Tiboni sagt, „in der
Odyssee beschreibt Homer das Pferd nicht. Wir wissen nicht, wie es aussah. Wie groß es war, ob es einen Kopf hatte, Beine, nichts.“
Allein diese Argumentation kommt mir doch seltsam vor. Also abgesehen davon, dass sich Tiboni von der Historizität des trojanischen Pferdes überzeugt gibt. Homer beschreibt doch im Grunde etwas, dass von Griechen wie Trojanern als Pferd interpretiert wurde und groß genug war, dass sich darin dreißig Krieger verstecken konnten, ohne bemerkt zu werden. Was erwartet Tiboni? Genaue Maße? Oder das Homer seinen Hörern erklärt, wie ein Pferd aussieht?
Wir erfahren, dass das Pferd aus Planken gemacht sei (Gottwein übersetzt ‚hölzern‘, LSJ ‚of planks‘, allerdings mit der Ableitung von
δόρυ ‚Holz‘ (
δουράτεος 1 adj2 adj3 adj4 δόρυ
of planks or
beams of wood))
ἵππου κόσμον ἄεισον
δουρατέου,
[…]
δουράτεον μέγαν ἵππον
Gehen wir von der Historizität der Szenerie aus, dürften da hinreichend Schiffe gelegen haben. Nach zähen Kämpfen um die Stadt - in der Fiktion sollen sie zehn Jahr gedauert haben - sollten hinreichend Krieger ins Gras gebissen haben, so dass weitaus weniger Schiffe für die Rückfahrt als für die Hinfahrt benötigt wurden (insbesondere dann, wenn man scheinbar unverrichteter Dinge - also ohne die Stadt erobert zu haben - wieder abzog). Da sollten also genug Planken zur Verfügung gestanden haben, um ein solches Pferd zu bauen.
Tiboni argumentiert
δουράτεος bedeute nicht ‚hölzern‘, sondern speziell bei Homer ‚aus Planken‘. Allerdings kommt
δουράτεος bei Homer an nur genau zwei Stellen vor, nämlich den beiden oben zitierten, im 8. Sang der Odyssee in den Versen 490 und 510. Demnach kann Tiboni so nicht argumentieren, dass Homer immer Planken meine, wenn er das Wort verwendet, weil er es ausschließlich um Zusammenhang mit dem Pferd verwendet. (Dabei habe ich gar nichts gegen das Bild der Planken, nur die Argumentation stört mich, da die lediglich zweimalige Nutzung des Wortes schon nicht statistisch relevant ist ein ne umso weniger aussagekräftig, als dass sie sich beide Male auf das Pferd bezieht.)
Dass die Griechen sich in einem Schiff vom Typ Hippos versteckt haben sollen - also dass das die Vorstellung Homers und seiner Zuhörer war, ist ganz und gar undenkbar, da diese Schiffstypen offen waren. Es gab dort schlicht keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
Zwar geben akademische Titel nicht automatisch Recht. Wenn ich aber die Wahl habe, ob ich Wissenschaftlern oder einem Fremden im Inet glauben soll, ist meine Wahl sehr eindeutig.
Es zählt nicht der Titel, es zählt das vorgebrachte Argument. Das Kerngeschäft der Wissenschaft ist nicht Titelhuberei, sondern sich durch Argumentation zu verbessern, oder um es mit Max Weber zu sagen: es ist die Pflicht eines Wissenschaftlers von seinen Schülern widerlegt und überholt zu werden.
Argumentieren wir mit akademischen Titeln, machen wir Wissenschaft zur Religion.
Und um genau zu sein: es ist nur Tiboni, der das Pferd für ein Schiff hält, Held weist daraufhin, dass bereits in den ältesten Darstellungen das Pferd ein Pferd ist und dass auch Homer selbst sich wohl ein Pferd vorgestellt habe.
Tiboni versucht seine These noch zu retten, indem er auf dies Unterschiedlichkeit der Pferdedarstellung hinweist (mal mehr technisch, mal natürlicher), aber damit bekommt er nicht das Pferd zu einem Schiff umgedeutet. Es bleibt dabei. Dreh- und Angelpunkt des Falls Trojas ist, dass dreißig Krieger in dem Pferd versteckt saßen und das ist beim Schiff des Typs Hippo nicht möglich. Aristoteles lebte zwar ein paar Jahrhunderte später, aber ich denk, man kann zugrundelegen, was der von Dramen folgerte: Sie mussten in der Logik der Welt, die sie erschufen glaubwürdig sein.
Dann stellt der Sprecher aus dem Off die Frage: Warum hätten die Trojaner nach zehn Jahren Krieg ein Holzpferd in die Stadt ziehen sollen?
Gegenfrage: Warum hätten sie dies mit einem Boot tun sollen?
Tiboni verweist am Ende noch auf die Beschläge des Tempeltores von Imgur-Enlil („Bronzefries von Balawat“). Darauf sei dargestellt, wie u.a, Phönizier dem assyrischem König Geschenke in Booten brächten. Dies, so die Argumentation der Sendung, sei in der Bronzezeit wohl Usus gewesen. Ja. Allerdings sieht man die Boote auf dem Bronzefries gerudert auf Wasser, nicht an Land.
Ein wenig lächerlich ist dann auch am Ende die filmische Darstellung, dass die Griechen sich aus kaum zwei Metern Höhe abseilen. Aber gut, dass hat Terra X zu verantworten, nicht Tiboni.