Und woher kam der Pauperismus? Wenn zu viele in einem Land leben, das sie nicht alle ernähren kann. Und genau das habe ich gesagt, aber auch Bähr, wenn er von Bevölkerungsdruck spricht – ich zitiere ihn noch einmal:
Unfug.
Ich wiederhole mich nochmal: bis weit ins ausgehende 19. Jahrhundert ist Deutschland, bzw. sind die deutschen Staaten ein großer Exporteur von Agrarerzeugnissen.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein haben gerade die Agrarexporte aus Ostelbien eine starke Rolle bei der Lebensmittelversorgung Westeuropas, im Besonderen der extrem dicht besiedelten Niederlande und Belgiens gespielt, bevor im Zuge des Aufkommens der Dampfschiffahrt, der Eisenbahn und künstlicher Düngemittel Importe aus den USA, Russland und den europäischen Kolonien günstiger wurden, als aus Ostelbien, weil man hier nicht zu so geringen Gestehungskosten produzieren konnte, da in Russland und den Kolonien die Löhne niedriger und in den USA durch Einsatz von Düngemitteln und Industrialisierung der Landwirtschaft die Produktion weit effizienter war.
Zum tatsächlichen Nettoimporteur von Lebensmitteln wird Deutschland erst um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert herum.
Der Pauperismus ist vor allem eine Folge Umstäde:
a) Das Bauernbefreiung und der Aufhebung der Feudallasten.
Aufhebung von Leibeigenschaft/Grunduntertänigkeit wurden gewährt, aber nur gegen immense Ablösezahlungen, die die Bauern ihren vormaligen Grundherren als "Entschädigung" zu leisten hatten.
Die Hand- und Spanndienste wurde im Zuge der Durchdringung der Gesellschaft durch den Staat sukzessive erst durch Natural/Geldleistungen gegenüber dem Grundherren und mit der Aufhebung der Feudalstrukturen durch Steuerlasten gegenüber dem Staat ersätzt.
Sowohl die Ablösungszahlungen an die ehemaligen Grundherren, als auch die monetären Abgabenlasten, die die traditionellen Hand- und Spanndienste ersetzten mussten in Geldbeträgen erbracht werden und die waren im Gegensatz zu den Hand- und Spanndiensten, die auch ohne kommerziellen Erfolg erbracht werden konnten, für die Klein- und Subsistenzbauern oftmals nicht aufzubringen, was dazu führte, dass sehr viele Kleinbauern darüber in die Schuldenfalle gerieten und ihnen oft am Ende nichts anderes übrig blieb, als das wenige Land, was sie hatten zu verkaufen, um aus den Schulden heraus zu kommen und die bisherige bäuerliche Existenz aufzugeben.
Das hat nichts mit Überbevölkerung zu tun, sondern damit, dass das alte Feudalsystem, das Arbeitskraft und Naturalien als Abgabenleistungen akzeptierte und in dem der Grundherr auch grundsätzliche Führsorgepflichten für die grunduntertänigen Bauern hatte dafür gesorgt hatte dass viele Bauernstellen, die zu klein waren um in einem auf Märkte und profite orientierten System erfolgreich sein zu können, erhalten blieben.
Und genau diese Betriebe brachen in dem Moment zusammen, in dem kapitalistische Logiken das Feudalsystem ablösten.
Die Schaffung eines großen Agrarproletariats am Anfang des 19. Jahrhunderts hat nichts mit übermäßigem Bevölkerungswachstum zu tun.
Die Revolutions- und Napoléonischen Kriege mit allen ihren Begleiterscheinungen hatten dafür gesorgt, dass es Europa in der Zeit nicht übermäßig gut ging und sie hatten auch das demographische Wachstum abgeflacht.
b) Die Untrdrucksetzung der bäuerlichen Bevölkerung durch bisher nicht vorhandene Konkurrenz.
Zunächst mal kommen mit der allmählichen Industrialisierung die traditionellen bäuerlichen Nebenerwerbstätigkeiten massiv unter Druck.
Heimarbeit in Form von Weberei oder anderen Tätigkeiten, die Jahrhundertelang einen Teil des Lebensunterhalts der kleinbäuerlichen Bevölkerung mit erbracht hatten, verloren vor dem Hintergrund der aufkommenden Massenproduktion einen Großteil ihres Wertes und brachten kaum noch etwas ein.
Gerade für die Kleinbauern, die mit dem landwirtschaftlichen Betrieb mehr so an der Subsistenzgrenze kratzten, bedeutete der Wegfall dieses zusätzlichen Einkommens aber eine Katastrophe.
Weiterhin sorgte der Umstand, dass wegen der zunehmenden Verschuldung, durch Ablösungszahlungen (Aufhebung der Grundherrschaft) und monetären Abgabenlasten (Steuersystem, dass die alten Hand- und Spanndienste so wie die Naturalabgaben ersetzte) bei gleichzeitigem Wegfall der Nebenerwerbsmöglichkeiten, immer mehr Kleinbauern aufgeben mussten für 2 Effekte.
Zum einen Sorgte das für einen Verfall der Bodenpreise, zum anderen, dadurch bedingt, dazu, dass größere Grundbesitzer relativ billig das Land der verarmten Kleinbauern aufkaufen und ihre Betriebe arrondieren, entsprechend im größeren Stil zu günstigeren Preisen produzieren konnten, was für die verbliebenen Kleinbauern weiteren Druck bedeutete.
Das Aufkommen der Eisenbahn und der Dampfschiffahrt sorgte dafür, dass auf einmal Agrarüberschüsse aus weiter entfernten Gegenden auf den europäischen Markt geworfen wurden, die diesen früher nicht erreichen konnten, da der transport verderblicher Waren schlicht zu lange gedauert hätte oder wegen der beschaffenheit der Wege die Transportkosten für Massengüter schlicht zu teuer gewsen wären.
Im frühen 19. Jahrhundert ist das noch weniger die Eisenbahn, als mehr die Dampfschiffahrt (in Teilen noch als Hybrid aus Dampf- und Segelschiffen) aber mit dem Aufkommen und der zunehmenden Unabhängigkeit vom Wind, der planbaren Geschwindigkeit etc. kommen damit dann Agrarprodukte aus anderen Weltregionen auf den europäischen Markt, die deutlich auf die Lebensmittelpreise drücken, was gerade für die kleinbäuerliche Bevölkerung zusätzliche Probleme bedeutete.
Das alles passiert, bevor in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Lebensbedingungen deutlich besser werden und die Bevölkerung tatsächlich anfängt stark zuzunehmen.
Pauperismus ist nicht die Folge hoherer Lebenserwartung und steigender Bevölkerungsgröße, Papuerismus ist die gesellschaftliche Konsequenz der Ablösung einer feudalen durch eine kapitalistische Wirtschaftsordnung, die für die Kleinbauern ruinöse Folgen hatte, weil die Form der Abgaben, die sie erbringen mussten umgestellt worden war, weil durch die Industrialisierung ihr Nebenerwerb entfiel und weil man ihnen die Kosten für die Ablösung der Feudallasten aufbürdete um es sich mit den Grundbesitzern nicht zu verscherzen während gleichzeitig der Konkurrenzdruck durch die verbesserten Transportmöglichkeiten und die sich arrondierende Großlandwirtschaft stieg.