Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen - seine Glaubwürdigkeit

(Dass es auch andere Quellen gegeben haben muss, sieht man an Plutarch, bei dem aus Vercingetorix Vergentorix wurde.)
Ich kenne jetzt die Überlieferungslage von Plutarch nicht. Aber nehmen wir mal an, dass schon in Plutarchs Autographen Vergentorix anstelle von Vercingetorix stand, wieso sollte das eine Hinweis darauf sein, dass Plutarch auf eine andere Quelle als Caesar zurückgriff? (Mit dem Umstand an sich habe ich kein Problem, nur mit der Basierung auf einer eigenwilligen Schreibung des Namens.)

Aber die römischen Armeen waren - auch wenn es aus der Retrospektive oberflächlich betrachtet mit wenigen Ausnahmen anders erscheinen mag - keineswegs unbesiegbar.
Richtig. Trotzdem schildert uns Cassius Dio den Schlachtverlauf so, als seien Germanen, Götter und Wetter miteinander gegen die Römer verschworen. Und die Germanen nebenbei gegen herabstürzende Baumkronen gefeit.
 
Speere gegen pila (Speere) und römische Torsionswaffen. Ob die Germanen den Bogen benutzten, darüber ist mir nichts bekannt. Ich las mal vor Jahren die - unbelegte - Behauptung, die Germanen hätten die Benutzung des Bogens in der Schlacht abgelehnt, was ich für unplausibel halte. War auch keine historische, sondern eine gerichtsmedizinische Arbeit, die sich mit Pfeilschusswunden befasste (der Dissertierende war selber Bogenschütze).
 
Torsionswaffen waren sicher zu unhandlich. Und wenn es tatsächlich regnete, wären Bogen für beide Seiten unbrauchbar gewesen.
 
Ich kenne jetzt die Überlieferungslage von Plutarch nicht. Aber nehmen wir mal an, dass schon in Plutarchs Autographen Vergentorix anstelle von Vercingetorix stand, wieso sollte das eine Hinweis darauf sein, dass Plutarch auf eine andere Quelle als Caesar zurückgriff? (Mit dem Umstand an sich habe ich kein Problem, nur mit der Basierung auf einer eigenwilligen Schreibung des Namens.)
Du meinst also, Plutarch habe sehr wohl Caesar benutzt und sei einfach zu blöd gewesen, um "Vercingetorix" zu lesen und vernünftig ins Griechische zu transkribieren (wie es andere griechischsprachige Autoren sehr wohl schafften), weshalb er "Vergentorix" daraus gemacht habe?

Richtig. Trotzdem schildert uns Cassius Dio den Schlachtverlauf so, als seien Germanen, Götter und Wetter miteinander gegen die Römer verschworen. Und die Germanen nebenbei gegen herabstürzende Baumkronen gefeit.
Das schreibt er nicht, nur dass die Unbilden des Unwetters den Römern mehr zu schaffen machten als den Germanen.

Hier sollte man sich die unterschiedliche Kampfweise vor Augen halten: Die Römer marschierten in Kolonnen und kämpften nach Möglichkeit in geschlossenen Formationen. Sie liefen im Normal- und Idealfall nicht einfach wild herum und suchten sich Gegner für Einzelkämpfe. (Man sollte sich nicht von heutigen "Historienfilmen" verwirren lassen, in denen Krieger zu Beginn einer Schlacht zwar einen Schildwall bilden, aber wenn dann das Angriffssignal ertönt, rennen alle wild drauf los und statt irgendwelcher Ordnung löst sich alles in Einzelkämpfe auf.) Die Germanen hingegen plänkelten in der Varusschlacht, griffen punktuell an und zogen sich wieder zurück. Dass es bei Unwetter und schwierigen Bodenverhältnissen schwieriger ist, Ordnung zu halten und Formationen einzunehmen, als einfach flexibel herumzulaufen und zu plänkeln, ist doch wohl nicht so abwegig.
 
Du meinst also, Plutarch habe sehr wohl Caesar benutzt und sei einfach zu blöd gewesen, um "Vercingetorix" zu lesen und vernünftig ins Griechische zu transkribieren (wie es andere griechischsprachige Autoren sehr wohl schafften), weshalb er "Vergentorix" daraus gemacht habe?
Ich meine überhaupt nichts. Ich weiß ja nicht, wie oft der Name Vergentorix vorkommt. Wenn der einmal vorkommt, dann kann man darauf keine Argumentation aufbauen, wenn der 20x vorkommt, dann schon. Und ich weiß auch nicht, wie viele Textzeugen von Plutarch überliefert sind, wie viele davon den entsprechenden Textteil beinhalten und ob es ein Stemma der Textzeugen gibt, also ob da Traditionslinien unterschieden werden, aus denen der Archetypus rekonstruiert werden kann, um möglichst nahe an das plutarch’sche Original zu kommen.
Aber selbst dann würde ich niemals jemanden für doof halten, weil er einen einmal falsch wahrgenommenen fremden Namen kontinuierlich falsch wiedergibt. Das wäre im Ggt. sogar konsequent.

In der Historia Roderici (HR) beispielsweise werden Namen von arabischen Personen in teils sehr variierenden Schreibweisen wiedergegeben. Da wird aus einem المؤتمن (al-Muʾtaman) mal ein Almutamen, mal ein Almuctaman, mal auch auf -m (Schreibweisen müssen nicht zu 100 % stimmen, ich hab den Text auf einer alten Festplatte gespeichert). Das ء (Hamza) über dem و signalisiert den Glottisschlag, insofern ist das eingebaute [k] (Almuktaman/m) sogar einigermaßen nachvollziehbar. Deshalb hat der Verfasser der HR aber seine Infos nicht aus verschiedenen Quellen bezogen. Er hatte einfach das Problem, dass er eine im Arabischen normale, im Lateinischen aber nicht adäquat wiederzugebende Lautfolge nicht korrekt zu reproduzieren wusste.
Dasselbe passierte mit المعتمد (al-Mu‘tamid), der mal als Almotamid, mal als Almoctamit mal als Almoatamid fixiert wird. Hier ist es das ‘ayn (ع), ein kehlig gequetschter Konsonant (ein stimmhaft-pharyngaler Reibelaut) der von uns Europäern oft als [a] gehört wird, auch der wird in der HR tw. als [k] wiedergegeben.
Ich halte den Verfasser der HR für einen ungeübten Schreiber, der sich wahrscheinlich beim Schreiben langsam vorsprach, denn er schreibt mehrfach columpnas (columnas). Wenn man columnas in Schreibgeschwindigkeit vor sich hin flüstert, dann hört man tatsächlich beim Öffnen der Lippen vom [m] zum [n] einen angedeuteten bilabialen Plosiv [p], was die Schreibung columpnas nur konsequent erscheinen lässt. Aber das ändert ja nichts daran, dass er denselben Namen in phonetisch ganz unterschiedlichen Weisen schreibt.
 
Die Germanen konnten zudem bei starkem Regen und Sturm ihre Fernwaffen gegen die Römer wirkungsvoll einsetzen, während das den Römern bei diesem Wetter begreiflicherweise nicht möglich war.

Ad fontes - noch mal zu den Fernwaffen:

Cassius Dio schreibt:

21. (3) So brach der vierte Tag ihres Marsches an, und sie gerieten erneut in einen strömenden Regen mit heftigem Sturm, der sie nicht nur daran hinderte, vorzurücken oder einen festen Stand zu gewinnen, sondern auch den Gebrauch der Waffen nahezu unmöglich machte, denn sie konnten weder ihre Bogen noch ihre Wurfspeere oder auch nur ihre Schilde [S. 59] richtig verwenden, da diese Waffen völlig durchnäßt waren. (4) Für die Feinde hingegen war die Nässe kaum ein Hindernis, da sie ja größtenteils leichtbewaffnet waren und so die Möglichkeit hatten, ohne Gefahr anzugreifen oder sich zurückzuziehen.​

Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / [o. D.]: Cassius Dio über die Varusschlacht (Cassius Dio 56,18,1-24,5)

Vorher wird berichtet, dass die Legionen mit Tross sich schon im Waldgebirge befanden. Aufgrund der schlechten Wege wurde die Marschkolonne immer länger. Dann erfolgten punktuell aus dem Dickicht Angriffe auf die Römer, wobei diese in der Unterzahl waren. Zunächst haben auch die Germanen ihre Wurfspeere eingesetzt. Das ergibt für mich auch Sinn, weil die Verwendung der Speere, Bögen und Schilde erst nach mehreren Tagen Regen nicht mehr möglich war. Die leichte Bewaffnung der Germanen dürfte dann - so vermute ich - aus Hieb- und Stichwaffen bestanden haben.

Ich hatte schon vor einigen Jahren etwas dazu geschrieben:

Ich habe mir gerade den Text des Cassius Dio noch einmal zur Gemüte geführt (Antike Schriftsteller zum Thema Varusschlacht -).

Beim Lesen mußte ich eher an Angriffe der Germanen im Guerilla-Stil ("Hit & Run"- Zuschlagen und Abhauen) denken. Man mag es auch als asymmetrische Kriegsführung oder Partisanenkampf wie Robin Hood & Co. bezeichnen. Zwar wird die römische Armee nicht quer durch den Wald gezogen sein, aber es könnten ja durchaus aus Waldstücken heraus Angriffe auf die Römer erfolgt sein. Beim Verfolgen der Germanen waren die Römer wohl eher im Wald im Nachteil. Eine geschlossenen Formation konnte da nicht gebildet werden.

Und die Germanen nebenbei gegen herabstürzende Baumkronen gefeit.

Nochmals Cassius Dio:

20. (3) Noch dazu wurde die Kolonne durch heftigen Regen und Sturmwind weiter auseinandergezogen; der Boden war an den Wurzeln und Enden der Stämme ziemlich schlüpfrig geworden, so daß sie immer wieder ausglitten; vom Sturm zerborstene Baumkronen stürzten auf sie nieder und brachten sie in Verwirrung.​

Da geht es doch darum, dass die Marschkolonne durch das Unwetter aufgehalten wurde (wenn da schon Baumkronen umstürzen, muß das doch schon ein heftiger Sturm gewesen sein, wie man ihn heutzutage alle paar Jahre mal hat). Da geht es nicht darum, dass während eines Gefechtes alleine auf die Römer die Baumkronen fallen.
 
Nochmals Cassius Dio:

20. (3) Noch dazu wurde die Kolonne durch heftigen Regen und Sturmwind weiter auseinandergezogen; der Boden war an den Wurzeln und Enden der Stämme ziemlich schlüpfrig geworden, so daß sie immer wieder ausglitten; vom Sturm zerborstene Baumkronen stürzten auf sie nieder und brachten sie in Verwirrung.​

Da geht es doch darum, dass die Marschkolonne durch das Unwetter aufgehalten wurde (wenn da schon Baumkronen umstürzen, muß das doch schon ein heftiger Sturm gewesen sein, wie man ihn heutzutage alle paar Jahre mal hat). Da geht es nicht darum, dass während eines Gefechtes alleine auf die Römer die Baumkronen fallen.
Und wo sind die Germanen während dieses Sturms?
 
Und wo sind die Germanen während dieses Sturms?

Das sagt der Text nicht. Wenn ich zwischen den Zeilen lese, dann wurde Varus gezielt in die Falle geführt. Dann gehe ich davon aus, dass in der Nähe des von ihm zu nehmenden Weges sich schon vorher die germanischen Krieger in Lagerplätzen heimisch eingerichtet haben und dort auf die Beute warteten.
 
Und zwar in heftigem Sturm, der Bäume zersplittern ließ.

Das kann ich so aus dem Text von CD nicht erkennen. Er schreibt von Sturm und dadurch umgestürzten Baumkronen. Als Fußgänger kann man noch über ein ungestürzten Baum hinwegsteigen, das wird aber mit einem Wagen unmöglich. Bis dann ein Weg wieder freigeräumt sein wird, wird man einen gewissen Stau haben und dadurch dürfte auch die Marschkolonne noch länger geworden sein.

Ich verstehe den Text so, dass erst nach dem Sturm die Germanen die Römer angegriffen haben.
 
Das kann ich so aus dem Text von CD nicht erkennen. Er schreibt von Sturm und dadurch umgestürzten Baumkronen.
Dann schreibe ich lieber "heftigem Sturm, der Bäume zerbersten lässt". Die Kronen sitzen ja nicht einfach locker auf den Bäumen...

Ich verstehe den Text so, dass erst nach dem Sturm die Germanen die Römer angegriffen haben.
Das kann ich aus dem Text nicht erkennen.
 
Ich meine überhaupt nichts. Ich weiß ja nicht, wie oft der Name Vergentorix vorkommt. Wenn der einmal vorkommt, dann kann man darauf keine Argumentation aufbauen, wenn der 20x vorkommt, dann schon.
In Plutarchs Caesar-Biographie kommt "Vergentorix" (Οὐεργεντόριξ) zweimal vor.
Das ist aber nicht die einzige Abweichung. Aus Caesars "Carnutes" macht er "Karnutinoi" (Καρνουτῖνοι). (Die Usipeter und Tenkterer scheinen auch in veränderter Form auf, aber das kann man eventuell durch Fehler späterer Abschreiber erklären, aber dass die Karnuten eine Silbe dazu bekamen, wohl kaum.)
 
In Plutarchs Caesar-Biographie kommt "Vergentorix" (Οὐεργεντόριξ) zweimal vor.
Ja, das habe ich heute Nacht auch schon festgestellt. Was ich heute Nacht nicht herausfinden konnte war, wie viele Textzeugen von Plutarchs Doppelbiographien auf uns gekommen sind (speziell wie viele vom Caesar-Buch schon mal gar nicht).
 
Ich verstehe den Text so, dass erst nach dem Sturm die Germanen die Römer angegriffen haben.
Das kann ich aus dem Text nicht erkennen.

Dann noch zu meinem Textverständnis:

In Cassius Dio 20. (s. Link oben zur deutschen Übersetzung) verstehe ich folgendes (Paraphrasierung meinerseits):

(1) CD beschreibt die Probleme der Römer beim Vorwärtskommen im Waldgebirge mit Schluchten und nicht gangbaren Wegen.
(2) Der Tross bestand aus vielen Wagen, dazu viele Frauen und Kinder und Trossknechte, und die Marschordnung löst sich. Da hört sich für mich so an, als ob die lange Kolonne sich in mehrere kleinere Kolonnen sich aufteilt.
(3) Dann noch Regen und Sturm - die dann durch aufgeweichte Erde und herabstürzende Bäume das Vorwärtskommen noch weiter erschwert.

Also die Lage aus meiner Sicht zusammengefaßt: auf engen Pfaden im ungängigen Gelände zieht sich ein längerer Heeresverband, der sich über eine längere Strecke staut. Wenn vor einem ein langsamer Karren ist, dann können die dahinter auch nicht schneller voran. Dann noch Regen und Sturm, wo wohl noch der ein oder andere Baum umgefallen ist. Also da dürften die Wege ziemlich aufgeweicht sein und wohl auch noch der ein oder andere Baum den Weg versperren. Also die Karren dürften ziemlich im sprichwörtlichen Dreck gestanden haben. Zwischendurch rennen dann noch Zivilisten, Frauen und Kinder herum.

und weiter mit dem Text von Cassius Dio

(4) Während die Römer sich in dieser schwierigen Lage befanden, umstellten die Barbaren sie plötzlich auf allen Seiten, indem sie aus dem dichtesten Gebüsch hervorbrachen, da sie ja jeden Pfad kannten; anfangs warfen sie aus der Ferne ihre Speere, dann aber, als niemand sie abwehrte und viele Römer schon verwundet waren, gingen sie zum Nahkampf über; (5) da die Römer nicht in einer einigermaßen geordneten Formation vorrückten, sondern die Kolonne mit Wagen und Unbewaffneten bunt gemischt war, konnten sie nicht ohne weiteres dicht aufschließen, und ihre einzelnen Abteilungen waren jeweils zahlenmäßig schwächer als die angreifenden Feinde; so erlitten sie erhebliche Verluste, ohne den Barbaren etwas anhaben zu können.
 
Deine Lesart "erst nach dem Sturm" scheint mir daraus nicht hervorzugehen.

CD schreibt ja nicht "während des Sturms", sondern:

(4) Während die Römer sich in dieser schwierigen Lage befanden,

Diese schwierige Lage bezieht sich für mich zusammenfassend auf die vorherigen Sätze (1) bis (3) und nicht nur auf den ein oder anderen Baum, der im Sturm umgekippt ist, sondern auf die Schwierigkeiten des Weges im Waldgebirge, die Probleme beim Vormarsch, friedensmäßige Ordnung, dann vermutlich Staus auf dem Weg.

Für mich hört sich das alles so an, also ob die Marschkolonne in Teilen gar nicht oder nur sehr langsam vorankommt.

Ich kann leider kein Griechisch, vielleicht ergibt sich aus dem griechischen Ursprungstext noch irgendetwas anderes. Allerdings wird der Autor sich auf ein uns nicht erhaltenen lateinischen Text gestützt haben. Bis zu diesem deutschen Text sind also schon zwei Übersetzungen von Nöten gewesen. Da kann auch schon bei der ersten Übertragung aus dem Lateinischen ins Griechische etwas falsch gelaufen sein. (Sofern CD hier nicht irgendetwas aus seiner Phantasie hinzugefügt hat.)
 
Wir hatten letztes Jahr mehrere Stürme, bei denen Bäume auf einen Fernwanderweg in einem engen Tal fielen. Ein etwa 2km langer Abschnitt musste für mehrere Wochen gesperrt werden, bis Forstarbeiter mit Kettensägen die Strecke wieder passierbar machten. Ich war nicht der einzige Freak, der über (oft mehr unter) umgestürzte Bäume kletternd die gesperrte Strecke dennoch ablief.
Was ich damit sagen will, ist, dass ich Carolus' Interpretation, der Weg der Legionen des Varus sei nach einem Sturm - isb für einen Tross - schwer zu passieren gewesen, nachvollziehen kann, auch wenn dies nicht expressis verbis in der Quelle steht.
 
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