Der ambrosianische Ritus

Naresuan

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Auf dem Gebiet des Erzbistums Mailand wird nicht der römische, sondern der ambrosianische Ritus befolgt. Dabei geht es nicht nur um den Ablauf in der Messe, sondern auch um Kalenderfragen. Der Advent hat z.B. 6 Sonntage.

Selbst in Pfarreien, die heute nicht mehr zum Erzbistum gehören, wird an diesem Ritus festgehalten, trotz aller Versuche ihn abzuschaffen. So z.B. in einem Fünftel der Pfarreien im Bistum Lugano (Kanton Tessin). Vor allem in den sog. ambrosianischen Tälern Leventina, Valle Blenio und Riviera. Der Rest des Tessins gehörte früher zum Bistum Como und folgt dem römischen Ritus.
Auf der Webseite der Diözese Lugano kann man darum zwischen dem römischen und ambrosianischen Kalender umschalten, wenn man wissen will, wer oder was gerade im jeweilige Ritus gefeiert wird.

Die Entstehungsgeschichte des Ritus ist mir etwas unklar. Ebenso die Frage, warum Papst Gregor der Große und später Karl der Große, mit ihren Bemühungen um Vereinheitlichung der Riten, sich in Mailand nicht durchsetzen konnten.
 
Die Antwort gibt Wikipedia, hinsichtlich des Bistums Mailand:

"Das Territorium des Erzbistums unterlag seit seiner Gründung großen Schwankungen. Ursprünglich umfasste es praktisch die gesamte Lombardei und Churrätien. Zwischen 603 und 606 trennte sich das Bistum Como wegen Streitigkeiten um den Ritus von Mailand. Nach der Teilung des Frankenreiches kam das Bistum Chur 843 an das Erzbistum Mainz."

"Der Ambrosianische Ritus, dessen Entwicklung dem im 4. Jahrhundert lebenden Bischof frühestens seit der Mitte des 8. Jahrhunderts zugesprochen wird, wird bis heute in Mailand angewendet."

"Die komplizierte Grenzziehung der kirchlichen Zuständigkeitsbereiche im Tessin zwischen Mailand und dem Bistum Como war das Resultat einer frühmittelalterlichen Schenkung."

Und diese beiden Vorträge vom 28.03.2019 und 02.04.2019 hätten weitete Klarheit gebracht:

Due appuntamenti per scoprire il rito ambrosiano

Il Vicariato delle Tre Valli invita a due conferenze di approfondimento sul rito ambrosiano. Gli appuntamenti si terranno giovedì 28 marzo e martedì 2 aprile, alle ore 20.00, presso la chiesa di S. Carlo a Biasca.

Durante la prima serata don Aldo Aliverti, parroco e canonico della Cattedrale di Lugano, spiegherà la storia del legame tra la nostra Diocesi e quella di Milano, con una conferenza dal titolo “Perché le Tre Valli sono ambrosiane?”.

La seconda serata invece, tenuta dal liturgista Prof. don Norberto Valli, porterà alla scoperta delle origini e delle caratteristiche della liturgia ambrosiana, con una conferenza dal titolo “Cos’è il rito ambrosiano?”.

Ich fand aber den Eintrag auf der spanischen Wikipedia gut, auch die Auflistung und die Übersichtskarte:
 
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Die Antwort gibt Wikipedia
Die Wikipedia und andere Artikel zum Thema, selbst die italienischen, geben leider keine genauen Angaben, wie der Ritus entstand und warum er sich so hartnäckig halten konnte.

Auf dem Webportal der ambrosianischen Diözesen wird erklärt (übersetzt):
Direkte Zeugnisse des Ambrosianischen Ritus durch seine Altarbücher beginnen im 9. Jahrhundert, nachdem Papst Hadrian I. (772–795) entgegen dem Anspruch Karls des Großen, das Reich liturgisch zu vereinen, das Recht der Ambrosianischen Kirche auf einen eigenen Ritus und dessen Entwicklung bestätigte.

Warum stellte sich Hadrian damit gegen Karl?
 
Ich denke, dass Karl der Große machtpolitisch eine Gefahr für das Bistum Mailand darstellte.

Er hatte ab 772 das Bistums Chur und Rätien gestärkt. Bei der vorgesehenen Reichsteilung 806 wäre Rätien dem Unterkönigreich Italien zugeschlagen worden, und auch vorher war Rätien von der weniger beachteten Südostecke des Reiches zur Schlüsselstelle für die Expansion nach Italien geworden.

Das Kloster Müstair im Münstertal, am Fuße des Umbrailpasses, wurde 775/76 gegründet, zumindest nach dendrochronologischen Daten (Hölzer im Westgiebel der Klosterkirche), und dies möglicherweise auf dem Rückweg Karls des Großen nach dem Sieg über die Langobarden.

Eine expansive Kirchenpolitik Karls des Großen stellte m.E. die Machtposition der norditalienischen Bistümer in Frage.
 
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Hadrian und Karl waren sich zwar nicht immer über alles einig, aber dass dabei der ambrosianischen Ritus ein Thema gewesen wäre, ist wohl nicht glaubhaft zu belegen.

Der mailändische Geschichtsschreiber, Landulf der ältere, schrieb zwar im 11.Jh. in seiner Historia Mediolanensis, dass Karl der Große alle ambrosianischen Messbücher verbrennen ließ, doch seine Glaubwürdigkeit ist nicht sehr hoch.

Ihm zufolge hätte Karl von einer Synode den Auftrag bekommen, den römischen Ritus durchzusetzen. Auf Bitte des "transmontanischen" Bischofs Eugenius sei jedoch in Rom die Frage nach der Rechtmäßigkeit des ambrosianischen Ritus durch ein Wunder geklärt worden.
Nachdem es nämlich dem Bischof am Ende eines Konzils gelungen war, die Geistlichen nochmals zu versammeln, hätte man ein Buch des Ambrosius und eines von Gregor versiegelt für drei Tage auf den Altar des Petrus gelegt. Man hoffte, dass sich eines der Bücher von selbst öffnen würde. Nach drei Tagen fand man vorerst die Bücher geschlossen vor, doch plötzlich öffneten sich beide mit viel Lärm.
Die Sache sei damit für die Kirche klar gewesen: beide Riten sind gleichberechtigt.
In der Folge seien die ambrosianischen Messbücher rekonstruiert worden, da alle zerstört waren, bis auf ein in einer Höhle verstecktes Exemplar.

Seite 49, Abschnitt 10, ff

Sicher ist, dass Karl bei Hadrian ein römisches Messbuch anforderte, um dann dieses als Vorlage zur Vereinheitlichung in seinem Reich zu haben. Hadrian schickte ihm natürlich ein römisches (und erst noch ein speziell päpstliches). Daraus kann man aber schwerlich ein Bekämpfung des ambrosianischen Ritus seitens Karl herleiten, wenn er denn überhaupt davon wusste, und einen Beleg dafür, dass Hadrian den Ritus bestätigte, fand ich bisher auch nicht.
 
Auch das Patriarchat von Aquileia (später Venedig) hatte bis ins 16. Jahrhundert einen eigenen Ritus. Auf den britischen Inseln bestanden verschiedene "keltische" Riten. Der mozarabische Ritus hat sich in Spanien punktuell bis heute erhalten.

EDIT: Es gab noch weitere regionale italienische Riten, lese ich gerade:

"Neben der spätantik-nordafrikanischen Liturgie, die mit dem Christentum jener Länder untergegangen ist, sind in Irland und Gallien Riten bezeugt, die erst im Frühmittelalter von der römischen Liturgie verdrängt wurden, diese im Gegenzug aber auch ihrerseits beeinflusst haben. Der altspanischen Liturgie ist dieses Schicksal erst am Beginn des zweiten Jahrtausends widerfahren; sie wird heute - nachvatikanisch erneuert, aber ausschließlich in lateinischer Sprache ediert - nur mehr vereinzelt gepflegt. Weiter verbreitet ist dagegen die auch ins Italienische übersetzte ambrosianische Liturgie, die bis heute in der mailändischen Kirchenprovinz gefeiert wird; die anderen Riten, die auf dem Boden des heutigen Italien existierten (Ravenna, Benevent, Aquileia), sind im Laufe der Zeit untergegangen. Neben manchen Orden konnten aber auch etliche europäische Diözesen mehr oder weniger umfangreiche Eigenbräuche auch nach dem Konzil von Trient lange bewahren."​

 
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die anderen Riten, die auf dem Boden des heutigen Italien existierten (Ravenna, Benevent, Aquileia), sind im Laufe der Zeit untergegangen.

Faszinierend am ambrosianischen Ritus ist ja, dass er sich erhalten konnte. Auch beim mozarabischen bzw. altspanischen Ritus gibt es eine Legende mit einem Wunder und zwei Büchern. Mir scheint, man war sich zeitweise bewusst, dass das Festhalten an einem abweichenden Ritus etwas ungehorsam war und Wundergeschichten zum überleben nötig wurden.

Zum oben erwähnten Landulf ist zu ergänzen, dass er, als verheirateter Priester, der Auffassung war, der ambrosianische Ritus brauche kein Zölibat. Das war im 11. Jh. ja durchaus ein Thema.

Während die anderen untergegangenen Riten meist nur die Messordnung betreffen, greift der ambrosianische Ritus doch etwas stärker in den Kalender ein. So kommt es, dass in Tesserete noch Karneval gefeiert wird, wenn in den umliegenden Orten die Gläubigen bereits fasten.
Die "Ambrosianer" haben nach der Synode von Benevent 1091 beim Verschieben der Fastenzeit offensichtlich nicht mitgemacht.

Die ambrosianische Messe wird heute auf Italienisch durchgeführt, hat sich also ähnlich der römischen Messe modernisiert. Eine alt-ambrosianische Messe auf Latein bedarf einer Genehmigung.
Ich denke eher, dass das Festhalten am ambrosianischen Ritus ein Akt der Selbstbehauptung des Bistums Mailand war.
Als Erzbistum müsste Mailand kirchenpolitisch eigentlich nicht so sehr unter Druck gewesen sein, dass es einen eigenen Ritus zum überleben brauchte. Como wurde als Bistum schon im 4. Jh. von Ambrosius gegründet und es trennte sich nicht wegen des Ritus von Mailand, sondern wegen des Dreikapitelstreits. Da es sich dann zum Patriarchat Aquileia zugehörig empfand, zelebrierte es bis ins 16. Jh. den dortigen Ritus.
 
Ja: Ritus als Teil der Selbstidentität. Es muss gar nicht einmal besonders offensiv gewesen sein, sondern Zeichen und Akt eigener Glaubensausübung.
Der identitätsstiftende Aspekt des ambrosianischen Ritus, auch für die Tessiner Täler, war sicherlich an seinem Überleben maßgebend beteiligt.

Zur Frage, ob Karl der Große in irgend einer Form gegen den Ritus vorgegangen sei, gibt es noch ein interessantes Epigramm aus dem Codex 318 von Monte Cassino.
Das Manuskript ist aus dem 11. Jh., das genau Alter des Gedichtes ist umstritten, aber wahrscheinlich ist es deutlich älter (8./9. Jh.).
Darin steht, dass ein Gottesurteil mit zwei betenden Jungen entschied, dass der römische Gesang dem ambrosianischen vorzuziehen sei. Karl der Grosse tritt als Verfechter des römischen Gesangs auf und ein Bischof Paulinus, vermutlich Paulinus II. von Aquileia, hat die aktive Rolle im Verfahren.
Einst schuf der Heilige Bischof Gregor, der in der Stadt Rom lebte, dieses Werk. Wäre ein Buch vonnöten, damit jeder durch alle Zeiträume des sich wandelnden Jahres hindurch, des Nachts wie des Tages, Christus, dem ewigen, für alle Zeiten herrschenden König, die Gebete darbringen kann, so genüge dieses. Die alten Dichter haben gewiss viele Gesänge gekannt, doch keines kann süßer als dieses sein. Der Heilige Ambrosius, Statthalter der Hauptstadt Liguriens, verfasste Gesänge mit gottgefälliger Melodie und Süße, um rohe Herzen zu besänftigen und ihnen zugleich die Lehren des göttlichen Gesetzes zu vermitteln. Ich bekenne, dass der Heilige auf würdige Weise in der Welt wirkte, was mit mir auch das Land selbst bekräftigt. Der hehre Karl befahl allen heiligen Kirchen, wo immer sie seien, den römischen Gesang zu singen. Daher entstand in ganz Italien großer Aufruhr, und überall verdüsterte sich das Ansehen der heiligen Kirche. Da sprach Paulinus, ein Mann voller Frömmigkeit und seines Amtes nach ein Bischof, diese Worte vor dem gesamten Klerus: „Eine Zeit des Fastens und unser reines Gebet sei vor Christus, damit er sich uns in dieser Sache mitteile“. Dann wählte er die siegreichen und geheiligten Zeichen des Kreuzes aus, um daraus zu erkennen, welches Werk [d. h. welche der beiden Gesangstraditionen: Rom oder Mailand] Gott wahrhaft zu gefallen vermöge. Und er verfügte, dass zwei Knaben für den jeweiligen Gesang mit ausgebreiteten Händen aufrecht stehen und Gott anrufen sollten. Der für den römischen Gesang blieb unbeweglich stehen, der andere hingegen stürzte während des Gebets zu Boden. Daraufhin bestimmte der Bischof [Paulinus], dass das italische Volk im ganzen Land und für immer den römischen Gesang singen solle. Diesen singen auch Europa und ganz Gallien. Dieses Werk überragt [die andere Tradition] durch Gesänge.
Wenn es aber heißt: „der andere hingegen stürzte während des Gebets zu Boden“, so ist das nicht so zu verstehen, dass der ambrosianische Gesang zu verabscheuen sei, wohl aber so, dass mit der Zustimmung Gottes der römische Gesang vorzuziehen sei wegen seiner Kürze und weil er dem Geschmack des Volkes entgegenkommt.
Marie Winkelmüller, Politische Unifikationsbestrebungen im Konflikt mit der Wahrung lokaler Tradition: Gallia tota im Gedicht „Olim romulea“ (Montecassino 318) in Frank Hentschel (Hrsg.)‚ "Nationes"-Begriffe im mittelalterlichen Musikschrifttum, 2016

Dem Gedicht zufolge beschäftigte sich Karl der Große mit diesen italienischen Riten, mindestens mit den Gesängen. Paulinus soll es aber mit der Durchsetzung seiner eigenen Verkündigung nicht sonderlich genau genommen haben.

Im lateinischen Original, falls sich das jemand antun will, ein für mich äußerst schwieriger Text:
Cassino, Biblioteca statale del Monumento nazionale di Montecassino, Manoscritti , Cod. 318
(Versione Digitale, Seite 244)
 
kurios, dass in Mailand die Adventszeit zwei Wochen früher beginnt und somit sechs Wochen dauert:
Obwohl König Pippin und Kaiser Karl der Große für das Frankenreich die vierwöchige Adventszeit angeordnet hatten, hielten auch in der Lateinischen Kirche einzelne Diözesen weiterhin eine fünf- oder sechswöchige Adventszeit.[8] Die verbindliche Festlegung der Regel, wann der Advent begangen wird, stammt aus der Schlichtung des sogenannten „Straßburger Adventsstreits“. Bischof Wilhelm von Straßburg vertrat die Ansicht, dass die Adventszeit vier volle Wochen umfassen müsse. Dies setzte sich aber nicht durch.[9][10] Auf Betreiben Kaiser Konrads II. entschied eine Synode im Kloster Limburg am 3. Dezember 1038 in Anwesenheit des Kaisers, dass es nur vier Adventssonntage geben solle, der erste Adventssonntag also stets in der Zeit zwischen dem 27. November und dem 3. Dezember zu begehen sei. Wenn der vierte Adventssonntag auf den Heiligen Abend fiel, dann begann mit der Vesper dieses Tages das Weihnachtsfest. Der Beschluss erging durch die Bischöfe Azecho von Worms, Reginbald von Speyer, Heribert von Eichstätt, Thietmar von Hildesheim sowie Walter von Verona.[11][12] Diese Regelung wurde später von dem Konzil von Trient bestätigt, nachdem sich erneut abweichende regionale Traditionen etabliert hatten. Die rechtsverbindliche Regelung erfolgte 1570 durch Papst Pius V. In einigen Diözesen, die im ambrosianischen Ritus verblieben sind, z. B. im Erzbistum Mailand, hat sich eine sechswöchige Adventszeit gehalten.
aus Advent – Wikipedia
 
kurios, dass in Mailand die Adventszeit zwei Wochen früher beginnt und somit sechs Wochen dauert:

Vielleicht ein Komplott der norditalienischen Kerzenhersteller?:)
Screenshot 2025-09-30 211359.png

Ein ambrosianischer Adventskranz.
 
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