Jedenfalls hatte ich um belastbare empirirische Indizien oder Beweise für einen florierenden Handel entlang der Seidenstraße zur Mongolenzeit gebeten. Etwa Bilanzen aus den italienischen Handelsstädten, die damals schon mit einer geordneten Buchführung anfingen. Die scheint es also nicht zu geben.
Vorsicht, nicht so schnell schießen. Bilanzen gehören normalerweise nicht zu den Quellen, die für Editionen geschaffen sind - jedenfalls nicht vor dem 19. Jhdt. Archive waren bis vor knapp 150 Jahren noch keine Versorgungsanstalten für Historiker sondern dienten dem Zweck der Städte und Unternehmen (und früher auch der Klöster), noch heute ist die Hauptaufgabe der kommunalen und staatlichen sowie unternehmerischen Archive Daseinsvorsorge und erst in zweiter Instanz Berietstellung von Archivalien für die historische Forschung (wenngleich Archive heute nicht einfach kassieren dürfen, was aus der staatlichen Daseinsvorsorge entfällt, sondern prüfen müssen, ob das Material für Historiker späterer Generationen relevant ist). Sprich: Erst seit knapp 120 Jahren beschäftigen sich Historiker mit nichteditierten und nicht für die Edition geschaffenen Quellen. D.h. noch lange nicht, dass sie auch ediert sind. Hinzu kommt dann noch das Problem der Zugänglichkeit für den internationalen oder gar deutschen Markt. Sprich: Wenn Venedig Bilanzen aus dem 14. Jhdt. herausgibt - gibt die Stadt die dann auf italienisch (was vielleicht 20 % der deutschen Historiker verstehen) heraus oder auf englisch (was zumindest
formal annähernd 100 % der deutschen Historiker verstehen sollten)? Wenn Halab (Aleppo - Archivwesen ist in arabischen Ländern gar nicht so verbreitet, da es hier auch im Mittelalter kaum Klöster gab, die als Institutionen Archive anlegten) Bilanzen des 14. Jhtds. herausgäbe, wären die Editionen dann auf Arabisch (was nun mal immer noch ein Orchideenfach ist) oder auf Französisch (die Sprache sollten die meisten Historiker in Deutschland können)?
Bilanzen sind sehr sperrige Quellen. Ich habe mal ein Seminar zu Steuerschatzunglisten besucht. Für mich waren das hauptächlich Zahlenkolonnen, mit denen ich wenig anfangen konnte. Für den Seminarleiter, einen emeritierten Professor und pensionierten Leiter des Archivs, waren das Schätze, aus denen er soziale Verhältnisse etc. herauslesen konnte. Ich sag mal so: Ein Feld-, Wald- und Wiesen-Historiker, wie ich einer bin, kann mit Bilanzen nicht viel anfangen. Ein dezidierter Wirtschaftshistoriker, der sich mit Makro- und Mikroökonomie auskennt, der wirtschaftliche Kennzahlen lesen kann, bei dem sieht das natürlich anders aus.
Die meisten Wirtschaftshistoriker befassen sich doch am ehesten mit der neueren und neuesten Wirtschaftsgeschichte. Historiker, die auf die Wirtschaft des Mittelalters und obendrein noch auf den asiatischen Raum beschränkt sind, dürftest du einfach nicht so leicht finden. Deshalb geh mal nicht vorschnell davon aus, dass entsprechende Bilanzen nicht existieren, sondern für den Fall, dass sie existieren, dass sie kaum bearbeitet werden bzw. ihre Bearbeitung in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wird.
Wahrscheilicher ist es, dass du für den Zeitraum mit historiographischen, also erzählenden, für die Edition gedachten Quellen wirst arbeiten müssen.