Marckus Junkelmann hat zu den Film einen informativen Kommentar in der Zeitschrift Antike Welt 2005/2 geschrieben wo er sich naturgemäß vor allen mit der geschichtlichen Authentizität ausseinandersetzt:
Der spektakuläre Erfolg, der im Jahre 2000 Ridley Scotts Römerepos Gladiator, dem ersten antiken Monumentalfilm seit dreieinhalb Jahrzehnten, beschieden war, ließ eine Welle ähnlicher Produktionen erwarten, wie sie 1951 von Quo Vadis ausgelöst worden war. Sieht man von Mel Gibsons umstrittenem Jesusfilm Die Passion Christi ab, der in den USA zum unerwarteten Kassenschlager wurde, sowie von einer ehrgeizigen polnischen Neuverfilmung von Quo Vadis, die in Deutschland bisher nicht gezeigt worden ist, beschränkte sich die Gladiator-Nachfolge drei Jahre lang auf einige extrem kostspielige Fernsehserien. Dafür kamen nun 2004 gleich zwei antike Filmepen größten Kalibers in die Kinos, gedreht von zwei der namhaftesten Regisseure der internationalen Filmszene, Wolfgang Petersens Troja und Oliver Stones Alexander. Mit 200 bzw. 150 Millionen Dollar Produktionskosten haben sie den für Gladiator getriebenen Aufwand (100 Millionen) noch beträchtlich übertrumpft, was man den Erzeugnissen kaum ansieht.
Auffallend an den beiden neuen Antikfilmen ist, daß die Stoffe nicht der römischen Geschichte oder dem römisch-christlichen Mischgenre entnommen sind, wie dies meist der Fall ist, sondern dem griechischen Mythos bzw. der makedonisch-hellenistischen Historie. Erstaunlicherweise waren beide Sujets, der Trojanische Krieg ebenso wie das Leben des Makedonenkönigs, jeweils erst einmal Gegenstand einer Hollywood-Großproduktion gewesen und zwar, auch damals schon geradezu gleichzeitig, im Jahre 1955, also auf dem Höhepunkt der Monumentalfilmwelle.
Das Ambivalente, Schillernde gehörte bereits im Altertum zum Bild Alexanders des Großen. Auf der einen Seite Bewunderung für den strahlenden jugendlichen Helden, den größten aller Feldherren und Eroberer, der menschliches Maß zu sprengen schien, für einen Mann, der in wenigen Jahren die Welt veränderte, politische und kulturelle Grenzen niederriß, Ost und West zusammenführte. Auf der anderen Seite Schauder vor der unergründlichen Maßlosigkeit der Ziele, der rücksichtslosen Brutalität bei deren Verfolgung, der ungehemmten Selbstvergottung des Despoten, den finsteren Abgründen eines Mannes, der in Zorn und Rausch einen seiner engsten Freunde erschlagen konnte. «Das Risiko und zugleich die Gelegenheit besteht darin, daß wir dazu tendieren, uns den Alexander unserer Träume zu schaffen - oder den unserer Alpträume», schrieb vor kurzem der englische Althistoriker Paul Cartledge.
Einen gewissen Schlüssel zur Persönlichkeit Alexanders, jedenfalls zu seinem Selbstverständnis bildet die Wahl seines Lieblingshelden, der ihm als Leitbild diente, so wie er selbst für zahllose Herrscher und Feldherren das Modell abgeben sollte. Dies war kein geringerer als Achilles, gleichfalls ein Heros von übermenschlichem, ja unmenschlichem Zuschnitt, maßlos und monoman. Brad Pitt hat in Wolfgang Petersens Trojafilm einen großartigen Achilles gezeigt, einen anarchischen Heros, dem es nur um Ruhm und Unsterblichkeit geht, im Handeln von spielerischer, arroganter Souveränität, rabiat in seinem Zorn, doch zugleich schwermütig und nachdenklich. Es wäre eine gute Idee gewesen, auch die Rolle des Makedonenkönigs mit Brad Pitt zu besetzen. Er hätte einen weit überzeugenderen Welteroberer abgegeben als der ewig angestrengt wirkende und innere Zerrissenheit signalisierende Colin Farrell. Dies liegt nicht nur am Darsteller, sondern auch am Drehbuch, das Oliver Stone zusammen mit Christopher Kyle und Laeta Kalogridis verfaßt hat.
In Robert Rossens Alexander-Film von 1955 hatte Richard Burton die Titelrolle gespielt. Trotz lächerlicher Perücke und schäbiger Kostümierung bot er einen sehr viel glaubwürdigeren Alexander als jetzt Colin Farrell. Rossen, der außer als Regisseur auch als Produzent und Drehbuchautor fungierte, war sehr ernsthaft bemüht, sich eng an die historischen Vorgänge zu halten, wurde dabei aber streckenweise zu schulmeisterlich und geschwätzig.
Das Schulmeisterliche hat nun Stone auf die kommentierenden Retrospektiven des alten Ptolemaios (Anthony Hopkins) beschränkt, der Mangel an Aktion ist aber in seinem Film erstaunlicherweise noch ausgeprägter als er es 1955 gewesen war. Hatte uns Rossen noch drei Schlachten und ein Gefecht geboten, so sind es bei Stone gerade noch zwei. Auch Gladiator und Troja sind mit jeweils sechs großen Kampfszenen sehr viel aktionsfreudiger als Alexander. Kein Wunder, daß Stones Film an den amerikanischen Kinokassen durchfiel.
Alexander und Freud
Was bietet uns nun Stone statt Krieg und Kampf? Politik? Weit gefehlt! Er durchleuchtet vielmehr voyeuristisch Alexanders Innenleben. Die familiären Verhältnisse und Intrigen am makedonischen Königshof waren nun in der Tat so beschaffen, daß sie die Phantasie des kühnsten Drehbuchschreibers übertreffen. Aber davon haben wir bei Rossen mehr und vor allem Verständlicheres gesehen. Stone ist in erster Linie an bedeutungsschweren Impressionen gelegen. Endlos beobachtet er in Großaufnahmen Alexander als verschreckten Knaben, der sich in einem Bett verkriecht, auf dem sich seine furchtbar dämonische und inzestuöse Mutter Olympias (Angelina Jolie) samt ihren Schlangen herumwälzt, während im Flur der grobschlächtige, ewig betrunkene Vater (Val Kilmer) wütet. Daß das arme Kind da einen kräftigen Ödipus-Komplex entwickeln muß, ist offenbar. Vollends seine Blüten treibt der Vulgärfreudianismus, wenn Vater Philipp in einem seiner wenigen nüchternen Augenblicke den Sprößling in eine Höhle unter dem Königspalast von Pella entführt, wo er ihm bei Fackelschein paläolithisch-archaisch-protoex-pressionistische Felsenmalereien zeigt, auf denen sich die Urängste des Mythos austoben. Dabei klärt der grauslich einäugige König den Kronprinzen über die deprimierenden Sachzwänge seines künftigen Jobs auf.
Nun haben auch in Ridley Scotts Gladiator Ödipus-Komplex und Inzest eine wesentliche Rolle gespielt, doch gehörten sie nicht zum Charakterbild des Helden, sondern zu dem des bösen Kaisers Commodus. Es liegt indes keineswegs in der Absicht Oliver Stones, Alexander den Großen zu demontieren. Der Film trägt den Untertitel Sein Name ist eine Lebende, seine Taten unvorstellbar, und das ist durchaus nicht ironisch gemeint. Die geradezu aufdringlich immer wiederkehrende Adlersymbolik läßt keinen Zweifel an der übermenschlichen Heldenstatur, die Alexander für Stone zu besitzen scheint. Die Befürchtung, der Regisseur, der vor allem durch kritische Filme zur jüngsten amerikanischen Geschichte bekannt geworden ist, könne der Versuchung nicht widerstehen. Anspielungen auf die aktuellen Zustände im Nahen Osten zu machen und uns womöglich Alexander als antik kostümierten George W. Bush zu präsentieren, hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet.
Die Tücken der Besetzungsliste
Was aber den gravierendsten Unterschied zwischen den Seelendramen in Gladiator und in Alexander ausmacht, ist der Umstand, daß in Ridley Scotts Film ziemlich alle Rollen vorzüglich besetzt waren, während Oliver Stone mit tödlicher Sicherheit einen Fehlgriff nach dem anderen getan hat. Colin Farrell fehlen das Charisma und die Souveränität des Führers und Helden, die in Gladiator und Troja die Hauptdarsteller in so hohem Maße zeigten. Und er wird umgeben von Schauspielern, die gerade die für seine Charakterentwicklung wichtigsten Rollen nicht überzeugend auszufüllen vermögen. Dem Philipp II. Val Kilmers nimmt man allenfalls ab, er sei ein wüster Haudegen, aber ganz gewiß nicht, er könne ein weitsichtiger Organisator, kluger Feldherr und mit allen Wassern gewaschener Politiker sein, der es schafft, sich im tückenreichen Chaos der griechischen Politik durchzusetzen. Alles, was an Angelina Jolie dämonisch ist, das sind die Schlangen, die an ihr entlangkriechen (vgl. Plutarch, Alexander 2,6.9; 3,2), und die Tatsache, dass sie nicht zu altern scheint.
Aber nicht nur mit seinen Eltern hat der Makedonenkönig Pech, auch seine Liebespartner wurden gnadenlos fehlbesetzt. Wahrend Wolfgang Petersen die homoerotische Beziehung zwischen Achilles und Patroklos unterschlagen und, in Umkehrung des überlieferten Altersverhältnisses, in väterliche Fürsorge für einen jugendlichen Vetter umgedeutet hat, stellt sich Stone wacker und publicityträchtig dem Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe. Alexander fühlt sich zu seinem Jugendfreund Hephaistion hingezogen, den Reaktionen seines Partners nach recht einseitig. Der Darsteller dieses Hephaistion (Jared Leto) ist ein so unscheinbares, langweiliges Bürschlein, daß man ihm weder den tüchtigen Soldaten oder gar Feldherrn glaubt, noch die homoerotische Attraktivität, die er auf Alexander ausüben soll. Die sinnliche Spannung zwischen den beiden bleibt auf diese Weise rein verbal. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Oliver Stone das ganze Unter-führerkorps des Königs aus ziemlich inkompetent wirkenden Hippies von wenig einnehmender Physiognomie bestehen läßt (daß es so etwas wie eine Haar- und Bartmode gegeben hat, wird wieder einmal ignoriert). Das macht Alexanders Wahl etwas verständlicher.
Plausibel erscheint es jetzt auch, daß der Held nach einiger Zeit seine heterosexuelle Ader entdeckt. Im fernen Baktrien (oder Sogdien) wartet auf ihn Rhoxane (Rosario Dawson), eigentlich eine iranische Prinzessin, doch scheint sich Stones Rhoxane von einem ganz anderen Kontinent hierher verirrt zu haben. Und jetzt kommt das, was jeden Historienfilm ruinieren kann, was Ridley Scott in Gladiator rühmlicherweise völlig vermieden und Wolfgang Petersen in Troja nur ganz beiläufig und diskret gebracht hat: eine ausgewalzte Softporno-Szene. Und dazu noch eine, wie sie bizarrer nicht hätte inszeniert werden können, mit Watschenorgie und tätowiertem Prinzessinnenhintern. Der Film driftet hier vom Langweiligen ins Lächerliche.
Daß Alexander in einem solchen Umfeld nicht völlig verrückt wird oder sich in sein Schwert stürzt, das ist es, was die eigentliche Größe von Oliver Stones Alexander ausmacht. Ob der Meister das wirklich so gemeint hat, bleibt unergründbar. Denn der allwissende Ptolemaios, der als «Stimme der Geschichte» immer wieder mit seinen Kommentaren eingreifen muß, um das zu leisten, was der Film selbst nicht zu leisten im Stande ist, nämlich dem Betrachter zu erklären, was eigentlich die Bedeutung von alledem ist, was da so passiert oder, mehr noch, nicht passiert, selbst dieser Ptolemaios ist am Schluß zu keinem klaren Resümee mehr fähig. Das mit der Verschmelzung von Ost und West, dem multikulturellen Vielvölkerreich, das sei so ein Tick von Alexander gewesen, den keiner von ihnen je ernst genommen habe. Aber toll sei es trotzdem gewesen, mitgemischt zu haben. Dabeisein ist eben alles.