Ich versuche hier ein wenig Hintergrund einzubringen, vor dem der Gedankenaustausch zwischen Bismarck und Salisbury stattfand....
Das Ergebnis war letzten Endes ein komplexes System eines Nebeneinander von Zweibund, Dreibund, Mittelmeerentente und Rückversicherungsvertrag, mit denen Bismarcks Nachfolger hoffnungslos überfordert waren.
Die Feststellung ist sicher richtig.
Die britische Außenpolitik 1860/1898 ist unabhängig von den agierenden Personen von Übereinstimmung in der Beurteilung der großen strategischen Rahmenbedingungen geprägt, aus der unabhängig von jeweils agierenden Kabinetten auch die Orientierung an einer großen Linie erfolgt.
Beispiel: Salisbury/Orientalische Frage, Zerschlagung.
In den ganzen Jahrzehnten bis 1914 - durch alle Krisen - galt Disraelis Prinzip: Indien (ökonomischer Kern des Kolonialreiches) wird in Konstantinopel, nicht in Ägypten oder am Suezkanal verteidigt. (*) Salisburys "Einzel"äußerungen in der Frage sind nur auf diesem Fundament verständlich: über alle Szenarios - bis hin zum Krisenfall des Auseinanderbrechens des Osmanischen Reiches- ist in der obersten Priorität der russischen Flotte der Zugang zum Mittelmeer zu versperren. Die Frage hatte ähnlichen Rang wie die der russischen Fernost-Eisenbahnen, der russischen Aktivitäten in Persien, oder der Entwicklungen an der direkten Nordwestgrenze Indiens. Daraus erhellen zwei strategische Probleme:
- Großbritannien sah sich stets zu Lande gefährdet, eine entstandene russische Präsenz an der indischen Grenze zu neutralisieren (Rußland als Landmacht): das musste verhindert werden
- Großbritannien sah sich außerstande, die (kurze) Linie nach Indien gegen eine frz.-russische Flottenpräsenz im Mittelmeer "zu halten": der Zugang musste gesperrt bleiben
Für den Hintergrund des zweiten stategischen Faktors lassen sich aus den 1880ern die Analysen der Royal Navy als Beleg anführen, die entsprechend pessimistisch gefasst waren. Das war der eigentliche - berechtigte! - Hintergrund des "scares" und des Two-Power-Standards (der sozusagen die Konstantinopel-Problematik aufweichen sollte).
Das Deutsche Reich spielte in dem maritimen Part der britischen Analysen des "Great Game" nie irgendeine Rolle, mangels Seemacht und Stützpunkten. Somit ging es auch nie (etwa mit deutscher "Hilfe") um Neutralisierung der Russischen Flotte, sondern es wäre stets um das Deutsche Reich
als Landmacht gegangen, mit starker Bindungswirkung für die Landmacht Rußland, und mit Sperrwirkung für die Dardanellen (mangels Rückenfreiheit für Rußland auf dem Balkan im Konflikt mit dem Deutschen Reich).
Anders als oben dargestellt ist der strategische Wert Großbritanniens aus Sicht des Deutschen Reiches nicht in Bezug auf die Landstreitkräfte auf dem Kontinent zu sehen, sondern in der Unmöglichkeit für Frankreich aufgrund der kolonialen Interessen, einen Krieg auf dem Kontinent mit einem Gegner Großbritannien im "kolonialen Rücken" zu führen. Diese simple Einsicht - Neutralisierung Frankreichs - können wir bei Bismarck ohne weiteres unterstellen.
(*) zB die neue Publikation von Sergeev, Russo-British Relations in Central and East Asia - The Great Game 1856-1907.