Arminius

"Vorfeldsicherung" ist eine leichte Untertreibung für den römischen Aufwand. Welche Tiefe hatten denn "Vorfeldsicherungen" der Römer sonst?
Letztlich so lange, bis es kein Vorfeld mehr gab, das man sichern musste. Das war ja das Problem: Eroberte man ein Territorium, um das bisher Gehaltene zu sichern, gab es jenseits des neuen Territoriums oft wieder Völkerschaften, die Probleme machten oder potentiell machen konnten, sodass man auch dieses Vorfeld sichern "musste". Fertig war man letztlich erst, wenn man an ein Meer (ohne gegenüberliegende Küste) stieß. Exemplarisch Italien: Zuerst "mussten" die Römer die Gallier in der Poebene unterwerfen, weil sie im Laufe der Zeit immer wieder nach Süden vordrangen, dann die Ligurer, und schließlich die Alpenstämme, die immer wieder mal nach Gallia Cisalpina vordrangen.

Und die römische Mär von den "diversen Germanen" ist wie die Mär von den "diversen Rätern".
Ich verstehe nicht, was Du damit sagen möchtest. Bezweifelst Du die Einfälle etwa der Sugambrer und die "Clades Lolliana"?

Nur dass Varus keine gewaltsame Unterwerfung, Germanicus eher eine Strafexpedition als eine systematische Eroberung betrieb.
Vor der Varusschlacht hielt man das römisch besetzte Germanien schon für weitgehend befriedet, es musste also nicht mehr unterworfen werden.

Rom hat traditionell mMn einen sehr großen Aufwand betrieben, um Klientelstaaten in seinem "Vorfeld" bei der Stange zu halten: Die Hasmonäer in Judäa, das Ptolomäische Ägypten, das Bosporanische Reich, das griechische Massilia, Noricum und der Ätolische Bund waren alle Klientelstaaten im Vorfeld des römischen Reiches bevor sie als Provinzen einverleibt wurden. Vielleicht hat Rom versucht, die Germania Magna zu früh zu einer Provinz zu machen - vielleicht waren die Herrschaftsstrukturen dort auch zu chaotisch, jedenfalls stieß dieses System dort an seine Grenzen.
Damit, dass keine neuen Klientelstaaten mehr im Vorfeld errichtet werden konnten, stieß die Expansion Roms an seine Grenzen und es setzte langsam aber sicher ein Niedergang ein.
Im 1. Jhdt. n. Chr. wurden die meisten Klientelstaaten in Provinzen umgewandelt. Ausgenommen waren im Wesentlichen nur das Bosporanische Reich sowie Armenien (das mal unter römischer, mal unter parthischer Vorherrschaft stand). Also auch dort, wo es eigentlich einigermaßen brauchbare staatliche bzw. Herrschafts-Strukturen gab, wurde das Konzept der indirekten Herrschaft über Klientelstaaten großteils zugunsten einer direkten Herrschaft aufgegeben. Die Kontrolle "verbündeter" Staaten und Fürsten zur Vorfeldsicherung hatte aus römischer Sicht also anscheinend weitgehend ausgedient. Dass man es in Germanien dennoch (mittels Klientelfürsten) versuchte, scheint eher eine Verlegenheitslösung gewesen zu sein, weil es mit der direkten Herrschaft nicht (mit aus Tiberius' Sicht akzeptablem Ressourceneinsatz) geklappt hatte.
 
das Konzept der indirekten Vorfeldsicherung über Klientelstaaten hat natürlich zwei Schwachstellen
Zum einen müssen diese Klientelstaaten natürlich überwacht und entsprechend beeinflusst werden, was wiederum gewisse gefestigte Herrschafts- und Sozialstrukturen innerhal des jeweiligen Klientelstaats voraussetzt.
Bei den germanischen Stammesverbänden war dies bereits deshalb zum Scheitern verurteilt,weil solche Strukturen nur rudimentär ausgeprägt waren, sich also von jetzt auf gleich ändern konnten.

Zum anderen bestand die Gefahr ,als "Schutzmacht" des Klientelstaates in Konflikte hineingezogen zu werden,deren Entstehung und Verlauf man nicht beeinflussen konnte.Wenn dies überhand nahm war wohl selbst eine Grossmacht wie die Römer auf Dauer personell und finanziell überfordert.Die vielen kleinen ,lokalen Interventionen und Strafexpeditionen der Römer im Vorfeld zeigen zumindest,dass die dortigen Truppen nicht unterbeschäftigt waren .
 
Es war ganz einfach so, dass es zu teuer wurde. Germanicus scheint sich zwar bewährt zu haben, allerdings unter hohen Verlusten. Und es war 9 n. Chr. ja gerade das Problem, dass sich keine Rekruten fanden und 14 n. Chr,, dass den Veteranen der Abschied verweigert werden musste. Klar, die Meuterei war ein willkommener Vorwand für den Angriff, aber was hat Germanicus in Germanien gemacht, wenn des Tiberius Friedensordnung so gut funktionierte? Aber was geschah überhaupt, wenn wir die Gesamtsituation betrachten?

0 - Schon vorher hat er dort unter Tiberius erste militärische Erfahrungen gesammelt.
1 - Jetzt übernahm er sein erstes selbständiges militärisches Kommando, in einem Gebiet, das gut bekannt war und dessen Bevölkerung nach langen Jahren Krieg und Ausbeutung sicher geschwächt war.
2 - Er dezimiert Marser, Brukterer, Chatten, Cherusker und wahrscheinlich noch andere an der Varusschlacht beteiligte Stämme nach wohlbekanntem, schon in der Bibel erwähntem Muster: Soviele Leute erschlagen und versklaven, dass für diese Stämme nicht mehr ernsthaft an Krieg gegen Rom zu denken ist. Wir würden heute von Völkermord sprechen.
3 - Gleichzeitig wird massiver Einfluss auf das Führungspersonal genommen. Hier gelang wohl nur die Gefangennahme des Arminius nicht.
4 - Dazu kommt die psychologische Kriegführung: Rückgewinnung zweier Adler, Demütigung der Führungsschicht der betroffenen Stämme, Bestattung der Varus-Gefallenen, Gefangennahme der Thusnelda, teilweises Überlaufen der Führungsschicht u.s.w. Laut Tacitus haben die Cherusker schon darüber beraten, ob sie mit Sack und Pack nach Osten abziehen sollen.
5 - Friesen und Chauken werden dauerhaft zu Verbündeten gemacht und so Ems und Weser als Anmarsch- und Versorgungswege neben der Lippe und dem Weg von Mainz aus gesichert: Römische Truppen konnten damit die Stämme im Rhein-Weser-Bereich jederzeit überfallen.
6 - Sobald die Situation wie gewünscht aussieht, die Verluste zu hoch für den Nutzen werden und der Krieg im Osten aktuell wird, kann der nun erprobte Adoptivsohn, Neffe und designierte Nachfolger in den Osten geschickt werden.

Das alles klingt eher nach einem Erfolg der Operationen. Das im Einzelnen vielleicht nicht jedes Gefecht und jeder Marsch so glänzend und der Sieg nicht so billig wie geplant war, spielt da keine Rolle. Denn es dürfte sicher gewesen sein, dass kein Angriff am Rhein während des Feldzugs im Osten zu erwarten war.

Einen Konkurrenten schickt man nicht auf einen größeren Kriegsschauplatz. Und die Tücken senatorischer Geschichtsschreibung sind ja zu genüge bekannt.

Was bedeutet das für Tiberius Planung bezüglich Germaniens? Er wollte offensichtlich die von ihm selbst nach der Varusschlacht geschaffene Ordnung im Prinzip beibehalten und sie im Detail für Rom noch etwas verbessern. Die Richtungsentscheidung war damit tatsächlich in der Folge der Varusschlacht festgelegt worden.

Die Gründe stehen auf einem anderen Blatt. Zu Zeiten Caesars ging man in Rom wohl noch davon aus, dass zwischen Alpen und Ozean nur ein Schmaler Streifen Landes lag. Die Pläne Caesars, dieses Land nach der Eroberung des Partherreichs auf dem Rückweg zu erobern weist darauf weist hin, wenn dieNachricht ernst zu nehmen ist. Das lässt die Möglichkeit offen, dass Augustus und Tiberius ganz einfach erkannten, dass es um die Größe Europas anders stand als gedacht. Jedenfalls dürfen wir nicht unsere geographischen Vorstellungen auf Römische Planer übertragen. Genauso sind Barbaren-Topoi zu beachten. Ersteres wird mittlerweile, letzteres schon recht lange untersucht und berücksichtigt.

Die Sichtweise von Arminius als römischem Offizier ist veraltet und längst als Teil eines teilweise anachronistischen Konstrukts aus Hilfshypothesen entlarvt. (Siehe etwa bei Rheinhard, Die Schlacht im Teutoburger Wald.) Ich mache mal einen Thread dazu auf, wenn ich keinen finde.

Dann ist noch zu bemerken, dass die Römer durchaus schon Ressourcen in Germanien erschlossen hatten, etwa die Bleivorkommen im Sauerland. Aber natürlich war dieser Bereich der Erschließung 9 n. Chr. noch kaum entwickelt, die Infrastruktur im Sauerland zufällig durch natürliche Wege (die "Eisenwege" zu Hellweg und weiter zur Lippe) und die Lippelinie schon vorgegeben, was sich übrigens bis ins 19. Jahrhundert nicht änderte. Ob das Lager von Kneblinghausen der Wegsicherung dienen sollte, ist eine andere Frage. Und ebenso, ob die Eisenvorkommen in der Region (eher für Gußeisen) und andere Möglichkeiten bekannt waren.
 
nun ja, die Theorie,dass das Verhältniss von Aufwand und Nutzen bei einer Eroberung der Germania Magna nicht gegeben war wird den Römern bereits relativ früh gedämmert sein
In Gallien waren sie auf ein relativ erschlossenes Gebiet getroffen und je weiter man nach Nordosten vordrang ,umso weniger Strukturen gab es,die eine Eroberung gelohnt hätten.Selbst die von Dir genannten erschlossenen Rohstoffquellen jenseits des späteren Limes (Sauerland,NordTaunus,Lahnregion,Waldgirmes,)lagen im Prinzip noch in dem Bereich , der zu einem keltogermanischen Mischhorizont gehörte und in gewissem Umfang erschlossen und zumindest unter indirekter Kontrolle war.
Das war weiter Richtung Nordosten nicht der Fall -im Harz ist nennenswerter Bergbau z.B. erst ab 968 am Rammelsberg bei Goslar nachgewiesen.
Für Rom gab es da also nix zu gewinnen.Daher entschied man sich m.E. für die Beibehaltung des Status quo in dieser Grenzregion.
 
Da anscheinend nicht wirtschaftliche Überlegungen ausschlaggebend für das Ausgreifen auf rechtsrheinisches Gebiet waren, ist halt die Frage, ob wirtschaftliche Überlegungen ausschlaggebend für das Zurückweichen waren. Ich sehe den Grund immer noch darin, dass der (militärische und finanzielle) Preis für eine dauerhafte Niederwerfung und Befriedung einfach zu hoch schien.
 
nun,wenn man sieht mit welchem Aufwand andere militärische Kampagnen gegen Gebiete,in denen was zu holen war,geführt wurden würde ich das bejahen.
 
Wurde die Wetterau denn tatsächlich nach 9 bzw. nach 16 geräumt? Oder blieb dieser Brückenkopf bestehen?
Die Lage dort scheint doch eher unklar, über eine spätere Eroberung unter Vespasian oder Domitian wissen wir auch nichts. Der Chattenfeldzug des Domitian scheint doch eher in Nordhessen stattgefunden zu haben, mit unklarem Ausgang. Vermutlich bildete der Limes gerade eine Abgrenzung zu eben diesen Chatten.
 
Wurde die Wetterau denn tatsächlich nach 9 bzw. nach 16 geräumt? Oder blieb dieser Brückenkopf bestehen?

Gibt es denn überhaupt Hinweise für eine dauerhafte römische Präsenz in der Wetterau vor dem 2. nachchristlichen Jahrhundert? Nach meinem Kenntnisstand umfasste der Brückenkopf lediglich die Gegend um Aquae Mattiacorum (Wiesbaden, Kastell Hofheim, Mainz-Castel = Castellum Mattiacorum).

Die Römer im Main-Taunus-Kreis. Römisches Militär und ländliche Besiedlung zwischen Taunus und Main vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. Themen der hessenArchäologie 3 (Wiesbaden 2011).
 
In Frankfurt ist eine Therme aus der Zeit Vespasians nachgewiesen, auch gibt es Funde in Friedberg aus dieser Zeit.
Ob Friedberg nun zwischen den Germanicus-Feldzügen und der Zeit Vespasians geräumt wurde ist sehr unklar.
 
Zurück
Oben