Chinabegeisterung im 18. Jahrhundert

Hast Du diesen Link übersehen?

http://www.kassel-wilhelmshoehe.de/chinesen.html

Hach, da steht was über das "rituelle Pflügen" des chin. Kaisers... Da gabs doch auch ein Bild von Joseph II. den Pflug scharend.

Ich poste mal drauf los:
Wollte Joseph – neben den übl. Interpretationsansätzen – als aufgeklärter, die Standesgrenzen überwindender Vater des Vaterlandes damit auch dem chin. Kaiser nachkommen und seinen Erblanden die rechte Fruchtbarkeit bringen, oder hatte nur - wie seine Schwester, die sich bekanntermaßen auf´s Schafestreicheln im Hameau verstand – eine Passion für das Landleben?

http://www.geschichtsforum.de/images/smilies/sonstige/buff.gif
Bin mal wieder sehr heiter...

Liebe Grüße an alle

Momus
 
1. Dann bliebe noch die Chinoiserie in der Musik. Aber da wäre unser Ramist im Bunde aufgefordert, von Purcells "Chinese woman and man" in "The Fairy Queen" über Rameaus "Indes galantes" bis zu Boismortiers "Air du Japonais" in seinem "Don Quichotte et la Duchesse" zu referieren. ;-)
Dem Außenstehenden, der ob der Schauplätze genannter Opern (antikes Griechenland, Kongo u.a., sowie Spanien) und der darin unvermutet auftretenden Exoten die Stirn düpiert runzelt, sei gesagt:

Ja mei, so is´s halt. Ohne glücklich lächelnde Chinesen gehts halt nicht!

2. Die von seiner gegen-(pfui, es kann nur einen geben)kaiserlichen Majestät erwähnten übrigen (nichtchinoisen) früheren Staffage-Bauten wie antike (Vergils-Grab, römisches Theater, Saturn-Tempel), mittelalterliche Ruinen (Eremiten-Klausen) oder spätere Pittoresquen wie Bauerndörfer, Mosqueen oder chinesische Brücken etc. stehen im sentimentalischen Garten für bestimmte Gefühlswerte: (Vergangenheit, Einsamkeit, Schlichtheit, Ferne...)


3. Ist es eine Mär, daß die Zopfperücke wegen der Chinesen-Zöpfe aufkam? Ich vermute ja eher, daß die Commodité dahinter steckt, in dem man die Allonge einfach à la chasseur hinten zusammengebunden hatte, ehe sie sich mehr und mehr verkürzte, um im Puderbeutel zu verschwinden...
1. Oh dazu bin ich zu unwürdig. Soleil Royal kann da sicher eine adäquatere und geeignetere Antwort geben.

2. Ich sehe da auf jeden Fall einen Zusammenhang. Diese Parkbauten zielten doch in der Folgerung auf eines ab, den Vorstellungen über eine bestimmte Kultur Ausdruck zu verleihen. Ihnen gemein ist natürlich, dass diese "Nachbauten" nur zeigen, wie man sich die Bauten der Fremde oder der Vergangenheit vorstellte. Eine ganz akribische Kopie hingegen ist selten, wenn auch nicht ausgeschlossen (wenn ich z.B. an Wörlitz denke). Man sellte meines Erachtens mit diesen Bauten eben jene Ausschnitte von Kulturen dar, welche man mochte, mit welcher man in der Literatur etc. vertraut war.

3. Oh das kann ich nicht sagen. Leider zeigt Gasault diese Zöpfe garnicht. Ich könnte mal in das aktuellste Buch zu dem Thema Perücken schauen. Das hatte ich schon an anderer Stelle empfohlen. http://www.geschichtsforum.de/282815-post34.html
Eine Bekannte von mir hat ein Buch speziell aus der Zeit als diese Frisuren mit den dünnen, umwickelten Zöpfen aufkamen und welche diese auch abbildet, ich werde mal bei ihr fragen, ob sich in dem Buch eine Verbindung zu China finden lässt.
Bis jetzt ist mir eine solche noch in keiner Primärquelle vorgekommen.

Bei dem Puderbeutel muss man scheinbar aufpassen. Ich hatte eine Weile eine Datierung der ersten Puderbeutel (Haarbeutel) in die 1720er gelesen, nun aber vor einer Weile einen Haarbeutel auf einem Stich der 1710er schon gesehen. Ich würde dazu tendieren, dass Haarbeutel und umwickelter/z.T. langer Zopf zeitgleich aufkamen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was die "Chinoiserie" betrifft, so muss ich bekennen:
Oh dazu bin ich zu unwürdig
weswegen ich noch einmal auf die das vorliegende Thema konstituierende Frage zurückkomme:*
Erklärt es [das Interpretationsmonopol der Jesuiten] wirklich lückenlos das Ende und die Ursache der Chinabegeisterung, die im späten 17. und bis zur Mitte des 18.Jh. in Europa herschte?

Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass zwar jesuitische Schriften weit verbreitet und vielleicht "die weitaus informativsten" (Spence) waren. Für wichtig halte ich aber auch die Erfahrungsberichte der Kaufleute, die mit China in Kontakt kamen, mit einem Staat, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in "eine Periode des Wohlstands ein[trat], der auf einem noch nie dagewesenen Aufschwung der Landwirtschaft, des Handwerks und des Handels beruhte" (Gernet) und dessen Herrscher einige Jahrzehnte lang sowohl eine glückliche Hand wie eine intellektuelle Größe hatten.** Auch das Mäzenatentum scheint laut Gernet hoch entwickelt gewesen zu sein.

Gerade jene Herrscherqualitäten und die politische Stabilität in diesen Jahren ist es wohl gewesen, über die Voltaire und andere westliche Intellektuelle ins Schwärmen kamen, und natürlich hatte das sofort ein Ende, als nach der Hälfte des Jahrhunderts die ersten Risse in Staat und Gesellschaft sichtbar wurden und sich im letzten Vierteljahrhundert zusehends verbreiterten.

China-Skeptiker glaubten schon relativ früh zu wissen, dass Bevölkerungszahl und -wachstum Chinas ihm zum Verhängnis werden könnten, weil - so der bei Spence (S. 171) erwähnte Nicolas Boulanger - das Land zur Bewältigung der daraus resultierenden Probleme nicht innovativ genug sei, sondern eben doch stark konservativ bis erstarrt in seinem Denken. Adam Smith zumal sah 1776 eine große Gefahr auch in der unvergleichlichen "Armut der Unterschicht" Chinas und in der Vernachlässigung bzw. Stagnation - relativ zum Bevölkerungswachstum gemessen - der außenwirtschaftlichen Beziehungen.

Wie Berufenere darlegen könnten, gab es sehr bald auch Kritik ob der künstlerischen Produktivität Chinas (siehe etwa die Hinweise zum chinesischen Porzellan bei Jan Fontein, Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 17, S. 67 ff.).

*Zum Material: Die gegenkaiserliche Darstellung stützte sich auf wohl auf Needham (habe ich nicht), von dem sich seiner Meinung nach auch Gernet (Die Chinesische Welt, S. 400 ff., 437 ff.) inspirieren ließ. Ich habe noch Spence (Chinas Weg in die Moderne) zu Rate gezogen, der im Kapitel über China und die Welt des 18. Jahrhundert "Das Chinabild des Westens" (S. 168 ff.) referiert. Neben den schon erwähnten Internet-Materialien finde ich finde ich auch den Beitrag von Gold (Das Chinabild in der deutschen Romanliteratur 1900-1930) interessant, der einleitend auch die Zeit davor betrachtet.
**Hoffentlich liest Ming_Loyalist das nicht, sonst geht's mir an den Kragen.:still:]
 
2. ...Diese Parkbauten zielten doch in der Folgerung auf eines ab, den Vorstellungen über eine bestimmte Kultur Ausdruck zu verleihen.

hierzu: Die Parkbauten verleihen den Vorstellungen über eine bestimmte Kultur Ausdruck, zielten m. E. nach aber darauf ab, Gefühlswerte zu thematisieren und besser zitieren zu können.
Nehmen wir nur Le Hameau. Ich bin überzeugt, daß es auch für eine protokollgebundene Frz. Königin möglich gewesen wäre ein echtes Bauerndorf zu besuchen, hätte sie wirklich wissen wollen, wie es da so aussieht bzw. wie die Befindlichkeiten der Bauern sind etc. Ich bezweifle aber, daß sie das wollte. Ihre Bauten zielten darauf ab "Ländliches Leben" oder "Schlichtheit" staffageartig vorzustellen, so daß sich der empfindsame Besucher beim Schafestreicheln, Schäferstündchen oder -spiel in diese mit der Staffage verbundene Gefühlswelt hineinversetzen konnte.

Ich glaube nicht, daß – von Abenteurern abgesehen – ein in der Gesellschaft des Ancien Régime Arrivierter (v.a. Adeliger) China wirklich besuchen wollte. Man las und hörte von glücklichen Menschen und wollte eben auch lächeln und glücklich sein. Chinesische Dörfer wie Mu-lang in Kassel dienten nur der Verbesserung der Kulissen um diese Gefühle für sich selbst besser zitieren, beschwören, zu können.


... Eine ganz akribische Kopie hingegen ist selten, wenn auch nicht ausgeschlossen (wenn ich z.B. an Wörlitz denke)...

Je später das Jahrhundert desto originalgetreuer (Theaterkostüme mit Römern in Togen(brrrr, wie geschmacklos!!! http://www.geschichtsforum.de/images/smilies/lol.gif), Römische Ruinen (jetzt auch unter Verwendung auch von echten (import- oder provinzial-)römischen Spolien wie z. B. in Charlottenhof) Gotische Maßwerkfenster (wenn nötig, aus originalkirchen herausgebrochen wie in Kassel))! Und schwupps ist man im 19.!
Mir scheint aber auch die Verbesserung der Zeichenkunst unter Verwendung der Lat. Magica nicht unerheblich. Regten die Piranesi-Stiche der Hadrians-Villa noch zu phantastischen Rocaille-Rekonstruktionen an, war die darstellung solcher Ruinen um die Jahrhundertwende zwar topograph. genau aber blutleer. Wie jedem Klassizismus der Tod anhaftet.
Nicht umsonst hat die Revolutionsarchitektur nur Heldengräber und Gefallenenmonumente hervorgebracht.
 
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Habe mir grad diesen Thread durchgelesen und würde mir gern Bücher dazu besorgen.
Gibt es zur Chinabegeisterung im 18 Jh entsprechende Lit oder muß man sich das aus Überblickswerken zusammenklauben?
 
Hallo Scarlett,
ich kann dir leider nicht sagen, ob es ein schönes Sammelwerk zum Thema gibt, aber hier ein kleiner Lesetipp aus der Uni:

Im Rahmen der Deutschen Aufklärung gab es eine Vorlesung von Christian Wolff zur "Sittenlehre der Chinesen". Hier spiegelt sich zum Einen die Begeisterung und die Ansichten der Aufklärer, speziell die von Wolff, wider.
Inhaltlich geht es darum, dass die Chinesen als moralische Vorbilder für die deutsche Bevölkerung beschrieben werden. Ihre Philosophie sei auf das Gemeinwohl bezogen und entspreche einem allgemeinen Nutzen. Die chinesische Moral beruhe weiterhin auf dem Gebrauch der Vernunft. Dazu weißt du sicherlich, dass Moral und Vernunft zu den Schlagworten der deutschen Aufklärung gehörten - klar, dass Wolff sich an dieser Stelle begeistert. Weiter beschreibt Wolff die Philosophie der Chinesen damit, dass in jedem Menschen die Fähigkeit zum eigenen Erkennen von Gut und Böse und den natürlichen Kräften innewohne.
Doch bei Wolff geht es nicht nur um Moral und Vernunft, er bezieht sich weiterhin auf staatsrechtliche Aussagen mit der Unterscheidung zwischen der Schule der Kleineren und der Schule der Erwachsenen. Denn nur in der Schule der Erwachsenen könnten Könige lernen, sich selbst zu beherrschen, weil sie sich hier nicht von anderen beherrschen lassen. Am Ende stehe nach Wolff eine gute, aufgeklärte Regierung. Sieht man diesen Inhalt im Kontext der Deutschen Aufklärung, so wird klar, dass das Streben nach "einer guten Regierung" wie die zeitgenössischen Texte es nennen, ein zentrales Anliegen der Aufklärung war. Es ist übrigens ein Spezifika der Deutschen Aufklärung, dass Wolff in seiner Vorlesung auf die Chinesen bezieht - er frönt damit dem Phänomen des Kosmopolitismus und der Unterscheidung zwischen dem Fremden und dem Eigenen. An dieser Stelle zeigt sich eben auch die Begeisterung für die chinesische Kunst/Kultur/Architektur - und das nicht anhand von Bauwerken, sondern anhand geschriebener Worte!
Kritisiert wurde die Rede im Übrigen vor allem durch die Universität Jena. Sie merkten an, dass vor allem der "göttliche und menschliche Wille" in Wolffs Ausführungen fehle und auch für Wunder kein Platz wäre. Weiterhin löse diese chinesische Philosophie die Moral vom christlichen Verständnis und rechtfertige den Atheismus. (Die Kritik an dieser Stelle nur in Auszügen.)
Alles in allem ist die Rede bemerkenswert und gehört zu den zentralen Universitärsvorlesungen der Deutschen Aufklärung - man sieht, dass die Begeisterung der Deutschen für die Chinesen selbst in der Wissenschaft ihr Wirken gefunden hat. Und das bereits im Jahr 1721. :)

Literatur: Christian Wolff: Rede über die praktische Philosophie der Chinesen (1721);
Hier noch ein paar bibliografische Angaben: "Oratio de Sinarum philosophae practica - Rede über die praktische Philosophie der Chinesen" - Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Michael Albrecht, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1985. ISBN 978-3-7873-0795-1

Hoffe, dass ich dir etwas helfen konnte!

Grüße
Elphie.
 
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