Du erkennst ja selbst, dass die meisten Grundrechte nicht absolut gelten, sondern für bestimmte Fälle mehr oder weniger eingeschränkt werden. Das gilt sogar für das Recht auf Leben: Ist jeder Staat, in dem die (in einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren verhängbare) Todesstrafe zulässig ist, deswegen automatisch ein Unrechtsstaat? (Bitte keine Diskussion über die USA, Trump etc., zumal es die Todesstrafe u.a. auch in Japan gibt.) Oder die Diskussionen und unterschiedlichen rechtlichen Ansätze (vor allem in Zusammenhang mit der Frage, bis wann Abtreibung zulässig sein soll: gar nicht? Bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche? Bis zur Geburt? Bis zu einem bestimmten Lebensjahr?), wann das geschützte Leben überhaupt beginnt.
Die Todesstrafe ist eine völlig andere Diskussion. Das der Staat unter bestimmten Umständen das Recht für sich beanspruchen kann Menschen das Leben zu nehmen, ergibt sich ja bereits aus dem Anspruch sich oder seine Rechtsordnung verteidigen zu dürfen.
Im Kriegsfall, wird den zum Wehrdienst eingezogenen Landeskindern sogar offiziell befohlen zu töten, unter bestimmten Umständen ist es Polizeikräften erlaubt, in Abwehr gegenwärtiger Gefahren für Leib und Leben der Einsatzkräfte oder Dritte einen Angreifer zu töten.
Damit ist das Recht auf Leben auch in Zentraleuropa seinem Anspruch nach nicht absolut.
Das Problem, dass ich mit der Todesstrafe sehe ist weniger, dass das Leben ein Rechtsgut ist, dass unter keinen Umständen angetastet werden dürfte, als die fehlende Revidierbarkeit der Entscheidung im Falle von Justizirrtümern ein Quell von Unrecht sein könnte und zummindest innerhalb Europas auch der Wiederspruch zum Gedanken, dass bei der Bestraftung auf die Rehabilitation einer Person hingearbeitet werden soll, was bei der Todesstrafe ebenfalls ausgeschlossen ist.
Insofern, ja, ich halte die Todesstrafe für hochproblematisch. Mit der Begründung, dass zwar so ziemlich jeder Staat das Recht auf Leben als nicht absolut betrachtet, hier aber situativ zu unterscheiden wäre. Einer Person in einem Akt der Gefahrenabwehr das Leben zu nehmen kann alternativlos sein um größeren Schaden zu verhindern und in diesem Fall ist eine ausnahmsweise vorgenommene Einschränkung der Grundrechte z.B. eines Geiselnehmers oder Terroristen sicherlich zulässig, aber nur deswegen weil die Gefahrensituation, die es abzuwehren gilt es möglicherweise gebietet.
Bestrafungen von Tätern, von denen keine Gefahr mehr ausgeht, sind aber ein anderes Thema und hier muss die jederzeitige Überprüfung von Entscheidungen der Gerichte und ihre Revision im Fall des Auftauchens neuer Beweise möglich sein was einerseteits die Todesstrafe für mich als Teil eines ordentlichen Rechtssystems ausschließt und zweitens auch den Bogen zurück zum Thema DDR und Unrecht schlägt, denn die hatte ja bis 1987 in der Todesstrafe festgehalten.
Der Unrechtsgehalt der Tat wurde bei Vergewaltigung in der Ehe früher eben gerade nicht erkannt, zumindest nicht in dieser Weise, dass ein Ehemann, der die „ehelichen Pflichten“ seiner Ehefrau durchsetzt, als Vergewaltiger angesehen worden wäre.
Das kann ja nicht sein, wenn die Tat trotzdem, wenn auch niederschwelliger bestraft werden konnte.
Da ergibt sich für mich insofern ein Problem, dass eine Vergewaltigung ja die Strafbaren Handlungen der Nötigung/sexuellen Nötigung und der Körperverletzung mehr oder weniger vorraussetzt.
Wie kann aber der Unrechtsgehalt einer Handlung, in diesem Fall der Vergewaltigung in der Ehe nicht erkannt worden sein, wenn sie notwendig als Bestandteil Handlungen vorraussetzt, deren Unrechtsgehalt durchaus erkannt und strafbewehrt war?
Wie meinst Du das, das jede Form von Recht 'pervers' sein kann? 'pervers' = 'widernatuerlich'.
Ich meine damit, dass ich es für einen Irrglauben halte, positivem Recht Recht skeptisch gegenüber zu stehen, weil es für Zwecke gebraucht werden kann, die man moralisch möglicherweise als Unrecht empfindet und deswegen die absolute Sicherheit im überpositiven Naturrecht zu suchen.
Naturrecht kann genaus so eingesetzt werden, um Unrecht zu produzieren, je nach dem, wer gerade die Definitionshoheit darüber hat, was der Naturzustand oder die natürlichen Rechte sind.
Eine westeuropäische oder nordamerikanische Gesellschaft mag davon völlig andere Vorstellungen haben, als eine Afrikanische oder Asiatische und letztendlich hat überpositives Recht immer ein Legitimitätsproblem, wenn der Anspruch erhoben wird, dass auf verschiedene Kulturkreise auszudehnen, die von den Inhalten der nicht antastbaren natürlichen Ordnung verschiedene Auffassungen haben.
Das ist am Ende immer ein Streit um den rechten Glauben.
Das ist eine gaanz andere Baustelle. Vorueber gehende Paradigmen mit kurzer Verfallsdauer.
In historischen Kategorien betrachtet, haben die meisten Vorstellungen eine kurze Verfallsdauer. Mit Naturrechten für "Rassendiskriminierung" zu argumentieren, hat in Europa und den Amerikas 150-200 Jahre durchaus funktioniert und funktioniert in bestimmten Teilen der Welt vermutlich heute noch.
Die zehn Gebote hingegen sind bestimmt drei oder so tausend Jahre alt und heute noch so gueltig wie frueher. Wieso? Sie reflektieren natuerliches Recht.
Na hoffentlich nicht. Sie beeinhalten immerhin eine Forderung nach erzwungener Religion (1. Gebot), Einschränkung von Meinungsfreiheit (2. Gebot), die Forderung die eigenen Eltern zu ehren unabhängig davon, wie die ihre Kinder möglicherweise misshandelt haben (4. Gebot), sie beeinhalten technisch eine Forderung nach Zwangsehe, wenn postuliert wird, dass Ehebruch zu unterbleiben hat* (6. Gebot) und dass die Möglichkeit des Besitzes anderer Menschen impliziert wird (10. Gebot).**
Die Hälfte dieser 10 Gebote halte ich aus moderner Perspektive offen gesagt für ziemlich barbarisch, und mit moderner Rechtsauffassung in Europa und den Amerikas hat das zum Glück nicht mehr viel zu tun.
Übrigens, wenn diese 10 Gebote natürliches Recht reflektierten, dann müsstest du ja anerkennen, dass das Naturrecht, die Einschränkung der Glaubensfreiheit und die Sklaverei ausdrücklich erlaubt. Insofern bestätigst du damit sehr schön den Einwand, dass auch Naturrecht zu Unrecht führen kann.
Die DDR, wo jeder taeglich unter Angst gelebt hatte, ein boeser Spuk, ein schlimmer Albtraum. Wer aus 'der' Hoelle ohne seelischen Knacks rauskam, der musste schon viel Glueck gehabt haben.
Unrechtsstaat bedeutet nicht, dass jeder automatisch täglich in Angst lebt. Wenn das in der DDR der Fall gewesen wäre, hätte dieses Regime sich nicht 40 Jahre halten können.
De facto ist es für die Bewohner diverser Unrechtsregimes durchaus möglich sich mit dem System zu arrangieren, wenn das System klar definiert, welche Verhaltensweisen es toleriert und welche es bestraft.
Das ist nicht möglich in Staaten, die mit dem Unrecht, dass sie produzieren auf Rassismus abzielen, und damit auf unveränderliche genetische Merkmale (sie seien tatsächlich oder eingebildet), die vom Unrecht betroffene Gruppen nicht ablegen können um sich der Repression zu entziehen, wie im Nationalsozialismus oder in Staaten in denen Unrecht keine klar definierte Richtung verfolgt und in denen sich die Spielregeln, welche Verhaltensweisen das Regime akzeptiert und welche sie bestraft zum teil oft und abrupt ändern, wie es zeitweise in der Sowjetunion der Fall war, im Besonderen in der Stalin-Zeit.
Verglichen damit war das DDR-Regime in Sachen Repression aber relativ berechenbar, machte eigentlich keine Vorgaben, die Teile der Bevölkerung auf Grund äußerer Merkmale nicht erfüllen konnten und gab damit der Bevölkerung im Großen und ganzen die Möglichkeit sich damit zu arrangieren ohne tagtäglich Angst haben zu müssen, was die meisten DDR-Bürger auch taten.
Dokumentationen und Berichte über das Leben in der DDR, die diesen Staat als Ort schilderten, wo permanente Angst allgegenwärtig gewesen wäre konzentrieren sich häufig auf Personen oder Gruppen, die aus verschiedenen Gründen nicht zur Anpassung bereit waren und deswegen permanent von Repression bedroht waren, die Möglichkeit sich anzupassen und dabei weitgehend unbehelligt zu bleiben hätten sie aber in der Regel gehabt, wenn sie sich dafür entschieden hätten.
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* hier müssen wir bitte berücksichtigen, dass der Text in einer Zeit verfasst wurde, in der ehe kein bloßer freiwilliger Vertrag zwischen zwei Menschen war, sondern, in dem Ehen, zum Teil arrangiert wurden, während diejenigen, die da verheiratet wurden oder werden sollten da zum Teil wenig mitzureden hatten, teilweise noch Heranwachsende waren.
** Moderne Übersetzungen sprechen bei den Dingen, die nicht begehrt werden sollen ja von "Magd" und "Knecht", in der lateinischen Version steht da aber auch das Wort "servum", (akk. von servus) was sich zeitgenössisch eher als "Sklave" übersetzen lässt, auch wenn es den europäischen Reformatoren und Übersetzern der Bibel vielleicht zeitgemäßer erschien, hier nicht von "Sklaven" zu reden, sondern sich mehr an der eigenen Feudalordnung zu orientieren, als an der antiken Sklavenhaltergesellschaft
Untitled Document . Und der Umstand, dass die Frau des Nächsten da unter dessen Eigentum gerechnet wird, ist auch ein kleines Bisschen bedenklich aus modernerer Perspektive, auch wenn das in der Antike sicherlich nicht ungewöhnlich war das so zu sehen.