Hier habe ich mal wieder ein Thema, dass man denke ich schnell bearbeiten kann.
Über das sogenannte Wunder von Bern ist ja schon viel gesagt und geschrieben worden! Ich bin persönlich der Meinung, dass die ganze Sache, total übertrieben bewertet wird.
Es stimmt natürlich, dass das Vorankommen der westdeutschen Fußballnationalmannschaft, dem geschundenen Land und den Seelen seiner Bewohner "gutgetan" hat. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Allerdings stören mich an der Sache 2 Punkte ganz gewaltig.
- Die Fußballweltmeisterschaft war eine sportliche Veranstaltung ohne direkten ökonomischen und politischen Wert. Die wirklich wichtigen Dinge wurden woanders geregelt. Wie der Generalvertrag usw.
- Auch wenn, die junge BRD nur "Zweiter" also Vizeweltmeister geworden wäre, hätten sich dann die Menschen weniger gefreut?
Ich glaube, diese Frage kann man getrost mit einem Nein beantworten! Durch den Gewinn der WM kam die BRD ihrer angestrebten Teilsouveränität keinen Schritt näher! Um mal in diesem Bild zu bleiben. Es wurden nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen. Ganz im Gegenteil, man musste ja sogar Leute aus dem Ausland anwerben weil, man nicht genug eigene Leute hatte. Auch gab es deswegen nicht weniger Kriegsversehrte oder Ausgebombte bzw. Heimatvertriebene.
Sicherlich der unerwartete Sieg hat die allgemeine Moral im Land gehoben. Aber damit löst man sich auch keine Probleme. Noch konnte das die Schrecken des 2. Weltkrieges vergessen lassen oder vergessen machen. Weder im Inland noch im Ausland.
Und somit wird der Sache eine Bedeutung beigemessen, die sie an sich nicht verdient. Ihr könnt natürlich anderer Meinung sein wenn, ihr wollt.
Der Historiker Joachim Fest und der Politologe Arthur Heinrich sprachen im Zusammenhang mit dem "Wunder von Bern" von der "eigentlichen Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Gerhard Mayer-Vorfelder, langjähriger DFB-Funktionär, Präsident des VFB Stuttgart und zeitweise sogar Kultusminister von Baden-Württemberg schrieb dazu:
"Man hatte das Gefühl, dass man wieder in die Völkervereinigung aufgenommen wurde, dass einem wieder Respekt entgegengebracht wurde- Das hat uns gutgetan."
Als 2005 die BILD-Zeitung titelte: "Wir sind Papst", war das eigentlich nur peinlich. 1954 nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft war aber zweifellos ein "Wir-Gefühl" vorhanden, und der Titelgewinn wurde als ein kollektives Erfolgserlebnis betrachtet. Wie bei kaum einem anderen Turnier davor oder danach war ganz selbstverständlich die Rede davon, nicht dass Deutschland oder die Bundesrepublik, nein, dass "Wir" Weltmeister geworden sind. Friedrich Christian Delius schrieb, natürlich mit ironischer Distanz, von dem Tag, an dem ich Weltmeister wurde.
Es hat spannende und hochdramatische Weltmeisterschaften seitdem gegeben. "Wir" sind Papst, Kanzlerin und noch dreimal Weltmeister seitdem geworden. Seit dem "Sommermärchen" 2006 wird auch wieder geflaggt.
Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass es "nur ein Spiel" war, dass große Sportereignisse keine Probleme lösen. Im schlimmsten Fall können Sportereignisse als "Panes et Circenses" im schlimmsten Sinne missbraucht werden. Die "Rennschlachten der 1930er Jahre" als Auto Union und Mercedes die Konkurrenz abhängten und die Olympischen Spiele 1936 wurden von den Nazis als Außendarstellung des Dritten Reichs benutzt. Der Gewinn der WM 1978 erzeugte ein Wir-Gefühl, das letztlich die Militärjunta stabilisierte. Erst als das Regime den Coup mit der Annexion der Falklandinseln wiederholte, ging die Sache gründlich in die Hose.
1954 aber steckte der Profisport, zumindest was die Saläre der Spieler betrifft noch in den Kinderschuhen. Die "Helden von Bern" haben fast alle neben dem Fußball einen bürgerlichen Beruf ausgeübt. Werner Kohlmeyer wurde im Alter zum Sozialfall.
Fußball aber wurde zu einem Volkssport, zu einer Leidenschaft, zur "schönsten Nebensache der Welt." Da entwickelte sich aber auch durchaus ein bedeutender Wirtschaftszweig. Der Gewinn der WM führte zu einem Boom des Fußballs und dieser Boom hatte durchaus wirtschaftliche Folgen: Adi Dassler entwickelte auswechselbare Stollen, und Adidas und Puma sind heute Firmen mit mehren Tausend Beschäftigten und mehreren Millionen Umsatz. Als Spieler wie Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich Wimbledon gewannen, führte das zu einem wahren Boom des Tennis in der Bundesrepublik, und die vielen Deutschen, die Becker & Graf nacheiferten, haben viel Geld für dieses Hobby ausgegeben. Als der Golfer Bernhard Langer einige erfolge erzielte, stieg das Interesse an Golf in Deutschland, und auch dadurch entstanden durchaus Arbeitsplätze. Wie viele Arbeitsplätze tatsächlich aus dem Gewinn der WM 1954 entstanden, wäre interessant zu rekonstruieren. Die WM hat aber sicher dazu beigetragen, dass ein wachsender Markt für Radiogeräte, Fernseher, Sportartikel entstand. Als das Interesse an der WM zunahm, haben viele Gastwirte und Sportvereine Radios und Fernseher angeschafft.
In unzähligen Dörfern und Kleinstädten wurde im Grunde 1954 zum ersten Mal "Public Viewing" organisiert. Das "Wunder von Bern" war in vielen deutschen Haushalten der Anlass, dass ein Fernseher angeschafft wurde. Das neue Medium Fernsehen erhielt jedenfalls durch die WM 1954 wichtige Impulse. "Das Wunder von Bern" konnte natürlich nicht die Folgen des Krieges vergessen machen, um gesellschaftliche Probleme angehen zu können, ist Motivation, Optimismus und Zusammengehörigkeitsgefühl recht hilfreich- und der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft hat zweifellos Motivation, Optimismus und Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt. Das "Wunder von Bern" hat bei völlig unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlichen Alters und Bildungsgrads recht ähnliche kollektive Emotionen hervorgerufen. Mit den "Helden von Bern", mit dem Trainer Sepp Herberger konnte sich jeder identifizieren, beim Fußball kann jeder mitreden, die Regeln kennt jeder.
Die das Wunder von Bern persönlich miterlebt hatten, konnten es nicht vergessen, sie sprachen immer wieder, manchmal bis zum Überdruss davon.
Darüber spricht man heute noch, und die Geschichte ist erzählenswert. Überbewertet? Nein, eigentlich nicht!