Hier noch das Ergebnis der vertieften juristischen Analyse von Gero Walter (Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und die Problematik seiner Restauration in den Jahren 1814/15, Karlsruhe: C.F.Müller, 1980; jur. Diss. Bonn 1979):
1. Danach war es dem Kaiser, wie gesagt, nicht rechtswirksam möglich, das Reich einseitig aufzulösen, und er bzw. seine Räte haben das auch gewusst; ebenso wenig waren die Rheinbundstaaten berechtigt, sich vom Reich zu lösen. Franz II. hatte sich auf seinen Schritt schon des Längeren, nicht erst seit Napoleons Ultimatum, vorbereitet. Ihm war bekannt, dass Preußen für Norddeutschland seit Anfang 1806 eigene Pläne verfolgte (die im Herbst zu Nichts zerronnen), und dass Napoleon das Ziel verfolgte, "Kaiser des Okzidents" zu werden (nach Raumer, Deutschland um 1800, S. 165). Dessen Wegbereiter war der Kurerzkanzler (und damit oberste Reichsbeamte) Dalberg, der allein dem Franzosen zutraute, "die römische Krone zu härten und aus ihrer Verachtung und Geringschätzung zu heben, auf dass 'das abendländische Weltreich wieder auflebe in Kaiser Napoleon, so wie es war unter Karl dem Großen, zusammengesetzt aus Italien, Frankreich und Deutschland'" (aaO, S. 168).
2. Eine rechtswirksame Auflösung des Reichs wäre bei Zustimmung der Reichsstände zustande gekommen. Diese erfolgte aber nicht - und mindestens einer der Kurfürsten, nämlich Georg III. von Hannover (zugleich König von England), erklärte förmlich beim Wiener Hof, dass er das Patent des Kaisers vom 6.8.1806 nicht anerkenne und das Reich als fortbestehend betrachte (Walter, S. 83). Auch in den Folgejahren zeigte sich Georg von der "normativen Kraft des Faktischen" äußerlich unbeeindruckt: Er führte bis zum 11.10.1814 weiter den Titel "Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, des heiligen römischen Reiches Erzschatzmeister und Churfürst". Einen Tag später freilich ließ er davon ab und die Welt wissen, er sei nunmehr "König von Hannover" - sicher eine Reaktion auf die Tatsache, dass niemand an der HRR-Idee festhalten wollte.
(Die Darstellung von Aretin [Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund, S. 102], dass 1806 der König von Schweden als einziger protestiert haben soll, fand ich nirgendwo bestätigt.)
"Der schwedische König und sein englischer Amtsbruder als Kurfürst von Hannover erhoben gegen das Vorgehen Franz´ II. Protest."
Zit. nach Willoweit, Dt. VerfG., 4. A., 2001, S. 227.
Nach Hartung, Dt. VerfG., 8./9. A., 1950/1969, S. 162, habe Preußen noch im Sommer 1806 versucht, die Kaiserwürde weiterzuführen (was dann aber nach der verlorenen Schlacht v. Jena hinfällig wurde).
Also auch insoweit keine Zustimmung mit der Politik des Hauses Habsburg.
Aber selbst das Haus Habsburg hat wohl versucht, sich ein Hintertürchen offenzuhalten:
"In der Tat hatte Franz II. durch die Annahme des von jeder Wahl und von jedem Territorium unabhängigen Kaisertitels für sich in Anspruch genommen, der einzige legitime Träger des römischen Reichs- u. Kaisergedankens zu sein..... Es ist müßig, darüber zu streiten, ob die juristischen Winkelzüge des letzten Kaisers des Heil. Röm. Reiches dt. Nation es vermocht haben, in
Österreich wenigstens ein heimliches Römisches Reich zu erhalten. Eine staatsrechtliche Kontinuität vom Ersten Reich zum österreichischen Kaiserreich liegt jedenfalls nicht vor."
Zit. nach Kimminich, Dt. VerfG., 1970, S. 287f.
Das sind meiner bescheidenen Meinung nach zumindest brauchbare Hin- weise dafür, die These vom staatsrechtlichen Untergang des HRRdN am 06.08.1806 anzuzweifeln.
Weitere Anmerkungen würden wohl den eigentlichen Faden sprengen; zumal dies mein "Erstbeitrag" ist, den ich nicht zum Ausgangspunkt hitziger Diskussionen machen möchte, sondern lediglich auf die Tatsache, dass es nicht nur den König v. England gegeben hat, der die Legitimität
des Aktes von Franz II. angezweifelt hat, hinweisen.
Allerdings ist davon der weitere Verlauf der Geschichte - bekanntlich - nicht sonderlich berührt worden.
Zur Intention Napoleons möchte ich ebenfalls kurz auf Kimminich, S. 286, gleichsam zur Bestätigung hinweisen:
"Verschiedene Aussprüche Napoleons..., er sei Karl der Große, das Schwert der Kirche und ihr Kaiser, ließen vermuten, daß Napoleon mit dem Titel Kaiser der Franzosen nicht zufrieden war, sondern nach dem echten, von Karl dem Großen begründeten Kaisertum strebte."
Im Übrigen vielen Dank für den Hinweis auf das Buch von Walter.
Dass mich die Thematik interessiert, sieht man daran, dass ich diesen doch etwas älteren Faden"ausgegraben" habe. Noch einen schönen Sonnabend und Götz zum Gruß.