Eine revolutionäre Innovation, die sowohl Gebildeten bekannt war, als auch von existenzieller Bedeutung für das Leben der einfachen Leute, war ohne Zweifel die Einführung des flächendeckenden Kartoffelanbaus. Es war die bedeutendste agrarhistorische Innovation seit der Dreifelderwirtschaft. Es gibt regional unzählige Anekdoten, die darauf Bezug nehmen. Am bekanntesten sind die Geschichten über König Friedrich. Er soll die Kartoffelfelder von Grenadieren bewachen haben lassen, so daß die Landbevölkerung dachte, das müsse etwas besonderes sein. In meiner Geburtsstadt feiert man seit 1728 die "Salatkirmes". Die Rituale nehmen Bezug auf einen frühen Versuch Landgraf Karls von Hessen- Kassel. Dieser soll der Sage nach den hessischen Bauern Kartoffeln und in Schmand eingelegten Kopfsalat serviert haben, offenbar mit eher negativem Erfolg, denn bei der Salatkirmes ist es bis heute geblieben. Flächendeckend wird sich die Kartoffel in Hessen aber erst unter seinem Enkel Friedrich II. durchgesetzt haben. Dieser ging bei der Forcierung des Kartoffelanbaus behutsamer vor, als sein preußischer Namensvetter. Entgegen vieler Geschichtsbuchlegenden, griff nämlich Friedrich von Preußen zu Zwang und drohte Strafen an. Moderner erscheint das Vorgehen des Landgrafen, der Prämien aussetzte und Ideenwettbewerbe ausschrieb. Ähnliche Geschichten gibt es aus vielen deutschen Ländern.
Doch in letzter Konsequenz war die Einführung der Kartoffel nicht einem König und auch keinem Landgrafen, Universitätsprofessor oder Bauern zu verdanken, sondern der letzten Hungerkatastrophe alteuropäischen Ausmaßes, die gerade in die Jahre nach Ende des Siebenjährigen Krieges fiel, und die 1770/71 ihren Höhepunkt erreichte. Selbst Länder, die überhaupt nicht unmittelbar vom Krieg betroffen waren, wurden von ihr heimgesorgt. Die Roggenpreise explodierten und stiegen von 1766 bis 1770/71 vom fünffachen, bis auf das zwanzigfache des üblichen Preises für einen Simmer Korn. In dieser Not entdeckte man die Kartoffel, die zuvor als Viehfutter galt. Kartoffeln wachsen auch auf sandigem, unfruchbaren Boden, die Pflanzen können viel ertragen, und bringen ein Vielfaches des Ertrages von Getreide. Die Gefahr von Hungerkatastrophen schien gebannt. In Irland, wo man die Knollen schon früh kultivierte, lebten Hunderttausende von der Kartoffel. "Potacken in der Früh, zu Mittag in der Häut, Potacken in Ewigkeit", dichtete man in Franken. 1822 wurde allerdings Deutschland und in den 1840er Jahren Irland von der Kartoffelfäule geschlagen. "The Great Famine", die große Hungersnot hat sich bis heute tief in das Bewußtsein der Iren gebrannt. Tausende verhungerten, die Menschen aßen Gras und alles mögliche Getier. Die Bevölkerungszahl Irlands sank von annäherend 6 auf 3 Millionen. Tausende von Iren flohen in die Neue Welt. Nicht viel besser war es während der Zeit des Pauperismus in Deutschland. Manche Gemeinden bezahlten ihren Armen lieber die einmalige Passage nach Amerika, als sie weiter durchzufüttern. Die Innovation des Kartoffelanbaus beschäftigte auch die Gebildeten. So stammen zum Beispiel die altbekannten Bauernregeln, die wir heute fast nur noch in verhohnepiepelter Form kennen, nicht von blödsinnigen Bauern, sondern von Universitätsprofessoren und Kameralisten, die sich bemühten, wissenschaftliche Phänomene in leicht verständliche Zwei- und Vierzeiler zu bringen. Dabei ging es auch um die Zubereitung und Präparation der Kartoffel, denn dieses obskure Nachtschattengewächs war den Bauern nicht geheuer. Ernährungsgeschichtlich war die Kartoffel sehr bedeutsam. Sie verdrängte die bis dahin bedeutsame Hirse und die üblichen Suppen und Breie, die vom ärmsten Bauern bis zum König fast alle konsumierten. Die Umstellung von einer Suppen-, Brei- und Hülsenfrüchte auf eine Kost bestehend hauptsächlich aus Kartoffeln, war keine Kleinigkeit. So klagten die sicher nicht verwöhnten Bewohner der Rhön über Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Brennen im Körper.