Die Annexion von Bosnien 1908 konnte man in Italien doch durchaus als territoriale Expansion seitens Ö-U ansehen, wenn auch nicht gegenüber Serbien. Klar, Bosnien war schon seit 1878 österreichisch besetzt, aber mit der Annexion änderte sich der Status.
Italien meldete in diesem Kontext anno 1908 auch durchaus Kompensationswünsche an, die man in Wien allerdings geflissentlich ignorierte.
Ein Punkt, bei dem ich mit
@Turgot, was die Bewertung Italiens angeht außnahmesweise mal übereinstimme und der hier fairer Weise erwähnt sein will, ist dass Italien sich, als es wegen Libyen den italienisch-osmanischen Krieg lostrat, damit durchaus auch über österreichische Interessen hinwegsetzte und mit Rhodos und einigen ägäischen Inseln durchaus auch innerhalb Europas gewisse Zuwächse zu verzeichnen hatte.
Man könnte also, wenn man so wollte behaupten, dass Italien und Österreich-Ungarn damit quitt gewesen seien, weil jeder von beiden sich einmal komplett an den Interessen des anderen vorbei bereichert hatte.
In der Folge setzte dann allerdings Österreich seine Position in Albanien auch entgegen der italienischen Interessen durch, was in Rom sicherlich nicht besonders gut ankam.
Und die Situation in der Juli-Krise und danach muss man sich auch mal etwas näher anschauen.
Tatsache ist, dass obwohl gemäß Dreibundvertrag sowohl Berlin, als auch Rom über einen solchen Schritt zuvor in Kenntnis hätten gesetzt werden müssen, Berlin und Wien die Sache mit dem Ultimatum an Serbien komplett hinter dem Rücken der Italiener ausheckten (Rom hätte ja möglicherweise auf die Bremse treten können, wenn es informiert gewesen wäre).
Und dann das ganze deutsch-österreichische Lavieren innerhalb der Juli-Krise um sich ja in keine Großmachtskonferenz einlassen zu müssen.
Da war von österreichischer und auch von deutscher Seite auf diplomatischer Ebene schon viel Handeln gegen die italienischen Interessen und viel Verlogenheit und Falschheit dabei.
- Der italienische Standpunkt, sich an dieser Aktion nicht beteiligen zu müssen, weil das in diesem Sinne kein Verteidigungskrieg war, bei dem der Bündnisfall gegeben gewesen wäre, war durchaus berechtigt.
- Der Standpunkt für eventuelle Zugewinne Österreich-Ungarns kompensiert werden zu wollen, war auf Basis des Dreibundvertrags ebenfalls berechtigt.
Nun verkündeten Wien und Budapest zwar keine Eroberungsabsichten zu verfolgen, die Frage ist aber, wie glaubwürdig war das unter diesen Umständen?
- Wien und Berlin hatten gerade einen veritablen Weltkrieg vom Zaun gebrochen, bei dem selbst wenn er in 2-3 Monaten entschieden wäre, klar sein musste dass er mindestens einigen hunderttausend Menschen das Leben kosten würde und dass er auf Seiten aller Beteiligten die Staatsbudges mehrerer Jahre verschlingen würde.
Das man einen solchen Einsatz an Menschen und Material einzig mit dem Zweck erbringen würde, um Serbien zu bestrafen, durfte man hinsichtlich der Plausibilität der Behauptung ohne Einblick in die interenen Beratungen in Berlin, Wien und Budapest gehabt zu haben, sicherlich getrost anzweifeln.
- Österreich-Ungarn und Deutschland hatten bei ihren vorangegangenen Aktionen in der Julikrise Italien absichtlichtlich und vertragswidrig aus ihren Absprachen herausgehalten und die ganze Aktion hinter dem Rücken Roms eingestielt.
Wenn der Aufwand für diesen Krieg noch nicht Grund genug war Berchtolds Verlautbarung, dass es keine Eroberungsabsichten gäbe anzuzweifeln, dann spätestens am diesem Punkt, weil man Italien im Vorhinein im Kontext der Krise hintergangen hatte.
- Das Szenario, dass Österreich-Ungarn sein Gebiet erweiterte und im Anschluss italienische Forderungen nach Kompensation gemäß Dreibundvertrag einfach mal fröhlich ignorierte, hatte es ja bereits 1908 schon einmal gegeben.
Es war von italienischer Seite her der Österreichisch-Ungarischen Regierung also durchaus zuzutrauen, dass sie 1914 möglicherweise ähnliches im Schilde führte.
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Der italienische Standpunkt Kompensation haben zu wollen und zwar möglichst sofort und nicht erst im Nachgang des Krieges, damit Wien dass dann wieder wie 1908 fröhlich ignorieren kann, hat unter diesen Umständen eine gewisse Logik.
Und zwar eine die nicht auf überschäumenden Nationalismus abzielte, sondern eine, die befürchtete um Vorteile, die ihr aus dem Dreibundvertrag möglicherweise zustünden gebracht zu werden, weil man eben diese Erfahrung mit Wien in der bosnischen Angelegenheit schon einmal gemacht hatte und sich Wien und Berlin auch im direkten Vorfeld des Krieges nicht so unbedingt vertrauenswürdig verhalten hatten.
Das sind innere Dynamiken und Probleme zwischen Österreich-Ungarn und Italien gewesen, die vor allem auch aus den bestehenden Vertragsverhältnissen und der Vorgeschichte seit 1908 herrührten.
Der Irredentismo mag dabei insofern eine Rolle gespielt hatten, als dass die Straße die italienische Regierung natürlich bedrängte und diese, auch vor den bestehenden vertraglichen Verhältnissen sich immer stärkerem Druck ausgesetzt war irgendeinen Vorteil für Italien zu präsentieren.
Gegenüber Frankreich bestanden entsprechende Verträge nicht und es gab dementsprechend auch keine Kompensationsansprüche, die man durchpauken konnte und bei denen man durchaus von einem gewissen Standpunkt her der Meinung sein konnte, das Recht auf seiner Seite zu haben.
Da liegt der Hauptunterschied, abgesehen davon, dass es ab September/Oktober 1914 einfach deutlich realistischer schien die eigenen Vorstellungen gegenüber den Zentralmächten, durchzusetzen, als gegenüber den Entente.