In Cäsars Werk "Der Bürgerkrieg/de bello civili" wird die Überschreitung des Rubikon nicht einmal erwähnt. Der Italische Feldzug beginnt am 13.1.49 v.Chr - die Überschreitung soll am 10.Januar 49 v.Chr. statgefunden haben. Warum beschreibt Cäsar das Ereignis nicht, das viele römische Autoren ausführlich schildern?
Ich habe mich gestern bei diesem schmuddeligen Herbstwetter in das Thema vertieft. Mir ist bei der Parallellektüre der Quellen zum Rubicon-Übergang erst aufgefallen, wie stark meine Auffassung, wie das Ereignis abgelaufen ist, von den späteren kaiserzeitlichen Literaturen abhängig ist.
Das Bonmot "Alea iacta est" ("Die Würfel sind geworfen"), der eine Entscheidung ausdrückt, die kein Zurück kennt, verband ich selbstverstädnlich mit dem Überscheiten der Schwelle am Rubikon.
Ich war verblüfft, das Cäsar den Rubikonübergang nicht erwähnt, auch nicht im ersten Kapitel Der Ausbruch des Bürgerkriegs um die entscheidende Senatssitzung vom 6.Januar 49 v.Chr. Dies hatte ich beim ersten Lesen des kompletten Buchs vor vielen Jahren nicht bemerkt. Cäsar und die 13.Legion befinden sich in Ravenna, die Stadt wird genannt, der kleine Fluss zwischen Italia und Gallia Cisalpina nicht.
Der Bürgerkrieg ist im nüchternen und kompakten Stil Cäsars geschrieben, der selbstverständlich einseitig sein Handeln legitimieren will. Dafür benötigt er jedoch keine göttlichen Zeichen oder das Wohlgefallen der Schutzgötter Roms, sondern einen rechtlichen Standpunkt (fast könnte man meinen Cäsar verteidige die Republik), die Delegitimation der neidvollen Verschwörer (einem Pompeius, der keinen anderen neben sich dulden kann) etc. In einer Dissertation von Angela Kühnen "Die imitatio Alexandri als politisches Instrument römischer Feldherren und Kaiser in der Zeit von der ausgehenden Republik bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n.Chr." fand ich dann weitere Inspirationen und eine Analyse, warum sich Cäsar trotz seiner Rede an seine Soldaten (nach dem Übergang!) nicht mit Alexander (am Hyphasis) vergleicht. Angela Kühnen wertet alle Quellen aus, und kommt zum Ergebnis, dass Cäsar zwar Alexander bewundert habe, aber ihn nicht imtitierte - jedenfalls nicht im Jahr 49 v.Chr. - da war er noch ein ehrgeiziger Politiker, verschuldet, von Anklagen bedroht, dessen Lebenswerk und politische Karriere in Gefahr war.
Kühnens Fazit:
Im Falle Caesars können wir eine imitatio Alexandri wohl verneinen. Es mag sein, dass Caesar in seinem Innern ein großer Bewunderer des Makedonenkönigs gewesen ist, nach außen getragen hat er diese Gedanken jedoch nicht. Auffallend ist, dass er Alexander in seinen eigenen Schriften an keiner einzigen Stelle erwähnt. Der häufige Vergleich von Caesar und Alexander durch die zeitgenössischen Schriftsteller und ihr Versuch, Parallelen zwischen beiden aufzuzeigen, hat mit Caesars eigenen Vorstellungen nichts zu tun und fällt in den Bereich der comparatio.....
Man darf festhalten, dass Caesar zum Ausbau seiner Macht und seines Prestiges auf ähnliche Elemente der Repräsentation wie Alexander (Vergöttlichung, Kosmokrator-Symbolik) zurückgegriffen hat, bewusst imitiert hat er ihn sicherlich nicht."
Vielleicht konnte sich Cäsar auch nur mit dem Hereon Romulus identifizieren, weil sein Gegner Pompeius sich mit Alexander verglich:
"Pompeius jedoch glaubte von seiner Jugend an, dass er wie Alexander der Große sei, und war in Taten und Ratschlägen dessen Rivale" Sallust (Hist. III, 88M)
Warum schreibe ich das alles? Wenn die Rubikonüberquerung (was Alexander am Hyphasis misslingt, gelingt Cäsar am Rubikon: seine Soldaten zu überzeugen, die loyal bleiben und ihm in das ungewisse Abenteuer folgen, und die Zustimmung der Götter) Werk kaiserzeitlicher Dichter, Historiker und Augenzeugen (Asinius Pollo wird genannt) ist, dann ist das Elbeereignis (Drusus wird von der Schutzgöttin am Übergang gehindert und gehemmt, das weitere Eindringen und die Überquerung der Elbe wird ihm verboten (Suet. Cl 2)) voraussichtlich gleichfalls eine erfundene unechte Geschichte, die Anleihen bei dem "Topos des Alexander" macht, der die Götter herausfordert und ignoriert: Drusus missachtet als Konsul böse Vorzeichen für seinen Feldzug an die Elbe, (Cass Dio 55,1), der sein Glück versucht, und das Leben seiner Männer und sein eigenes riskiert, und die Länder verheert.
"
Den Schlupfwinkel seiner Familie, Makedonien, verließ er, verschmähte das von seinem Vater unterworfene Athen, raste durch die Länder Asiens, immer vom Schicksal vorwärtsgedrängt, richtete eine ungeheure Verheerung an und fuhr mit dem Schwert durch alle Nationen. Ferne Flüsse besudelte er mit Blut, den Euphrat mit persischen, den Ganges mit indischen. Er war eine grauenvolle Weltkatastrophe, ein Blitz, der die ganze Menschheit gleichzeitig traf, ein Gestirn, das ganze Nationen den Untergang brachte. Er traf Vorbereitungen, eine Flotte über das Meer, en äußeren Ozean zu senden.....Doch da ereilte ihn der Tod. Das war die einzige Grenze, die die Natur dem wahnsinnigen König setzen konnte." Lukan, de bello civili, 10,20.
Auch Drusus verheert Länder,
"und stieß, alles verwüstend, bis zur Elbe vor. (Cass Dio 55,2). Auch Drusus musste sich dem vorhergesagten Tod beugen, genau wie Alexander. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass in der Gestalt von Drusus die negativen Aspekte Alexanders, ungebremster leidenschaftlicher Ehrgeiz, extreme Risikobereitschaft und Unersättlichkeit kritisiert werden- A.Kühnen nennt den passenden griechischen Begriff für die Alexandercharakterisierung:
Der Begriff πÒθος ist in seiner Aussagekraft schwer zu bestimmen. Er bezeichnet im Falle Alexanders die Sehnsucht nach dem Unbekannten oder eines irrationalen Impulses. In der Übersetzung findet man auch häufig Wörter wie „Neugier“, „Lust“ oder „Verlangen“. Bei den Alexanderhistorikern, Ptolemaios, Aristobul und Nearch, leitet dieser Ausdruck stets ein neues großes Unternehmen des Welteroberers ein." (S.163-164)