In Portmanns von Galen-Biographie wird der Kardinal damit zitiert, dass dem "Euthanasie"-Programm der Nazis auch versehrte Veteranen des Ersten Weltkriegs zum Opfer fielen. Wie kam es eigentlich dazu, wie erklärt sich dieser Widerspruch zum Weltbild der Nazis, die das Selbstopfer fürs Vaterland immerhin zur höchsten Tugend erhoben hatten?
Kriegsversehrte waren eigentlich keine Opfer von T4 und ähnlichen Aktionen oder Sterilisationen. Wer Opfer geworden sein könnte, waren Leute, die durch ihre Erlebnisse im WKI einen dauerhaften und offensichtlichen psychischen Knacks bekommen haben. Leute, die unter Drogen- und Alkoholabhängigkeit litten, die als „asozial“ oder „arbeitsscheu“ galten, deren Zustand man ihrem Erbgut und nicht ihrer Biographie anlastete. Inwieweit Lamarckismus noch eine Rolle spielte, müsste man in Einzelfällen prüfen. Z.B. war Johann Paul Kremer ein Anhänger lamarckistischer Thesen und unternahm in Auschwitz entsprechende „Forschungen“.
Die Angaben sind ohne Gewähr, aber wenn ich mich nicht sehr täusche, wurden teilweise sogenannte "Kriegszitterer" in die Aktion T 4 einbezogen.
Grundsätzlich sollten Kriegsinvaliden nicht in die Aktion T 4 einbezogen werden. In der öffentlichen Darstellung war natürlich nie von Mord und Totschlag die Rede, vielmehr war die Rede von "Gnadentod", war die Rede davon, "Ballastexistenzen" gnädig zu erlösen.
1941 kam ein Film in die Kinos mit dem Titel "Ich klage an". In der Handlung geht es um Tötung auf Verlangen. Hanna Heyd ist eine lebenslustige Frau, die unheilbar an multipler Sklerose erkrankt. Ihr Mann ein Arzt forscht unermüdlich daran, ein Heilmittel zu entwickeln, trotz eines kurzfristigen Teilerfolgs verschlimmert sich der Zustand von Fr. Heyd innerhalb kurzer Zeit. Ein vermeintlicher Durchbruch in den Forschungen ihres Mannes erweist sich als Irrtum. Die Patientin bittet ihren Mann wiederholt um aktive Sterbehilfe. Als sich die Hoffnungen zerschlagen, gewährt der Ehemann seiner Frau ihre Bitte. Ein Kollege zeigt ihn daraufhin an, und der Ehemann wird deswegen angeklagt. In dem Prozess dreht der Angeklagte den Spieß um: Die Tötung auf Verlangen wird als quasi-humanitärer Akt gerechtfertigt. Der Fall Heyd wird kontrovers diskutiert von den Schöffen. Dr. Lang, der Kollege von Heyd war es, der ihn deswegen angezeigt hat, im weiteren Verlauf der Handlung ändert er seine Einstellung. Er behandelt ein Kind wegen Hirnhautentzündung und erhält das Leben des Kindes, allerdings um den Preis, dass das Kind blind, gelähmt und geistesgestört in eine Anstalt überstellt werden muss, und die Eltern Lang fragen, warum er es nicht hat friedlich sterben lassen. Dr. Lang entlastet daraufhin den Angeklagten, der in eigener Sache ein Plädoyer hält und um ein Urteil bittet, "um Klarheit zu schaffen für sich und zukünftige Fälle."
Mit dem Verweis auf Kriegsinvaliden ging es von Galen wohl vor allem darum, aufzuzeigen, dass prinzipiell jeder theoretisch Opfer der Aktion T 4 werden konnte, dass es nicht bloß "andere", "Degenerierte, Erbkranke etc." treffen konnte, sondern dass auch ganz normale Leute durch eine Kriegsverletzung zu "Ballastexistenzen", "unnützen Fressern" werden konnten. Das Bewusstsein, womöglich selbst Opfer von Euthanasie werden zu können, führte innerhalb der Bevölkerung zu massiver Beunruhigung, weshalb T 4 vorläufig gestippt wurde.