Und Sepiola hatte gefragt, wie man aufs der Ferne durch dicht nebeneinanderstehende Baumriesen schösse. Da machst du einfach aus Cassius Dio einen anderen Text.
Schwerlich, denn niemand schießt durch "Baumriesen": Die von Dir zitierte
Übersetzung stellt dem Schießen das Wort 'Dickicht' voran, Karl-Wilhelm Welwei
übersetzt die fragliche Passage als 'dichtes[tes] Gebüsch'. M.E.n. wird aus beiden Übersetzungen deutlich, dass es Cassius Dio nicht darum ging, es so darzustellen, als hätten die Bäume für das Kampfgeschehen eine Rolle gespielt; das Weitere beantworte ich im Folgenden.
Slapstick? Wird ignoriert.
Auf ein Neues also… Ich verwende im Folgenden Welwei und die englische Standard-Übersetzung von Earnest Cary, um Abstand zu Interpretationsschwierigkeiten im Deutschen zu gewinnen.
20 (1) Denn das Gebirge war voller Schluchten und stark zerklüftet, die Bewaldung dicht und überaus hoch, so daß die Römer auch schon vor dem Angriff der Feinde Mühe hatten, Bäume zu fällen, Wege zu bahnen und Brücken zu bauen, wie es erforderlich war.
20 (1) The mountains had an uneven surface broken by ravines, and the trees grew close together and very high. Hence the Romans, even before the enemy assailed them, were having a hard time of it felling trees, building roads, and bridging places that required it.
Du meintest, die Beschreibung erinnere Dich an die Hochalpen, was schon gegen Dios Version spreche. Ich sehe das anders. Auch Mittelgebirge können 'zerklüftet' sein, und selbst in Schleswig-Holstein gibt es Schluchten. Offenbar sollte nur ausgedrückt werden, das Gelände sei den Römern hinderlich gewesen, und den Weg für ihre Zwecke zu verbreitern, habe sie einiges an Zeit und Mühe gekostet.
Die Höhe und Dicke der Bäume wird im Kontext der Pionierarbeiten erwähnt. Sofern die Information nicht überhaupt nur der literarischen Ausgestaltung diente, weist sie also lediglich darauf hin – eben im Kontext des fraglichen Satzes –, dass all das Bäumefällen und Wegebahnen besonders anstrengend und zeitraubend war, weil man sich in einem mächtigen Wald befand und es nicht bloß mit ein paar Krüppelkiefern zu tun hatte.
Die noch anzusprechende Darstellung des Geländes deute ich nicht so, als hätten die Germanen, als sie ihre Speere schleuderten, noch Bäume zwischen sich und den Römern gehabt. Warum sonst hätte Dio betonen sollen, dass ihnen Dickichte im Weg waren, aber die Bäume unerwähnt lassen sollen? Ohnehin – wie stellt sich unsereins ein natürlicher Wald dar, was blockiert unsere Sicht in die Tiefe des Waldes hinein? Nicht die Bäume.
(2) Sie führten auch wie im Frieden viele Wagen und Lasttiere mit; ferner folgten ihnen nicht wenige Kinder und Frauen und zahlreiche Troßknechte; auch dies trug zur Auflösung der Marschordnung bei. (3) Noch dazu wurde die Kolonne durch heftigen Regen und Sturmwind weiter auseinandergezogen; der Boden war an den Wurzeln und Enden der Stämme ziemlich schlüpfrig geworden, so daß sie immer wieder ausglitten; vom Sturm zerborstene Baumkronen stürzten auf sie nieder und brachten sie in Verwirrung.
(2) They had with them many waggons and many beasts of burden as in time of peace; moreover, not a few women and children and a large retinue of servants were following them — one more reason for their advancing in scattered groups. (3) Meanwhile a violent rain and wind came up that separated them still further, while the ground, that had become slippery around the roots and logs, made p45 walking very treacherous for them, and the tops of the trees kept breaking off and falling down, causing much confusion.
Weiter heißt es, die Marschkolonne sei durch den Tross behindert worden. Beide Übersetzungen lassen die Deutung zu (die im weiteren Text bekräftigt wird), Teile des Trosses wären zwischen die kämpfenden Teile geraten; wäre der Tross an einer Stelle der Heersäule konzentriert gewesen, hätte er nur die folgenden Teile behindert. Eine solche Vermischung verlangsamt oder verhindert aber die Entfaltung des Heeres.
Während des Marsches soll dann ein Sturm mit reichlich Niederschlägen aufgekommen sein und den Römern zusätzliche Hindernisse in den Weg gelegt haben. Cary schreibt allgemeiner als Welwei (bei dem die Römer gleich immer wieder ausrutschen) – und so äußert sich auch die von Dir zitierte Übersetzung –, der Weg sei tückisch geworden, ohne in Details zu gehen. Welwei übersetzt wörtlich, Cary sinngemäß.
Ich interpretiere das nicht so (und halte eine solche Interpretation auch nicht für zwingend), dass die Römer keinen Schritt mehr hätten machen können, ohne beinahe durcheinanderzupurzeln, und es den Germanen ebenso hätte ergehen müssen. Ich lese nur, dass die Römer buchstäblich einen schlechten Stand hatten und nur langsam und unsicher vorankamen. Niemand würde auf solchem Terrain kämpfen wollen.
Was das anlangt, sagte ich bereits, dass ich die Beschreibung für plausibel halte, dass der Wind und der Regen den Römern mehr zu schaffen machten als den im Hinterhalt liegenden Germanen. In einem naturnahen Wald bin ich selbst auf einem noch so schmalen Weg dem Wetter eher ausgesetzt als unter den Bäumen, die sich gegenseitig stützen und beeinflussen, wie viel Regen den Boden erreicht. Das Gleiche gilt für den Windbruch.
Wenn nicht gerade ein Tornado durch den Wald fegte, wäre man unter dicht beieinander stehenden Bäumen sicherer vor Windbruch als an Stellen, wo der Wind mehr Angriffsfläche findet – wie eben auf einem Waldweg. Ohnehin hätten die feststeckenden Römer nicht die Bewegungsfreiheit der angreifenden Germanen gehabt, die sich ihre Stelle zum Zuschlagen aussuchen konnten. Das Wort 'Verwirrung' ist m.E.n. in den Kontext militärischer Notwendigkeit zu stellen.
(4) Während die Römer sich in dieser schwierigen Lage befanden, umstellten die Barbaren sie plötzlich auf allen Seiten, indem sie aus dem dichtesten Gebüsch hervorbrachen, da sie ja jeden Pfad kannten; anfangs warfen sie aus der Ferne ihre Speere, dann aber, als niemand sie abwehrte und viele Römer schon verwundet waren, gingen sie zum Nahkampf über;
(4) While the Romans were in such difficulties, the barbarians suddenly surrounded them on all sides at once, coming through the densest thickets, as they were acquainted with the paths. At first they hurled their volleys from a distance; then, as no one defended himself and many were wounded, they approached closer to them.
Die Ausgangslage: Die Römer seien durch mannigfache Schwierigkeiten abgelenkt und mit sich selbst beschäftigt gewesen, die Germanen hätten sie in der Folge umzingeln können. Kommen wir also zu den Baumriesen, bzw. Dickichten, und den Speeren. Welwei und Cary beginnen ihre Beschreibung so, dass die Germanen sich in einer gewissen Entfernung zu den Römern befunden hätten.
Als Nächstes wären sie aus den Dickichten, die sie anscheinend von den Römern trennten, hervorgebrochen und hätten ihre Speere geschleudert. Die Distanz hätten sie also verkürzt, aber nicht komplett überwunden, da sie den Nahkampf noch scheuten; sie hätten sich immer noch im Wald befinden können und wären dort, wie ich behaupte, vor Wind und Regen besser geschützt gewesen.
Bei alledem, so Dio, habe ihnen ihre Ortskenntnis geholfen. Ich interpretiere diesen Punkt so, dass es ihnen gelungen sei, überraschend an Stellen zu gelangen, von denen sie viel Schaden stiften konnten. Andernfalls wäre der Verweis auf die den Germanen bekannten Pfade überflüssig.
Die folgende Passage ('als niemand sie abwehrte') wirkt freilich unglaubwürdig, falls für bare Münze genommen; irgendwer würde schon Widerstand geleistet haben. Streiten muss man sich darum aber nicht. Die Angegriffenen waren – da überrascht, unorganisiert und punktuell einem feindlichen Übergewicht ausgesetzt – nicht in der Lage waren, konzertierten Widerstand zu leisten.
(Weiter im folgenden Beitrag wegen Zeichenbegrenzung.)