Christianisierung Norwegens

Warum muss es gemeinsame Anknüpfungspunkte gegeben haben? Vorchristlich, also vor der Berührung mit dem Christentum, gab es in Skandinavien nach allem was wir wissen, keine Religion. Zunächst verehrte man die Naturgewalten unmittelbar, später wurden sie wohl personifiziert und es bildeten sich Geschichten um sie. Erst die Verbindungen zum Kontinent zeigte ihnen die römische Götterwelt und später den christlichen Kosmos.
Du hast offenbar zuviel Caesar gelesen und benutzt einen eigenartigen Religionsbegriff.
Tatsächlich sind anthropomorphe Holzgötzen aus südskandinavischen Mooren schon aus der vorrömischen Eisenzeit bekannt. Dass die Existenz dieser Holzidole sowohl dem Germanenbild Caesars als auch dem Tacitus widerspricht ist offensichtlich. (Dass der Holzidol- und Phalluskult auch in der Wikingerzeit weitergeführt wurde, zeigen die Beschreibung durch ibn Fadlan sowie die Wölsi-Strophen der Lieder-Edda.)
Natürlich gab es schon früh fremde Einflüsse, aber hier waren weit früher schon Kelten und vielleicht auch Griechen aktiv. Dass die Germanen oder besser ihre Vorfahren davor keine Religion hatte, kann ich mir nicht vorstellen, außer natürlich ich verwende eine äußerst enge, christozentrische Definition von Religion, die sogenannte "Naturreligionen"/Primärreligionen/Nicht-Hochreligionen kategorisch vom Religionsbegriff ausschließt.
 
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Du hast offenbar zuviel Caesar gelesen und benutzt einen eigenartigen Religionsbegriff.
Tatsächlich sind anthropomorphe Holzgötzen aus südskandinavischen Mooren schon aus der vorrömischen Eisenzeit bekannt. Dass die Existenz dieser Holzidole sowohl dem Germanenbild Caesars als auch dem Tacitus widerspricht ist offensichtlich. (Dass der Holzidol- und Phalluskult auch in der Wikingerzeit weitergeführt wurde, zeigen die Beschreibung durch ibn Fadlan sowie die Wölsi-Strophen der Lieder-Edda.)
Natürlich gab es schon früh fremde Einflüsse, aber hier waren weit früher schon Kelten und vielleicht auch Griechen aktiv. Dass die Germanen oder besser ihre Vorfahren davor keine Religion hatte, kann ich mir nicht vorstellen, außer natürlich ich verwende eine äußerst enge, christozentrische Definition von Religion, die sogenannte "Naturreligionen"/Primärreligionen/Nicht-Hochreligionen kategorisch vom Religionsbegriff ausschließt.
Ich habe nicht bestritten, dass Verehrungshandlungen stattgefunden haben. Mein Religionsbegriff ist kein christozentrischer, sondern ein systematischer. Unter Religion verstehe ich im hiesigen Zusammenhang ein koheräntes Glaubenssystem, z.B. Pantheon mit Zuständigkeiten. Der Holzidol- und Phalluskult wurde weitergeführt? Eine kultische Handlung ist noch keine Beweis für eine Religion im hier verwendeten Sinn. Kulte habe ich nicht bestritten. Den weiteren Religionsbegriff, den Du anmahnst, habe ich in Nordgermanische Religion ? Wikipedia verwendet (Versionen bis Feb. 2008).

Und Kelten und Griechen in vorwikingischer Zeit in Norwegen? Wohl nicht Dein Ernst! Und importierte Einflüsse? Der dafür erforderliche Schiffbau war zu der frühen Zeit noch nicht so weit gediehen. Es gibt keinerlei Beleg für keltische oder griechische Einflüsse für diese Zeit. Die Edda ist eine späte Dichtung von Intellektuellen für Intellektuelle am Königshof.
 
Unter Religion verstehe ich im hiesigen Zusammenhang ein koheräntes Glaubenssystem, z.B. Pantheon mit Zuständigkeiten.
"Es ist der Maßstab, der die Phänomene schafft" (Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige, S. 13).

Ich finde für hiesige Zwecke einen weiten Religionsbegriff brauchbarer: "erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwortendes Handeln des vom Heiligen existentiell bestimmten Menschen" (RGG, Bd. 5, S. 961) oder ähnlich.

Und Kelten und Griechen in vorwikingischer Zeit in Norwegen? Wohl nicht Dein Ernst!
Ob Kelten oder Griechen "aktiv waren", wie Maglor andeutet, ist schwer zu beweisen.

Was die Griechen betrifft, so fällt in diesem Zusammenhang häufig der Name des Pytheas - Wikipedia, the free encyclopedia. Ob dessen Reise nach "Thule" irgend etwas mit Norwegen zu tun hat, ist wohl eher zu verneinen; ältere Historiker wie Andreas Faye (Geschichte von Norwegen [1865], S. 1) hielten es aber für wahrscheinlich.

Unklar sind auch die Beziehungen zu keltischen Völkern. Auch hier gab und gibt es Hinweise wie z. B. bei Knut Gjerset (History of the Norwegian People, Vol. I [1915], p. 17):
Throughout the Bronze Age the peoples of the North had been in communication with the countries of southern Europe, and through this intercourse they became acquainted with iron, as they had learned to know bronze in the same way at a still earlier period. [...] During the pre-Roman period, embracing the earlier centuries of the era from about 500 B.C. to the birth of Christ, the influence of the Celtic peoples of Gaul and the Alpine region is especially noticeable...
 
"Es ist der Maßstab, der die Phänomene schafft" (Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige, S. 13).

Ich finde für hiesige Zwecke einen weiten Religionsbegriff brauchbarer: "erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwortendes Handeln des vom Heiligen existentiell bestimmten Menschen" (RGG, Bd. 5, S. 961) oder ähnlich.
Kann man ohne weiteres auch so machen.

Ob Kelten oder Griechen "aktiv waren", wie Maglor andeutet, ist schwer zu beweisen.

Was die Griechen betrifft, so fällt in diesem Zusammenhang häufig der Name des Pytheas - Wikipedia, the free encyclopedia. Ob dessen Reise nach "Thule" irgend etwas mit Norwegen zu tun hat, ist wohl eher zu verneinen; ältere Historiker wie Andreas Faye (Geschichte von Norwegen [1865], S. 1) hielten es aber für wahrscheinlich.

Unklar sind auch die Beziehungen zu keltischen Völkern. Auch hier gab und gibt es Hinweise wie z. B. bei Knut Gjerset (History of the Norwegian People, Vol. I [1915], p. 17):
Throughout the Bronze Age the peoples of the North had been in communication with the countries of southern Europe, and through this intercourse they became acquainted with iron, as they had learned to know bronze in the same way at a still earlier period. [...] During the pre-Roman period, embracing the earlier centuries of the era from about 500 B.C. to the birth of Christ, the influence of the Celtic peoples of Gaul and the Alpine region is especially noticeable...
Pytheas ist wohl eher ein Gegenargument. Er war ein Erkunder (um den rezenten Begriff "Forscher" zu vermeiden). Die offensichtlich äußerst seltenen Besuche, die in der Literatur nur einen äußerst diffusen Niederschlag gefunden haben, sind kaum geeignet, einen Einfluss auf die dortige Gedankenwelt auszuüben. Das würde längere Diskussionen voraussetzen, bei denen ganz sicher die fremden Vorstellungen in den Berichten erwähnt worden wären. Offenbar stellt man sich den religiösen Einfluss so wie eine Ansteckung vor, mit dem Reisenden geht ein religiöses Miasma mit, das alle, denen er begegnet geistig infiziert. Das ist völlig lebensfremd. Wenn heute jemand in die Serengeti reist, wird er da mit den schwarzen Wildhütern auf der Safari religiöse Weltbilder diskutieren?

Was die Kelten anbetrifft: Wo die Fakten fehlen, hat die Phantasie freien Lauf. Die Bronzezeit Norwegens ist nicht durch die Verwendung von Bronze geprägt, sondern weiterhin durch Steinwerkzeuge. Bronze war Statussymbol der Oberschicht, nicht tägliches Werkzeug. Es gab Handelsaustausch über den Skagerrak und später Kattegat mit Dänemark. Aber es gibt keine Funde, die in keltisches Gebiet weisen. Stattdessen machen manche Bronzeartefakte eine Verbindung mit Fennoskandinavien und der Ananino-Kultur am oberen Ende der Wolga sehr wahrscheinlich. Also wäre ein religiöser Einfluss von dort plausibler.

Für die Übertragung von religiösen Vorstellungen genügen ja nicht irgendweche Kontakte, sondern stabile Beziehungen zwischen Personen, die dazu führen, dass man auch über anderes redet als über Geschäft und Ware. Und da genügt auch nicht eine einzelne Person, sondern eine gewisse Breite, die auch Gebildete umfasst. Dann kommt auch eine Einfluss zu Stande.
 
Offenbar stellt man sich den religiösen Einfluss so wie eine Ansteckung vor, mit dem Reisenden geht ein religiöses Miasma mit, das alle, denen er begegnet geistig infiziert.
Nur der Ordnung halber: Aus christlicher Sicht gibt es vielfältige Formen der Bekehrung, angefangen vom Damaskus-Erlebnis des Paulus und anderen Formen individueller Offenbarung bis hin zu den langwierigsten Überzeugungsprozessen. (Siehe auch das Papstwort von 2007 zu den südamerikanischen Indianern, welche die Ankunft der Priester im Zuge der spanischen Eroberung still herbeigesehnt haben.)

Was die Kelten anbetrifft: Wo die Fakten fehlen, hat die Phantasie freien Lauf.
Dein Wort ins Ohr von Gjerset und Konsorten. - Natürlich ist das Fehlen von Schriftgut usw. ein großes Problem für die Einschätzung der vorchristlichen Religiosität in Skandinavien. Plausibilitätsüberlegungen, wie sie z. B. Mircea Eliade (Geschichte der religiösen Ideen, Bd. 2, S. 138 ff.) anstellt, sind gleichwohl möglich.

So meint er wohl zu Recht, dass zu Island "eine genügend vollständige mündliche Tradition" erhalten sei, dass man aber "die Auskünfte bezüglich der Glaubensvorstellungen der norwegischen Emigranten in Island nicht ohne zusätzliche Beweise als für die Gesamtheit der germanischen Stämme gültig betrachten" könne. Trotzdem sei "nicht an einer gewissen grundlegenden Einheit der Religion der Germanen [zu] zweifeln".

Den Hinweis auf mögliche Einflüsse aus Richtung Osten finde ich interessant und wüsste gern mehr darüber.
 
Nur der Ordnung halber: Aus christlicher Sicht gibt es vielfältige Formen der Bekehrung, angefangen vom Damaskus-Erlebnis des Paulus und anderen Formen individueller Offenbarung bis hin zu den langwierigsten Überzeugungsprozessen. (Siehe auch das Papstwort von 2007 zu den südamerikanischen Indianern, welche die Ankunft der Priester im Zuge der spanischen Eroberung still herbeigesehnt haben.)
An eine signifikante Anzahl von Damaskuserlebnissen ausgelöst durch den Besuch eines Reisenden mag ich nicht glauben. Da meine ich einfach trotzig, dass es einer größeren Anzahl von Personen und einer Kontinuität der Verbindung bedarf, um geistige Einflüsse zu bewirken. In der Schriftzeit ist das anders - da kann ein Buch schon genügen.

Dein Wort ins Ohr von Gjerset und Konsorten. - Natürlich ist das Fehlen von Schriftgut usw. ein großes Problem für die Einschätzung der vorchristlichen Religiosität in Skandinavien. Plausibilitätsüberlegungen, wie sie z. B. Mircea Eliade (Geschichte der religiösen Ideen, Bd. 2, S. 138 ff.) anstellt, sind gleichwohl möglich.
Nichts ist unmöglich - Frage nur, ob's was bringt, oder ob nur die Bilder im Hirn des Autors projeziert werden.

So meint er wohl zu Recht, dass zu Island "eine genügend vollständige mündliche Tradition" erhalten sei, dass man aber "die Auskünfte bezüglich der Glaubensvorstellungen der norwegischen Emigranten in Island nicht ohne zusätzliche Beweise als für die Gesamtheit der germanischen Stämme gültig betrachten" könne. Trotzdem sei "nicht an einer gewissen grundlegenden Einheit der Religion der Germanen [zu] zweifeln".
Na, da ist man heute skeptischer. Schon die Totenreichsvorstellungen differieren stark, von Hel, Walhall bis hineinsterben in einen Berg (Helgafell in Island). Man weiß einfach nicht, was die mündliche Tradition widerspiegelt. Die Veränderungen in der oralen Überlieferung werden heute doch höher angesetzt als früher. Und dann die kritikimmunisierende Formulierung im zweiten Zitat von dir: "gewissen grundlegenden Einheit". Alles was dagegen vorgebracht werden kann, wird dann damit gekontert, dass es sich ja nur um eine "gewisse" und "grundlegende" Einheit handele. Da es sich um Kulte handelt (nach dem weiten Religionsbegriff), wird die fundamentale Differenz zwischen dem Blót in Trøndelag und dem Opferfest von Uppsala herausgekürzt und es bleibt in jedem Falle eine "gewisse" Einheit übrig, und man muss nur tief genug zum Grunde schürfen, um auch eine "grundlegende" Einheit festzustellen. Ehrlich - ich halte von solchen Spekulationen nichts. Der reale Erkenntnisgewinn über die vorwikingischen Kultstufen steht in keinem Verhältnis zum argumentativen Aufwand. Was erfährt man, worin denn nun die "gewisse grundlegende Einheit" bestanden hat, wenn nicht in trivialen Gemeinsamkeiten des Opfers als solchem und der für das Heidentum schlechthin ebenso trivialen Tatsache, dass es kein persönliches Verhältnis zu Göttern gab, so dass man sie nicht "anbetete"?

Ich habe mich dazu im dritten Abschnitt der Einleitung von Nordgermanische Religion ? Wikipedia kritisch geäußert. Im Artikel selbst habe ich so ziemlich alles angeführt, was wir überliefert bekommen haben, aber eben immer unter dem Vorbehalt, dass gerade in der stark separierten Landschaft Norwegens eine Übertragung von einer Region in eine andere ohne Anhaltspunkte prinzipiell unzulässig ist. Wir sind nicht einmal sicher, in welchem Verhältnis Thor zu Odin in der religiösen Praxis stand. Odin ist in der Überlieferung dominierend, aber Thor bei der Ortsnamengebung. Die Grabhügel sind mit Walhall kaum in Einklang zu bringen.
Den Hinweis auf mögliche Einflüsse aus Richtung Osten finde ich interessant und wüsste gern mehr darüber.
Dazu habe ich was in Geschichte Norwegens vor Harald Hårfagre ? Wikipedia im Kapitel "Bronzezeit" geschrieben. Stammt aus Aschehougs Norges Historie.
 
Und dann die kritikimmunisierende Formulierung im zweiten Zitat von dir: "gewissen grundlegenden Einheit". Alles was dagegen vorgebracht werden kann, wird dann damit gekontert, dass es sich ja nur um eine "gewisse" und "grundlegende" Einheit handele.

Dieses Problem erkenne ich gern an! Je kleiner der "gemeinsame Nenner" wird, desto weniger Substanz ist drin.

Im Übrigen Dank für Informationen und Links.
 
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