Bankgeschäfte mit NS-Deutschland bis Kriegsende
Nach Kriegsbeginn im September 1939 kündigten die britischen und die
amerikanischen Banken ihre Teilnahme am deutschen Kreditabkommen. Die
Schweizer Banken unterzeichneten ihrerseits am 18. September 1939 ein weiteres
Abkommen mit Deutschland, das eine unverzichtbare Basis für die Aufrechterhaltung
der gegenseitigen Beziehungen war und aus diesem Grund auch
von deutscher Seite begrüsst wurde. Ab 1942 verlangten die Vertreter der
schweizerischen Banken – zweifellos als Reaktion auf die veränderte militärische
Situation, die ihre Verhandlungsposition zu stärken schien – grössere
Rückzahlungen und die Annullierung ungenutzter Kreditlinien. Um ihre
Sonderstellung zu bewahren, waren sie allerdings auch in diesem Stadium des
Kriegs noch bereit, deutschen Kunden neue Kredite zu gewähren.
Die Verträge erstreckten sich auch auf die von Deutschland besetzten und
annektierten Gebiete. So wurden in einem weiteren Vertrag vom Oktober 1940
auch die ausstehenden Kredite aus den besetzten Ländern aufgenommen
(17 Mio. Franken für das «Protektorat Böhmen und Mähren», 28 Mio. für die
annektierten polnischen Gebiete und 11 Mio. für das «Generalgouvernement
»). Im Februar 1942 kamen weitere Gebiete hinzu, namentlich das Elsass,
Lothringen und Luxemburg (ungeachtet der Proteste der Exilregierungen). Im
Zusammenhang mit diesen Vereinbarungen wurde daran gedacht, im Rahmen
eines Kompensationsabkommens die aus dem Elsass und aus Lothringen stam-
menden Einlagen bei Schweizer Banken mit den Forderungen der Banken
gegenüber diesen Gebieten zu verrechnen. Weil den deutschen Devisenbehörden
aber nur ein kleiner Teil der Guthaben bekannt war, der Grossteil der Vermögenswerte
daher für die Kompensation nicht zur Verfügung stand, blieben
die Verhandlungen, die zweifellos den Interessen der Kontoinhaber zuwidergelaufen
wären, erfolglos. Hingegen meldeten die Schweizer den neuen Machthabern
Anfang 1942 vorschriftsgemäss die elsässischen Aktien in Schweizer
Besitz an.
Die schweizerischen Banken gewährten während des Kriegs den verschiedensten
deutschen Unternehmen Kredite. Sie waren dabei auch in Geschäfte involviert,
die einen Bezug zur deutschen Kriegsrüstung und zum Holocaust aufwiesen:
Die Schweizerische Kreditanstalt arbeitete eng mit der Deutschen Bank
zusammen, der Bankverein stand in ähnlicher Beziehung zur Dresdner Bank.
In beiden Fällen kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit bei einigen der
problematischsten Transaktionen der Kriegszeit: den Geschäften mit Beutegold
beziehungsweise Raubgold.17 Noch 1943 gewährte die Schweizerische
Bankgesellschaft der Deutschen Bank einen neuen Kredit über 500 000 Franken.
Die Beziehungen dauerten bis Kriegsende und sogar darüber hinaus.
Die drei grössten Schweizer Banken bewarben sich ferner um Geschäftsbeziehungen
mit der Bank der Deutschen Luftfahrt, die 1939 mit dem ausdrücklichen
Ziel gegründet worden war, die Kapazitäten der Luftwaffe auszubauen.
Die engsten Kreditbeziehungen unterhielt bis 1942 der Schweizerische Bankverein,
dann versuchte die Bankgesellschaft, dieses Geschäft voranzutreiben,
und 1943 schliesslich kam der Grossteil der Kredite an die Bank der Deutschen
Luftfahrt von der Kreditanstalt.
Kredite gingen auch an deutsche Industriebetriebe: 1940 konvertierte die
Schweizerische Kreditanstalt einen ursprünglich den Berliner Elektrizitätswerken
gewährten Kredit in einen Dreijahreskredit an die IG Farbenindustrie, und
zwar in erster Linie deshalb, weil der neue Kredit durch Vermögenswerte des
Chemieunternehmens in Portugal gut abgesichert schien. Im selben Jahr vergab
der Bankverein einen Zweijahreskredit an die IG Farben und die Bankgesellschaft
einen solchen an deren slowakische Tochtergesellschaft, die Dynamit
Nobel AG, Bratislava. Die Banken setzten die Kreditvergabe an die IG-Farbenindustrie
auch in den Jahren 1941 und 1942 fort. Der Bankverein half ihr
sogar in Feindesland aus, indem er ihr 1943 Sterlingkredite für den Ankauf
rumänischer Erdölaktien zur Verfügung stellte. Wie diese Kredite letztlich verwendet
wurden, ist kaum mehr festzustellen und angesichts des fungiblen Charakters
von Geld vielfach unmöglich. Grundsätzlich boten sie die Möglichkeit,
Ankäufe in Devisen zu tätigen; eine direkte Beziehung zwischen diesen Krediten
und zum Beispiel der Finanzierung des gigantischen IG-Farben-Chemie-
komplexes in der Umgebung des Vernichtungslagers Auschwitz kann aber
nicht hergestellt werden. Wahrscheinlich wurden die Kredite für den Import
von Rohstoffen verwendet, die durchaus in Auschwitz-Monowitz zum Einsatz
gekommen sein könnten. Für die Schweizer Banken sollten mit diesen Krediten
in erster Linie die offenen Positionen entflechtet und auf jene finanzstarken
Schuldner umgeschichtet werden, die im Fall einer Niederlage Deutschlands
die besten Sicherheiten bieten würden.
In einigen Fällen wurden schweizerische Kredite auch für Bauten verwendet,
die eine unmittelbare Funktion in der militärischen Infrastruktur einnahmen,
aber auch in einem Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Genozid
standen. So bewarben sich in den Jahren 1941 und 1942 die Schweizerische
Bankgesellschaft und der Bankverein um die Finanzierung einer Lieferung von
Holzbaracken aus der Schweiz an die Wehrmacht und die SS. Die Transaktion
wurde auf ungewöhnliche und geheimnisvolle Weise abgewickelt; ausserdem
kam es zu Schmiergeldzahlungen an eine Reihe günstig positionierter Vermittler,
so an den Sohn von General Guisan, Henri Guisan, der 13 000 Franken
an Provisionen erhielt.18
Andere, gleichermassen fragwürdige Geschäfte, wurden ausgelagert. So entwickelte
sich die Schweizerische Bodenkreditanstalt (SBKA), eine der Schweizerischen
Kreditanstalt nahestehende Hypothekarbank, immer mehr zu einer
Spezialbank für die Liquidierung nicht transferierbarer deutscher Zahlungsverpflichtungen
(in sogenannten Sperrmark) gegenüber Schweizer Banken, die
ihren Ursprung in den Schuldenmoratorien von 1933 und 1934 hatten.19 Die
Bodenkreditanstalt entwickelte diverse Methoden, um in Deutschland gesperrte
Markbestände aufzulösen beziehungsweise indirekt zu transferieren. Dazu
baute sie ein Netzwerk persönlicher Beziehungen auf, das über den Zürcher
Anwalt Wilhelm Frick zu Wilhelm Oeding, einer Vertrauensperson von Hermann
Göring, reichte. Zunächst erwirkte die Bodenkreditanstalt die Erlaubnis,
aus Deutschland eingeführte Waren und Rohstoffe mit Sperrmark zu bezahlen
und sich den Kaufpreis von den Schweizer Käufern in Franken vergüten zu lassen.
Derartige Geschäfte waren stets mit beträchtlichen Schmiergeld- oder Provisionszahlungen
verbunden. Während der Kriegsjahre wurden die Transaktionen
noch verwickelter, und eine Erlaubnis zur Freigabe von Sperrmark wurde
an aufwendigere Bedingungen wie zum Beispiel die Lieferung strategisch wichtiger
Güter nach Deutschland geknüpft. So gelangten durch Vermittlung der
Bodenkreditanstalt ca. 3% des deutschen Gesamtbedarfs an Wolfram ins
«Dritte Reich», das Metall war für die Herstellung von Spezialstahl unentbehrlich.
Die Banken erbrachten Deutschland aber auch andere Finanzdienstleistungen.
So beteiligten sie sich an Devisengeschäften, tätigten den An- und Verkauf von Banknoten, halfen bei Goldtransaktionen mit, finanzierten Handelsgeschäfte
und ermöglichten Dreiecksgeschäfte mit Drittstaaten. Ein besonders problematischer
Teil des Bankgeschäfts mit NS-Deutschland bildete der Wertpapierhandel.
In den zwanziger Jahren spielten Wertpapiertransaktionen eine erhebliche
Rolle für die international ausgerichteten Finanzinstitute. Als Folge der
Bankenkrise ging aber auch an den schweizerischen Börsen dieses Geschäft in
den Jahren 1930 bis 1935 so stark zurück, dass viele kleine Banken und Börsenagenturen
den Betrieb einstellen mussten. Andere Kleinbanken und bankähnliche
Institute (so die Gesellschaft für Finanzgeschäfte AG, Zürich; die Arbitrium
AG, Zug; die Winterstein & Co., Zürich) suchten einen Ausweg, indem
sie sich auf den Erwerb deutscher Anleihecoupons (Zins- oder Dividendenscheine)
spezialisierten. Diese wurden auf dem Sekundärmarkt aufgekauft, nach
Deutschland transferiert und dort getilgt. Die Spezialfirmen funktionierten
dabei vor allem als Sammelstellen kleiner und daher unverkäuflicher Posten von
Coupons. Laut Friedrich von Tscharner, Geschäftsleiter der Discont-Credit AG,
Zürich,
«bringt es die Natur des Geschäftes mit sich, dass es besser im Rahmen
eines kleineren Unternehmens betrieben wird, weil sich dabei von selbst
die erforderliche Konzentration und Übersicht in den verschiedenen Teilgebieten
ergibt. Auch muss man dabei Fühlung halten mit Stellen, mit
denen eine Grossbank vielleicht nicht gerne laufend verkehrt, ohne dass es
sich dabei um zweifelhafte Adressen zu handeln braucht.»20
Ein weiteres spezielles Geschäftsfeld der Banken lag im Rückkauf deutscher
Wertschriften in der Schweiz, nach Kriegsbeginn auch in den USA und in weiteren
Ländern. Diese Rückkaufgeschäfte erfolgten zunächst direkt für verschiedene
deutsche Unternehmen. Ab Mitte der dreissiger Jahre gingen die Titel in
gebündelter Form an die Deutsche Golddiskontbank. 1940 und 1941 kaufte
auch die Firma Otto Wolff als Agentin des Beauftragten für den Vierjahresplan,
Hermann Göring, grosse Posten deutscher Titel in der Schweiz zurück. Die
Attraktivität dieses Geschäfts bestand darin, dass deutsche Firmen ungetilgte
Obligationen zu sehr niedrigen Preisen zurückkaufen konnten (vielfach lagen
diese 20 bis 50% unter ihrem Nominalwert), während die Verkäufer froh
waren, ihre Verluste auf diesen Papieren, deren Kurse konstant sanken, begrenzen
zu können. Da durch das deutsch-schweizerische Stillhalteabkommen von
1933 schweizerischen Papieren eine Vorzugsbehandlung zukam, mussten diese
inskünftig mit einer Bestätigung (Affidavit) versehen sein, dass sie schweizerisches
und nicht ausländisches Eigentum waren. Während des Kriegs kam es
allerdings zu einem Wildwuchs von Affidavits und Zusicherungen aller Art: Die Deutschen verlangten Erklärungen, dass die Wertschriften nicht Angehörigen
von «Feindstaaten» gehörten, während die Alliierten die «Zusicherung»
verlangten, dass die betroffenen Titel in schweizerischem oder in neutralem
Besitz waren. In manchen Fällen stellten Bankangestellte und Financiers
gefälschte Affidavits zugunsten ausländischer Klienten aus. Dies wurde nicht
als problematisch erachtet, da man davon ausging, dass dadurch niemand
geschädigt werde. Die beteiligten Schweizer Firmen zogen jedenfalls Nutzen
aus Couponhandel, Rückkaufgeschäften und Affidavitfälschungen. Solche
Geschäfte eröffneten gleichzeitig NS-Tätern einen Kanal, um ihre Vermögenswerte
liquide zu machen, und waren häufig auch für Verfolgte des NS-Regimes
hilfreich, da viele Emigranten und Flüchtlinge ihre Coupons und Wertpapiere
nur auf diesem Weg gegen Devisen verkaufen konnten.
Um der Gefahr vorzubeugen, dass die Deutschen die in den besetzten Gebieten
geraubten Wertschriften in der Schweiz veräussern konnten, führten die Börsen
Ende 1940 sogenannte Schweizerbesitzerklärungen ein. Stellten die Behörden
Fälschungen fest, so vertraten sie – insbesondere das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement
– auch hinsichtlich dieser Art unsauberer Geschäfte meist
die Ansicht, dass eine falsche Bestätigung letztlich niemandem schade, und
sahen entsprechend über den Missbrauch hinweg.21 Auf diese Weise konnte
1941 und in den ersten Monaten des Jahres 1942 mit Hilfe falscher Affidavits
ein ziemlich umfangreicher Handel mit Raubwertschriften verschleiert werden.
International leicht handelbare Titel wie Royal-Dutch- oder CHADE-Aktien
erschienen den deutschen Behörden als attraktive Devisenquelle. Abgewickelt
wurden die Geschäfte namentlich über die Eisenhandelsgesellschaft Otto Wolff
in Köln und die kleine Berliner Bank Sponholz sowie ihre Partner in der
Schweiz. Gesamthaft verkaufte die Eidgenössische Bank auf Rechnung von
Otto Wolff zwischen 1940 und 1943 27 000 Royal-Dutch- und 6000 CHADEAktien.
Obwohl die Banken wussten, dass es sich zum Teil um Raubgut handelte,
liessen auch andere Institute im Wertschriftenhandel mit Deutschland
wenig Vorsicht walten: Die Bank Vontobel unterhielt enge Arbeitsbeziehungen
zum Bankhaus Sponholz, das Bankhaus Hofmann solche zur Deutschen Golddiskontbank.