Es war ganz einfach so, dass es zu teuer wurde. Germanicus scheint sich zwar bewährt zu haben, allerdings unter hohen Verlusten. Und es war 9 n. Chr. ja gerade das Problem, dass sich keine Rekruten fanden und 14 n. Chr,, dass den Veteranen der Abschied verweigert werden musste. Klar, die Meuterei war ein willkommener Vorwand für den Angriff, aber was hat Germanicus in Germanien gemacht, wenn des Tiberius Friedensordnung so gut funktionierte? Aber was geschah überhaupt, wenn wir die Gesamtsituation betrachten?
0 - Schon vorher hat er dort unter Tiberius erste militärische Erfahrungen gesammelt.
1 - Jetzt übernahm er sein erstes selbständiges militärisches Kommando, in einem Gebiet, das gut bekannt war und dessen Bevölkerung nach langen Jahren Krieg und Ausbeutung sicher geschwächt war.
2 - Er dezimiert Marser, Brukterer, Chatten, Cherusker und wahrscheinlich noch andere an der Varusschlacht beteiligte Stämme nach wohlbekanntem, schon in der Bibel erwähntem Muster: Soviele Leute erschlagen und versklaven, dass für diese Stämme nicht mehr ernsthaft an Krieg gegen Rom zu denken ist. Wir würden heute von Völkermord sprechen.
3 - Gleichzeitig wird massiver Einfluss auf das Führungspersonal genommen. Hier gelang wohl nur die Gefangennahme des Arminius nicht.
4 - Dazu kommt die psychologische Kriegführung: Rückgewinnung zweier Adler, Demütigung der Führungsschicht der betroffenen Stämme, Bestattung der Varus-Gefallenen, Gefangennahme der Thusnelda, teilweises Überlaufen der Führungsschicht u.s.w. Laut Tacitus haben die Cherusker schon darüber beraten, ob sie mit Sack und Pack nach Osten abziehen sollen.
5 - Friesen und Chauken werden dauerhaft zu Verbündeten gemacht und so Ems und Weser als Anmarsch- und Versorgungswege neben der Lippe und dem Weg von Mainz aus gesichert: Römische Truppen konnten damit die Stämme im Rhein-Weser-Bereich jederzeit überfallen.
6 - Sobald die Situation wie gewünscht aussieht, die Verluste zu hoch für den Nutzen werden und der Krieg im Osten aktuell wird, kann der nun erprobte Adoptivsohn, Neffe und designierte Nachfolger in den Osten geschickt werden.
Das alles klingt eher nach einem Erfolg der Operationen. Das im Einzelnen vielleicht nicht jedes Gefecht und jeder Marsch so glänzend und der Sieg nicht so billig wie geplant war, spielt da keine Rolle. Denn es dürfte sicher gewesen sein, dass kein Angriff am Rhein während des Feldzugs im Osten zu erwarten war.
Einen Konkurrenten schickt man nicht auf einen größeren Kriegsschauplatz. Und die Tücken senatorischer Geschichtsschreibung sind ja zu genüge bekannt.
Was bedeutet das für Tiberius Planung bezüglich Germaniens? Er wollte offensichtlich die von ihm selbst nach der Varusschlacht geschaffene Ordnung im Prinzip beibehalten und sie im Detail für Rom noch etwas verbessern. Die Richtungsentscheidung war damit tatsächlich in der Folge der Varusschlacht festgelegt worden.
Die Gründe stehen auf einem anderen Blatt. Zu Zeiten Caesars ging man in Rom wohl noch davon aus, dass zwischen Alpen und Ozean nur ein Schmaler Streifen Landes lag. Die Pläne Caesars, dieses Land nach der Eroberung des Partherreichs auf dem Rückweg zu erobern weist darauf weist hin, wenn dieNachricht ernst zu nehmen ist. Das lässt die Möglichkeit offen, dass Augustus und Tiberius ganz einfach erkannten, dass es um die Größe Europas anders stand als gedacht. Jedenfalls dürfen wir nicht unsere geographischen Vorstellungen auf Römische Planer übertragen. Genauso sind Barbaren-Topoi zu beachten. Ersteres wird mittlerweile, letzteres schon recht lange untersucht und berücksichtigt.
Die Sichtweise von Arminius als römischem Offizier ist veraltet und längst als Teil eines teilweise anachronistischen Konstrukts aus Hilfshypothesen entlarvt. (Siehe etwa bei Rheinhard, Die Schlacht im Teutoburger Wald.) Ich mache mal einen Thread dazu auf, wenn ich keinen finde.
Dann ist noch zu bemerken, dass die Römer durchaus schon Ressourcen in Germanien erschlossen hatten, etwa die Bleivorkommen im Sauerland. Aber natürlich war dieser Bereich der Erschließung 9 n. Chr. noch kaum entwickelt, die Infrastruktur im Sauerland zufällig durch natürliche Wege (die "Eisenwege" zu Hellweg und weiter zur Lippe) und die Lippelinie schon vorgegeben, was sich übrigens bis ins 19. Jahrhundert nicht änderte. Ob das Lager von Kneblinghausen der Wegsicherung dienen sollte, ist eine andere Frage. Und ebenso, ob die Eisenvorkommen in der Region (eher für Gußeisen) und andere Möglichkeiten bekannt waren.