den bunten, sich bewegenden Bildern, ohne denen die Hersteller die Massen wohl kaum zu diesem eigentlich völlig lächerlichen Verhalten hätten verführen können. Ähnliches ließe sich auch über akustische Reize aufzählen.

So frage ich mich (zumal ich mich schon als {sehr ruhiges} Kind über die bunte ›Kinderwelt‹ der Erwachsenen genervt habe), inwieweit die Sensationslüsternheit anerzogen sein könnte. Natürlich sind ungewohnte Eindrücke interessant, aber könnte es sein, dass die Steinzeit-Menschen das Morden weniger fasziniert hatte, dass sie Abenteuer generell eher mieden?



Natürlich haben Angehörige der Kriegsgeneration auch mal vom Krieg erzählt. In der Regel war das aber die Form der Schnurre, anekdotenhaft. Da war die Rede von Schleifern, von Abenteuern wie man Grundnahrungsmittel organisierte.
Die meisten Kriegsteilnehmer haben gar nicht oder sehr wenig vom Krieg erzählt, und wenn das manchmal aus ihnen herausbrach, so haben sie das aber nicht vor Kindern getan. Die meisten wollten über das, was sie belastete nicht sprechen, schon gar nicht vor Kindern.

Man wurde nicht mit Kriegserlebnissen reizüberflutet, im Gegenteil! Man schnappte hier oder da etwas auf, vieles davon nicht für Kinderohren bestimmt, man lernte, Puzzleteile zusammenzusetzen, aber man ahnte, dass der Krieg der Kriegsgeneration einen Stempel aufgedrückt hat, und die meisten haben gar nicht oder erst spät über Kriegserlebnisse gesprochen.

Mein Opa erzählte mal von der Kathedrale von Amiens. Die Altstadt von Amiens fiel komplett den Flammen zum Opfer, nur die Kathedrale war übriggeblieben, die Steine brannten nicht, glühten aber rot in der Nacht. Meine Oma erwähnte mal den Bombenangriff auf Kassel Oktober 1943. Die Stadt muss lichterloh gebrannt haben, und noch 60 km südlich konnte man den Brand sehen. Die Mutter eines Jugendfreundes, Jahrgang 1929 hat den Brand als Kind miterlebt. Einmal entfuhr ihr ein Satz: "Da brannten nicht nur Häuser, sondern auch Menschen", worauf sie sich sofort quasi entschuldigte und meinte, so etwas sollte man Kindern gar nicht erzählen.
Ein alter Bauer sagte mal, dass der Krieg alle seine Söhne "gefressen habe".

"Der Krieg" das war ein Synonym für etwas Zerstörerisches, etwas unfassbar Grausames, etwas Niederträchtiges, etwas Geheimnisvolles, über das die überwältigende Mehrheit der Kriegsgeneration nicht sprechen wollte, und es war etwas, über das man nicht mit Kindern sprechen wollte.

In Israel habe ich übrigens ganz ähnliche Erfahrungen mit den Angehörigen von Shoah-Überlebenden gemacht. Ich will die Erfahrungen nicht vergleichen, aber die Reaktionen waren durchaus ähnlich. Viele Überlebende konnten oder wollten über das, was sie erlebt hatten nicht berichten.
 
Natürlich haben Angehörige der Kriegsgeneration auch mal vom Krieg erzählt. In der Regel war das aber die Form der Schnurre, anekdotenhaft. Da war die Rede von Schleifern, von Abenteuern wie man Grundnahrungsmittel organisierte.
Die meisten Kriegsteilnehmer haben gar nicht oder sehr wenig vom Krieg erzählt, und wenn das manchmal aus ihnen herausbrach, so haben sie das aber nicht vor Kindern getan. Die meisten wollten über das, was sie belastete nicht sprechen, schon gar nicht vor Kindern.

Man wurde nicht mit Kriegserlebnissen reizüberflutet, im Gegenteil! […]
Meine Vorbehalte betrafen ausschließlich den letzten Satz in Deinem Beitrag(#26) und waren ganz und gar nicht auf Deine Erinnerungen gemünzt.(nach einer kürzlichen Diskussion über »Reizüberflutung« bei Kindern, wie sie von Müttern bspw. durch überbunte und heftig animierte digitale Spiele ruhiggestellt werden.) Mit dem Hinweis, dass die meisten Menschen heute schon als Kleinkinder viel mehr Reizen ausgesetzt sind, wollte ich nur die Vermutung äußern, dass die durchschnittliche Empfänglichkeit für Sensationen höher sein könnte als auch schon, d.h. nicht restlos angeboren sein muss.
 
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