Der Akt der Republikflucht

@ Saxo: das Verhalten gegenüber Flüchtlingen ist sicher einer der größten innenpolitischen Missstände, die wir haben. Nur kannst du die Zahlen aus der Anfrage nicht einfach den Mauer/Grenztoten gegenüberstellen. Allein schon der erste Satz ist verräterisch: 2001 starben demnach "mindestens 130 Menschen auf dem Weg in die Bundesrepublik oder an den Grenzen." Wo jetzt genau, ist bei der Frage nicht ganz unwichtig. 100 davon sollen an den Ostgrenzen gestorben sein - und seit Jahren kennen wir ja die Geschichten von Flüchtlingen, die in der Oder ertrinken.
99 Menschen begingen gemäß der Statistik aus Abschiebunsgründen Selbstmord. 69 weitere starben durch rassistische Übergriffe, wofür der Staat allenfalls mittelbar verantwortlich zu machen ist.
Bitte nicht falsch verstehen: ich bin von meiner persönlichen politischen Überzeugung her der Meinung, dass der Staat eine große Verantwortung für diese Toten trägt (besonders was die Selbstmorde betrifft).

Aber es ist nicht so, dass diese Menschen kaltblütig und vorsätzlich erschossen wurden, wie es bei den Toten an der DDR-Grenze der Fall war. Man denke nur an Peter Fechter, den die Grenzer im Niemandsland buchstäblich verbluten ließen. Dazu kommt ja noch, dass man in der DDR beim gescheiterten Fluchtversuch kriminalisiert wurde.
 
saxo schrieb:
. Aber "Auswanderer", da hat man das Bild eines über die Reling gebeugten völlig verarmten, kinderreichen Ehepaars vor Augen, das das heißersehnte Land am Horizont auftauchen sieht - tut mir leid: "Thema verfehlt" :nono: . Wenn es ein Land zur Erhaltung seiner innenpolitischen und wirtschaftlichen Stabilität für unerläßlich hält, Grenzübertritte - egal in welche Richtung - bei Strafe zu verbieten, dann ist das zwar traurig, aber nunmal Tatsache.

Andere Leute können sicherlich nichts für deine stereotypen Weltansichten.
Und wie würdest du die Menschen bezeichnen?
Verbrecher? Flüchtige? Vaterlandsverräter?
Und du sprichst von einer traurigen Tatsache? Soll ich mich etwa damit abfinden dass ich in einem riesigen Freiluft-Gefängniss lebe, bloß weil mich der "Wärter" Staat aus Gründen wirtschaftlicher und innenpolitischer Stabilität inhaftiert?
Eigentlich müsste sich doch der Staat für seine Taten gegenüber dem Volk rechtfertigen, nicht andersrum!
Bertolt Brecht schrieb dazu mal ein gutes Gedicht, kurz nach dem Aufstand in der DDR `53, mir fällt aber gerade der Name nicht ein:grübel: .
 
Gefragt hatte ich mich auch schon lange, warum 616.051 Aussiedler legal von der DDR in die BRD umsiedelten und einige unbedingt über die Mauer steigen mußten? :grübel:

Die Zahl der Aussiedler bis 1988 habe ich den Zeitbildern Band 15 von der Bundeszentrale entnommen.:winke:
 
Gaius Marius schrieb:
Bertolt Brecht schrieb dazu mal ein gutes Gedicht, kurz nach dem Aufstand in der DDR `53, mir fällt aber gerade der Name nicht ein:grübel: .

"Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"
nach dem Gedicht "Die Lösung" aus den Buckower Elegien, 1953
 
Gefragt hatte ich mich auch schon lange, warum 616.051 Aussiedler legal von der DDR in die BRD umsiedelten und einige unbedingt über die Mauer steigen mußten?

Manche durften ausreisen, die Mehrzahl - besonders die jungen Leute - aber nicht. Ich schätze mal, dass die Mehrzahl der ca. 600 000 von dir erwähnten Aussiedler in den 80er Jahren "rübermachte", als sich das politische Klima etwas entspannt hatte. Zumindest kenne ich es von meinem Heimatort (nicht allzuweit von der "Zonengrenze" gelegen), dass ich so 88/89, noch gut ein Jahr vor dem Mauerfall, die ersten ausgereisten Mitschüler hatte.
Abgesehen davon, gab es auch Menschen, die aus der DDR "verbannt" wurden, in Form der Ausbürgerungen. Der bekannteste unter diesen Fällen war sicher Wolf Biermann, aber ich bin auch schon auf "Normalos" getroffen, die ausgebürgert wurden. Ich weiß aber nichts genaues über die Hintergründe davon und unter welchen Bedingungen die Gefahr der Ausbürgerung bestand.
 
Bitte nicht falsch verstehen, aber auch Biermann mußte nicht über die Mauer klettern. In den Zeitbildern steht zum Altersdurchschnitt der Aussiedler leider nichts. Aber ich könnte mir vorstellen, daß dies mehr die jüngern Familien waren, denn gleichzeitig wird erwähnt, daß die DDR ohne die Auswanderer ein verstärktes Geburtenwachstum gehabt hätte, was zu einer Bevölkerung von 20 Millionen anstatt real 16 Millionen geführt hätte.

Aber es würde mich wirklich interessieren, warum nun Menschen anstatt wie andere auch auszusiedeln große Gefahren auf sich nahmen.:grübel:
 
Habe eine weniger nette Aufforderung bekommen mich deutlicher auszudrücken. Das mache ich jetzt. :devil:

Warum nimmt jemand in Kauf erschossen zu werden, wenn er auch ganz normal ausreisen kann?
Dauerte den Menschen das Ausreiseprozedere zu lange? Was waren ihre Motive?

Ich hoffe, daß das klar genug war.:pfeif:
 
Bitte nicht falsch verstehen, aber auch Biermann mußte nicht über die Mauer klettern.

Biermann wurde ausgebürgert, das hab ich doch geschrieben...


Warum nimmt jemand in Kauf erschossen zu werden, wenn er auch ganz normal ausreisen kann?
Dauerte den Menschen das Ausreiseprozedere zu lange? Was waren ihre Motive?

Ich gebe zu, dass ich das meiste vom Hörensagen weiß, von Leuten, die damals in meine Region gekommen sind. Es lag eben nicht in der Hand des Einzelnen, ob er ausreisen durfte oder nicht. Manche mussten lange auf ihren Bescheid warten. Leider kenne ich keine genauen Arbeiten über die Maueropfer. Rein aus psychologischen Überlegungen würde ich sagen, dass die meisten davon junge Männer waren (wer eine Familie hat, wird sich nicht der Gefahr aussetzen). Bei vielen mag sicher eine Rolle gespielt haben, dem Wehrdienst zu entkommen.
 
Hardegen schrieb:
warum 616.051 Aussiedler legal von der DDR in die BRD umsiedelten und einige unbedingt über die Mauer steigen mußten? :grübel:
Die Möglichkeit des offiziell-Ausreisens hab ich ja bei meiner irgendwo geschriebenen Liste der "Ausreisemöglichkeiten" ganz vergessen... :) Noch nicht genannt wurden glaub ich die Zahlen der von der BRD abgekauften DDR-Bürger.
Das Zahlenverhältnis der Mauertoten zu den legal und illegal ausgereisten scheint mir nun noch weniger klärbar zu sein. Immer unwahrscheinlicher scheint es mir jedenfalls, es hier mit politischen Flüchtlingen zu tun zu haben, die das Regime in der DDR nicht mehr ertragen konnten.
 
saxo schrieb:
Die Möglichkeit des offiziell-Ausreisens hab ich ja bei meiner irgendwo geschriebenen Liste der "Ausreisemöglichkeiten" ganz vergessen...

Nur sollte zu diesem Punkt auch der gesamte Kontext weder verschwiegen noch verdreht werden: http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Ausreiseantrag

Die anderen Sätze Deines Beitrages zu kommentieren, unterlasse ich an der Stelle übrigens, da ich sonst Gefahr laufe, Forenregeln zu verletzen...
 
Immer unwahrscheinlicher scheint es mir jedenfalls, es hier mit politischen Flüchtlingen zu tun zu haben, die das Regime in der DDR nicht mehr ertragen konnten.
Das ist völlig irrelevant. Die Leute werden aus den verschiedensten Gründen geflohen sein. Es geht darum, wie es zu der Situation kommen konnte, dass zum Beispiel ein zehnjähriger als "Flüchtling" erschossen wurde:

http://de.wikipedia.org/wiki/Jörg_Hartmann_(Maueropfer)
 
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